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Hello, Freunde der Juden,

Freunde der Juden? Da klingeln alle Alarmglocken bei traditionellen Juden – unter Gojim kennen sie keine Freunde. Die Welt der „alten“ Juden ist nur in Ordnung, wenn alle Welt sie hasst.

Avraham Burg spricht von der Paranoia der Juden. (Die Lektüre seines Buches „Hitler besiegen“ nannte Micha Brumlik „für alle, die sich mit Israel verbunden fühlen, beinahe eine moralische Pflicht“. Streichen wir das „beinahe“.) Uri Avnery umschreibt die Paranoia mit einem israelischen Volkslied: „Die ganze Welt ist gegen uns, uns aber ist es scheißegal …“

Paranoia ist mehr als scheißegal. Jede traumatische Wunde, die sich durch Selbsterkenntnis nicht heilt, steht unter Wiederholungszwang. Sie muss provozieren und herstellen, was ihrer Wunde den Schein der Berechtigung verleiht. Der Masochist provoziert den Sadisten solange durch aggressives Leiden, bis dieser die Wunde erneut zum Bluten bringt. Streng genommen ist der Masochist selbst ein Sadist, nur mit Mitteln, die denen des Sadisten zu widersprechen scheinen. Der Masochist beherrscht den Sadisten durch seine Fähigkeit, ihn zu aggressiven Tätigkeiten zu nötigen, der Sadist beherrscht den Masochisten durch manifeste Aggressionen. Beide sind Sadisten, beide Masochisten, nur mit konträren, komplementären Methoden.

Wenn Avraham Burg Recht hat, verfolgt Israel eine paranoide Politik. Netanjahu denkt nicht daran, die menschenrechtswidrige palästinensische Besatzungspolitik zu beenden. Seit den erfolgreichen Iran-Atom-Verhandlungen tut er ein Übriges: er provoziert Obamas Amerika bis aufs Blut. Die amerikanischen Juden ruft er zum

Widerstand gegen Obamas Versöhnungspolitik auf:

«Ich bin nicht gegen diese Vereinbarung, weil ich einen Krieg will. Ich bin gegen diese Vereinbarung, weil ich einen Krieg verhindern will. Und diese Vereinbarung führt zum Krieg», sagte er. «Setzen Sie sich gegen dieses gefährliche Abkommen ein.»“ (BILD.de)

Ein unerhörter Vorgang, sich in die Angelegenheit eines anderen Staates einzumischen, als ob amerikanische Juden der Weisung Netanjahus zu folgen hätten. Wer denkt hier nicht an Ariel Sharons imperiale Attitüde: die Politik Amerikas wird in Jerusalem bestimmt?

Wegen seiner menschenfeindlichen Palästina-Politik und der Anmaßung, die mächtigste Nation der Erde mit dem kleinen Finger zu beherrschen, wird Israel von den Völkern der Welt gehasst, die den USA und Europa vorwerfen, Völkerrechtsverbrechen in aller Welt anzuprangern, nur nicht bei ihrem Augapfel Israel, das sein unendliches Leiden in der Shoa nutzt, um seine moral- und gesetzesfreie Sonderstellung unter den Völkern in dreister Weise unter Beweis zu stellen.

Es scheint, als ob das moderne Israel seine Politik nach dem Drehbuch uralter Religionsdokumente inszenierte. Joseph, Liebling seines Vaters Jakobs (des späteren „Israel“) verhält sich derart aufreizend zu seinen Brüdern, dass diese ihn anblaffen:

„Da sprachen seine Brüder zu ihm: Solltest du unser König werden und über uns herrschen? und sie wurden ihm noch feindlicher um seines Traumes und seiner Rede willen.“ Selbst sein Vater wird ärgerlich und fährt ihn an: „Was ist das für ein Traum, der dir geträumt hat? Soll ich und deine Mutter und deine Brüder kommen und vor dir niederfallen? Und seine Brüder beneideten ihn.“

Neid entsteht bei erschlichener Überlegenheit und angemaßter Ungleichheit, die auf andere verächtlich herabschaut. Die sippeninterne Selbstkritik der frühen Hebräer findet ihre Fortsetzung bei den Propheten, die ihren gefürchteten Gott sagen lassen:

