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Grundsatzdebatten

Hello, Freunde der Grundsatzdebatten,

nein, die Welt ist nicht unerkennbar. Nein, die Welt ist nicht unübersichtlich. Nein, die Welt ist nicht superhypermetakomplex.

Wer diesen Schrott behauptet, will unschuldig sein. Er will die Hände in den Schoss legen. Er will sich raushalten. Sein Betkämmerchen, seinen Elfenbeinturm will er nicht verlassen. Das ist beste Tradition deutscher Quietisten, derer, die ihre Seelenruhe haben und alles einem Gott überlassen wollen, den sie mit Unterwerfungsgesten fürstlich bezahlen.

S‘ist Krieg! ‘s ist Krieg!
O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
‘s ist leider Krieg –
und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
‘s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!“

Herr Pfarrer Claudius begehrt, nicht schuld daran zu sein. Ja, ist er denn nun schuld oder ist er es nicht? Ist Schuldigsein eine Sache subjektiven Begehrens? Oder

objektiver Tatsachen, nachweisbarer Politik, tatsächlichen Verhaltens?

Hat er alles getan, um nicht schuldig zu werden? Hat er nur gebetet? Oder hat er seiner Obrigkeit Feuer unterm Hintern gemacht, dass sie ihre Untertanen nicht nach Belieben auf dem Schlachtfeld verheizen lässt – nur, weil Ihro Eminenz sich ob des lästigen Friedens nicht weiterhin zu ennuyieren gedachte? Haben Herr Pfarrer geruht, seine Gemeinde zur Zivilcourage aufzurufen – oder hat er in seiner Seelennot und Pein wieder einmal über Römer 13 gepredigt, dass alles in der Hand eines Allmächtigen ruht?

„Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen. Denn die Gewaltigen sind ein Gegenstand der Furcht nicht für den, der Gutes tut, sondern für den Bösen. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, so wirst du Lob von ihr haben. Denn sie ist Gottes Dienerin dir zu gut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst; sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut. Darum ist’s not, untertan zu sein, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch des Gewissens willen. Derhalben müßt ihr auch Steuern geben; denn sie sind Gottes Diener, die solchen Schutz handhaben. So gebet nun jedermann, was ihr schuldig seid: Steuern, dem die Steuern gebühren; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.“

Jede Obrigkeit ist von Gott, auch wenn sie Hitler und Stalin heißt. Auch wenn sie Kriege führt. Auch wenn sie andere verstümmelt und tötet. Auch wenn sie Journalisten-Köpfe abschlägt und sie an die Zaunpfähle hängt. Von Gott eingesetzte Obrigkeiten – andere gibt es nicht – können keine ungerechten Kriege führen.

Geht es Herrn Pfarrer wirklich um die Opfer? Hat er nicht mal einen untertänigsten Brief an seinen Landesfürsten geschrieben, um ihn vom Kriegsspielen abzuhalten? Herrn Pfarrer geht es vor allem um sein eigenes Seelenheil. Er will nicht schuldig sein, er will seine Seligkeit nicht riskieren. Er will sich mit der sündigen Welt nicht einlassen. Kein Ton über die wahren Schuldigen, kein Nennen von Ross und Reiter, nicht die leiseste Kritik an den Herren mit den Perücken und den täglichen Leberpasteten. Alles im wahrnehmungslosen Gebetston.

Eine einzige doppelzüngige Orgie im verwerflichsten Heuchelgedicht der ganzen deutschen Literatur, die noch immer als Hymne des deutschen Pazifismus gilt. Typisch für zarte Poeten, hochsensible Seelenerforscher und selbstbejammernde Innerlichkeitsartisten.

