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Christliche Grundwerte

Hello, Freunde christlicher Grundwerte,

Ost und West driften auseinander. Was ist der Unterschied zwischen Orient und Okzident? Dass beide Hemisphären dieselben christlichen Grundwerte wollen.

Wenn zwei Christen dasselbe wollen, wird’s gefährlich. Im christlichen Glauben ist dasselbe nicht das Gleiche. Dem einen ist Heil, was dem andern Unheil ist.

In Wien tagten Rechte aus Ost und West. „Offizielles Thema dieses merkwürdigen Treffens war die Zukunft christlicher Grundwerte in Europa.“ Putins Chefideologe Alexander Dugin traf sich mit prominenten Rechtsextremen aus dem Westen.

„Russland muss Europa erobern, eingliedern, anschließen“, verkündete Dugin den Westeuropäern. Russland müsse den degenerierten Westen vor den Gefahren eines „liberalen Nihilismus“ und einer „Homosexuellendiktatur“ erretten. „Ihr seid nicht in der Lage, hier für Ordnung zu sorgen, wir schaffen das. Wir lösen das Problem Zuwanderung nach dem Motto: Koffer – Bahnhof – Los geht’s!“ (Ralf Leonhard in der TAZ)

Was sind christliche Grundwerte? Der katholische Bischof Kurt Krenn: „Die sogenannten autonomen Werte, die wir aus unserem Menschsein deduzieren, sind keine christlichen Werte.“ (Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn: Der Liberalismus ist das politische Übel unserer Zeit in: Michaela Schlögl (Hg.) Woran glaubt, wer glaubt 16 Gespräche über Gott und die Welt, Wien 1999)

Der Bischof weiß, was Paulus unter einem christlichen Grundwert versteht. Der Gemeinde in Korinth, in der ein Sohn „die Frau seines Vaters hatte“, verordnete der Völkermissionar der Gemeinde, dass

der „Betreffende dem Satan übergeben werden solle, zum Verderben des Fleisches, damit der Geist gerettet werden kann am Tage des Herrn.“

Sind christliche Grundwerte allgemeine Menschenrechte? Dann höre man Paulus: „Wer im Herrn als Sklave berufen worden ist, der ist ein Freigelassener des Herrn und wer als Freier berufen worden ist, der ist ein Sklave Christi.“ Wer jetzt schon als Bürger Gottes im Himmel lebt, was braucht der Menschenrechte satanischer irdischer Staaten?

Altpapst Benedikt ist d’accord mit Putins Missionierung Europas. Der EU warf der Papst vor, ihre christlichen Wurzeln zu vergessen. Es ginge um „eine «einmalige Form der Apostasie», um eine Abwendung vom Glauben. Europa scheine «mehr und mehr die Existenz universeller und absoluter Werte in Frage zu stellen», sagte er.“ (Süddeutsche.de)

Es geht um die Seele „Eurasiens“. Nicht, dass sie christlich sein soll – das ist in Ost und West unbestritten –, sondern wie christlich sie sein soll. Nach westlichem oder östlichem Erlösungsmodell?

Der Vatikan wird sich nicht dem Kreml anschließen, er müsste befürchten, unter die Knute der Russisch-Orthodoxen zu geraten. Rom wird sich mit Washington koordinieren, um das westliche Kapitalismus-Credo als alleinseligmachende Botschaft der Welt zu verkünden.

Obama geht auf Konfrontation gegen Putin und stärkt die östliche Flanke der EU mit brüderlichen Flugzeugen. Andreas Zumach spottete in der TAZ, der Präsident sollte Polen die Atomwaffe geben, damit Putin nicht auf falsche Gedanken komme.

Man hat den Eindruck, den USA käme Putins Kraftmeierpolitik gerade recht, um an der Flanke zum Osten für klare Verhältnisse zu sorgen. Hatte Obama nicht angekündigt, Amerika werde sich künftig mehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigen, als überall auf der Welt für Ordnung zu sorgen? Wenn er nun die östliche Flanke in Europa gegen Russland sichert, kann das nur bedeuten, dass er die EU als 51. Staat der USA einverleibt hat.

Moskau und Washington werden die beiden künftigen christlichen Zentralen der Welt, die um den Titel der wahren Glaubenshüter kämpfen werden. Schon lange keinen zünftigen Religionskrieg mehr erlebt.

