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Tagesmail

Gauck und Lammert

Hello, Freunde der Interessen,

Demokratie ist nicht wahrheitsfähig, skandieren im höheren Chor die beiden höchsten Persönlichkeiten unserer Demokratie. Beides wackere und aufrechte Männer, die keine Angst haben, ihre göttliche Meinung dem unwahren Volk ins Gesicht zu schmettern. Wie Jesaja schleudern sie ihren Zorn ins Volk – doch das verstockte Volk will nicht hören. Gleichgültig und unbelehrbar wendet es sich seinen Tagesinteressen zu.

„Eure demokratischen Wahlen und Abstimmungen hasst unsere Seele, in ihnen ist nicht der Hauch einer Wahrheit. Ihr lasst euch von Interessen leiten. Eure Interessen sind nicht wahrheitsfähig, und alles, was nicht wahrheitsfähig ist, stammt vom Vater der Lüge. Eure täglichen Meinungsfluten – Unflat! Eure endlosen Debatten und Stimmenzählen – Greuel! Eure politischen Feste hasst unsere Seele. Sie sind uns zur Last geworden, wir sind müde, sie zu tragen. Und wenn ihr noch so viel im Bundestag debattiert, wir hören es nicht. Und wenn ihr noch so viele Kampagnen startet, wir verhüllen unsere Augen vor euch. Tut hinweg eure vorletzten Taten, tut endlich das Letzte, damit wir sagen können: ihr seid die Allerletzten“.

Für die beiden Unheilpropheten ist Demokratie etwas Minderwertiges, etwas, was sie in Barmherzigkeit und Lindigkeit gerade noch ein Weilchen ertragen. Denn lange wird’s nicht mehr dauern, bis der Herr das theatrum mundi beenden wird. Wenn der Herr der Wahrheit kommen wird, wird das demokratische Lügengebäude in sich zusammenfallen.

Schon jetzt würde es in sich zusammenkrachen, wenn die beiden Herren nicht – wie Mose – ununterbrochen ihre Hände gen Himmel richteten, um den Segen fürs törichte Volk zu erbitten – das den Segen gar nicht verdient hat. Vielleicht gibt es

noch fünfzig Gerechte und um ihretwillen flehen sie zum Himmel? Vielleicht nur zwanzig, oder gar nur zehn? Ich will die Demokratie, spricht der Herr, um der zehne willen nicht verderben. Dann ging der Herr hinweg, als er mit den beiden Männern zu Ende gesprochen hatte.

Gauck aber und Lammert kehrten zurück an ihren Ort. Der eine nach Bellevue, der andere in den Bundestag, damit er seine Abgeordneten weiterhin abhorchen konnte. Er musste wissen, was die Gewählten klammheimlich dachten, um deren Lügengespinste mit dem Interesse Gottes zu unterlaufen.

Ohne die beiden Vorbeter und ihre aufwärts blickenden Nachahmer wäre die Demokratie längst hinüber. Die Frommen wissen und glauben, dass keine Volksherrschaft ohne Segen von oben auch nur einen Tag überleben könnte. Ohne Beten und Harren wäre alles Tun umsonst, auch in dem besten Leben. Suchen sie nicht nach der Wahrheit? Lernen sie nicht ein Leben lang? Umsonst, es ist alles ein Haschen nach Wind.

„Gerade ein liberaler Staat brauche religiöse Bezüge und Begründungen, sagte Lammert am Freitagabend in Würzburg. «Ohne Verständnis für die Bedeutung von Religionen gibt es in freien Gesellschaften keinen Halt.» Während Religion von Wahrheiten handele, gehe es bei Politik um Interessen. Beides sei zentral, aber nicht dasselbe. «Wahrheit ist nicht mehrheitsfähig. Interessen sind nicht wahrheitsfähig», erklärte der Bundestagspräsident.“ (Islamische Zeitung) [Dieser Link war einen Tag später nicht mehr zu erreichen. Seltsam?]

Worte wie Donnerhall, in der deutschen Republik Trivialitäten, nach denen sich keiner mehr umdreht. Demokratie, die Erfindung heidnischer Griechen, wird – nachdem das Christentum sich lange bemüht hatte, ihre Einführung mit Feuer und Schwert zu unterbinden – vom Christentum eingemeindet, als wäre sie ein Stück von ihm. Erneut war die Strategie der Kirchen erfolgreich. Zuerst alles ausrotten, was ihnen widerspricht. Hilft dies nicht, sich an die Spitze der feindlichen Bewegung setzen und tun, als hätte man sie erfunden.