Würde Matthias Claudius heute leben, wäre ihm der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gewiss. Ist es nicht ein Gottesgeschenk, wenn weit hinten in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen und wir Tabus über Bord werfen – oder auch nicht, Grundsatzdebatten führen – oder auch nicht, uns für unschuldig halten – auf jeden Fall, mit oder ohne Waffen. Hat sich irgendetwas geändert, ihr täglichen Geschichtsneuerfinder, Tageshektiker, Zeitgeistfuzzys und Vergangenheitsverleugner?

„Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.

Herr Nachbar, ja! So lass ich’s auch geschehn:
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinander gehn;
Doch nur zu Hause bleib’s beim alten.“

Hauptsache, bei uns bleibt alles beim Alten, dem Allerneuesten nämlich, dem täglich neuen Wirtschaftswachstum und der täglich neuen Intelligenzmaschine, die all unsere Probleme stellvertretend auf sich nimmt und auf Knopfdruck entsorgt.

Nein, nicht das Einfache, nicht die Fähigkeit, die Dinge zu vereinfachen, ist verwerflich, sondern der Wille, aus der Welt ein sinnenbetäubendes Spektakel zu machen, in dem jedem Beteiligten Hören, Sehen und Denken vergeht.

Das Einfache freilich muss erarbeitet werden, bei Amazon kann man es nicht bestellen. Die Verwirrkünste der Machthaber und ihrer treusten Diener, der Intellektuellen, sind erst mal zu durchschauen.

Lasst euch nicht dumm machen von Hokuspokus-Metaphysikern und Himmelsillusionisten, das war die Parole der Aufklärung. Es gibt deutsche Edelschreiber, die in einem einzigen Kommentar ihre Leser aufrufen, sich ihres Verstandes zu bedienen, den sie zwei Sätze später für überschätzt und nutzlos erklären: der Mensch, nein, der könne nicht lernen.

Dass Verstand haben und Lernen identisch sind, das geht in keinen deutschen Komplex-Schädel. Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen, aber glaub ja nicht, dass dein Verstand zu etwas nütze ist.

(Bei Buchrezensionen kann man regelmäßig lesen, der Autor habe nichts Neues gebracht. Die Frage nach Wichtigkeit und Richtigkeit einer Sache ist von der Hatz nach dem Neuen seriengekillt worden. Zum Konstatieren des je Neuen braucht man keinen Verstand, eine journalistische Ausbildung im Nannen-Institut genügt. In welch desolatem Zustand die Presse ist, erkennt man am Suizid des SPIEGEL. Anstatt über die grundsätzlichen Probleme der Vermittler nachzudenken, streiten sie über Organisatorisches und Technisches. Die Ursache der Krise ist völlig klar: keine Köpfe mehr auf der Andrea Doria.)

Nun die Frage: sollen wir den Völkern weit hinten in der Türkei Waffen liefern – oder Medikamente? Oder genügt claudianisches Beten: ich will nicht schuld dran sein?

Setzt eine ernsthafte Beantwortung dieser Frage nicht eine Grundsatzdebatte voraus? Antwort der Regierung: „Die Bundesregierung hat in den vergangenen Tagen immer wieder betont, jetzt sei nicht die Zeit für Grundsatzdiskussionen, sondern für Handlungen, die jetzt und unmittelbar nötig sein. Die Entscheidung gilt für diesen Konflikt. Eine Einzelfallentscheidung – bis zum nächsten brutalen Konflikt.“ (BLZ)

Wohl uns, wir haben eine Regierung, die uns sagt, wann Grundsatzdebatten fällig sind und wann nicht, so sparen wir uns unnötige Denkenergieverschwendung. Jetzt geht’s um Einzelfallentscheidung: pragmatisch, quadratisch, gut. Übrigens auch um Tabu-Bruch.

War denn der bisherig gültige Grundsatz – keine Waffen in Krisengebiete – ein Tabu? Das muss einem doch gesagt werden. Wer hat das Tabu aufgestellt, welche Sanktionen drohen bei Tabu-Brüchen? Dann wären die Zehn Gebote auch Tabus, oddr?