Auch Deutschland rüstet auf. Um seine protestantische Weltgeltung wieder zu gewinnen, wird das Lutherjahr als staatliches Sakrament im Dienste von Thron & Altar geplant. An nichts soll gespart werden. Millionen Euros stehen bereit, um die Mär vom deutschen Supermann, Gewissenserfinder und Freiheitshelden in allen deutschen Landen zu verkünden.

Staat, Kirche und illustre Vertreter der Wissenschaft finden sich zum Glaubensbund, das weltliche und geistliche Schwert akkordieren sich cäsaropapistisch, unterstützt und begleitet von Vertretern der Wissenschaft, die ihre intellektuelle Redlichkeit am Altar geopfert haben. Der Augsburger Religionsfriede wird glanzvoll erneuert und ausgeweitet: wessen das Land, dessen die Religion; wessen die Religion, dessen das Land.

Dem erstarkten Papismus in der Welt müssen die erwachten Protestanten Paroli bieten. Dort stehen sie, sie können nicht anders: die Botschaft des Doktor Martinus soll der Welt zeigen, dass es nicht nur das erste, zweite und dritte Rom gibt, sondern auch Wittenberg und Genf und dass der Protestantismus als calvinistischer Kapitalismus die Welt erobert hat.

Wer ist Weltmacht Nummer Eins? Nicht der Kreml, schon gar nicht die bedeutungslosen katholischen Staaten, in denen der Wurm der Glaubenslosigkeit steckt. Es ist Washington, Genf Nummer Zwo, das mit seiner Glaubensstärke, manifestiert durch Militär, NSA und Mammon, den Planeten unter Kontrolle hat.

Das Bündnis Luther 2017, 500 Jahre Reformation, hat ein Kuratorium, einen Lenkungsausschuss und einen wissenschaftlichen Beirat. Im Kuratorium sitzen Vertreter der Regierung, Ministerpräsidenten der Länder, selbst Seehofer aus dem katholischen Bayern will beim nationalen Lutherschwur nicht abseits stehen. Im Lenkungsausschuss sitzen Oberbürgermeister und Repräsentanten aller Landeskirchen, im wissenschaftlichen Beirat lesen wir Namen bekannter Professoren, von Aleida Assmann, über den ARD-Politologen Korte, den Mannheimer Germanisten Hörisch bis zum Ex-Richter aus Karlsruhe, Udo Di Fabio als Vorsitzendem der Lutherpropagandisten. (www.luther2017.de)

Di Fabios Artikel in der FAZ: Luther als Kompass der Welt, war offensichtlich die Ouvertüre für die Werbekampagne. Nun wird in Stadt und Land, in Schulen und Universitäten, in den Öffentlich-Rechtlichen und allen christogenen Medien eine PR-Lawine losgetreten und das Wort Luthers in die Tat umgesetzt: seid untertan der Obrigkeit, murrt nicht länger als Wutbürger, seid dankbar, dass es uns im protestantischen Deutschland gut geht. Besser als haltlosen Orthodoxen in Griechenland und verlotterten Katholiken in den mediterranen Ländern. Auch das atheistische Frankreich nippelt bereits ab.

Nur das lutherische Berufsethos – jeder bleibe im Stand, in den Gott ihn berufen hat – kann unser BSP vor dem Absturz retten. Die konservative Luther-Revolution kommt wieder von oben, das Volk soll akklamieren oder das Maul halten. Deutschland soll lutherisiert werden.

Was fehlt noch? Fichte. Fichte war für viele Deutsche ein wiedergeborener Luther. Luther & Fichte, das war die Losung vieler deutscher Nationalisten in der Vorbereitungszeit zum Nationalsozialismus. Wilhelm Stapel war politischer Publizist und führender Kopf der Konservativen Revolution. Nach seinen eigenen Aussagen waren es Fichte und Luther, die ihm in der Erschütterung des Ersten Weltkrieges und der Niederlage zur Klarheit verholfen hätten:

„Das deutsche Volk“, schrieb er 1922 in einem programmatischen Aufsatz, „ist nicht eine Idee von Menschen, sondern eine Idee Gottes“. Nur eine Idee Gottes konnte ein „Schicksal“ haben. Abstrakte Ideen wie „Weltbürgertum“ konnten kein Schicksal haben. Nur Völker seien Träger des geschichtlichen Lebens. Das Recht des Einzelnen werde durch seine Stellung im Volk bestimmt; den Willen des Volkes bestimme nicht die Mehrheit, sondern der „vorbestimmte Führer“.

