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Tagesmail

Glenn Greenwald

Hello, Freunde des fröhlichen Fußballfests,

Scheinkritik vorbei. Das lärmende Fußballfest in Brasilien kann beginnen. Die ARD dröhnt vor Lebenslust, ihr Spitzenmann Jauch hat die lästigen Wackersteine im Vorfeld aus dem Weg geräumt.

Hat jemand schon ein Deja vue? Dann hätte er gestern ARD schauen müssen, um zu lernen, wie lernfähig Deutsche sind. „Auf den Tag genau vor siebenunddreißig Jahren, am 5. Juni 1977, fand in Buenos Aires ein Fußballspiel statt. Die argentinische Nationalelf traf auf die deutsche Auswahl, die das bessere Ende für sich behielt.“ (Michael Hanfeld in FAZ.NET)

Zur selben Zeit wurde in den Folterzellen der argentinischen Junta Elisabeth Käsemann zu Tode gefoltert. Die deutsche Regierung wusste Bescheid – und rührte keinen Finger. Mühelos hätte sie die linke Studentin retten können.

Die deutsche Regierung bestand aus den liberalen Edelmenschen von Dohnanyi, Hamm-Brücher und dem oberliberalen Außenminister Genscher, der sich bis heute auf „diese linke Studentin“ nicht ansprechen lässt. Hamm-Brücher und Dohnanyi hielten ihre edlen Gesichter tapfer in die Kamera und bekannten sich – ein bisschen schuldig. Eine Entschuldigung oder Erklärung hörte man von ihnen nicht. Zumal sie bis heute nicht wissen, was sie schuldig werden ließ.

Hier die Gründe für die Leichtvergesslichen: weder durfte der Waffenexport an die argentinischen Despoten gefährdet werden (die USA hatten ihre Waffenlieferungen ausgesetzt, hilfreich sprangen die Deutschen ein), noch die Fußball-WM in Deutschland, die ohne argentinische Unterstützung nicht möglich

gewesen wäre.

Die Fußballspieler selbst wurden nicht informiert, man tat mit ihnen, was man bis heute tut: man schirmte sie ab. Gehorsam lassen sie sich vom Leben abschirmen, womit bewiesen, dass Leben und Sport nicht zusammenpassen. DFB-Chef Neuberger, ein „knallharter Geschäftsmann“, dekoriert mit dem Bundesverdienstkreuz, hatte Erfolg mit seinem knallharten Fußballmotto: Politik hält sich raus aus dem Sport!

Dieser Grundsatz gilt bis heute: über Peking, Sotschi bis nach Rio und Katar. In welches Land das Olympische Komitee und die FIFA einbrechen, hinterlassen sie verwüstete Erde, Vertriebene, Entrechtete und Getötete. Wer als demokratischer Sportler nicht politisch denkt, denkt faschistisch.

Chef der damaligen Bonner Regierung war ein gewisser Helmut Schmidt, heute Herausgeber einer führenden liberalen Gazette. Sein Motto, das er sich durch keine Rauchwolken vernebeln lässt: Menschenrechte sind eine europäische Erfindung. Für Nichteuropäer nicht geeignet.

Den deutschen Sonderweg haben Schmidt & Co erfolgreich auf den Westen übertragen. Irgendein Alleinstellungsmerkmal im globalisierten Einerlei muss man ja noch haben. Mit ausländischen Finstermännern locker bis bewundernd umzugehen, ohne in Versuchung zu geraten, ihnen eine Moralpredigt zu halten: das können alle deutschen Genschers, Schmidts und Schröders aus dem Effeff.

Darauf sind wir alle stolz – und schalten um zur Copacabana.

Von einem exzellenten Buch ist zu berichten, das in Deutschland keine Schirrmachers, Döpfners und Giovanni di Lorenzos hätten schreiben können. Sie hätten nicht den Mut gehabt, ihrer mächtigen Regierung zu widerstehen und hätten sich geweigert, den Akt des Widerstands in ihren Zeitungen zu berichten. Kein Wunder, dass nur ein englisches Blatt, The Guardian, sich bereit erklärte, die Zivilcourage dreier Amerikaner zu dokumentieren. Erst als die Briten vorausgegangen waren, hängte sich der SPIEGEL dran.