„Ich hasse, ich verschmähe eure Feste und mag nicht riechen eure Feiern. Hinweg von mir mit dem Lärm deiner Lieder. Das Spiel deiner Harfen mag ich nicht hören. Aber es ströme wie Wasser das Recht, und die Gerechtigkeit wie ein unversieglicher Bach!“

Doch der jüdische Klerus – Rabbinen, Pharisäer und Schriftgelehrte – wird immer dominanter und unfehlbarer; nicht anders als in der späteren Entwicklung des katholischen Klerus im Vatikan. Wird die Herrschaft der Priester in einem Staat, einer Kirche, übermächtig, vernichten die selbsternannten Stellvertreter Gottes ihre Kritiker mit Verbannung und Verfluchung. Eine legitime Kritik gibt es nicht mehr, sie wird zur Ketzerei, die mit Feuer und Schwert vertilgt werden muss.

Im modernen Israel hat der ultrareligiöse Klerus erneut die Macht über das jüdische Gemeinwesen gewonnen, sodass jede Kritik an der israelischen Politik zunehmend als Ketzerei – sprich Antisemitismus – geächtet werden muss. Hier kann es keine kritische Freundschaft geben. Freundschaftliche Kritik ist nur ein Vorwand, um seine unterschwelligen antisemitischen Gefühle an den Mann zu bringen.

Das Gegenteil allerdings ist auch nicht automatisch richtig. Ein Prüfverfahren, das halbwegs verlässlich das eine vom anderen trennen könnte, gibt es nicht mal in Ansätzen. Moshe Zimmermann und Shimon Stein schreiben im TAGESSPIEGEL:

„So lange man die Frage nicht seriös behandelt, inwieweit Kritik an der israelischen Regierung tatsächlich antisemitisch angehaucht oder eben sachlich ist, und solange die politische Klasse sich scheut, klare Worte zu sprechen – und zwischen der Unterstützung für Israel und der Zustimmung für die israelische Regierungspolitik zu unterscheiden –, wird die Distanzierung von Israel weiter steigen. Wie lange noch kann die Fassade der „wunderbaren Freundschaft“ solche Risse überdecken?“

Versteht sich, dass der von Sorge getragene, aufrüttelnde und gedankenreiche Essay von Zimmermann und Stein keinen Widerhall in der deutschen Öffentlichkeit fand, die von latent antisemitischen Hetzblättern wie BILD nach Belieben kujoniert wird. Allerdings weichen die Verfasser ihrer selbstgestellten Frage selber aus, wie „richtige“ Kritik von „falscher“ zu unterscheiden wäre.

These: solange der jüdisch-christliche Konflikt unter der trügerischen Einheit einer biblischen Religion von allen Seiten unter den Teppich gekehrt wird, können „objektive“ Kriterien nicht ausgearbeitet werden. Diese müssten im Dialog aller Beteiligten und Betroffenen elaboriert werden. Nicht nur von professionellen Schäfchenhirten und Theologen, sondern von allen wachen politischen Geistern, die sich für die Stärkung der deutsch-israelischen Freundschaft verantwortlich fühlen. Den Popen beider Seiten kann man nicht über den Weg trauen.

Nach dem Krieg machten die Christen einen unredlichen Kotau, um ihre verhängnisvolle Rolle im Dritten Reich vergessen zu machen. In bekannter „Geist-Willkür“ verfassten die Kirchen neue Manifeste, deuteten antisemitische Texte im Neuen Testament gekonnt um in Texte der Liebe und Zuneigung – und schon waren sie die besten Freunde der Juden seit Adam und Eva.

Doch je frommer die Verhältnisse wieder werden, desto weniger trauen die Christen den Juden über den Weg. Langsam und unauffällig regredieren die Christen auf ihre judenfeindliche Dogmatik ante festum. Vor allem in evangelikalen Gemeinden, die ihre Bibel noch selbst zu lesen pflegen.

