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Faustischer Pakt

Hello, Freunde des faustischen Pakts,

nun werden wir auch noch faustisch. Keine Angst vor dem Teufel, er ist auch nur ein armer Wicht – oder ein traumatisierter Möchtegerngott. (Alle Götter sind aufgeblasene Wichte). Wenn‘s der Menschheit nützt, müssen wir mit jedem Teufel ins Geschäft kommen. Wir müssen listig verhandeln – aber nicht unsere Seele verkaufen und uns mit dem Teufel verbünden.

Merkel verkauft ihre unsterbliche Seele einem Tyrannen, der sein Volk in die Pfanne haut. Sie handelt nicht mit ihm, um das Beste für die Flüchtlinge herauszuholen, sie unterwirft sich ihm in übelerregender Weise. Der Teufel muss vorgeführt, der Gott entthront werden, wenn man der Menschheit einen Gefallen tun will.

„Merkel fühlt sich innenpolitisch so unter Druck, dass sie außenpolitisch keinerlei Hemmungen mehr hat, alle Vorbehalte, die sie bislang gegen die Türkei und vor allem gegen Erdo ğ an persönlich hatte, über Bord zu werfen.“ Schreibt Jürgen Gottschlich in der TAZ.

Merkel mischt sich in den innenpolitischen Wahlkampf der Türkei ein, obgleich sie tut, als wasche sie ihre Hände in Unschuld. Für die Opposition hat sie keine einzige Minute Zeit und bestärkt auf diese Weise die Chancen Erdogans, in naher Zukunft wiedergewählt zu werden.

Erneut hat sie alle Probleme anstauen lassen, damit es keine Alternativen gibt. Der Besuch in der Türkei wird als humanitär ausgegeben, damit das obszön Politische verdeckt bleibt. „Auch Angela Merkel wollte den Vorwurf, sie leiste mit dem Besuch Wahlkampfhilfe, nicht auf sich sitzen lassen. „Es gibt Fragen die keinen Aufschub dulden“, befand sie

während der Pressekonferenz.“ (TAZ)

Immer deutlicher wird die planlose Desorientiertheit der hochintelligenten Physikerin, deren naturwissenschaftliche Nüchternheit umgekehrt proportional zu ihrem politischen Amoklauf ist. Wer nicht fähig ist, Probleme im Vorfeld zu erkennen, ihnen vorbeugend entgegen zu wirken, über den Tag hinaus zu planen, hat seinen Kanzler- Beruf verfehlt.

Merkel hat sich über die Niederungen der sündigen Politik erhoben. Das Irdische muss irgendwie abgewickelt werden. Die eigentliche Hochzeit spielt im Charismatischen.

Schuldlos ist, wer als Getriebener der Verhältnisse erscheint. Merkel inszeniert Improvisation in Permanenz. Alternativen vermeidet sie, indem sie sich durch die Zeiten treiben und jedes akute Problem in eine Sackgasse münden lässt. Politik in fahrlässig herbeigeführter Not. Sie fährt nach Augenschein oder nach Geräusch. Wenn‘s kracht im höheren Dienst, muss es richtig gewesen sein.

Schreiende Widersprüche in der Politik werden nicht nur hingenommen, sie sind willkommen als Wahrheitsbeweis allen Tuns und Machens. Gestern das Gute und Heilige, heute verworfener Machiavellismus. Gestern das Vorbildliche, heute harte Interessenpolitik: das sind die Insignien deutscher Unfehlbarkeit.

Die Ausnahme, die zur Regel der Doppelmoral führt, das Reden in kontradiktorischen Gegensätzen sind Zeugnisse inspirierten Himmelsgehorsams. Das ist deutsches Denken bis heute, das sich im Widerspruch gegen den kalten Rationalismus der Französischen Aufklärung entwickelte.

Aufklärer folgten der Logik: was sich widerspricht, schließt sich aus. Ich kann nicht im gleichen Augenblick nach links und rechts abbiegen. Versuch ich‘s dennoch, zerreiß ich mich.

Die Logik des gesunden Menschenverstandes oder der aristotelischen Logik wird ersetzt durch die Hegel‘sche Dialektik. Dialektik rottet alle Widersprüche aus, die sich nicht irgendwann vertragen wollen. Für Hegel, den ungekrönten König der Deutschen Bewegung, ist wahrheitsfähig nur, was sich widerspricht, den Widerspruch überwindet und in einer fortgeschrittenen Synthese aufhebt. Die Erfolgsspirale ist das Kennzeichen der Geschichtsgewinner.

Hegels Spirale ist die Synthese aus griechischem Kreis und linearer Heilsgeschichte. Der schwäbische Lutheraner ertrug es nicht, dass die beiden Grundelemente des Abendlands in Widerspruch liegen sollten. Das wäre die Leugnung des allmächtigen und allwissenden Gottes gewesen.

