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Immoralisten

Hello, Freunde der Immoralisten,

die FAZ wird allmählich zur Brutstätte des Immoralismus. Martin Walsers Vergötzung zweier militanter Pfarrersöhne – Nietzsche und Karl Barth – wurde vom Blatt des verstorbenen Propheten Schirrmacher in voller Länge abgedruckt.

Wie Karl Barth nicht über Paulus schrieb, sondern mit ihm, schreibt Walser nicht über Zarathustra, sondern mit ihm:

„Dann las ich bei Karl Barth im sechshundert Seiten langen Paulusbrief-Buch, er habe nicht über Paulus geschrieben, sondern mit ihm. Dieser Satz half mir. Nicht über Zarathustra, sondern mit ihm.“

Karl Barth schrieb mit Paulus, weil Paulus mit Heiligem Geist schrieb, dem man nicht widersprechen kann. Er ist heilig und unfehlbar. Also schreibt Walser mit Zarathustra, denn Nietzsche ist für ihn heilig und unfehlbar.

„Nur Jesus beginnt seine Sätze mit Wahrlich. So bei Nietzsche: Nur Zarathustra sagt Wahrlich. Diese Tonart, diesen Stil religiös zu nennen, reicht natürlich nicht. Es ist nun einmal der höchste Ton, der je in deutscher Prosa erklang. Wir sind die Angesprochenen. Wir verstehen diese andauernd heftigen und leidenschaftlichen Reden. Wir können uns dem Angesprochensein nicht entziehen. Wir reagieren nicht mit Ja oder Nein. Nicht mit Zustimmung oder Ablehnung. Wir machen mit. Was Zarathustra passiert, passiert uns. Egal, ob Zarathustra zornig oder zärtlich ist, wir sind’s auch. Zarathustras Sprache ist jenseits der Argumente.“ (Martin Walser in FAZ.NET)

Es geht um ein sakrales Spracherlebnis. Nicht um irgendeine Sprache, sondern um

die Sprache, mit der wir gottähnlich werden:

„Wie soll man denn die Stimmung nennen, in die Zarathustra uns versetzt? Dieses Jenseits von Ja oder Nein. Jetzt tanzt ein Gott durch mich! Dass einer das sagen kann! Für uns ein Spracherlebnis.“

Der tanzende Gott in Walser lässt keinen Widerstand zu. Kritisches Denken? Ausgeschaltet. Argumente? Lächerlich. Hier kann man nur mitmachen oder man wird ausgeschlossen und verfemt. Karl Barth, der stalinbewundernde Pfarrersohn, spricht von Verfluchung und Verdammnis. Angesichts des Göttlichen gilt Entweder–Oder. Ein Drittes gibt es nicht.

„Wir können das nur lesen, wenn wir mitmachen, was da gesagt wird. Sollte ein Leser bei solchen Sätzen sagen: Nein danke, durch mich tanzt kein Gott, dann hat er schon bis dahin nicht mitgemacht, sondern sozusagen lesend, urteilend zur Kenntnis genommen. Wir lassen die Nicht-Mitmacher zurück.“

Es ist wie im Dritten Reich. Es gilt Entweder-Oder. Wer nicht mitmacht, ist Volksverräter und wandert ins Verderben.

Und was ist die Botschaft des Zarathustra?

„Und das ist der andauernde Zarathustra-Refrain: „Euren höchsten Gedanken aber sollt ihr euch von mir befehlen lassen: der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss.“

Der Mensch, der überwunden werden muss, ist der unvollkommene Mensch, der kein Übermensch werden will. Der moralisch und solidarisch ist mit dem schwachen und fehlbaren Menschen. Die meisten Menschen müssen überwunden und ausradiert werden.