Es gab einen Volksinstinkt, einen „völkischen Lebensprozess“. Sittlichkeit war immer Verantwortung vor dem Volk: „Ich lebe nicht nur mir allein, sondern in der Kette der Geschlechter und im Ringe des Volkes. Ich bin sittlich gebunden durch die Treue gegen unsere Vorfahren und durch die Sorge für unsere Nachkommen.“

Warum lehnen die Deutschen Fremde und Hilfesuchende aus fernen Ländern ab? Jene haben keine deutschen Vorfahren, können ihnen auch nicht treu bleiben. Das ist bereits der Vorraum zur arischen Rassenlehre.

Was gehört zu den christlichen Grundwerten? Die christliche Nächstenliebe? Unbedingt! Fragt sich nur, was man darunter verstehen soll.

Dem theologischen Umkreis der Konservativen Revolution – die später nahtlos in die NS-Ideologie überging – können wir die artgemäße Deutung der Agape entnehmen. Christliche Nächstenliebe sei nicht die „die allgemeine humane Menschenliebe, sondern die Hingabe von Gut und Blut fürs Vaterland. Vom Standpunkt der Erhaltung des deutschen Volkstums aus sei auch der Antisemitismus sittlich berechtigt und entspricht dem Gehorsam gegen die gottgegebenen Naturgesetze.“

Mit Luther und Fichte befindet sich die evangelische Kirche auf dem rechten Kurs zur nationalen Ertüchtigung und zur Verengung auf eine chauvinistische Identität. Die religiös gleichgerichteten Medien werden die Direktiven des Luther-Komitees freudig übernehmen und das Land mit reaktivierten Parolen von „1914“ überfluten.

Ohnehin gibt’s bei uns keinerlei Erinnerung an unsere Nachbarländer, die sich bei der demokratischen Gründung Europas außerordentliche Verdienste erworben haben. Verdienste, von denen die heutige BRD lebt, webt und ist.

Das lutherische Erbe in politischer Hinsicht ist absolute Untertänigkeit unter jegliche Obrigkeit, sie sei noch so verbrecherisch und satanisch. „Kein Unrecht der Obrigkeit gibt Recht zu Aufruhr.“ Aus einem Kirchenlexikon: „Luther sah keine Veranlassung, an der bestehenden Ordnung zu rütteln, er war nicht der Meinung, dass diese selbst durch die Sünde des Menschen so bestimmt sei, dass Reformen nötig wurden.“ (RGG)

Wer aus diesen Zeilen nicht Merkels Regierungsmaxime des planlosen Durchwurstelns erkennen kann, dem ist nicht zu helfen. Sind keine Reformen notwendig, wird der Segen Gottes auf dem irdischen Improvisieren seiner Knechte und Mägde nicht fehlen. Ohnehin geht’s um nichts, wenn in jeder Generation der Messias vor der Türe steht.

Wie Augustin spaltet sein Schüler Luther den irdischen Staat in Reich Gottes und Reich des Satans. Der Christ ist Bürger zweier Welten. Als Frommer ist er freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Er ist auch keinem Gesetz unterworfen – außer dem göttlichen: „Den Christen kann durch keinerlei Recht irgend etwas Gesetzliches auferlegt werden, weder von Menschen noch von Engeln, außer, soweit sie selbst wollen, denn wir sind frei von allen.“

Der Christ bedarf auch keines Gesetzes. Wären alle Menschen Christen, so wäre nicht Staat noch Gesetz nötig. Die Arroganz der Christen gegenüber dem irdischen Staat ist nicht zu überbieten. Gäb‘s keine Ungläubigen, bräuchte die fromme Gemeinde weder Polizei noch Gesetze oder gar Militär.

Die Gottlosen sind grundsätzlich unmoralisch und müssen an die Kandare weltlicher Gesetze gelegt werden. Hier sehen wir das Quellgebiet der Böckenförde-Doktrin. Ohne die erleuchtete Moral der Kinder Gottes bräche jeder Staat zusammen. Nur den Christen verdankt der satanisch-irdische Staat seine provisorische Stabilität.

