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Deutsche Todeswünsche

Hello, Freunde deutscher Todeswünsche,

die Sternstunde des Parlaments war die Stunde deutscher Todeswünsche. Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen. Ist das Leben eine Geworfenheit, muss der Tod ein fremdbestimmtes Verhängnis sein. Sozial verträgliches Ableben ist nicht umsonst und muss durch Leid und Dahinsiechen erst verdient werden. Ach komm du süßer Tod – darf gesungen und gebetet, aber nicht durch eigenen Entschluss herbeigeführt werden.

Komm, süßer Tod, komm, selge Ruh!
Komm, führe mich in Friede,
weil ich der Welt bin müde.

Komm, süßer Tod, komm, selge Ruh!
Im Himmel ist es besser,
da alle Lust viel größer.

Komm, süßer Tod, komm, selge Ruh!
O Welt, du Marterkammer,
ach! bleib mit deinem Jammer
auf dieser Trauerwelt.

Das irdische Leben ist ein Jammertal und darf durch menschliches Tun nicht in einen Garten der Fröhlichen und Ausgelassenen verwandelt werden. Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht. Das Abendland entschied sich für den himmlischen Arzt und muss die Erde in ein Dauer-Lazarett verwandeln, damit der Heliand nicht vergeblich gekommen, für die Kranken gestorben und für die Erwählten auferstanden ist.

Das also ist der Sieg der Humanität, wenn „die Welt zu gleicher Zeit ein großes

Hospital und einer des anderen humaner Krankenwärter sein werde“, so Goethe an Frau von Stein.

Der deutsche Bundestag ergibt sich klerikalen Lazarettwächtern und verurteilt alle Deutschen zu lebenslangem Siechen. Je älter die Menschen werden, je länger gehorchen sie der Knute der Palliativ-Folterer und der Diktatoren über die Siech-Maschinen. Wer den Stecker ziehen darf, ist Herr über Leben und Tod.

Der Mensch selbst darf nicht Herr über sich sein. Wenn er schon im Leben in hybrider Weise autonom sein will – im Tod ist er der fungible Leichnam allmächtiger Lazarettverwalter. Mediziner und Theologen – jene Berufsstände, vor denen Freud am meisten warnte – haben die Hoheit über Leben und Tod errungen. Wer Macht hat über den Tod, dem kann die Macht über das Leben nicht genommen werden.

Deutsche Todessehnsucht ist quicklebendig wie nie. An der Oberfläche zukunftsgewandt und verbissen optimistisch, in Wahrheit haben Todeswünsche einer lebensunfähigen Romantik die Herrschaft übernommen. Klassik ist das Gesunde, die Romantik hingegen das Kranke. Hinter Fassaden lärmender Ausgelassenheit walten Tod und Elend ihres Amtes.

Was sind wir Menschen doch? ein Wohnhaus grimmer Schmertzen.
Ein Baal deß falschen Glücks / ein Irrlicht dieser Zeit.
Ein Schauplatz herber Angst / besetzt mit scharffem Leid /
Ein bald verschmeltzter Schnee und abgebrante Kertzen.

Was itzund Athem holt / muß mit der Lufft entflihn /
Was nach uns kommen wird / wird uns ins Grab nach zihn.
Was sag ich? wir vergehn wie Rauch von starcken Winden. (Andreas Gryphius)

Wer gestorben ist, wird wie durch ein Auferstehungswunder zum Liebling der Deutschen, zum Jahrhundertlotsen, zum beliebtesten Politiker, zum Vorbild aller Aufrechten. Tod, Flucht, Leid, Krankheit, Betroffenheit und kollektive Todessehnsüchte ergreifen das Land.