Walser macht aus dem Menschenüberwinder und -vernichter einen Humanisten:

„Man könnte diese Gefühlsgenauigkeit auch Humanismus nennen. Man darf diesen Dichter UND Denker in seiner streichelnden Güte und anspruchsvollen Härte den Menschenfreundlichsten nennen. Seine Iphigenie heißt Zarathustra.“

Beim Lesen des Zarathustra geraten wir außer uns und werden unberechenbar:

„Wenn wir „Zarathustra“ und die Dithyramben lesen, erleben wir uns anders als sonst. Ganz von selbst sind wir dann so unberechenbar wie Zarathustra, dann sind wir Nur Narr! Nur Dichter! Endlich ohne die lästige Pflicht, ewig zurechnungsfähig sein zu müssen. Kierkegaard hat uns schon gewarnt: Wir haben zu viel zu wissen gekriegt, und fangen zu wenig damit an.“

Wissen, Denken und zurechnungsfähig sein ist lästige Pflicht. Die deutsche Freiheit beginnt, wenn alle Regeln übersprungen, alle Moral den Hunden vorgeworfen, die Vernunft dem Abdecker übergeben wird. Etwas ganz Verrücktes tun. Alles über den Haufen werfen. Die Welt zuschanden machen. Spießer und Moralisten aus dem Weg räumen. Keine Rechenschaft mehr den Menschen geben: das ist deutsche Freiheit. Als Götter sind wir nur uns selbst verantwortlich. Wir spüren Kraftvermehrung. Wir erleben das Schöne, das seine eigene Gewalt genießt:

„Wir können zu Protokoll geben: nach der Matthäus-Passion, nach „Zarathustra“, nach den Dithyramben halten wir mehr für möglich als zuvor. Wir erleben eine Kraftvermehrung, wir spüren, momentan genüge es, wenn etwas schön ist.“

Walser endet im Superlativ, der schon fünfzig Jahre in ihm schlummert und endlich von der Kette gelassen wird. Der Superlativ, der sich nicht beweisen muss:

„Für mich ist Nietzsche der größte deutsche Schriftsteller. Dass ich diese bloße, gar nicht bewiesen werden wollende, mindestens fünfzig Jahre alte Empfindung jetzt ausplaudere, daran ist Thomas Mann schuld. Ich bin seiner Sprachpolitik nicht gewachsen. Na ja, er hat eben über Nietzsche geschrieben, während ich mit Nietzsche schreiben durfte.“

Walser verehrt nicht nur Zarathustra, sondern auch Fichte. Jenen Fichte, der die Deutschen für das „Urvolk, das auserwählte Volk hielt“. Fichte begann als Kant-Schüler. Nach Napoleons Sieg über das jämmerlich versagende Preußen verwarf der Rationalist die aufgeklärte Moral der Franzosen und entschied sich – wie die Majorität der deutschen Romantiker für den Unvergleichlichkeitsglauben an die Deutschen.

Jeder Mensch ist unvergleichlich, die Deutschen sind am unvergleichlichsten. Sie unterstellen sich keiner importierten Moral anderer Völker. Die Begriffe Menschenrechte und Kosmopolitismus wurden Ekelbegriffe im Vokabular der Einzigartigen und Auserwählten. Alle Gesetze mussten aus dem Bauch des Volkes, aus seiner eigenen Geschichte stammen. Sie mussten der Scholle, dem Blut und Boden des Heimischen entwachsen sein. Alles andere war Invasion des Artfremden und musste mit Gewalt abgestoßen werden.

Der Deutsche „ist in seinem Privatleben an die allgemeinen Moralgesetze, in dem Verhältnisse zu seinem Volke an Gesetz und Recht gebunden, in dem Verhältnisse aber zu anderen Staaten „gibt es weder Gesetz noch Recht, außer dem Rechte der Stärkeren, und dieses Verhältnis legt die göttlichen Majestätsrechte des Schicksals und der Weltregierung auf die Verantwortung des Fürsten, nieder in seine Hände und erhebt ihn über die Gebote der individuellen Moral in eine höhere sittliche Ordnung, deren materieller Inhalt enthalten ist in den Worten: das Heil des Volkes sei sein höchstes Gesetz.“ (Fichte) Es war noch nicht alles, was über das Wesen des neuen werdenden Nationalstaates gesagt werden konnte, aber ein großer Hauptzug seines Wesens wurde festgestellt: Sein Recht und seine Pflicht zur kraftvollen, rücksichtslosen Selbsterhaltung und zur Selbstbestimmung dessen, was seiner Selbsterhaltung diente.“ (Friedrich Meinecke, „Weltbürgertum und Nationalstaat“)