Oder denkt die smarte Merkel-Nachfolge-Kandidatin von der Leyen unbewusst an das Tabu der verbotenen Israelkritik? Dann wäre ihr Unbewusstes hochgradig antisemitismus-verdächtig. (Von der Leyen ist siebenfache Mutter, aber kein Mamityp, eher eine demokratische Ausgabe der schneidigen Leni Riefenstahl, Angela ist mit keinem leiblichen Kind gesegnet, dafür die Allmutter aller christlichen Neugermanen. Die Deutschen kriegen keine Ordnung in ihre Phänotypen und Genotypen. Ach wohin ist das alte Preußen, wo Schein und Sein durch Gesetz übereinstimmen mussten?)

Wer ad-hoc-Entscheidungen ohne Verankerung im Grundsätzlichen trifft, ist entweder a) ein Luftikus, oder b) ein Anarchist, c) ein Antinomer, oder d) ein Vertreter einer Sondermoral und Gegner einer universellen Moral.

Niemanden kann überraschen, dass die Deutschen sich immer mehr zu antinomisch-anarchischen Sondermoralisten mit brachialen Luftikus-Gebärden entwickeln. Das deutsch-israelisch-amerikanische Kartell will täglich mehr ein Sonderkartell mit Sondermoral und Sonderbehandlung sein. Universelle Menschenrechte gelten nur für ordinäre Durchschnittsnationen und die Mischpoke-UNO.

Wann überhaupt haben die Grundsatzdebatten stattgefunden? Hab ich da was verpennt?

Letzter Stand der friedensstiftenden Hochwassermeldungen:

a) Theologin Käßmann – absolute Pazifistin,

b) eine Käßmann-Gruppe protestantischer Pfarrer – absolute Pazifisten, die einen Brandbrief an

c) den Theologen und Bundespräsidenten Gauck schickten, der – kein absoluter Pazifist ist, sondern ein situationistischer Bellizist mit pazifistischer Sättigungsbeilage. Was fehlt? Ach ja,

d) der franziskanische Papst, der – im Gegensatz zu seinem berühmten Vorbild Franz von Assisi – kein strikter Pazifist ist, sondern – wie Gauck – situationsbedingter Bellizist.

Alle vier Gruppen sind Christen. So kann jeder Gläubige sich das Passende ad libitum aussuchen. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Doch normale Christianiten prüfen nichts nach in der Schrift – die meisten von ihnen haben gar keine mehr –, sie sind nur desorientiert und in Dauerkonfusion.

Wollen sie ihre Verwirrung un peu entwirren, gehen sie zu ihrem Pastor und beichten sündige Zweifel an den kirchlichen Koryphäen. Dann hören sie die Antwort: alles sehr komplex, mein Sohn. Hier hülfe dir nur, dem heimischen Gotteshirten zu vertrauen, alles andere dem Himmel anheim zu stellen.

Das war die kirchliche, also wesentliche Seite des moralischen Problems. Eine Moral, die nichts ausschließt und alles zulässt, ist keine Moral. Die christliche Moral schließt nichts aus und lässt alles zu. Sie ist eine Nichtmoral – mit göttlicher Legitimation.

Kommen wir zum weltlichen Teil. Was war weltlich nochmal? Die Gottlosen etwa? Die spielen in deutschen Medien keine Rolle. Was sich nicht – wenigstens atmosphärisch – auf die Bergpredigt, die linke und rechte Backe bezieht, hat in der klerikophilen deutschen Presse keine Chance.

Geht es ans Eingemachte, suchen die Tagesschreiber am liebsten Atheisten, die zwar religiös unmusikalisch sind, aber mit viel Empathie für die Religion werben. Objektiv, wie sie wären, würden sie nichts Besseres kennen als die Werte des Glaubens, besonders für nichtreligiöse Demokratien, die ohne transzendenten Überbau den Bach hinunter gingen (den Bach hinunter gehen, heißt – Hinweis für unsere gelehrten Leser, die des umgangsprachlichen Idioms nicht kundig sind: böckenfördisch baden gehen).