Suizidale Klimakatastrophen – und keine Mutter der Nation, die ihr Volk tröstete und Hilfe in Aussicht stellte. Unendliches Leid der Flüchtlingsströme: eine Minderheit der Deutschen hilft bewundernswert, die wachsende Mehrheit sieht Unheil über das Land rollen. Die großen alten Männer sind nicht unsterblich und gehen dahin. Hilflose Helfer, Vergeblichkeit und Betroffenheit. Sehnsucht nach authentischen Untergangsempfindungen. Journalisten und Zeitzeugen an Originalschauplätzen des Elends mit unplagiierten Originaltränen. Hans-Ulrich Jörges heult in der Talkshow, Kleber im kalten Studio. Westerwelles Krankheitstragödie rührt zu bevorzugter Sendezeit die Nation zu Tränen. Selbst Kai Diekmann stellt sich als Kunstleiche dem „Tatort“ zur Verfügung.

Merkel & Co lösen kein einziges Weltproblem, sie sprechen es nicht einmal an. Wer stumm bleibt, steht nicht im Wort. Jedes ungelöste Problem ist ein weiterer Sargnagel, ein Puzzleteil im Todeskarussell. Probleme müssten nicht gelöst werden, wenn Lösungen nicht lebensrettend wären. Wer Probleme für überkomplex und unlösbar hält, spricht einen vorauseilenden Nekrolog auf die Menschheit.

Es ist schick geworden, nichts zu verstehen und das Unverstandene als Numinosum zu verehren. Unter den Anbetern des Verständnislosen die gesamte schöne Literatur und ihre blinden Anbeter, die Kritiker des Feuilletons, die jeden politischen Wahn verzeihen – nur keinen langweiligen, ungelenken Stil. Das Morbide ist der blutige Samen des Kommenden, das immer an die Türe klopft, aber niemals kommen wird.

Der Tod ist ein Meister des Kapitalismus. Es muss gestorben werden, wenn man unfähig ist, sich am Rennen der Rücksichtslosen zu beteiligen. Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind an Unterernährung, lautet das Mantra Jean Zieglers. Es gibt Edelschreiber, die sich dieses Mantra verbitten. Sie wollen Neues hören und nichts als Neues.

Der Tod ist ein Meister des Neuen, denn siehe, Altes und Vergangenes müssen sterben. Der Tod ist ein Meister der schreibenden Genies, denn siehe, sie haben nichts zu sagen – außer: alles ist eitel, alles ist vergeblich. Glaubt irgendjemand, die Zeiten des vorsätzlichen Weltenbrandes seien vorüber?

„Wir werden nicht kapitulieren, niemals. Wir können untergehen, vielleicht. Aber wir werden eine Welt mitnehmen. Muspilli, Weltenbrand. Ich denke nicht an das Hinterher, nur an dies Eine“. Sprach der Führer der Deutschen. Hitlers Spruch ist zur Devise der heutigen Welteliten geworden. Sie werden Wirtschaft zum Wachsen bringen und Maschinen in Menschen, Menschen in Maschinen verwandeln. Sie denken nicht an die Folgen ihres Tuns, sondern nur an dies Eine: die Creatio ex nihilo. Und wenn sie die ganze Welt mitnehmen und zu Nichts machen sollten. Muspilli.

Es begann mit den Literaten der Heiligen Schrift. „Nicht Nächstenliebe oder soziale Maßnahmen, sondern der Wunsch, für den Glauben in den Tod zu gehen, das Märtyrertum, war das elementarste Überzeugungsmittel der Urchristen“. Schreibt Manfred Clauss in seinem Buch: „Ein Neuer Gott für die Alte Welt“. „Unter allen Christen haben die Märtyrer den höchsten Rang vor Gott.“ „Es ist selbstverständlich für Gläubige, von Geburt an die heiligen Schriften zu schätzen und wenn notwendig, freiwillig für sie zu sterben.“ „Trachtet also nach dem Tode. Wenn ihr euch dem Tode zuwendet, wird er euch die Erwähltheit wissen lassen. Wahrlich, ich sage euch: Niemand wird erlöst werden von denen, die den Tod fürchten. Denn das Gottesreich gehört denen, die getötet werden.“

Das vergossene Märtyrerblut ist der Same des Christentums. Der Samen der Natur ist des Teufels. Nur todbringendes Blut bringt wahres Leben – im Jenseits. Stürzt euch in den Tod und ihr werdet das Leben gewinnen. Amerika fiebert nach dem Erscheinen des Messias, er wird den Tod der Gattung bringen. Nur die Seinen wird er vor dem ewigen Tod retten und ins ewige Leben führen.