Die deutsche Nation begann in den Werken ihrer Dichter und Denker, die es satt hatten, keine politische Bedeutung in Europa zu haben. Gab es überhaupt eine deutsche Nation? Es gab nur Stämme und Fürstentümer, die sich nicht zur nationalen Größe zusammenraufen konnten.

Warum nicht? Weil sie seit Verfall des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation keine politische Kraft mehr hatten, sich zu einer ernst zu nehmenden Einheit zusammenzuschließen. Friedrich der Große hatte Preußen Respekt in Europa verschafft. Aber mit Deutschland hatte er nichts am Hut. Nicht mal richtig deutsch konnte er sprechen und hatte sich französischen Aufklärern mit Haut und Haaren ausgeliefert.

Dieser externe Einfluss musste zuerst eliminiert werden. Dann würde man weiter sehen. Hinweg mit fremden Moralvorstellungen und allgemeinen Rechten, die für alle Menschen in gleicher Weise gelten sollten, die Deutschen aber nur an fremde Ketten legten.

Vernunft war Zwang, zum Teufel mit dem Zwang. Was Franzosen geziemt, geziemt noch lange nicht den Deutschen. Ein allgemeines Menschengeschlecht ist die Lüge jener, die mit ihren Moralvorstellungen fremde Völker an die Leine legen wollten.

Das deutsche Ich setzt die Welt, das lehrte Fichte. Da ließ sich Hegel nicht lumpen und erklärte Machiavelli zum Heiligen der Deutschen. Macht setzt das Recht. Recht außerhalb oder gegen die Macht ist eine humanistische Chimäre:

Ein demokratisches Volk ist für Hegel „nur ein Aggregat der Privaten, nur vulgus (Pöbel), nicht populus (Volk), und als vulgus nur eine unförmige, blinde Gewalt. Jede Nation ist ein einzelnes Individuum und schließt Interessen anderen Individuen aus. „Im Verhältnis der Staaten zueinander gibt es keinen Prätor (Schiedsrichter), der schlichtet und entscheidet, was Recht sei, sondern gibt es nur Selbständigkeiten gegen Selbständigkeiten, und so erhält denn endlich auch der Krieg von seiten der großen deutschen Philosophie seine unbedingte und definitive Anerkennung und seinen Platz in einer Weltanschauung, die, wie nur irgendeine, den vernünftigen Sinn der Welt zu erkennen strebte. Demnach war ihm die Kantische Vorstellung eines ewigen Friedens durch einen Staatenbund, der jeden Streit schlichtete, nichts weiter als ein Traum, denn wie sollte eine dauernde Übereinstimmung der Staaten möglich sein, wo in jedem Staate ein besonderer souveräner Wille lebt?“ (Meinecke über Hegel)

In jeder geschichtlichen Epoche gebe es nur ein „weltgeschichtliches Volk“ als Träger des absoluten Geistes. „Und dieses bekomme dadurch ein absolutes Recht, gegen das die Geister der anderen Völker rechtlos seien. Jenes, das weltgeschichtliche Volk sei dann vielmehr auch das weltbeherrschende.“ Hegel beraubte alle nationalen Individualitäten ihres Eigenrechts und macht sie zu bewusstseinslosen Werkzeugen und Funktionären des Weltgeistes.

Mit den Auffassungen der Deutschen Bewegung sympathisierte der Historiker Meinecke uneingeschränkt. Hegels Kritiker Hermann Heller, der den Weltgeist des Schwaben als „Ausdruck für die sittliche Berechtigung der nationalistischen Weltmacht“ hielt, habe Hegel nicht verstanden. Nur das könne er Heller zugeben, dass Hegels Universalismus „nicht völkerverbindend sei“.