Auch die geistige Verfassung der internationalen Atheisten ist derart kläglich, dass sie außer Wiederkäuen uralter Beweise und Widerlegungen eines so genannten Gottes nichts zu bieten haben. Die Antisemitismus-Forschung in Deutschland ist nichts anderes als das ferngeleitete Echo des politischen Tohuwabohus, das momentan zwischen Israel und dem Rest der Welt herrscht.

Mit den Kriterien, die von der hiesigen „Antisemitismus-Forschung“ zugrunde gelegt werden, wäre Uri Avnery ein kolossaler antisemitischer Selbsthasser. Er nennt Netanjahu eine Marionette des amerikanischen Milliardärs Sheldon. Man vertausche den Namen Sheldon mit Rothschild und erhalte den Satz: die Rothschilds beherrschen Amerika und damit die ganze Welt.

Nach Avnery wäre Netanjahu selbst der größte Antisemit des Planeten: „Wie die größten Antisemiten glaubt Netanjahu, dass die Juden die Welt oder wenigstens den US-Kongress beherrschen. Im entscheidenden Augenblick wird der Kongress für AIPAC und gegen den US-Präsidenten stimmen.“ (Uri Avnery)

Sheldon – so Avnery – ist nicht die Bohne interessiert am Schicksal des jungen israelischen Staates. Möglicherweise plagen ihn Rückversicherungsängste, sodass nur Israel – wenn‘s hart auf hart käme – seine letzte Zuflucht werden könnte. Mit Hilfe Netanjahus will Sheldon seine Macht – im Weißen Haus vergrößern.

„Um dieses Ziel zu erreichen, benötigt Adelson die Republikanische Partei als Leiter. Er muss ihren Kandidaten für die Präsidentschaft auswählen, Hillary Clinton besiegen und die Wahlen gewinnen. Um bei all diesen Aufgaben Erfolg zu haben, muss er die gewaltige Macht der pro-Israel-Lobby über den US-Kongress mobilisieren und Präsident Obama fertig machen. Sieht dies wie eine Karikatur im „Stürmer“ aus, dem berüchtigten antisemitischen Nazi-Blatt, oder noch schlimmer, wie eine Seite aus den ‚Protokollen der Weisen von Zion‘, der bekannten antisemitischen Fälschung? Es ist das klassische antisemitische Bild: der hässliche Finanzjude, der um die Weltherrschaft kämpft.

Für Avnery, einer der zionistischen Gründerväter des Staates Israel, die mit dem neuen Staat alle antisemitischen Klischeebildungen in Grund und Boden stampfen wollten, ist genau dies eingetreten, was die Zionisten für immer verhindern wollten: die Juden werden mit mammonistischer Macht identifiziert.

„Für einen Israeli steckt in diesem Bild etwas Ekelhaftes. Die zionistische Vision wurde aus der totalen Ablehnung dieser Karikatur geboren. Die Juden würden mit Effektengeschäften und Geldverleih aufhören. Juden würden im Schweiß ihres Angesichtes das Land pflügen, produktive Handarbeit leisten, alle Arten parasitärer Spekulationen zurückweisen. Dies wurde als solch hohes Ideal angesehen, dass es sogar die Vertreibung der einheimischen arabischen Bevölkerung rechtfertigte. Und hier sind wir nun: ein Staat, der den Befehlen eines internationalen Kasino-Moguls folgt, dessen Beschäftigung vielleicht die unproduktivste im Kosmos ist. Traurig. GIBT ES eine tapfere Opposition gegen diesen Kurs in Israel? Nein, buchstäblich keine.“

Uri war zeit seines Lebens ein tapferer Optimist. Am Ende seines Kämpferlebens aber muss er konstatieren: war möglicherweise alles umsonst? Haben uns die Gespenster der Vergangenheit eingeholt? Traurig: welch erschütterndes Wort im Munde eines Unbeugbaren der Menschheit.