Oh ja, die Ungläubigen lernen. Sie lernen lebenslang, allein, ohne die geringste Aussicht, die Wahrheit zu finden. Wendet euch von jenen ab, die „immerdar lernen und niemals zur Erkenntnis der Wahrheit kommen können.“ Hier hilft kein irdisches Lernen. Hier hülfe nur die Botschaft von oben, die man hören und akzeptieren müsste.

Gerade ein liberaler Staat brauche religiöse Bezüge und Begründungen, sagte Lammert am Freitagabend in Würzburg.“ Gerade ein liberaler Staat? Hier haben wir ihn wieder, den alten Hass der Deutschen gegen den Krämerliberalismus der angelsächsischen Vettern, der zum Ersten Weltkrieg geführt hat.

Lammert auf den Spuren der antiwestlichen Bewegung 1914 gegen die verderblichen Ideen der Revolution von 1789. Warum gerade der Liberalismus? Weil er eine Freiheitsbewegung war, bevor die Wirtschaft sich über ihn hermachte und als gefügigen Dienstboten einstellte.

Frei wovon? Frei wozu? Frei von klerikaler und despotischer Bevormundung, frei zur autonomen Vernunft jedes Einzelnen.

Freiheit ist in Deutschland gleichbedeutend mit Zügellosigkeit und Willkür. Der Grund liegt in der theologischen Voluntarismus-Debatte des ausgehenden Mittelalters, ob Gott den Gesetzen der Natur und seiner geoffenbarten Moral untertan sei oder ob er willkürlich und omnipotent alle Gesetze der Natur und der Zehn Gebote über den Haufen werfen könnte.

Ist er allmächtig, könnte er seinen eigenen Gesetzen nicht unterworfen sein. Wirft er die Naturgesetze über den Haufen, macht er Zeichen und Wunder. Wirft er die moralischen Gebote über den Haufen, wird er antinomisch. Dreimal darf man raten, welche theologische Schule sich in der Neuzeit durchsetzte.

Da der Mensch Gottes Ebenbild ist, hat er Anspruch auf dieselbe zügellose Freiheit wie sein Schöpfer.

Zügellose Willkür-Freiheit war das Vorbild des heraufdämmernden Frühkapitalismus. Bei Adam Smith, einem Anhänger der griechischen Stoa, ist Freiheit noch durch Vernunft gebändigt. Doch schon bei Pfarrer Malthus, dem Begründer der „schwarzen Ökonomie“ (= Natur ist knauserig und knapp, es gibt immer zu wenig für zu viele; wer zuerst rafft, rafft am besten; Glück für die Schlitzohrigen, Pech für die Vielzuvielen) wurde Freiheit zur einseitigen Freiheit der Starken und Reichen, die sich die Welt antinomisch unter den Nagel rissen.

Die amerikanische Ökonomie vollends – nach vielem Hin und Her – propagierte ab Ronald Reagan die grenzenlose Freiheit für Milliardäre. Die Freiheit der Überflüssigen und Nichtsnützigen fegten sie vom Tisch. Dass Freiheit soziale Ausbalancierung ist, ein wechselseitiges Geben und Nehmen in der Gesellschaft, nicht die autistische Eigenschaft von Einzelnen, das hat man in den oberen Etagen vergessen.

Neoliberale wollen auch bei Rot über die Ampel, Gesetze sind nur für die andern da. Deshalb hassen Neoliberale den Staat, der sich anmaßt, ihnen Gesetze vorzuschreiben. Sie sagen Staat, meinen aber das ungewaschene Volk, den Souverän jeder Volksherrschaft.

Der Kampf der Reichen gegen den Staat ist ein anonymer Kampf gegen Volk und Demokratie. Würden die Reichen sich durchsetzen, wäre Volksherrschaft am Ende.

Lammert und seine Christenpartei denken wie die Neoliberalen: Freiheit ist grenzenlos und willkürlich. Nur ziehen sie eine andere Schlussfolgerung: Freiheit ist gefährlich und muss an die Kette gelegt werden. Zur Freiheit ist der sündige Mensch unfähig. Nur die Freiheit Gottes kann ihn wirklich frei machen – in Gehorsam.

Frei ist der Mensch, wenn er sich den Geboten Gottes beugt, vor der Kirche kuscht. Deshalb braucht gerade der Liberalismus die Oberherrschaft der Kirche. Wenn der Klerus nicht auf die Wilden auf der Straße aufpasst, ist in Deutschland Polen offen.