Derselbe Meinecke schrieb kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein Buch der Reue und Besinnung, in dem er erklärte, das wahre Deutschland sei das Deutschland Goethes, welches dem Motto gefolgt war: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. In seinen Vorkriegsbüchern hatte Meinecke das Gegenteil geschrieben. Eine Form der Vergangenheitsbewältigung, die sich heute durchgesetzt hat. Kollektivschuld der Deutschen? Eine Unverschämtheit. Langwährende Genese der deutschen Gewaltphilosophie? Eine Erfindung schwachbrüstiger Moralphantasten.

Meinecke über Hegels politische Philosophie, die der der heutigen Kanzlerin zum Verwechseln ähnlich ist:

„Er weilte mit seinem Herzen in der Welt des Transzendenten und suchte auch seine Zeitgenossen zu zwingen, von ihr aus das wirkliche geschichtliche Leben zu beurteilen, mit seinen Augen zu sehen.“

Hegel war überzeugter Lutheraner, Merkel ist überzeugte Pastorentocher, die demnächst das deutsche Land in eine lutherverherrlichende Luthernation verwandeln wird.

Walser verklärt Nietzsche mit eben den Deutungsmethoden, mit der deutsche Theologen ihre Heilige Schrift regelmäßig in ein neues Zeitgeistbuch verwandeln. Er pickt sich Formulierungen heraus, die er für unverfänglich hält und ignoriert alle, die den erwünschten Eindruck verfälschen könnten.

In der Bibel ist Selektieren des Erwünschten einfach, weil ihre Moral antinomisch ist. Sie besteht aus antagonistischen Aussagen. Wenn gute und böse Aussagen gleichberechtigt nebeneinander stehen, kann man den bösen folgen – und sie mit guten rechtfertigen.

Die Philosophie der Neuzeit wollte ihren rationaler werdenden Gott vom Ruch des Bösen befreien. Also erklärten sie den Teufel zum Werkzeug des Himmels. Doch die beabsichtigte Katharsis Gottes durch Unterordnung seines Widersachers verkehrte sich ins Gegenteil. Zwar stellte sich Mephisto als betrogener Teufel vor: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will – und stets das Gute schafft. Doch es war nur ein satanischer Trick, um den machtgeilen und ruhmsüchtigen Faust in Sicherheit zu wiegen.

In Wirklichkeit wurde Faust, der Mephisto als Knecht anheuerte, selbst zum verbrecherischen Bösen, der vor keiner Schandtat zurückschreckte, um seine Größe zu beweisen. Der gute Herr wird zum Bösewicht, weil es dem bösen Knecht gelingt, ihn in ein Werkzeug des Verbrecherischen zu verwandeln. Das Böse, das dem Guten dienen sollte, wird Herr über die Welt.

So die Deutschen, die einst ausgezogen waren, sich zu erneuern, indem sie alle verbindliche Moral verwarfen. Das Ergebnis war die Züchtung eines der schreckenerregendsten Völker der Weltgeschichte.

An Walsers Vergöttlichung Zarathustras zu einem Wiedergänger Jesu können wir die verhängnisvollen Folgen der theologischen Deutungswillkür erkennen. Der Alt-Stürmer vom Bodensee will nicht sehen, dass sein Ursprungsheld Jesus auch kein moralischer Waisenknabe war und die Mehrheit der Menschen ins Verderben verfluchte.