Die Bilanz von Zimmermann/Stein ist um keinen Deut hoffnungsvoller:

„Wie lange noch kann die Fassade der „wunderbaren Freundschaft“ solche Risse überdecken? Je mehr es in der politischen Klasse zur Bekundung von Freundschaft und Normalität kommt (selbstverständlich ohne auf die Formel „besondere Beziehungen“ zu verzichten), desto weiter klafft die Schere zwischen Schein und Realität der Beziehungen auseinander.“

Die politische Klasse in Berlin unter Führung der heiligen Angela schwadroniert in unfasslicher Verblendung weiter von „Wundern, besonderen Beziehungen und unverbrüchlicher Freundschaft.“ Doch hinter den Fassaden herrscht der blanke Zynismus: sollte Israel untergehen – selber schuld. Wir jedenfalls taten, was wir konnten. Vielleicht ist es ja doch so – murmeln sie unhörbar unter sich – dass der Jude alles kann, nur keinen Staat, nur keine Demokratie. BILD assistiert der Kanzlerin in der lügenhaftesten Pose der Welt: der philosemitischen.

BILD, von keiner Ahnung der jüdisch-christlichen Tiefenprobleme beleckt, verstößt gegen alles, was das Blatt in offizieller Bewunderungswut zu verehren vorgibt: gegen die Weisheit der Bibel:

„Besser Tadel, der offen sich ausspricht, als Liebe, die schweigt. Treuer gemeint sind Schläge vom Freunde als freigebige Küsse des Feindes.“ (Sprüche 27,5 f)

In Israel gibt es einen erbitterten Kampf um Sein oder Nichtsein der israelischen Demokratie, die es mehr denn je für richtig hält, sich eine jüdische zu nennen. Das wäre, als ob die Deutschen ihre Demokratie eine arisch-germanische nennen würden. Die Ultrareligiösen beherrschen nicht nur in unaufhaltsamem Maß das kleine Land, sie gehen inzwischen zum gewalttätigen Terror über.

Von Anfang an hassten die Ultras den zionistischen Atheismus und lehnten die neue Republik als Hindernis für das Kommen ihres Messias ab. Inzwischen haben sie Israel voll im Zangengriff. Netanjahu betreibt eine gojimfeindliche Politik, als stamme er direkt aus der Schule Meir Kahanes, dessen Ziele „die Beseitigung der liberalen Demokratie in Israel zugunsten einer jüdischen Theokratie, die Vertreibung der Nichtjuden aus Israel und den besetzten Gebieten und die Errichtung von Großisrael sind. In den Augen demokratischer Israelis war er der Vorkämpfer eines jüdischen Rassismus.“

„Der Zionismus ziele «auf die Errichtung eines Staates ab, der wie die Staaten der Nichtjuden ist, nicht auf die Gründung eines jüdischen Königreichs», schrieb ein terroristischer Ultra in einem Programmheft. Es sei «viel effektiver den Staat zu zerstören und neu aufzubauen als ihn zu renovieren».“ (WELT.de)

Wenn Netanjahu den Iran als hasserfüllten Ajatollastaat angreift, sollte er gelegentlich vor der eigenen Tür kehren. Die Ultras sind die jüdische Ausgabe militanter Islamisten, die vor nichts zurückschrecken:

«Israel hat mehrere Schwachpunkte, Fragen, in denen sich der Staat sehr vorsichtig verhält um Unruhen zu verhindern. Wir müssen diese Sprengfässer anzünden, alle Widersprüche zwischen dem jüdischen und dem demokratischen Staat», so Ettinger. So könne «die Regierung, die uns daran hindert, einen neuen Tempel zu errichten und uns so die wahre Erlösung vorenthält», gestürzt werden.“

Die Regression des demokratischen Westens in herrschsüchtige Friedlosigkeit ist eine Regression in die christlich-jüdische Religion. Merkel muss noch einiges aufholen. Ihre Umwandlung der säkularen Republik in eine nicht nur gefühlte Theokratie hinkt den beiden Vorbildern USA und Israel hinterher. Putin auf der anderen Seite des orthodoxen Grabens lässt sich auch nicht lumpen und animiert seine Popen, den nächsten Glaubenskrieg auszurufen.

(An dieser Stelle müssen wir eines außerordentlichen Russen gedenken, der die Welt vor der Apokalypse rettete. Er misstraute seinen Maschinen, glaubte an den intakten Menschenverstand und riskierte lieber den eigenen Untergang, als die ganze Menschheit auszulöschen: Stanislaw Petrow.