Ist das Nein des Bundestags zum selbstbestimmten Tod nicht das Gegenteil zwanghafter Todeswünsche?

Das Dahinsiechen im Lazarett unter der Macht der Popen ist der vorweggenommene Tod. Leben, ohne leben zu dürfen, ist schlimmer als der Tod, den ich freiwillig rufe, weil meine Zeit gekommen ist. Zum autonomen Leben gehört der selbstbestimmte Tod. Keine Würde des Menschen ohne Würde des frei gewählten Todes.

Wer maßt sich an, über Leben und Tod anderer zu bestimmen? Vergesst eure unantastbare Würde, wenn ihr euch am selbstbestimmten Tod der anderen vergreift. Der Planet muss zum Lazarett der Gattung werden, das sie mit gottähnlicher Macht beherrschen.

Die Missachtung des freien Willens ist der Tod des autonomen Menschen. Demokratie wurde erfunden, um den Menschen in Freiheit über sich bestimmen zu lassen. Die deutsche Demokratie zwingt den Menschen in fremdbestimmtes Leben und einen fremdbestimmten Tod. Welcher Mensch mit Verstand wird auf dem Sterbebett sagen: da capo al fine? Wie ich lebte, würde ich wieder leben?

Von der Wiege zur Bahre zwingen sie das unvergleichliche Individuum zur naturschändenden Maloche, zur grenzenlosen Gier – und zu einem fremdbestimmten Tod. Sie reden von Schmerzlosigkeit, doch der schlimmste Schmerz ist die Missachtung des menschlichen Willens. Schon zu Lebzeiten wird dem Menschen der freie Wille abgesprochen. Mit einer christogenen Wissenschaft, die dreist behauptet, Calvins Prädestination mit wissenschaftlichen Daten belegen zu können. Menschenfeindlichste Mythen sind hoffähig geworden. Wissenschaftler wurden zu begierigen Mystifaxen der Religion. Mit gigantischen Maschinen beweisen sie, dass der Schöpfer das Universum erschaffen und den Menschen zur Marionette gemacht hat.

Wer im Leben ferngesteuert ist, darf im Tode nicht freigelassen werden. Sie spielen sich als Menschenfreunde auf, wenn sie den Willen der Menschen missachten. Schmerzfrei sollen sie dem gottähnlichen Willen der Unfehlbaren gehorchen.

Es muss ein edler Wilder gewesen sein, der den Seinen sagte: meine Zeit ist gekommen, Mutter Natur ruft mich. Lebt wohl, meine Brüder und Schwestern, in den ewigen Jagdgründen sehen wir uns wieder.

Darüber können die frommen Wärter des Jenseits nur höhnisch lachen. Sie besitzen den Schlüssel zum Himmelreich und zur Hölle. Sie bestimmen, wann das Leben des Kindes mit der Bluttaufe beginnt und das Leben des Erwachsenen mit ihrem Segen endet.

Wenn deutsche Parlamentarier einmal ohne Fraktionszwang bestimmen dürfen, missbrauchen sie ihre Sternstunde zu privaten Betroffenheitsorgien. Nichts gegen öffentliche Gefühlsäußerungen, aber alles gegen die Zumutung, private Betroffenheit würde rationale Argumente ersetzen.

Das Politische ist die Gesamtheit des Privaten. Das Private aber ist nicht das Öffentliche. Es definiert seinen eigenen Hoheitsbereich, der der öffentlichen Macht entzogen ist.

