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Kapitalismus ist tot

Hello, Freunde des Ding Dong,

“Ding Dong! Marx is dead! Ding Dong! Communism’s dead!“ Die FAZ scheint den neuen Papst nicht zu mögen. Sie feuert ganze Breitseiten gegen den, der bescheiden im Gästehaus des Vatikans wohnt und sein Bett selber macht. In kurzer Zeit erschienen verschiedene Artikel, die dem ehemaligen Disco-Türsteher aus Argentinien Feindschaft gegen den Kapitalismus bescheinigen. Ja, Schlimmeres als Feindschaft: komplette Ignoranz.

Ist der Unfehlbare auf Petri Thron auch unfehlbar in Sachen Ökonomie? Verwechselt er das Allerheiligste – das nicht von dieser Welt ist – mit der Welt, die verdorben und schlecht sein muss, damit der himmlische Vater sie demnächst entsorgen kann?

(Jüdische Theologen des Mittelalters behaupten, Gott habe die Welt erschaffen, um Sich zu reinigen, indem er die Welt reinigt. Die ganze Heilsgeschichte wäre eine selbstheilende Katharsis des Schöpfers. Das dürfte der Wahrheit ziemlich nahe kommen. Die Welt wäre stellvertretendes Reinigungsinstrument für den, der sie erschaffen hat – um Sich zu therapieren. Die Erlösung des Menschen wäre Selbsterlösung. Das Heil für den Menschen wäre Selbstheiligung des todkranken Gottes.

Übrigens das typische Überlegenheitsspiel der Männer, die ihre geistig nicht ganz gleichwertigen Frauen auf ihre Höhe erziehen – um sich selbst zu erziehen. Wer diese Strategie der Männer nicht kennt, sollte sich nicht Feministin nennen. Und die Antwort der Frauen? Sie tun, als ob sie sich erziehen ließen – um den todkranken Mann am Leben zu erhalten, damit er dem Weibe Kinder machen kann. Nietzsche: der Mann ist für das Weib nur

ein Mittel zum Kind. Was ist Theologie? Die Geschichte des Geschlechterkampfes, erzählt in aufwendiger Himmel- und Höllensprache.)

Die Ansicht des armen Franziskus über den reichen Kapitalismus ist schon krass: „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung. Diese Wirtschaft tötet.“ (Andreas Kuther und Florentine Fritzen in der FAZ)

Hasst der Vater aller Christen die Wirtschaft aller Christen? Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass im Hause des Vaters – im Nebenberuf Stellvertreter Gottes – sich eine Wirtschaft breit macht, die seinen ganzen Abscheu erregt?

Hat sich das Böse wieder ins Haus geschlichen, diesmal in Form der habsüchtigen Frau? Und das gierige Weib sah, dass vom Baum des Mammons gut zu essen wäre und dass er lieblich anzusehen sei und begehrenswert, weil er steinreich mache. Hinter jedem erfolgreichen Mann steckt eine Frau, hinter jedem Tycoon ein habgieriges Weib.

Wenn der Heilige Vater den Kapitalismus hasst, müsste er ihn dann nicht umso mehr lieben? Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch ausbeuten. „Denn wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, was habt ihr für einen Lohn? Tun nicht auch die Zöllner und Heiden dasselbe?“

Hört, hört: wenn man einen Menschen um seinetwillen liebt, dann ist es wertlos. Warum? Weil auch Heiden so lieben würden, also muss eine solche Liebe wertlos sein. Man muss lieben, um himmlischen Lohn zu verdienen. Liebe muss sich wieder lohnen.

(Typisch abendländische Heuchelei: Christen sollen ihre Nächsten um himmlischen Lohnes willen lieben. Wenn Sexarbeiterinnen ihre Liebesarbeit um irdischen Lohn anbieten, sollen sie verdammt sein. Pardon, nicht sie selbst, man ist ja feministisch, sondern die Männer mit ihren krankhaften Trieben. Dass man die Prostituierten straft, indem man die Freier straft, diese Kleinigkeit übersehen die Kohorten um Alice Schwarzer. Alice Schwarzer ist zum weiblichen Obama der internationalen Politik geworden. Was andere glücklich machen soll, bestimmt noch immer sie. Wenn Simone de Beauvoir, Mentorin Schwarzers, erleben würde, dass auch ihre Landsleute ins Mittelalter regredieren, würde sie sich im Grabe umdrehen.)  