Es gibt viele amerikanische Filme mit dem Slogan: ein Mann rettet die Welt. Dass ein russischer Mann im Alleingang diese Heldentat vollbrachte, interessiert die Hollywood-Illusionisten nicht. Die entscheidende Frage, meine teuren Geschwister, können wir uns bei diesem Gedenken nicht ersparen: was hättest du, was hätte ich, an Petrows Stelle getan? Es ist das Verdienst der FAZ, an diese Menschheitstat erinnert zu haben.)

In einem notwendigen christlich-jüdischen Streitgespräch – inklusive Gottlose und Agnostiker – müssen Vorzüge und Fehler beider Seiten schonungslos aufgedeckt werden. Es war absolut notwendig, dass die Juden sich in der Post-Holocaust-Zeit gegen die leisesten Andeutungen antisemitischer Hassattacken in berechtigtem Ingrimm zur Wehr setzten. Wären Deutsche die Opfer gewesen, hätten sie sich weitaus diabolischer gerächt.

Heute wäre es notwendig, dass die religiös-demokratischen Defizite des israelischen Staates nicht länger verdrängt werden. Israel muss darauf bedacht sein, sich Freunde in der Welt zu schaffen. Das würde einen erheblichen Anteil antisemitischer Gefühlsausdünstungen in Nichts zerstäuben.

Die Bibel ist das überlieferte Schlachtfeld der geistigen Schieflage zwischen Anhängern des Alten Testaments und des Neuen Testaments. Die notwendige Religionskritik darf nicht in der dämlichen Feststellung enden: an allem Übel sind die Juden schuld, die die biblischen Bücher verfasst haben. Was können wir für die Irrungen und Wirrungen unserer Steinzeitvorfahren?

Wer sich allerdings im Jahre des Herrn 2015 noch immer mit Inhalten der heiligen Pergamente überidentifiziert, der muss mit religionskritischen Attacken auf dem Forum rechnen. Der Streit um das Heilige muss in schonungsloser Klarheit beginnen. Der intolerante Kampf um unfehlbare allmächtige Götter ist der Kern der weltpolitischen Zerwürfnisse.

Die israelische Paranoia – die ganze Welt ist gegen die Kinder Israels, also müssen sie gegen die ganze Welt sein – gründet im Dogma der religiösen Erwählung des Volkes vor allen anderen Völkern. Israel fühlt sich von Gott geliebt und also von der Welt gehasst. Mit dem Psalmisten spricht das Volk:

„Ich hasse ja, HERR, die dich hassen, und es verdrießt mich an ihnen, daß sie sich wider dich setzen. Ich hasse sie im rechten Ernst; sie sind mir zu Feinden geworden.“

Der Hass gegen die Welt der Heiden und Ungläubigen ist für Ultras eine religiöse Pflicht. Gelänge es ihnen, den ganzen Staat mit ihrem Hass zu infizieren, würde Israel zu einem jüdischen Saudi-Arabien.

Die jüdische Selbstkritik bei den Propheten mündete in die vernichtende Kritik des Reformers Jesu an seinem Volk. Die Christen errichteten ihre Heilsgewissheit auf dem Fundament judenkritischer, ja judenverdammender Äußerungen des Neuen Testaments. Paulus glaubte noch an eine kollektive Umkehr seines Volkes vor der Wiederkehr des Herrn. Doch andere Schreiber verbannten die Juden in die Hölle:

Die Juden, „welche auch den HERRN Jesus getötet haben und ihre eigenen Propheten und haben uns verfolgt und gefallen Gott nicht und sind allen Menschen zuwider und wehren uns, zu predigen den Heiden, damit sie selig würden, auf daß sie ihre Sünden erfüllen allewege; denn der Zorn ist schon über sie gekommen zum Ende hin.“

Es gibt viele eindringliche Untersuchungen zum jüdisch-christlichen Konflikt. Die besten stammen aus der Vorkriegszeit. Es wäre zu einfach, mit Theodor Lessing das gewaltige Werk „Geschlecht und Charakter“ des frühgenialen Otto Weininger als Produkt eines jüdischen Selbsthasses abzutun. Hass kann nicht nur blind, sondern auch übersichtig sein.