Gestern beschwor Merkel das nach Oben offene, unbegrenzte Gute. Der Mensch aber ist begrenzt. Wie kann ein begrenztes Wesen grenzenlose Moral oder unbegrenztes Wachstum erzeugen?

Ein unauflösbarer Widerspruch für vorhegelianische Logiker. Nicht für Deutsche, die im Verbund mit höheren Mächten solche Widersprüche als Motor ihrer Fortentwicklung betrachten.

Gestern das Gute mit offenen Grenzen, so Merkels Willkommenskultur; heute bereits Transitzonen, an denen Unwillkommene an der Grenze abgewiesen werden können. Doch was, wenn sie die lächerlichen Transitzonen umgehen und über die unbewachten Grenzen ins heilige römische Reich merkelscher Nation eindringen?

Also müssen die europäischen Grenzen geschlossen, Frontex militaristisch verstärkt werden. Die Türkei muss mit devotem Füßeküssen und diversen Milliarden bestochen werden, damit Flüchtlinge daran gehindert werden, über Griechenland, Bulgarien ins deutsche Kanaan vorzudringen, wo Milch und Honig fließen.

An der Ausnahme erkennt man den Ausnahmemenschen, das Genie, den Helden, die Knechte und Mägde des Herrn der Geschichte.

„Kein großer Geist, durch den das Schicksal Veränderung bewirkt, kann freilich mit allem, was er denkt und fühlt, nach der Gemeinregel jeder mittelmäßigen Seele gemessen werden. Es gibt Ausnahmen höherer Gattung und meist alles Merkwürdige der Welt geschieht durch diese Ausnahmen.“ So Herder, einer der wilden Gründerväter der Deutschen Bewegung, die die deutsche Nation aus der Taufe hob – im Widerspruch zur einfachen, schlichten Logik eines Voltaire.

Der Historiker Meinecke kommentiert den Herder‘schen Satz: „Damit improvisiert er wohl genial ein neues, der aufklärerischen Praxis entgegengesetztes Prinzip in der Beurteilung großer, schöpferischer Menschen in der Geschichte.“

Das Mantra deutscher Vernunftgegner, die Aufklärung müsse über sich selbst aufgeklärt werden, heißt keineswegs, die Defekte und Unvollkommenheiten der moralischen Einfachheit und logischen Simplizität zu korrigieren und widerspruchsfreier zu machen. Es heißt, die für germanische Ohren unerträgliche Schlichtheit des kindlichen Denkens – die Logik der Aufklärer – zu zerstören, indem man die widerlegte Religion erneut zum Leben erweckt.

Alle Dogmen des christlichen Glaubens werden der Kritik der Aufklärer entzogen. Mögen sie sich widersprechen, wie sie wollen: sie sind die beglaubigten Produkte eines göttlichen Geistes, der sich den Gesetzen menschlicher Logik nicht fügen will. Gott ist durch menschlich-heidnisches Denken nicht erfassbar. Er hat wohl die Gesetze der Moral und der natürlichen Kausalität erfunden, doch Er selbst ist ihnen nicht untertan.

Gott und der Deutsche sind jenseits von Gut und Böse, jenseits von Spruch und Widerspruch, jenseits von logischer und moralischer Konsequenzmacherei.

Woran erkennt man das Heilige? Am unauflösbaren Widerspruch, dem man sich in Demut beugen muss. Demut ist das Bekenntnis, dass wir das Übernatürliche nicht erkennen und in stiller Unterwürfigkeit anzubeten haben. Ich glaube, weil es absurd ist. Ich glaube, weil es sich widerspricht. Ich glaube, weil ich es niemals verstehen und beurteilen werde. Das Göttliche ist das ganz Andere, das mit irdischen und menschlichen Methoden nicht zu fassen ist.

Es gibt verschiedene Widersprüche: psychische und logische. Psychische lassen sich durch Erkennen und Verstehen überwinden. Logische sind unüberwindbar. Logisch widersprüchliche Probleme lassen sich nur lösen, indem ich mich für folgerechtes Tun entscheide und auf gewalttätige Harmonisierung der Antagonismen verzichte.

Kaum ein Mensch, der seinen bewussten Ansprüchen nicht widerspräche. Widersprüche sind oft dem Bewusstsein entzogen, sie gehören zum Bereich des Unbewussten. Wir sind wandelnde Widersprüche, doch unsere Widersprüche wollen wir zumeist nicht sehen.

Philosophische Selbsterkenntnis wäre permanente Spurensuche nach den verborgenen Unvereinbarkeiten zwischen unserem Reden und unserem Tun.