Jeder kann sein Privates der Öffentlichkeit mitteilen. Doch Gefühle privater Betroffenheit ersetzen keine Argumente und legitimieren nicht zur Machtausübung über Leben und Tod anderer Menschen. Die Sternstunde des Parlaments war eine exhibitionistisch-gruppendynamische Betroffenheitsorgie.

Mit Betroffenheit kann man alle „abstrakten Argumente“ Andersdenkender niederschlagen. Irrationale Gefühle gegen kalte Vernunft: das ist der Sonderwegkampf der deutschen Wilden gegen die Ratio des Westens. Nichts haben die Deutschen aus ihrer Geschichte gelernt. Man kann nicht einmal sagen, sie sind ins 18. Jahrhundert der Mephistophelischen zurückgefallen. Man kann nur zurückfallen, wenn man vorangekommen war. Auf dem Stand der Vernunftfeinde sind sie bocksbeinig stehen geblieben.

Wenn Jimmy Carter über seine Krebserkrankung spricht, schreibt der SPIEGEL warnend: „Jimmy Carter hatte detailreich über seine Krebserkrankung gesprochen und damit die Grenze zwischen Politik und Privatem verwischt.“ (SPIEGEl.de)

Wenn deutsche Parlamentarier das Ableben ihrer Lieben als massenhafte Stimmungsmache gegen freibestimmtes Sterben missbrauchen, sind Grenzsituationen des Privaten zur Machtdemonstration des Politischen verkommen.

Wir befinden uns mitten in der Romantik, wo die preußische Nation zur Familie zusammenrückte, um König und Königin als Vater und Mutter zu lieben und zu verehren. Merkel ist längst zur Königin Luise geworden.

Die Analyse der deutschen Politik ähnelt der gruppendynamischen Sitzung einer Familienaufstellung. „Es muss dahin kommen, dass das Privatleben nichts anderes ist als das Nationalleben von unten auf betrachtet und das öffentliche Leben nichts anderes als dasselbe Leben von oben herab angesehen.“ (Adam Müller)

Ab dem Romantiker Müller ist individuelles Dasein „nur noch Teil und Glied eines großen mächtigen Ganzen, das aus Vergangenem und Gegenwärtigen zusammengesetzt ist und in dem das Einzeldasein und die Gegenwart durch das Überindividuelle beschränkt wird.“ (Müller)

Nein, nicht private Sterbehilfe, sondern professionelle Hilfe zur Sterbehilfe haben die Abgeordneten verboten. Gibt es etwas Bigotteres? Die „Heiligkeit des Sterbens“ verbannt alle kapitalistischen Hilfestellungen? Dann müssten alle Popen, Mediziner, Sozialarbeiter, Psychotherapeuten zu engagierten Hilfstruppen auf Hartz4-Basis umgewandelt werden.

Der versteckte antikapitalistische Affekt superkapitalistischer Deutscher hat erneut der Welt gezeigt, dass die Obsorge um den Mitmenschen auf deutschem Boden durch Mammon nicht entweiht werden darf. Nicht anders verläuft das Merkel‘sche Flüchtlingsprogramm. Viel Bekennerpathos, doch in der harten Realität wird das Pathos hinterrücks entblättert. Wir schaffen das, doch wie wir das schaffen – auch wenn wir grandios scheitern – geht niemand was an. Es herrscht der alte Dualismus aus politischem Machiavellismus und privater Einfältigkeit. Soll barmherzige Gesinnung zur Politik werden, verkümmert Politik zur bigotten Einfalt.

Die Urchristen scheuten sich nicht, ihre märtyrerhafte Sucht zum Selbstmord mit der stoischen Selbstbestimmung zum freigewählten Tod gleichzusetzen. Es war eine der gigantischsten Fälschungen in der Geschichte der Ethik.