Wen wundert‘s, dass bei diesem dämonisierten Staat nie eine demokratische Gesinnung aufkommen konnte. Nicht mal bei Kant, dessen Eltern fromme Pietisten waren. „Demokratie“ schreibt Kant, „ist die Staatsverfassung, bei der alle zusammen die Herrschergewalt besitzen. Sie ist ein Despotism, in dem eine repräsentative Regierungsart unmöglich ist, weil alles da Herr sein will.“

Wenn nicht mal deutsche Aufklärer fähig waren, das demokratische Prinzip zu verstehen, wer sollte es verstehen? Das Unverständnis ist bis heute geblieben. Ist ein Staat äußerlich geordnet, funktioniert seine Polizei – was soll dem fehlen?

Ein sozialer Rechtsstaat ist in sich eine Demokratie, so der Freiburger Historiker Herbert. Von wem das Recht stammt, ob es recht-mäßig angewandt wird, ob es zur Gewaltenteilung und zur Einrichtung der Judikativen gekommen ist, alles einerlei. Bis heute hat sich noch nicht herumgesprochen, dass auch das Rechtswesen vom Volk zu bestimmen ist. Juristen, die sich über Volkes Stimme erhaben fühlen, neigen zur platonischen Unfehlbarkeit.

Menschenrechte kennt Luther nicht. Denn Luther kennt keine Menschen. Er kennt nur Gläubige und Ungläubige. Der Fromme muss sich nicht sklavisch an moralische und staatliche Gesetze halten, sie gelten im Grunde nur für die Gottlosen. Pecca fortiter, sed fide, sündige tapfer, wenn du nur glaubst, das ist die Überheblichkeit der Erwählten über alle Gesetze dieser Welt.

Auch Gottes Gebote müssen nicht sklavisch befolgt werden. Wenn der Sünder seine Sünden aufrichtig bereut, schaut Gott durch die Finger. Luther hatte den Ablasshandel verworfen, die Möglichkeit, per Geld sich seine Seligkeit zu erkaufen. Nun ersetzt er Geld durch Reue und Buße und schon wieder kann durch eine menschliche Tat das Himmelreich „erkauft“ werden. Die Währung besteht nicht in Mammon, sondern in Gesinnung.

So wurde die Gesinnung in Deutschland käuflich. Einerseits die peinlich genaue Einhaltung der Paragrafen, andererseits die selbsterteilte Legitimation zur maßlosen Selbstjustiz wie bei dem Lutheraner Heinrich von Kleist, dessen Romanfigur Michael Kohlhaas eher Himmel und Hölle einschlug, als von seinem alles verwüstenden Zorn zu lassen.

Die antinomische Lizenz zur maßlosen Amoral gab den NS-Schergen das gute Gefühl, die Welt nach Belieben in Schutt und Asche zu legen. In der Selbstermächtigung zum Zorn, der vor nichts Halt macht, darf der Christ seinen Gott zum Vorbild nehmen. Er ist gottebenbildlich, wenn er die Welt mit seinem Zorn vernichtet. „Denn es offenbart sich der Zorn Gottes vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Gerechtigkeit der Menschen.“

Vom heiligen Zorn, der sich selbst zu allem Tun ermächtigt und sei es noch so unmenschlich, ist heute keine Rede mehr. Man säuselt lieber von Nächstenliebe. Am Ende aller Tage wird der Zorn Gottes den Bösen gegenüber unermesslich sein: „Und der Engel legte seine Sichel an die Erde und schüttete die Trauben in die große Kelter des Zornes Gottes. Und es floss das Blut aus der Kelter bis an die Zügel der Pferde, 1600 Stadien weit.“

Die Verächter der irdischen Gesetze sind keiner Moral untertan – wenn sie sich von aller Moral freisprechen. Himmlers Geheimrede zur „Sündenlosigkeit“ der SS, selbst wenn sie in Blut watet, war ohne den heiligen Zorn der lutherischen Tradition unmöglich.

Russland kehrt zurück zur orthodoxen Tradition, um sein weltüberlegenes Christentum auszugraben, Amerika hat den Glauben an seinen welterobernden Neocalvinismus nie verloren. Nun kommt Deutschland, das Reich der europäischen Mitte, um seine lutherischen Deformationen als Kompass für die Welt zu preisen.

Dieser betörende Dreiklang wird die Politik zwischen Washington, Berlin, Kiew und Moskau in naher Zukunft bestimmen.