Der junge Freud formulierte: wo Es war, soll Ich werden. Wo Dunkel war, soll Licht werden. Platons Höhle ist ein präzises Bild für die Entwicklung des Menschen, der im Dunkeln der Höhle angekettet war, sich von seinen Fesseln befreit und sich langsam auf den Weg nach oben macht. Ans Licht muss er sich langsam gewöhnen, damit er nicht – geblendet von der strahlenden Helligkeit – wieder zurückflieht ins vertraute Dunkle. Nach dem Motto: besser ein vertrauter Schmerz als die ungewohnte Freiheit im Licht, der ich nicht gewachsen bin. Erich Fromm sprach von der Furcht vor der Freiheit.

Freud hatte den Optimismus seiner aufgeklärten Jugend nach den Gräueln des Ersten Weltkrieges verloren. Der unaufhebbare Todestrieb beherrschte die zunehmende Verdunkelung des Begründers der Psychoanalyse, der im hohen Alter vor den Schergen des Nationalsozialismus nach London fliehen musste. Wo Es war, muss Es bleiben. Das Ich ist schwach und bedeutungslos.

Freud und Marx ähneln sich im Leugnen philosophischer Selbsterkenntnis. Das materielle oder das triebhafte Sein bestimmen das lächerliche Bewusstsein. Wir werden von Mächten getrieben, die wir dunkel ahnen, aber niemals erkennen oder beherrschen werden. Auch Freud und Marx schaffen es nicht, dem ehernen Gesetz der Geschichte zu entkommen. Die Allmacht der Heils- oder Unheilsgeschichte aber ist der Kern der Erlösungsreligion.

Trotz scharfer Kritik an der Religion entkommen Marx, Freud und alle deutschen Idealisten nicht dem Despotismus der oberen Mächte. Religion ist der Kern der Deutschen Bewegung, die dem Deutschen erlaubt, sich apolitisch zu verhalten. Politik als Instrument eigener Souveränität ist für Deutsche eine lachhafte Eitelkeit.

Die letzte Gemeinsamkeit zwischen Deutschen und Franzosen war die leidenschaftliche Anteilnahme der deutschen Sturm-und-Drang-Bewegung an der Französischen Revolution. Ein Aufatmen ging durch die geknechtete Welt, die ihre Unterdrücker mit einem Donnerschlag loswerden konnte.

Doch die Empathie der Deutschen währte nicht lange. Kaum begannen die terroristischen Exzesse unter Robespierre, nahmen die deutschen Sensibelchen Abschied vom politischen Westen. Bis heute sind sie nicht im demokratischen Es angekommen. Trotz der Niederlage im Zweiten Weltkrieg, trotz kollektiver Reeducation und Umpolung des autoritären Charakters, verblieb alles Gerede von allgemeiner Vernunft im kalten Über-Ich der Deutschen.

Zwar sollten sie westlich fühlen und denken. Doch die verordnete Mündigkeit verankerte sich nicht im emotionalen Untergrund der deutschen Psyche, die fest hielt an Ungleichheit, erarbeiteter Exzellenz, individueller Aversion gegen allgemeines Vernünfteln. Ein deutscher Kraftprotz hatte sich keinem natürlichen Gesetz der Logik und keinem göttlichen Gesetz der Moral zu fügen.

Nietzsches Vorbilder konnten vor Kraft nicht laufen. Die Welt war etwas, was nicht objektiv erkannt, sondern mit urtümlichen Gefühlen aus den Angeln gehoben werden sollte. Verhöhnt wurden jene, die „nicht den Mut und die Kraft zum Verbrechen hatten“.

So explodierte vor Saft und Kraft der Theologe Herder, ein Vorbild Goethes. Der bleiche Verbrecher, der noch Schuldgefühle hatte nach ruchloser Tat, sollte dem Verbrecher mit reinem Gewissen weichen. Herder fand im Pfarrersohn Nietzsche seinen würdigen Nachfolger.

„Euer Töten, ihr Richter, soll ein Mitleid sein und keine Rache. Und indem ihr tötet, seht zu, daß ihr selber das Leben rechtfertiget! »Feind« sollt ihr sagen, aber nicht »Bösewicht«; »Kranker« sollt ihr sagen, aber nicht »Schuft«; »Tor« sollt ihr sagen, aber nicht »Sünder«. Wer jetzt krank wird, den überfällt das Böse, das jetzt böse ist: wehe will er tun, mit dem, was ihm wehe tut. Aber es gab andre Zeiten und ein andres Böses und Gutes. Was liegt mir an euren Guten! Vieles an euren Guten macht mir Ekel, und wahrlich nicht ihr Böses. Wollte ich doch, sie hätten einen Wahnsinn, an dem sie zugrunde gingen, gleich diesem bleichen Verbrecher! Wahrlich, ich wollte, ihr Wahnsinn hieße Wahrheit oder Treue oder Gerechtigkeit: aber sie haben ihre Tugend, um lange zu leben, und in einem erbärmlichen Behagen.“ (Nietzsche)