In der Aufklärung, so Lammert, sei man übereingekommen, die Wahrheit Wahrheit sein zu lasen und zur wahrheitslosen Mehrheitsabstimmung überzugehen. § 1: Christen lügen immer. § 2: Lügen sie ausnahmsweise nicht, gilt §1.

„Deswegen habe man sich im Zuge der Aufklärung darauf verständigt, dort die Mehrheit entscheiden zu lassen, wo sich die Wahrheit nicht abschließend klären lasse, führte er weiter aus. Das bringe aber auch mit sich, dass politische Entscheidungen oft nur zeitlich befristet Bestand hätten. Der Versuch, den Menschen zum Maßstab aller Dinge zu machen, sei eine Voraussetzung für das Unrechtsregime der Nationalsozialisten gewesen. Aus dieser Erfahrung heraus sei die Verantwortung vor Gott in die Präambel des Grundgesetzes eingegangen.“

Das sind infame Lügen. Aufklärung ist jene Epoche, die die Wahrheit der Vernunft gegen die Wahrheit der Offenbarung in Stellung brachte. Ausgerechnet Vernunftfreunde sollten die Wahrheit wegen „Unklärbarkeit“ in den Wind geblasen haben?

Nur ein Punkt stimmt: abschließend lässt sich keine Wahrheit klären. Jederzeit kann ein Selbstdenker den herrschenden Konsens in Frage stellen und der Öffentlichkeit eine neue These präsentieren. Es ist sein gutes demokratisches Recht, seine Meinung erneut auf den Marktplatz zu bringen, zu debattieren und neu abstimmen zu lassen.

Die Wahrheit des demokratischen Mehrheitswahlrechts ist die sukzessive Wahrheit des Volks, das in Irrungen und Wirrungen lernen und sich einer hypothetischen Endwahrheit nähern kann. Diese aber darf nie benutzt werden, um den Wahrheitsprozess des demokratischen Suchens per ordre de mufti abzuwürgen.

Eine unfehlbare Instanz – wie der Papst im Vatikan oder die Weisen in der platonischen Utopie – wäre der Tod der Demokratie und der Übergang zum Faschismus.

Lammert wiederholt die Demokratiefeindlichkeit der deutschen Klassik, die Schiller in seinem Demetrius so formulierte: Stimmen soll man wägen und nicht zählen. Die Stimmen der Weisen und Klugen sollen mehr zählen als die Stimmen des Plebs. Kein einziger unter den deutschen Dichtern und Denkern war leidenschaftlicher Demokrat. Alle waren sie Anhänger einer christogenen Aristokratie oder der Thron&Altar-Monarchie.

In der Weimarer Republik wurden die Gelehrten zu hasserfüllten Feinden der jungen Demokratie. Dass Weimar unterging und einem Führerregime Platz machen musste, verdanken wir nicht zuletzt Gebildeten mit hohem IQ und Professoren hinter irrtumslosen Kathedern. Je gescheiter die Leute, je mehr wollen sie Macht für ihre genialen Spirenzchen. Jüngstes Beispiel ist Silicon Valley.

Lammert scheint von Philosophie so viel zu verstehen wie Schröder von einer Proletenpartei. Der Mensch ist das Maß aller Dinge: der Satz des Protagoras bedeutete, der Mensch an sich ist das Maß aller Dinge. Nicht ein Mensch, nicht eine bestimmte Rasse und Klasse, bestimmt nicht der Hellene, der Athener, der Weise, der Deutsche.

Im Nationalsozialismus war nicht der Mensch das Maß aller Dinge, sondern der Übermensch, der Arier, der rassisch Überlegene.

Platon, Gegner des Protagoras und Erfinder des Urfaschismus, formulierte den Gegensatz zu Protagoras: Gott – nicht der Mensch – ist das Maß aller Dinge. Für Platon klang der Satz des Sophisten zu demokratisch, zu wenig aristokratisch, zu wenig faschistisch. Er unterschied zwischen wahren und falschen Menschen, erleuchteten Führern und folgsamer Masse. Platon verwarf die universelle Bedeutung des Wortes Mensch.

Nicht Protagoras, der Gegner des Protagoras, gehört zu den Gründervätern des Faschismus. Es gibt für ihn eine unfehlbar wissende Instanz, die Klasse der Weisen, die das Volk mit Macht und Gewalt zwangsbeglücken darf.

Hat Lammert in seiner Sonntagspredigermentalität je Popper gelesen? In Deutschland können Christen das Blaue vom Himmel imaginieren, die Medienmeute schweigt und zeigt sich völlig unbeleckt und abgeneigt.