„Die globale Überwachung – Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen“, so lautet der Titel des Buches von Glenn Greenwald, einem linken amerikanischen Juristen, der sich auf Bürgerrechtsfälle spezialisiert hatte und zum Journalismus gewechselt war, um größeren politischen Einfluss zu gewinnen.

Das Buch hat drei Teile. Im ersten Teil erzählt Greenwald die überaus spannende Geschichte, wie Snowden Kontakt mit ihm aufnahm, wie lange es dauerte, bis er, Greenwald, begriff, um welch außerordentliches Material es da ging, wie er lernen musste, seine Emails zu verschlüsseln, wie seine Freundin, die Filmerin Laura Poitras ihn unterstützte und bestärkte, wie beide nach Hongkong flogen, um den unbekannten „NSA-Verräter“ zu treffen, wie er das blasse und erstaunlich junge Bürschlein stundenlang ins Verhör nahm, um nicht einem neurotischen Wichtigtuer aufzusitzen, wie er schon vorher Kontakt mit der einzigen Zeitung, die ihm für diese Zwecke tauglich schien (der britische Guardian), aufgenommen hatte und wie er sich endlich entschloss, mit Snowdens sorgfältig geordneten und penibel erklärten Geheimunterlagen aus der weltbeherrschenden Spähbehörde, der von Cheney und Dabbelju illegal ins Leben gerufenen NSA, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Poitras hatte das lange Gespräch im Hongkonger Hotelzimmer gefilmt und eine kurze Videoversion ins Netz gestellt, das binnen kurzer Zeit um die Welt ging. Seitdem hat sich die Welt verändert.

Der zweite Teil ist eine, in klarer Sprache (und nicht in deutschem Feuilletonismus-Slang) geschriebene Grundlagenkritik an dem neuen Machtmedium, dem Internet mit seinen omnipräsenten Überwachungsmethoden.

Der dritte Teil ist eine fulminante Kritik an den amerikanischen Medien, die erstaunlich regierungshörig sind – was man hierzulande selten zu hören bekommt, nach wie vor wird bei uns die New York Times als weltbeste Zeitung gepriesen –, eine Kritik, die Punkt für Punkt auch auf deutsche Medien zutrifft.

Die Washington Post – lang, lang ist her mit Watergate –, und vor allem die New York Times beschäftigten sich weniger mit der Botschaft, als mit dem Boten. Anstatt die Regierung zu attackieren, wurde Greenwald aus der Liste der „objektiven Journalisten“ gestrichen und zum polemischen Aktivisten degradiert.

Ein neutraler Tagesschreiber hat keine Meinung zu haben, schon gar nicht parteiisch für sie einzutreten und wenn doch, hat er sie geschickt zu verstecken oder die der Regierung zu übernehmen. Zudem hat er seine Meinung mit Beobachtungssprache so zu einer Melange zu verquicken, dass am Ende weder eine präzise Beobachtung noch eine trennscharfe Meinung übrig bleibt. Ein erschreckendes Bild der amerikanischen Medien, die von hiesigen Medien beim Besprechen des Buches unter den Teppich gekehrt wurde.

(Hiesige Medien haben nur technische und wirtschaftliche Probleme: sollen sie Print und Online verquicken oder nicht, sollen sie von Online-Lesern Bezahlung fordern oder nicht. Dass sie ihren höchsten Preis nach einem Herrn benennen, dessen Rolle in der NS-Zeit wenig rühmlich war, entspricht der allgemeinen Schlussstrichmentalität in Deutschland: genug mit der Vergangenheit!)

Wie hat sich die Welt seit Snowden verändert? Die anfängliche Euphoriephase des Internets als neue Freiheitsbringerin der Menschheit ist vorbei.

Wie bei jeder neuen allumfassenden technischen Innovation wird die Maschine zum Erlöser der Menschheit. So war‘s bei der Eisenbahn, dem Auto, dem Telefon, der Atomenergie – jeder hat in seinem Keller einen kleinen Atomreaktor, Energieprobleme gibt es nicht mehr –, so nun beim Netz, das die ganze Menschheit verbindet, von nationalen Schranken befreit und von allen Bevormundungen emanzipiert. Jeder hat Zugang zu allem, ist bestens informiert und kann seine eigene Meinung unzensiert der staunenden Welt mitteilen.