Fazit des Schnellkurses für christliche Nichtmoral: die partikularen Bellizisten haben Recht. Du sollst Gott lieben und fürchten, sagt Luther über den Schöpfer, der in Personalunion Gott & Teufel ist und die Menschen liebt, indem er sie züchtigt und prügelt. Die einen werden mit höllischem Tod gezüchtigt, die anderen mit ewiger Liebe im Himmel.

Christen dürfen alles, wenn nur das Vorzeichen vor der Klammer stimmt: da muss in roter Farbe Liebe stehen. Dann ist weder Foltern, noch Quälen, weder Hexenverfolgen noch Ketzerverbrennen, weder Guantanamo noch Drohnenmord verboten. Ein guter Baum bringt gute Früchte, und Gläubige sind durchweg gute Bäume. Hinzu kommt, dass Christen die Guten sind, die die bösen Nichtchristen stäupen und ausrotten dürfen, nein, ausrotten müssen.

Gab es vor kurzem nur drei Achsen des Bösen, (Iran, die Sowjetunion und Nordkorea), hat sich das Satanische inzwischen rasend schnell über die Welt zu antichristlichen Hemisphären des Bösen verbreitet. Alles, was nicht jesuanisch klingt, ist mittlerweilen böse geworden.

BILD schreibt über die ISIS-Teufel: solche Menschen wollen wir nicht haben. Der amerikanische Verteidigungsminister scheint die NS-Schergen total verdrängt zu haben, wenn er die ISIS-Horde als unvergleichliche Teufel bezeichnet: „«Sie sind eine große Bedrohung für alle unsere Interessen, sei es im Irak oder irgendwo anders», sagte Hagel. Sie verfügten über ein hohes Maß an militärischem Können und seien daher besonders gefährlich. «Das ist jenseits von allem, was wir kennen.»“

Obama setzte der Dämonisierung der ISIS – halten zu Gnaden, satanische Dämonen gibt’s nicht unter Menschen, selbst Hitler und Stalin waren Menschen – das theologische Sahnehäubchen auf:

«Wir werden unnachgiebig sein», erklärte er. Die Islamisten hätten «keine Wertschätzung für menschliches Leben», daher gebe es für sie «keinen Platz im 21. Jahrhundert». Ihre Opfer seien überwiegend Muslime, und kein Glaube lehre Menschen, Unschuldige zu massakrieren. «Kein gerechter Gott würde hinter dem stehen, was sie gestern getan haben und was sie jeden einzelnen Tag tun», sagte Obama.“ (SPIEGEL Online)

Obama & der gerechte Gott Hand in Hand. Der gerechte Gott steht hinter dem Westen, der Teufel hinter dem Rest der Welt. Die ISIS ist bestimmt kein Landfrauenverein und muss an die Kette gelegt werden, doch Satanisten? – und dies im Vergleich mit Hexenjägern, Ketzerverbrennern und Holocaust-Maschinisten?

Von Tag zu Tag verstärkt sich die Diabolisierung der muslimischen Westenhasser. Deren Gräuel sind Reaktionen auf die westlichen Diskriminierungen. Haltet ihr uns für Weltmeister des Bösen? Dann verhalten wir uns wie Weltmeister des Bösen. Der Westen schafft sich seine Wunschfeinde aus dem genuinen Rippen des Satans.

Wenn BILD-Wagner über die ISIS schreibt: „Diese ISIS-Terroristen haben keine Hemmungen. Sie vergewaltigen, töten, morden. Sie sind Menschen, die wir nicht wollen“, so ist die Folgerung unausweichlich: diese Menschen sind keine Menschen mehr. Sie sind Untermenschen. Untermenschen, die man nicht will, müssen von der Erdoberfläche vertilgt werden. „Die tollwütige IS-Truppe muss vernichtet werden“, heißt es im besten Kreuzzug-Jargon in der WELT.