Der Gott in der Präambel sei die Konsequenz aus den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus? Hat Lammert alle führenden protestantischen und katholischen Dogmatiker gelesen, die den Führer als neuen Messias priesen? Sind die Begriffe „Drittes Reich“ und „1000-jähriges Reich“ nicht uralte theologische Begriffe? Hat Katholik Lammert die Werke des Wiener Katholiken Friedrich Heer studiert? Vor allem dessen Buch „Der Glaube des Adolf Hitler“?

Womit wir bei Benedikt und Habermas angekommen wären, deren steile Thesen über die Vereinbarkeit von Vernunft und Offenbarung nur zeigen, dass Ratzinger Leiter der päpstlichen Inquisition und Habermas das Gegenteil eines Aufklärers war. Er ist ein typisch deutscher Gegenaufklärer, der angibt, persönlich nicht religiös zu sein. Doch seinen Nichtglauben setzt er geschickt ein, um seinem Großvater, einem protestantischen Dekan, die nachträgliche Ehre zu erweisen. Aus der Psychologie weiß man, dass Enkel und Großeltern oft eine innige Beziehung haben.

Im Gegensatz zu Luthers Vernunfthass war Thomas von Aquin, Urvater der katholischen Theologie, der Meinung, in weltlichen Dingen habe die griechische Vernunft ein Mitspracherecht. Aristoteles wurde gar zum „naturwissenschaftlichen Kirchenvater“ ernannt. Doch nur in weltlich-irdischen Fragen durfte die Vernunft mitreden, nicht in übervernünftigen Glaubensfragen.

Niemals aber konnte die Vernunft den Glauben kontrollieren. Das wäre, als ob der Mensch Gott ins Handwerk pfuschen könnte. Bei Paulus wird Vernunft, die Weisheit der Welt, zur Torheit vor Gott. „Sehet zu, ob euch etwa jemand des Glaubens berauben will durch die Philosophie und leere Täuschung, gestützt auf die Überlieferung der Menschen.“ (Kol. 2,8) „Vernichten werde ich die Weisheit der Weisen und die Einsicht der Einsichtigen werde ich verwerfen“. (1.Kor. 1,19) „Und meine Rede und meine Predigt bestand nicht in überredenden philosophischen Worten, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft.“ „… dass euch niemand betrüge mit vernünftigen Reden“. (Kol. 2,4)

Dass Vernunft durch Glauben kontrolliert werden könne, ist ein schlechter Treppenwitz. Vernunft kann nur durch Vernunft korrigiert werden. Vernunft ist die Tätigkeit des eigenen Kopfes, nicht das Denken mit einem fremden autoritären Kopf.

Habe Mut, dich deines eigenes Verstandes zu bedienen – ohne Leitung eines andern. Schon gar nicht der Leitung durch Offenbarung. Lammert regrediert à la Novalis ins Mittelalter und will die Mündigkeit des aufgeklärten Menschen revidieren. Er ist antidemokratischer Revisionist und will die Aufklärung ungeschehen machen.

Wenn Demokratie ohne christliche Werte nicht existieren könnte, müsste sie folgerecht das Christentum als Pflichtreligion einführen. Niemand könnte Demokrat sein, wer kein Christ sein wollte. Das wäre indirekte Erpressung zu einem bestimmten Credo und mit Glaubens- und Meinungsfreiheit unverträglich. Wäre nur der christliche Glaube Staatsglaube oder auch Judentum und Islam? Mit raffinierten Methoden wird hier der Abriss der Demokratie und die Installierung einer Lammert- und Gauck-Theokratie vorbereitet.

Interessen sollen nicht wahrheitsfähig sein? Dann wäre das Interesse an einer intakten Demokratie, am Überleben der Menschheit, am Herstellen humaner Lebensbedingungen – ohne Wahrheitsgehalt?

Hier zeigt sich das unselige Erbe des Marxismus, der nur materielle Interessen der Menschheit kennt. Nicht durch Ideen, Gedanken oder moralische Überlegungen wird der Mensch geleitet (die nur Überbauten sind), sondern von handfesten Interessen, die durch abstrakten Streit um Wahrheiten nicht lösbar sind.

Dieser Gegenschlag gegen den „heuchlerischen Idealismus“ schlug bei den Nachkriegseliten wie eine Bombe ein und beherrscht seitdem alle Feuilletons. Wenn der Materialismus eine Lehre von Gottlosen ist, die an Wahrheit kein Interesse haben, müssen alle Interessen ohne Wahrheitsgehalt sein.