Das Christentum hat jede gefühlsechte und natürliche Moral – die tut, weil sie es schlicht für richtig hält und das Richtige mit echten Empfindungen begleitet – erledigt. Seit der Frohen Botschaft muss jede Tat, jedes Gefühl, seine authentische Naturbasis verlassen und um himmlischen Lohn anstehen. Liebe wird zum Tauschgeschäft. Biete Liebe gegen Himmelslohn.

Liebe wird zur Tauschwährung mit Gott. Keine moralische Regung darf „bauchfest“ sein, alles muss kaufmännisch kalkuliert werden: welche himmlische Dividende erhalte ich, wenn ich meinen Mann liebe, meine Kinder, meinen Liebhaber? Welchen Liebeszins kriege ich, wenn ich sogar meine Nachbarin, die alte Hexe liebe? Zumindest so tue, als ob?

Den frommen Urgrund des kompromittierenden Tausches hat Marx nicht gesehen. Das Kapitel Religion hat er für beendet erklärt, also blieben ihm die Wirkungen der Religion in der Kultur der Moderne verborgen.

Im Gegensatz zu Adam Smith, der jedes liebende Wohlwollen aus dem Tauschakt kategorisch ausschloss. Aus Ehrlichkeitsgründen sollte man beim gerechten Tausch vom Vorteil der Tauschpartner reden. Der Smith‘sche Urkapitalismus ist eine Reaktionsbewegung gegen die Liebesheuchelei der Kirchen. Im alltäglichen Leben, in der Wirtschaft sollten die Menschen ehrlich miteinander umgehen:

„Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe.“

Wirtschaft sollte von geheuchelter Liebe frei sein, damit Liebe von wirtschaftlichen Tauschgedanken frei sein kann. Just die uneigennützige Liebe der Christen war der Gipfel der kollektiven Selbstbelügung des abendländischen Christentums. Grade die uneigennützige Liebe durfte den höchsten Lohn im Himmel erwarten.

Die Gründung des Kapitalismus im Geist der Aufklärung war eine kathartische Befreiung vom liebes-lohn-verseuchten Evangelium. Der gegenwärtige Kapitalismus angelsächsischer Prägung von Margaret Thatcher über Bill Gates zu allen „philanthropischen“ Milliardären ist eine Variante der katholischen Liebes-Lohn-Ideologie. Boris Johnson, fiktiver Streitpartner des Bruders Franziskus:

„Es war Frau Thatcher, die den entscheidenden Punkt über die Wohlfahrt machte, in ihrer berühmten Analyse des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter. Er hätte dem Kerl, der unter die Diebe gegangen war, nicht viel genützt, bemerkte sie, wenn er nicht reich genug gewesen wäre zu helfen.“

Wie können wir anderen Menschen helfen, wenn wir arm sind wie eine Kirchenmaus? Ein Liebeserweis schrumpft bei Reichen zu einem Akt des Geldgebens. Auf opulenten Charityparties findest du keinen einzigen Obdachlosen am reich gedeckten Tisch.

Um unsere Nächsten lieben zu können wie uns selbst, müssen wir kapitalistisch werden. Erst müssen wir die Nächsten im harten Wettkampf schädigen. Ist uns dies gelungen, dürfen wir sie mit einem Brosamen ent-schädigen. Kapitalistisch werden, heißt unmoralisch werden. Denn Neid und Gier sind Tugenden des Teufels. Wir müssen lieblos werden, um lieben zu können.

Das ist Mandeville pur: Private Laster sind öffentliche Tugenden.

Johnson: „Ich glaube nicht, dass ökonomische Gleichheit möglich ist, ein Maß an Ungleichheit ist unabdingbar für den Geist des Neides, der, wie die Gier, ein wertvoller Ansporn ist für ökonomische Aktivität.“

Johnson wirft dem Papst unchristliches Verhalten vor. Aus falscher Liebe und Güte lehne er den Kapitalismus ab, um seinen Nächsten lieblos im Regen stehen zu lassen. Wer nichts im Säckel hat, kann kein barmherziger Samariter sein. Ergo: der Kapitalismus gibt sich zwar hart und raubeinig, ist gleichwohl das einzige Wirtschaftssystem, das anderen Menschen praktisch helfen und auf moralisches Geplapper verzichten kann. Kapitalistischer Geist ist die Verkörperung der wahren tätigen Nächstenliebe.