Die nächste Erlöserwelle wird in Hollywoods Laborküche schon in allen Varianten durchgehechelt, in Silicon Valley digitalisiert und im Pentagon genau beobachtet: roboterhafte Superintelligenzler vertreiben die evolutionär veralteten Menschen auf den Mars und übernehmen die Erdherrschaft.

Silicon Valley – Geniezentrum amerikanischer Boys, die zu viel von Maschinen, zu wenig vom Leben und nichts mehr von Demokratie verstehen – wurde zum Inbegriff von Mekka, Medina, Lourdes, Santiago de Compostela, Bethlehem, Jerusalem und der Ausstellung originaler Jesuswindeln im Trierer Dom.

Wer nur die Straßen der Algorithmus-Tempel an der amerikanischen Westküste durchstreift, wittert schon den ätherischen Weihrauch- und Windelgeruch der künftigen Weltenherrscher, die in betont legerer Kleidung – wie die Bettelmönche des heiligen Franz von Assisi – herumlungern. (Wenn Götter unter den Menschen weilen, bleiben sie gern anonym, sie wollen nicht von jedem Vollpfosten erkannt werden.)

Allein der Eindruck trügt, sie meditieren über die wirksamsten Mittel, wie man die Menschheit an die Kette legt, pardon, sie zur wahren Freiheit der Kinder Gottes befreien kann. Die Meinung der zu befreienden Menschen ist dabei von keinem Belang, wissen die doch sowieso nicht, was für sie gut ist und also muss man es ihnen mit List und Tücke einreiben. Stets unter dem Etikett des heiligen Fortschritts, der uns immer der Ankunft des finalen Erlösers näher bringen wird: einer Jesusmaschine mit eingebautem Kreuzigungs-, Todes-, Höllenfahrts-, Auferstehungs- und Himmelfahrtsmechanismus.

Noch ist das Problem, an dem die Erlöserfabrikanten arbeiten, nicht ganz gelöst: wie kann die Lichtgestalt über Wasser gehen, ohne sich die teuren Chips und Kabelinnereien unliebsam zu benetzen, sodass es zu unerwünschten so genannten Intelligenzgewittern im Hypothalamus und damit zum Totalausfall der ganzen Idiotenmaschine führt?

Wie immer schweifen wir ab, doch es ist unmöglich, über Silicon Valley zu schreiben, ohne in Zungen zu reden, und nur Ungläubige meinen, man stünde unter süßem Wein.

Der Traum der christlichen Moderne ist die Digitalisierung Jesu. Wie das aber dualistische Göttersöhne so an sich haben: wenn das Vorhaben scheitert, entschlüpft dem Heiligen das Unheilige. Deutsche Dialektiker würden von Umkippen reden. Jesus kippte um und – ward zum Gottseibeiuns.

Genau dies ist in Silicon Valley passiert. Die Euphorie verwandelte sich ins Gegenteil und nun haben wir den Salat. Alle primären Jünger des Internet sind maßlos enttäuscht, haben ihre vorgezogene Midlifecrisis genommen und liegen depressiv am Boden. Sascha Lobo war von seinen ausgepumpten Mitstreitern derart enttäuscht, dass er sie kurzerhand aus dem Prozess des Widerstands gegen den Satan ausschloss und allein den Kampf gegen den Drachen führen will.

Das neue Medium sollte den Menschen erlösen, nun hat es ihn unter Generalverdacht. Den Teufel merkt das Völkchen nie und wenn er sie am virtuellen Kragen hätt. Die geneigten Leser haben es schon erraten: der neue Gottseibeiuns ist NSA (Neuer SAtan).

Die Regierung Dabbelju Bush, erschüttert durch das nationale 9/11-Trauma, erkannte die ungeahnten Möglichkeiten der Bits und Bytes und wollte dem neuen terroristischen Teufel aus den Bora-Bora-Höhlen mit einem Geniestreich für immer das Handwerk legen. Bora-Bora wurde zur feindlichen Welt erweitert – Erlöser brauchen einen würdigen Gegner, in dem sie sich widerspiegeln – und die Welt in ein offenes Gefängnis verwandelt mit einem panoptischen Überwachungsturm in Gods own Country, von dem aus man den ganzen Planeten in ein transparentes Guckloch-Kämmerchen schrumpfen konnte.