Stoiker vertraten ohne Wenn und Aber den selbstbestimmten Tod. „Allerdings sollte dieser Schritt bei den Stoikern in Würde und Gleichmut vollzogen werden und nicht im Affekt, aus Hass auf das Leben. Es sollte ein schöner Tod sein, der das Leben des Menschen beendet; das rühmende Vorbild war der Tod des Sokrates. Von einem schönen Tod konnte man hingegen bei den Hinrichtungsarten für die Christen nicht ausgehen. Dennoch galt es als hohes Lob, wenn in den Märtyrerakten vermerkt wurde, sie seien wie stoische Weise gestorben. Der Märtyrertod sei auch nach einem unmoralischen Leben wertvoll, predigte Clemens von Alexandria. In seinem freiwilligen Tod lege der Christ alle Sünden ab.“ (Clauss)

Memento mori, gedenke des Todes, lautet das Urmotto der Christen. Philosophieren heißt sterben lernen: war die Devise Platons. Die Worte klingen ähnlich und sind doch diametral verschieden.

Christliche Todessehnsucht beruht auf der Diskriminierung des irdischen Lebens. Dem Tod entgegensehen, heißt, seiner Sehnsucht ins Jenseits zu folgen. Der Tod ist die Schwelle zum wahren Leben im Himmelreich.

Bei Sokrates, Platon, Epikur, den Stoikern ist sterben lernen, die Furcht vor dem Tode überwinden – um das wahre Leben hienieden angstfrei und freudig zu verbringen. Wer ein erfülltes Leben gelebt hat, der muss den Tod nicht fürchten.

Das griechische Symbol des Todes ist der lachende Knabe. Wer verbunden lebt mit dem Kosmos, hört die Stimme der Natur, wenn sie ihn zu sich ruft. Da ist nichts Beängstigendes.

In der deutschen Debatte um Sterbehilfe hat man die Philosophie des freien Sterbens unterdrückt und das Leben auf langwierige Strafe reduziert. Für Jürgen Kaube ist jeder selbstbestimmte Todeswunsch ein niederträchtiges Manöver, unfähig, den schicksalhaften Schmerzen standzuhalten. Mediziner werden bedauert, wenn sie degradiert werden zu unfreiwilligen Assistenten eines hinterhältigen Suizids.

„Jemand entscheidet sich, im Vokabular der Befürworter von ärztlicher Assistenz beim Suizid, „freiverantwortlich“ für das Sterben – und hätte sich damit, wie sein späteres Selbst befindet, falsch entschieden. Das verzweifelte Selbst war nicht sein einziges. Bis zu welchem Punkt Verzweiflung und Selbstbestimmung überhaupt zueinander passen, bleibt als Frage“. (Jürgen Kaube in FAZ.NET)

Kein Mensch sollte seine Entscheidung aufschieben, bis er nicht mehr zurechnungsfähig ist. Der Mensch im Vollbesitz seiner Kräfte hat schriftlich seine Entscheidung zu treffen, die von den Seinen befolgt werden muss. In einer wahrhaft mündigen Gesellschaft würde jeder Mensch seine Pille bei sich tragen.

Wer übertrug Medizinern die Macht über die Sterbepille, damit alle von ihnen abhängig werden? Welche Ausbildung qualifiziert die Leibheiler – die keine psychosomatische Ausbildung erfahren – über den Tod anderer Menschen zu entscheiden?

Weder Mediziner, Theologen noch sonstige Sterbebegleiter sind dazu kompetent. Wer den freien Willen des Menschen missachtet, hat dessen Würde mit Füßen getreten.

Die Abgeordneten hätten es sich nicht leicht gemacht, schreibt der TAGESSPIEGEL, als ob sie sonst es sich immer zu leicht machen würden. Ob man es sich zu leicht macht oder nicht, entscheidet nicht über die Richtigkeit der ethischen Entscheidung. Wir sind nicht in der Kirche, in welcher das richtige Abrakadabra über die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu entscheidet.

Dass die Mehrheit der Deutschen selbst über ihr Leben und Sterben bestimmen wollen, sei eine hedonistische Flucht vor der verdammten Pflicht und Schuldigkeit, sein Leben in Gehorsam vor Gott und seinen Stellvertretern abzuwickeln.