Mandeville war Arzt und holländisch-englischer Frühaufklärer, der mit seinem Buch „Die Bienenfabel oder: Private Laster sind öffentliche Tugenden“ in Europa Furore machte. Mächtiger Aufschrei der Kirchen, die das christliche Tugendsystem des Abendlandes in Gefahr sahen. „Das Obergericht von Middlesex erklärte die Bienenfabel für geeignet, „alle Religion und bürgerliche Herrschaft“ umzustürzen“.

Boris Johnson, gegenwärtiger Bürgermeister Londons, steht fest auf dem ideologischen Boden, den sein Landsmann im 17. Jahrhundert begründete.

Was ist geschehen, dass ein Aufklärer die kühne These aufstellen konnte, Gutes komme durch Böses? Ein Grundsatz, auf dem die Moderne bis zum heutigen Tage ruht. Wollte Mandeville nur provozieren? Nur eine Satire schreiben? Wollte er die herrschende Realität als materiell gewordene Satire charakterisieren?

Das ist noch heute die Meinung der Gelehrten: „Seine Schriften sind mehr als Satire. Satire und Analyse der Mechanismen der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit verschmelzen bei Mandeville zu einer grotesken Einheit: Was ob seiner Grausamkeit nicht wahr sein dürfte, ist in seinen Augen nackte, unabänderliche Wahrheit. Je analytisch genauer seine Apologie des Frühkapitalismus wird, desto mehr gerät sie in die Nähe des Schwarzen Humors.“ (Euchner)

Das ist mehr als oberflächlich. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine neue Sicht der Dinge auf den Pfoten der Satire daherkäme oder von Zeitgenossen so empfunden worden wäre. Für Satiriker Aristophanes war Sokrates der Inbegriff der neuen Wanderlehrer (Sophisten), ein ausgemachtes Schlitzohr und ein Scharlatan, der mit seinen Phrasen nur seine athenischen Mitbürger über den Tisch ziehen wollte. (Siehe „Die Wolken“)

Hinter der Satire stand eine These, die bis heute die ganze westlichen Ökonomie dominiert: Persönliche Tugenden wie Genügsamkeit und Friedfertigkeit sind dem Wohlstand einer Gesellschaft nicht förderlich, Ja, sie schädigen den Reichtum der Nation. Prosperität und Fortschritt eines Gemeinwesens werden nur von Verhaltensweisen gefördert, die bislang als Sünden und Untugenden galten. Als da sind: Krieg, Ausbeutung, Verschwendung und luxuriöses Prassen.

Die Welt normaler Bürger und braver Christen schien auf den Kopf gestellt. Die Kategorie der Spießer war geboren, Hegel nannte sie Kammerdiener. Es war jene kirchlich abhängige, leidenschaftslose und genügsame Durchschnittsbourgeoisie. Plötzlich war das überkommene Gute das Schlechte, das Schlechte das Gute und Förderliche. Die Welt schien nicht auf den Kopf gestellt, sie war auf den Kopf gestellt.

Es gab einen epochalen Paradigmenwechsel, der die neue Zeit radikal von der alten trennen sollte. Ab jetzt galt eine neue Moral. Das Böse war nicht mehr böse, es war jene Kraft, die stets das Böse will – und stets das Gute schafft. Das Böse schafft das Gute. An diesem Erdbeben hat die Moderne noch heute zu knabbern.

Die einfachen Leute verstehen noch immer nicht, warum ihre bürgerliche Welt plötzlich das Negative sein soll, während kapitalistische Halsabschneider und Blutsauger als edelmütige Moralisten der Welt gelten. Begründung: die Genügsamen und Selbstzufriedenen bringen nichts. Sie begnügen sich mit dem, was sie haben. Sie sorgen nicht dafür, dass die Dinge dynamisch voranschreiten und Fortschritt bringen. Sie schaffen nichts Neues und ruhen sich auf dem alten Kram aus. Statisch treten sie auf der Stelle. Mit ihnen ist kein Blumentopf zu gewinnen.

Die grüne Dynamikerin Claudia Roth würde sagen: wer sich nicht ändert, bleibt sich nicht treu. Mit diesem Leitsatz sind die Grünen endgültig aus dem Naturlager ins Lager der fortschreitenden Naturzerstörer übergetreten. Würde man dieses Prinzip auf die Natur anwenden – nichts anderes tut die Moderne –, müsste man Natur täglich verändern und zerstören, um sie zu erhalten. Das Neue, das täglich erfunden werden muss, ist der Tod des Alten.