Von welchem futuristischen Neoliberalen ist das folgende Zitat? „Wir wissen, dass es nie einen Endzustand gibt, dass es keine Dauer gibt, sondern nur eine ewige Umwandlung. Nur, was tot ist, ist wandellos. Die Vergangenheit ist ewig. Aber die Zukunft ist der unerschöpfliche Strom unendlicher Möglichkeiten immer neuer Schöpfung.“

Das Zitat ist von Adolf Hitler, dem leidenschaftlichen Anhänger einer unendlichen futurischen Kreativität und Transformationsfähigkeit des Menschen – in seiner Eigenschaft als Übermensch. Wir sehen, auch Hitler könnte erbaulich gelesen werden; man muss nur die bewährte theologische Selektionsmethode anwenden. Hitlers Immoralismus hantierte mit Feuer und Schwert, der kapitalistische Immoralismus handelt mit Geld und technischem Knowhow.

Der Übermensch ist das Ziel Zarathustras. Walser hat es nicht nötig, sich mit jenen auseinanderzusetzen, die Nietzsche als Vorläufer des Nationalsozialismus betrachten. Unter ihnen Karl Löwith, der lebenslange Kritiker seines Lehrers Heidegger. Im Jahre 1934 hatte Löwith noch jede Schuld Nietzsches am nationalsozialistischen Verhängnis zurückgewiesen. Doch nach dem Weltkrieg war sein Urteil ins Gegenteil verkehrt:

„Nietzsche hat mit einer ungeheuren Härte und Rücksichtslosigkeit, zu der er in seinen persönlichen Lebensverhältnissen niemals fähig war, Maximen geprägt, die dann in das öffentliche Bewusstsein drangen, um zwölf Jahre hindurch praktiziert zu werden: die Maxime des Gefährlichlebens, die Verachtung des Mitleids und des Verlangens nach Glück und die Entschlossenheit zu einem entschiedenen Nihilismus der Tat, demzufolge man das, was fällt, auch noch stoßen soll.“ […] „Nietzsches Schriften haben ein geistiges Klima geschaffen, in dem bestimmte Dinge möglich wurden, und die Aktualität ihrer Massenauflagen während des Dritten Reiches war kein bloßer Zufall. Umsonst betonte Nietzsche, dass sein „Wille zur Macht“ ausschließlich ein Buch zum Denken sei; denn sein Gedanke war eben doch der Wille zur Macht, von dem er wusste, dass er den Deutschen als Prinzip durchaus verständlich sein werde. Wer die „Sprache der Weltregierenden“ spricht und sich so wie Nietzsche als ein europäisches Schicksal weiß, kann nicht umhin, dieses Schicksal auch selbst „in die Hand“ zu nehmen, um zu beweisen, dass er es ist. Der Versuch, Nietzsche von seiner geschichtlich wirksamen Schuld entlasten zu wollen, ist darum ebenso verfehlt wie der umgekehrte Versuch, ihm jeden untergeordneten Mißbrauch seiner Schriften aufzubürden.“ (Karl Löwith, Gesammelte Abhandlungen)

Hier einige Immoralisten-Äußerungen Nietzsches, die Walser in kongenialer Glaubenstrunkenheit glaubt, negieren zu können:

„Wir finden nichts groß, wo nicht ein großes Verbrechen einbegriffen ist; wir konzipieren alles Groß-sein als ein Sich-außerhalb-stellen in bezug auf Moral.“

„Keine Gerechtigkeit in der Geschichte, keine Güte in der Natur. Die Wohltat besteht im Augenblick der großartigen Indifferenz (Gleichgültigkeit) der Natur gegen Gut und Böse.“

„Die echte Menschenliebe verlangt das Opfer zum Besten der Gattung – sie ist hart, sie ist voll Selbstüberwindung, weil sie das Menschenopfer braucht.“

„Dem bösen Menschen das gute Gewissen zurückgeben – und zwar dem bösen Menschen, insofern er der starke Mensch ist.“

„Man fördert sein Ich stets auf Kosten des anderen; Leben lebt immer auf Unkosten andern Lebens – wer das nicht begreift, hat bei sich auch nicht den ersten Schritt zur Redlichkeit getan.“

Wir Immoralisten „schätzen die Macht eines Willens danach, wie viel von Widerstand, Schmerz, Tortur er aushält und sich zum Vorteil umzuwandeln weiß; ich rechne dem Dasein nicht seinen bösen und schmerzhaften Charakter zum Vorwurf an, sondern bin der Hoffnung, dass es einst böser und schmerzhafter sein wird als bisher.“

Nietzsche ist der ungekrönte Heros der Deutschen Bewegung. Die Nationalsozialisten waren nur fanatische Handlanger, die seine Gedanken mit dem Schlachtermesser vollstreckten.