„Die meisten wollen selbst bestimmen, wie sie aus dem Leben scheiden, und eine große Mehrheit möchte sich im Notfall professionell dabei helfen lassen. Laut einer Umfrage vom Juli wäre es über 40 Prozent der Deutschen sogar am liebsten, wenn ihnen Ärzte direkt eine tödliche Spritze verabreichen würden, wie es in den Niederlanden und Belgien erlaubt ist. An dieser Haltung haben alle Debatten und Predigten, alle novemberlichen Fernseh-Themenwochen und auch die vielen Radio- und Zeitungsreportagen nichts geändert.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Für Andreas Öhler in der ZEIT ist Ethik etwas Gewachsenes, um in bester Tradition der Deutschen Bewegung die Moral der allgemeinen Vernunft zu entziehen und der jeweiligen nationalen Sondermoral auszuliefern. Besonders abwegig die Begründung, die Entscheidung des Bundestages würde der jüdisch-christlichen Ethik der „unbedingten Lebensbewahrung“ entsprechen.

„Ethik ist etwas Gewachsenes, ist kulturell determiniert, historisch kontaminiert. Es ist nur logisch, dass der hippokratische Eid der Ärzteschaft und die jüdisch-christliche Prämisse der unbedingten Lebensbewahrung in den Gewissensentscheidungen bei solcher Art Gesetzesfindung mit einfließen. Dass der Staat eine säkulare Institution ist, bleibt dabei unbenommen. Ethische Restbestände jüdisch-christlicher Ethik definieren die Würde des Menschen hier genauso wie die Werte der Aufklärung. In Deutschland kommt noch die diabolische historische Erfahrung hinzu, dass die NS-Diktatur Euthanasie mit Rassenethik zu begründen suchte.“ (ZEIT.de)

Nie darf der infame Hinweis auf die NS-Euthanasie fehlen, um jegliches autonome Sterben zu diffamieren. Es gibt keine jüdisch-christliche Prämisse der unbedingten Lebensbewahrung. Jedes Töten ist erlaubt, wenn es im Namen Gottes geschieht. Deus lo volt.

In der Romantik wurde die christliche Todessehnsucht zum kollektiven Fieber einer ganzen Nation. Clemenceau warf den Deutschen im Ersten Weltkrieg vor, an einer unheilbaren romantischen Todessehnsucht zu leiden. Besonders bei Novalis, der „immer wieder die Begeisterung für den Tod sagen lässt, dass sein Leben eine Krankheit des Geistes, ein leidenschaftliches Tun oder dass Sterben ein echt philosophischer Akt sei. Sein krankhaft gesteigertes Selbstgefühl führt ihn zu der Paradoxie, dass Krankheit wie Tod dem menschlichen Vergnügen gehöre. Ernsthaft vertieft er sich in die Vorstellung, dass in dem Augenblick, in welchem ein Mensch die Krankheit oder den Schmerz zu lieben anfinge, die reizendste Wollust in seinen Armen läge.“ (Nach Rudolf Haym, Die Romantische Schule)

Die Parlamentarier bestimmen die Sterbenden zur Wollust im Dahinsiechen. Der Tod beginnt durch Vorlauf des lebensunfähigen Lebens, das seine subjektive Sinnlosigkeit zu ertragen hat, solange die Experten des Todes es für richtig halten. Der Tod beginnt mitten im Leben, wenn Menschen das Recht der Selbstbestimmung in Leben und Tod verwehrt wird.

Die deutsche Demokratie verwandelt sich unaufhaltsam in eine Herrschaft der Theologen über Tod und Leben. Der Tod wird zum Meister aller Deutschen, die fremdbestimmt leiden und dahinsiechen müssen, bevor sie den Gnadentod verdient haben.

Der Tod ist der Sünde Sold. Durch fremdbestimmtes Leben und Sterben muss der Sünder seinen Sold entrichten, bevor er für immer Abschied nehmen darf.