Für Hegel war das Prinzip der immerwährenden Erneuerung der Welt identisch mit dem Satz des Evangelisten Johannes: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein, wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“. (Joh. 12,24)

Hier stehen wir am Urgrund der Moderne. Das Alte ist vergangen, siehe, ich mache alles neu. Die christliche Moderne steht unter dem Erneuerungszwang des Erlösers, der die vorhandene Natur als die alte und erste Natur aus dem Wege räumen muss, um neues Leben zu schaffen. Die dialektische Spirale der Fortentwicklung ist ein Todesweg. Das Neue muss über viele Gerippe des Alten schreiten, um vorwärts zu kommen. Kaum ist es neu, muss es selbst absterben, um dem nächsten Neuen Platz zu schaffen.

Wer sich täglich neu erfindet, muss sein altes Ich – seinen alten Adam – regelmäßig im Wasser der Wiedergeburt ersäufen. Die alte Kreatur geht auf den Spuren des Heilands, der – wenigstens zum Schein – den Tod am Kreuz erleiden muss, um als Triumphator in den Himmel aufzufahren.

Hegels Dialektik ist ununterbrochene Tötung des Alten durch Widerspruch und Auferstehung des Neuen in der Synthese. An sich: am Anfang ist das Paradies ein Geschenk der Natur. Für sich: der Mensch muss rebellieren, das Paradies verlassen, um seinen eigenen Weg zu finden. Das Geschenk der Natur muss er töten, um es aus eigener Kraft zu erarbeiten. Erst im dritten Akt, im An und Für sich, gelingt die Synthese: das neue selbsterarbeitete Paradies wird identisch mit dem ursprünglichen, aber auf neuer Ebene.

Hier sehen wir den Riesenunterschied Hegels zur Moderne: Griechenfreund Hegel legt noch Wert auf Kontinuität des Neuen mit dem Alten. Das Neue ist das Alte auf höherem Niveau. Das Alte ist im Neuen aufgehoben. Der Doppelsinn des Wortes aufheben bedeutet bewahren und verschwinden lassen.

Bei Hegel gibt es nie völlig Neues und nie eine totale Eliminierung des Alten. In allem Neuen ist das Alte vollständig aufgehoben. Die Synthese ist die Hochzeit des Alten und des Neuen. Erneuerung ist nicht wirkliche Zerstörung der Natur, sondern nur scheinbare. Hegel zitiert den Spruch vom Samenkorn, das in der Erde erstirbt, doch das Ersterben meint er nicht wörtlich. Im Gegensatz zu Johannes und den Erfindern des Christentums, die die gesamte Natur ans Kreuz nageln und sterben lassen, damit sie eine nagelneue zweite Natur schaffen können.

Gott hat die erste Natur erschaffen, sie war ein Rohrkrepierer. Der gottgleiche Mensch – der Übermensch – schafft eine zweite Natur, die mit der ersten nichts mehr gemein hat. Die Schöpferkraft des Menschen übertrifft die des Schöpfers. Die Kreatur hat ihren himmlischen Kreator in den Schatten gestellt.

Für modernes Naturmeucheln auf dem Weg zur Vernichtung der Erde ist Hegel nicht zu haben. Seine Erneuerung der Welt ist die Rekreation des Alten. Hegel bleibt hier der griechisch-bäuerlichen Erneuerung der Natur im ewigen Zirkel treu. Wie dieser Zirkel aber mit der Linie seiner Geschichtsentwicklung harmoniert, kann er nicht sagen.

Hier scheitert seine Synthese aus griechischem Zirkel und christlicher Linie. Zwar spricht er von der Spirale, die Linie und Zirkel versöhnen soll. Doch die Spirale expandiert ins Unendliche, sie findet nicht zurück zum Ursprung der Natur. Der Kreis bleibt gesprengt. Hier ist Hegel modern. Alles muss ins Unendliche wachsen. Doch die Natur ist zwar ewig, aber begrenzt. Wer sie zwingt, unendlich zu werden, der zerstört sie.

Zu Mandeville zurück, der die Welt der christlichen Moral, so schien es, auf den Kopf gestellt hat. Stimmte es? Behauptet das Credo wirklich, nur Gute bringt Gutes, nur Böses das Böse („Der gute Baum bringt gute Früchte“)?