Wie man heute über die ISIS schreibt, schrieb man vor 70, 80 Jahren über die Juden. Die BILD-Moral nähert sich im Sauseschritt einer Vernichtungsmentalität all jener, die nicht ins Weltbild von Wohlstandssiegern passen. „Kein Mitleid mit Verlierern“, schrieb vor kurzem Bela Anda, Ex-Presse-Sprecher eines bekannten Putinfreunderls.

Kommen wir zur weltlichen Moral. Ist es sinnvoll, für die Welt Verantwortung zu übernehmen? Gibt es tatsächlich eine unüberwindbare Kluft zwischen Menschlichkeit und Interesse, wie Historiker Stürmer in bester deutscher Tradition meinte?

Geht man davon aus – was man inzwischen nicht mehr hört –, dass die Welt ein Dorf ist und alles mit allem zusammenhängt, ist ein Unterschied zwischen Eigen- und Fremdinteresse ausgeschlossen – aus coolem Eigeninteresse. Wie bei Adam Smith müsste ein wohlverstandenes Eigeninteresse gleicherweise die Fremdinteressen vertreten, will es nicht selbst unter die Räder kommen.

Es bedarf keiner überkandidelten Nächstenliebe, um sich klar zu machen: wenn ich nicht für alle sorge, sorge ich nicht für mich – und umgekehrt. Die globalisierte Einheit der Menschheit hat jedes fremdschädigende Eigeninteresse ad absurdum geführt. Einen Unterschied zwischen Altruismus und Egoismus gibt es nur in dualistischen Religionen, die in Seligkeit und Unseligkeit auseinanderklaffen.

Eine mündige Menschheit kann auf diesen gefährlichen Unsinn verzichten. Eine Wirtschaftsform, die absolute Sieger und Verlierer kennt, gefährdet die ganze Menschheit.

Das Wichtigste: wer Frieden will, kann nicht warten, bis der Krieg ausbricht, um seine Schalmeiengesänge zu beginnen. Willst du Frieden, rüste für den Frieden – im Frieden. Alle potentiellen Ursachen für Kriege müssen durch politische Methoden korrigiert und ausgeräumt werden.

Ein kriegssüchtiger Kapitalismus und eine apokalyptische Klimaveränderung münden direkt in globale Kriege. Wer die kriegerischen Ursachen der Erlöserreligionen ignoriert und diese als reine Liebesäußerungen betrachtet, ist ein Kriegshetzer. Die drei Erlöserreligionen sind in ultimativem Streit, wer die wahre Erlösung bringt.

Das Motto des Papsttums: extra ecclesiam nulla salus – neben der Kirche kein Heil – gilt für alle Christen, Juden und Muslime. Zwar haben sich einige Schlaumeierkonfessionen äußerlich angepasst und humanistisch drapiert, doch im Ernstfall gilt das Wort ihrer Erlöser: wer nicht für sie ist, ist gegen sie. Sie warten innerlich, bis sie das finale Signal geben können: nun ist Endzeit. Jetzt heißt es Sein oder Nichtsein.

Wenn ich Verantwortung für die Welt übernehme: werde ich nicht alle Mittel einsetzen, die mir zur Verfügung stehen, um der Verantwortung nachzukommen? Sehe ich, wie auf der Straße ein Kind bedroht wird: werde ich nicht alles tun, was in meiner Macht steht, um dem Kind zu Hilfe zu eilen: schreien, Leute sammeln, um die Aggressoren in die Flucht zu schlagen, die Polizei benachrichtigen, die mit Gewaltmethoden gegen die Übeltäter vorgehen? Wenn ich das bei uns im Innern der Gesellschaft tue, warum nicht in der Welt?