Bevor sie nicht das ganze Weltgeschehen Eins zu Eins in mathematischen Symbolen abbilden können, werden sie keinen inneren Frieden finden.

Und nun das Drama des Judas, der sich als Freund des Erlösers ins Allerheiligste einschlich und gegen dreißig Silberlinge – so die Feinde des Judas in der New York Times – das Geheimnis des Erlösers der schnöden Welt verriet.

Wir sind bei Snowden angekommen. Hier endet die jesuanische Metaphorik, von Silberlingen kann keine Rede sein. Snowden ist ein überaus ernsthafter junger Mann, der nicht länger zuschauen konnte, wie ein demokratischer Staat die Menschheit gnadenlos hinters Licht führt. Er wandte sich an Greenwald, den er von weitem als kritischen Journalisten kannte, fragte anonym bei ihm an, ob er sich vorstellen könne, das brisante Material unter den Völkern zu verbreiten.

In einem kurzen Manifest erläuterte er seine Motive. Sein einziger Beweggrund sei, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, „was in ihrem Namen getan wird und gegen sie eingesetzt wird. Die amerikanische Regierung hat in einer Verschwörung mit ihren Satelliten, insbesondere mit den Five Eyes – Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland – der Welt ein System geheimer, alles durchdringender Überwachung aufgezwungen, vor dem es kein Entrinnen gibt.“

Das Manifest endet mit einem abgewandelten Zitat Thomas Jeffersons: „Lasst uns nicht mehr vom Vertrauen auf den Menschen sprechen, sondern haltet ihn durch die Ketten der Verschlüsselung von Unheilsstiftung ab“. Das Originalzitat lautet: „Lasst uns daher in Fragen der Macht nicht mehr vom Vertrauen auf den Menschen hören, sondern haltet ihn durch Ketten der Verfassung von Unheilsstiftung ab.“

Gewiss redet Snowden nicht vom absoluten Misstrauen gegen den Menschen, sonst hätte er kein Vertrauen in die Menschheit fassen können, dass sie seinen „Verrat“ in einen weltumspannenden Akt des Widerstands gegen jegliche Verletzung der Privatsphäre des Einzelnen umwandeln könnte. Es geht um vorbeugendes und methodisches Misstrauen gegen den schwachen Menschen, der bei viel Macht der Versuchung zum Missbrauch nicht widerstehen kann.

Methodisches Misstrauen ist das grundlegende Element der Demokratie, die von der Teilung der Gewalten lebt und aufgefangen wird vom gegenläufigen Vertrauen in den Menschen, dass er – als Gebändigter – lernen kann, seine Vernunft zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen.

Greenwald hat die Bedenken Snowdens geprüft und sich zu eigen gemacht. Er schreibt: Mit Hilfe der NSA „sieht die amerikanische Regierung, was der Rest der Welt tut und macht, während niemand Einblick in ihr eigenes Handeln bekommt. Es ist ein nicht zu überbietendes Ungleichgewicht, das die gefährlichste aller menschlichen Möglichkeiten eröffnet: die Ausbildung grenzenloser Macht ohne jede Transparenz und Rechenschaftspflicht.“

Grenzenlose Macht ist Allmacht. Womit wir beim religiösen Hintergrund allen amerikanischen Tuns angekommen wären, der in Deutschland ums Verrecken nicht angesprochen wird, obgleich Greenwald selbst davon spricht. Religion muss in Deutschland Friede, Freude und Eierkuchen sein, alles Negative gilt als Frevel der Gottlosen.

In einem exzellenten Interview mit Tilo Jung in der FAZ antwortet Greenwald auf die Frage: „Haben wir mit der NSA einen zweiten Gott?“ mit den Sätzen:

„Das ist das Ziel, von der Allwissenheit zur Allmacht. Und auf der anderen Seite soll niemand mitbekommen, was getan wird. Es geht also nicht nur um Überwachung, sondern auch um die extreme Unwucht, durch die alles, was getan wird, verborgen bleibt, während wir so lesbar sind wie ein aufgeschlagenes Buch. In einer funktionierenden Demokratie müsste es eigentlich umgekehrt sein.“

In seinem Buch wird er noch deutlicher:

„Vor einigen Jahren war ich zur Bat-Mizwa der Tochter meines besten Freundes eingeladen. Bei der Feier betonte der Rabbi, das „Wichtigste“, was das Mädchen jetzt begreifen müsse, sei, dass sie „stets beobachtet und beurteilt“ werde. Gott, so erklärte er ihr, wisse immer, was sie tue; er kenne jede Entscheidung, die sie treffe, wisse Bescheid über alle ihre Taten und sogar Gedanken, so persönlich sie auch seien. „Du bist nie allein“, meinte er, was nichts anderes hieß, als dass sie stets Gottes Willen folgen solle. Was der Rabbi sagen wollte, ist klar: Wenn man dem wachsamen Auge einer höchsten Autorität nicht entkommt, hat man keine andere Wahl, als sich dem Diktat dieser Autorität zu unterwerfen. Man kann nicht einmal daran denken, jenseits jener Vorschriften seinen eigenen Weg zu finden. Wer ständig unter Beobachtung steht und beurteilt wird, ist kein freier Mensch.

Alle repräsentativen Regime – seien es politische, religiöse, soziale oder familiäre – fußen auf dieser entscheidenden Tatsache und nutzen sie als entscheidendes Instrument, um Dogmen durchzusetzen, Gefolgschaftstreue zu erzwingen und Widerspruch zu unterdrücken. Sie legen großen Wert darauf, deutlich zu machen, dass ihnen nichts von dem, was die ihnen Unterworfenen tun, entgeht. Der Entzug der Privatsphäre wird weitaus wirksamer als jede Polizeimacht die Versuchung, von den Regeln abzuweichen, im Keim ersticken.“

Das ist die exakte Beschreibung einer Theokratie unter der Maske der Demokratie. Damit ist auch die Frage beantwortet, warum es noch so wenig Widerstand gegen NSA, Google & Co in christlichen Ländern gibt – auch in Deutschland. Seit 2000 Jahren werden alle Christen darauf konditioniert, dass Gott in ihres dunkles Herz schaut und sie seinem allwissenden Blick nirgendwo entgehen (siehe Psalm 139).

Mit Hilfe der neuen Technik hat Washington unbemerkt die amerikanische Demokratie – die auf dem Papier nicht verändert werden muss – in einen totalitären Überwachungsstaat verwandelt.

Warum ist die unverletzte und unbeobachtete Privatsphäre so entscheidend wichtig? „Der Privatbereich ist der Ort, wo Kreativität und Widerspruch entstehen und Dogmen in Frage gestellt werden.“

Mit anderen Worten: der Privatbereich ist der Mutterboden des autonomen Denkens, auf dem die Persönlichkeit ungekrümmt, ohne Furcht vor Repression, aber auch ohne vergiftete Aussicht auf Seligkeit, aufwachsen und sich ungehindert entwickeln kann.

Amerika sei ohnehin seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs keine wahre Demokratie mehr, so Greenwald im Interview. Schon Eisenhower hätte vor dem „militärisch-industriellen Komplex“ gewarnt, der im Kern immer bestehen bleibe, gleich, welche Regierung gewählt werde. Auch Barack Obama war nur ein ausgesuchter Pappkamerad, der mit seinem anfänglichen Charme das miserable Image der amerikanischen Regierung in der Welt verbessern sollte – ohne den ehernen Kern der Macht auch nur im Geringsten zu verändern.

Das amerikanische Trio Snowden, Greenwald und Poitras hat mit seiner Entlarvungskampagne einen entscheidenden Wendepunkt in der öffentlichen Weltmeinung herbeigeführt. Doch noch sind wir erst in den Anfängen des Widerstands.

Vieles wird von der Qualität der Vierten Gewalt abhängen. Doch von seinen Kollegen hat Greenwald keine hohe Meinung: „Heute empfinden viele Journalisten ein Lob der Regierung für „verantwortungsbewusste“ Berichterstattung – also dafür, dass sie sich von ihr vorschreiben lassen, was sie veröffentlichen sollen und was nicht – als eine Ehre. Daran zeigt sich, wie schlecht es mittlerweile um den kritischen Journalismus in den Vereinigten Staaten bestellt ist.“

Auch wir in Deutschland können daraus nur die Schlussfolgerung ziehen: allen desolaten Vier Gewalten mit der Macht des freien Wortes Beine zu machen.