Habermas schrieb ein Buch über Erkenntnis und Interesse, das die Interessen dem Geist zurückerobern wollte. Interessen, so Habermas, dienen der Lösung von Systemproblemen. Zu diesen gehören alle überlebensnotwendigen Probleme der Menschheit vom Kapitalismus bis zur ökologischen Frage. Alles geist- und wahrheitslose Interessen? Gibt es hier keine Argumente, nur triebgesteuerte „viehische“ Bedürfnisse, die alle unterschiedslos unwahr sind?

Christen beuten die postmoderne Allergie gegen Wahrheit aus, um sie mit ihrer eigenen unfehlbaren Gotteswahrheit zu kurieren. Wenn politische Interessen ohne Wahrheit sind, brauchen wir uns über geistverlassene Politdebatten in der Öffentlichkeit nicht zu wundern.

Wenn es keine logischen, politologischen, psychologischen und ökologischen Argumente gibt, wäre jede Debatte im Bundestag eine Schlägerei unter Blinden. Es würde siegen, wer die größere Macht hätte oder über die hinterfotzigste Rhetorik verfügte.

Gauck setzt dem Ganzen die Krone der Unvergänglichkeit auf:

Die Kirchen, so Gauck, würden auf einen fundamentalen Unterschied hinweisen: das Irdische sei nur das Vorletzte, die Kirche sei Instanz des Letzten. „Die Kirchen hielten in der Gesellschaft eine fundamentale Differenz offen: Die zwischen „dem Vorletzten“, den menschlichen Dingen, und „dem Letzten“, dem Unverfügbaren. Diese Differenz mache deutlich, dass in einer Demokratie zwar Mehrheitsentscheidungen zählten – „vollkommen zu Recht“, wie Gauck hervorhebt –, damit über die Wahrheit aber noch nichts entschieden sei. Gauck führt das aus: «Es macht die Befragung unseres Gewissens zugleich freier und ernster, wenn wir uns im Letzten vor einer Instanz verantwortlich wissen, die wir nicht selbst gemacht und mehrheitlich bestimmt haben».(Reinhard Bingener in der FAZ)

Gott ist die oberste, die letzte Instanz, vor der sich alle Menschen rechtfertigen müssen. Ohne Gott gibt es keine Entscheidung zwischen Meinungen und Meinungen. Demokratische Mehrheitsentscheidungen sind belanglos, sie entscheiden nie über Wahrheit oder Unwahrheit einer Sache. Gebet dem Kaiser, was das Vorletzte ist, Gott aber das Letzte und Entscheidende.

Verglichen mit der unsichtbaren Kirche, die im Jüngsten Gericht über das ewige Schicksal jedes Menschen mitentscheiden wird, sind demokratische Abstimmungen substanz- und belanglos. Christliche Politiker können nichts anderes tun, als dem Untergang geweihte irdische Gesellschaften improvisierend und lavierend durch die Zeiten zu steuern. Angela Merkel wird sich hier wiedererkennen.

Zu retten und zu verbessern ist hienieden nichts. Menschliche Utopien wären lachhafte Konkurrenzunternehmen zur ewigen Stadt Gottes.

Gauck und Lammert zeigen, was sie vom irdischen Staat und von demokratischer Autonomie halten: fast nichts. Staaten sind für sie notwendige Übel auf der Zeitreise ins Goldene Jerusalem. Dort angekommen werden sie dem Erdboden gleich gemacht: die Erwählten ins Töpfchen, die Verworfenen ins Kröpfchen.

Haben die beiden Herren keine Interessen an der baldigen Ankunft der civitas dei? Haben sie nicht das dringliche Interesse, die heidnische Volksherrschaft dem Diktat ihres Glaubens zu unterwerfen? Sind ihre Interessen ohne Wahrheitsgehalt?

Gaucks und Lammerts Predigten sind fundamentale Misstrauenserklärungen gegen die autonome Lebensfähigkeit der Demokratie, die nicht auf heiligem Boden, sondern im heidnischen Athen erfunden wurde. Demokratie ist für sie eine zum Untergang verurteilte Idee ungläubiger Heiden. Sehnsüchtig warten sie darauf, dass dieses teuflische Werk von Gott abgerissen wird. Dann werden sie zu den wenigen Auserwählten gehören, die über die Masse der Verlorenen triumphieren.

Für ihre innige Liebe zur Demokratie sollte man ihnen schon auf Erden den päpstlichen Großorden verleihen. Mit roter Inschrift auf goldenem Grund: In diesem Zeichen wirst du siegen.