Weltaußenpolitik ist schon lange Weltinnenpolitik. Kriegseinsätze sind nichts anderes als rationale Weltpolizeieinsätze. Nicht auf eigene Faust, sondern allein unter der Ägide der UNO.

Wenn eine Gesellschaft Waffen in alle Welt liefert, um Geld zu verdienen, aber nicht bereit ist, dieselben Waffen zum Schutz von Frauen und Kindern einzusetzen – was wäre das für eine Gesellschaft? Tatenlos will sie ihre moralische Weste weiß halten und vor Gott Punkte sammeln. Verantwortung auf Erden übernimmt sie nicht.

Die Deutschen haben unendliche Schuld auf sich geladen, nun sind sie so schuldallergisch, dass sie nie mehr den leisesten Schuldverdacht auf sich nehmen wollen – und wenn sie dabei schmarotzerhaft unverantwortlich werden.

Natürlich muss der Einsatz von Waffen die ultima ratio sein. Sie schließt auf keinen Fall die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten aus. Das eine muss man tun, das andere nicht lassen.

Ein Argument heißt, man dürfe auf keinen Fall Waffen in ein Krisengebiet liefern, denn man wüsste nie, in welche Hände sie kämen. Einverstanden. Dann aber muss man mit den eigenen Stiefeln auf den Boden, um die Bedrohten zu schützen. Wäre es nicht gelacht, wenn die reichsten Länder mit den effizientesten Waffen nicht eine vergleichsweise kleine Armee – und sei sie noch so aggressiv – binnen kurzer Zeit unschädlich machen würde?

Man dürfe, heißt es weiter, nicht noch Öl in ein bestehendes Feuer gießen, um es nicht noch weiter anzufachen. Halten zu Gnaden: ein militärisches Eingreifen müsste kurz und schnell das Feuer löschen.

Schon die Devise: keine Waffen in ein Krisengebiet, war scheinmoralisch. In einem Krisengebiet gibt es immer Täter und Opfer. Wer sich kein Bild machen und auch die Opfer im Stich lassen will, nur um seine Hände in Unschuld zu waschen, ist ein Schein-Heiliger. Aber kein Mensch, der sich für die Welt verantwortlich fühlt.

Man kann, wie Käßmann, sich als absolute Pazifistin geben und behaupten, jeder Krieg bringe Unheil über die Welt. Ein rationales Intervenieren hätte das Ziel, das Unheil zu reduzieren – das ohne Intervention ins Unermessliche wachsen würde. Käßmann interessiert sich nicht für die Kollateralschäden einer Nichteinmischung. Hier müsste kaltblütig abgewogen werden, welche Mittel die geeignetsten wären, das Gesamt-Elend zu minimieren.

Wer seine vornehme Ohne-mich-Politik mit religiösen Gründen begründet, will Punkte für seine Seligkeit sammeln. Die Vorstellung einer autonomen Moral ist ihm unbekannt. Verantwortung für Menschen übernimmt er nicht. Sein Heil ist ihm wichtiger als das Überleben fremder Menschen.

Wie kann man das Gewaltmonopol der Polizei für richtig halten, das Gewaltmonopol einer UNO-Truppe aber ablehnen? Natürlich müssten den militärischen Eingriffen politische Maßnahmen folgen, die den Überlebenden die Chance eines humanen Lebens garantierten. Verantwortung für die Welt ist keine Eintagsfliege.

Nur, wenn die Menschheit lernt, sich täglich wahrzunehmen, sich zu fördern und zu unterstützen, könnten Eskalationen vermieden werden, die den Einsatz von Waffen erfordern.

Der Weg zum Frieden sind friedliche Gesellschaften. Mit friedlichen Religionen und Philosophien, einer friedlichen globalen Wirtschaft, einer naturverträglichen friedlichen Technik.

Und noch einmal sage ich euch: bleibet der Erde treu. Nicht mit dem Willen zur Macht, sondern mit dem Willen zum Frieden unter allen Völkern.