Walser ist das verhängnisvolle Beispiel, wie die Deutschen eine winzige Minderheit zu Teufeln erklären, damit sie die Majorität des Volkes, vor allem seine Dichter und Denker, von aller Schuld befreien können.

Wer sind die geistigen Väter von Pegida? Die Edelschreiber der FAZ, die Übelschreiber von BILD, alle Intellektuellen und Literaten, die nichts unterlassen, um die deutschen Genies der Vergangenheit ins beste moralische Licht zu rücken.

Die Deutschen sind unschlagbar im Versuch, die illustren Vorläufer der Nationalsozialisten durch die Bemerkung zu entlasten, diese hätten sich von den Hitlerianern abgegrenzt. Etwa die Vertreter der Konservativen Revolution wie Moeller van den Bruck oder Carl Schmitt. Diese feinen Herrn rümpften anfänglich die Nase über die ungehobelten Verhaltensweisen der SA-Horden. Als sie sahen, dass die Rüpel Erfolg hatten, war‘s aus mit den Vorbehalten.

„Diese neue Rechte orientiert sich an den Ideen der Konservativen Revolution der 1920e Jahre – an Intellektuellen wie Moeller van den Bruck, Oswald Spengler und Carl Schmitt, die von einem „dritten Weg“ zwischen Demokratie und Kommunismus träumten und sich von den Nazi-Braunhemden abgrenzten, die ihnen zu pöbelhaft waren. Aber auch sie verachteten die Demokratie, propagierten eine Politik der Stärke im Namen einer imaginierten Volksgemeinschaft, nahmen keine Rücksicht auf Minderheiten und sahen sich selbst als heimliche Elite an“. (Daniel Bax in TAZ.de)

In seinem Buch über die Konservative Revolution ziseliert Mohler unendlich viele „Bewegungen“ und „Strömungen“, die nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun haben sollen, nur weil sie in Kleinigkeiten anderer Meinung waren. Im Kollektivrausch der Ausgießung des Heiligen Geistes aber war‘s aus mit den minimalen Vorbehalten. „Sehen Sie seine Hände?“ soll Heidegger Jaspers gefragt haben, um auf die Zeichen der Auserwähltheit des Führers hinzuweisen.

Wie konnte der Nationalsozialismus ausgerechnet bei den Deutschen ausbrechen – dieser so hochmoralischen Nation?

Wer so fragt, will die Geschichte der Deutschen nicht zur Kenntnis nehmen. Moral gab es bei ihnen nur im Bereich des Privaten. Die deutsche Nation entwickelte sich im Fieber eines politischen Immoralismus mit göttlich-reinem Gewissen. Christliche Antinomien und apokalyptisches Verfluchen der Bösen hatten sich in bedenkenlos-kriegerischen Machiavellismus  transformiert. Der gegenwärtige Hass gegen Fremde und Flüchtlinge hat uralte vergiftete Wurzeln in der nationalen Biografie.

Walser entlarvt sich als demokratiefeindlicher Immoralist, der es kurz vor seinem Tode wagt, seinen 50 Jahre lang unterdrückten Hass gegen Vernunft und Moral in die Welt zu posaunen. Die deutschen Intellektuellen applaudieren.

Die gegenwärtige Wut gegen das Fremde kommt nicht von den Rändern der Gesellschaft. Dort krakeelen nur Schreihälse mit symbolischen Galgen. Das wahre Verhängnis kriecht aus den vernunftlosen Gedärmen intellektueller Schreibstuben, die sich für das Gehirn der Nation ausgeben.