In der Heiligen Schrift ist der Teufel ein notwendiges Instrument Gottes, um den Menschen auf Erden anzutreiben und zu „motivieren“, dass er gute Werke tue. Der Teufel ist der Versucher des Menschen, der die Qualität seiner Frömmigkeit überprüfen muss. Im Auftrag Gottes testet er anonym die Glaubensfestigkeit der Menschen.

Im Buche Hiob sagt der Teufel zu Gott, Hiob wäre nur fromm, weil er Vorteile davon hätte. Sein Glaube sei durch Nachteile und Not nie geprüft worden. Da erlaubt ihm Gott, seinen Knecht eingehend auf Herz und Nieren zu prüfen. „Da sprach der Herr zum Satan: Wohlan, alles, was er hat, ist in deiner Hand! Nur nach ihm selbst recke deine Hand nicht aus.“ (Hiob 1,11)

Goethes Faust ist bekanntlich der Hiob der Deutschen. Im Prolog spricht der Herr zu Mephisto:

„Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen.

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;

Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen.“

Ohne teuflischen Stachel im Fleisch würde der Mensch in Ruh versinken, weder Fortschritt noch Mehrwert bringen. Alles stünde auf der Stelle, alles wäre statischer Zirkel des griechischen Kosmos. Genau dies soll Goethes Mephisto verhindern. Goethe gilt als Graecomane, doch Hegel bleibt dem griechischen Naturbegriff näher als der Olympier, der seinen Faust auf Erden nicht mehr zur Ruhe kommen lässt.

In Mephistos Beschreibung des faustischen Lebens kann jeder nervöse, hastende, und ewig unzufriedene moderne Mensch sich selbst erkennen:

„Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,

Der ungebändigt immer vorwärts dringt,

Und dessen übereiltes Streben

Der Erde Freuden überspringt.

Den schlepp ich durch das wilde Leben,

Durch flache Unbedeutenheit,

Er soll mir zappeln, starren, kleben,

Und seiner Unersättlichkeit

Soll Speis und Trank vor gier’gen Lippen schweben;

Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,

Und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben,

Er müßte doch zugrunde gehn!“

Goethe verrät die griechische Meeresstille der Seele, das Glück auf Erden und kehrt zurück zum christlichen Credo: „Hier haben wir keine bleibende Stadt, die zukünftige suchen wir.“ Der Sinn des Lebens ist nicht mehr auf Erden, die Natur wird verraten und verkauft.

Die griechische Aufklärung hatte sich die Position erarbeitet, Gutes kann nur durch Gutes erwirkt werden. Besser Unrecht leiden als Unrecht tun, ist die Grunddevise des Sokrates. Diese unübertreffliche Eindeutigkeit der Moral wird durch das Christentum zerstört.

Der Christ kann Gutes und Böses tun – wenn er es nur im Namen Gottes tut. Liebe – und tu, was du willst. Sündige tapfer – aber glaube. Das war die Lizenz für überschwängliche Liebe wie für Völkerverbrechen und Kreuzzüge.

Die frühen Aufklärer wollten die amoralische Lizenz (Antinomismus), die im Namen des Heiligen die Welt verwüsten durfte, durch Rückkehr zur sokratischen Eindeutigkeit korrigieren. Die christliche Generallizenz zum Bösen schien ihnen verderblich.

Doch die Rückkehr zu Sokrates gelang ihnen nur halb. Mitten zwischen Griechentum und Christentum blieben sie stecken. Noch hatten sie allzu viele christliche Elemente in sich, die sie nicht bearbeiten konnten.

Das Ziel des Handelns sollte gut sein – auf Erden. Den Menschen sollte es gut gehen. In Wohlstand sollten sie ihr irdisches Glück finden. Doch dem Guten trauten sie nicht zu, dieses Ziel zu erreichen. Also nahmen sie Zuflucht beim teuflischen Werkzeug und erklärten: Privat mag es stimmen, dass nur Gutes Gutes bewirkt. Im öffentlichen Bereich aber – nach Augustin im Bereich der sündigen Horden – muss die Energie des Bösen in den Dienst des schwachen Guten genommen werden.

Private Laster sind öffentliche Tugenden. Der Kapitalismus hat die Doppelmoral zu seinem Dogma gemacht. Er kann nur gestürzt werden, wenn wir uns zur Eindeutigkeit entscheiden, den guten Zweck mit guten Mitteln zu verwirklichen.

Was ist das Gute? Was Faust ewig fliehen muss: die Freude und Ruhe auf Erden.

Ding Dong: hört ihr schon das Sterbeglöckchen des Kapitalismus?