Weininger sah viele Ähnlichkeiten und Parallelen in der Charakterentwicklung der Frauen und der Juden. Sein eigenes weibisches und jüdisches Wesen wollte er ablegen und ein rechter christlicher Mann, ein Herold des Glaubens, werden. Im Dekalog sah Weininger das „unmoralischste Gesetzbuch der Welt, welches für die gehorsame Befolgung eines mächtigen fremden Willens das Wohlergehen auf Erden in Aussicht stellt und die Eroberung der Welt verheißt.“

Christus war für ihn ein Jude, aber einer, der sein Judentum am vollständigsten überwand. Daher war er für ihn der „größte Mann“.

„Zwischen Judentum und Christentum, zwischen Geschäft und Kultur, zwischen Weib und Mann, zwischen Gattung und Persönlichkeit, zwischen Unwert und Wert, zwischen irdischem und höherem Leben, zwischen dem Nichts und der Gottheit hat abermals die Menschheit die Wahl. Das sind die beiden Pole: es gibt kein Drittes Reich. Judentum und Christentum, jenes das zerrissenste, der inneren Identität barste, dieses das glaubenskräftigste, gottvertrauendste Sein, sie bilden so den weitesten, unermesslichsten Gegensatz. Christentum ist höchstes Heldentum, der Jude aber ist nie einheitlich und ganz. Darum eben ist der Jude feige und der Heros sein äußerster Gegensatz.“

Der moderne Antisemitismus entstammt dem Vergleich eines idealisierten Christentums mit einem dämonisierten Judentum. Die Deutschen wollten das wahre auserwählte Volk sein und also mussten sie ihre schärfsten Rivalen, das Urvolk der Auserwählung, beseitigen. Das war kein Heldentum, sondern die größte Niedertracht in militärischer Bestialität. Weiningers Minderwertigkeitskomplex tappte in die Falle einer illusionären christlichen Übermenschenrasse. Weder ist der Mann die überlegene Form des Menschen über der Frau, noch der deutsche Christ die Spitze der menschlichen Siegerrassen.

Das Christentum war keine Höherentwicklung des Judentums. Christus hasste die Welt mit derselben Inbrunst wie sein atarischer Vater. Lediglich die Population der Erwählung war eine andere. An die Stelle des nationalen jüdischen Kollektivs trat eine aus allen Völkern selektierte unsichtbare Kirche.

„Verwundert euch nicht, wenn euch die Welt hasst.“ „So euch die Welt haßt, so wisset, daß sie mich vor euch gehaßt hat. Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich habe euch von der Welt erwählt, darum haßt euch die Welt.“

Die Begründung Jesu ist passivisch: weil die Welt die neuen Erwählten hasst, dürfen die Christen die Welt zurückhassen. Sie freilich nennen es Liebe, wenn sie 99% der Welt in die Hölle verfluchen.

Nietzsches Religionskritik hatte einen außerordentlichen Einfluss auf die Deutschen am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Deutschen wollten sich von der unmündigen Offenbarungsreligion befreien. Doch sie waren zu feige, um sich aller Erlöserreligion zu entledigen. So konstruierten sie ein illusionäres Ideal-Christentum und projizierten ihre verdrängte Kritik am Neuen Testament aufs Judentum.

Es ist wie heute: Kritik am Islam ist meistens nichts als verborgene Kritik der Christen an ihrer eigenen Religion. Hätte Weininger noch erlebt, zu welchen Hitler-Konsequenzen sein heldenhaftes Macho-Christentum führen würde, hätte er vielleicht seinen Irrweg eingesehen.

Wäre er doch nur seiner eigenen Einsicht gefolgt: „Die höchste Kultur unter allen bisherigen ist die der Griechen. Unter ihnen hat es sicher nie einen überragenden Religionsstifter gegeben.“

Das Zeitalter unmündiger Erlöserreligionen muss beendet werden. Was immer Menschen denken, tun und glauben: es muss ihr eigenes Werk sein. Nur im Namen der eigenen Vernunft können Heiden Freunde der Juden, Juden die Vertrauten der Welt werden.