Bei Herder hatte die Befreiung von der herkömmlichen Moral noch so geklungen: „Herder warf der Aufklärungsphilosophie vor, sie führe die Menschen dahin, „sich von Tage zu Tage mehr als Maschine zu fühlen“. Also lautete seine Gegenlosung: „Mehr Wärme! Blut! Leben!“

Von Blut und Leben zu Blut und Boden war nur ein kleiner Schritt. Die irrationale Lebensphilosophie, der Impuls des angeborenen Blutes widersetzten sich der blutleeren Vernunft der Moralisten. Allgemeine Moral war berechenbare Maschinenmoral. Der vor Leben sprühende Mensch aber sollte unberechenbar sein. Wer immer dieselben Moralgebote befolgt, ist eine mechanische Standuhr, die in alle Ewigkeit in gleichem Rhythmus tickt. Ausbrechen aus den Normen war das Urgesetz grenzenloser Freiheit.

Heute spricht man von Überwinden seiner Grenzen, von Risikobereitschaft und Wagemut beim Lebenskampf um die besten Plätze. „Jeden Tag sich neu erfinden“ ist die Übersetzung des romantischen Mottos: individuum est ineffabile, die Persönlichkeit ist einzigartig und unvergleichlich.

Volk und Knecht und Überwinder,
Sie gestehn, zu jeder Zeit,
Höchstes Glück der Erdenkinder
Sei nur die Persönlichkeit.

Eine Persönlichkeit ist kein Abklatsch von Vorbildern, keine Imitation von Autoritäten. Gemeinsame Maßstäbe des Guten und Wahren gibt es nicht. Jede Persönlichkeit hat ihre unvergleichliche Wahrheit und Moral in sich. Kein Mensch ist bloßes Exemplar der Gattung, das sich erkennend und bildend derselben Wahrheit zu nähern hätte. Jeder trägt seinen einmaligen Maßstab in sich.

Debattieren, um gemeinsame Wahrheiten zu ermitteln? Ausgeschlossen. Streiten im Dienst objektiver Erkenntnis? Undenkbar. Jedes Individuum besitzt seine Perspektive, die sich keiner anderen Perspektive unterordnet.

Übersetzt ins Heutige heißt das: da will einer immer Recht haben – weil er nicht sehen will, dass jeder für sich bereits Recht hat. Es gibt so viele Perspektiven, wie es Menschen gibt. Es gibt so viele Wahrheiten, wie es Individuen gibt. Letztlich kann niemand von niemandem lernen. Denn gemeinsame Lernziele sind eine Versündigung an der einmaligen Persönlichkeit.

Wie aber reimt sich, dass in der Gesellschaft der Genies Schulen und Universitäten eingeführt wurden, in denen das Allgemeine und Verbindliche gelehrt wurde? Wie konnten Autoritäten sich als Lehrer definieren, die ihr Subjektives als Objektives ausgaben und ihre SchülerInnen in angemaßter Überlegenheit beurteilten? Auf dem Humus kreativ-unendlicher Verschiedenheit sollten Kinder und Jugendliche gemeinsame Werte lernen? Waren Demokratie und Menschenrechte nicht allgemeine Tugenden einer freien Gesellschaft?

Das subjektiv Unverbindliche und das objektiv Verbindliche schliessen sich gegenseitig aus. Für stabile Demokratien sind unvereinbare Widersprüche tödlich. Haben wir Gemeinsames zu verteidigen, wenn wir Demokratie und Menschenrechte verteidigen – oder predigen wir lediglich, was wir innerlich längst ablehnen?

Einige Beispiele gegenwärtiger Widersprüche, die keine gesunde Demokratie erträgt:

Ulrich Wickert sprach gestern in ttt: Wir leben in einer säkularen Demokratie. Religion hat hier in der Politik nichts zu suchen. In welcher Republik schläft Herr Wickert seinen ARD-Schlaf der Gerechten? Hat er nicht bemerkt, dass dieser säkularen Gesellschaft die Religion bereits aus allen Poren dringt?

Der Philosoph Richard David Precht stellte die Frage, ob die repräsentative Demokratie noch mit dem Zeitalter des Internets vereinbar sei? Steht Precht noch auf dem Boden des Grundgesetzes oder will er, zusammen mit den Genies von Silicon Valley, die Demokratie des Westens kassieren?

Navid Kermani, ausgezeichnet mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, hielt es für richtig, das Publikum zu bitten, auf den Schlussapplaus zu verzichten – zugunsten eines kollektiven Betens. Auch die Gottlosen sollten ihre guten Wünsche in den anonymen Äther schicken. Weiß Kermani nicht, dass er von den Erlösungsreligionen nur die Sahnehäubchen nimmt und sie sentimental zu einem Einheitsbrei verrührt, deren hasserfüllte Gegensätze aber leichtsinnig ignoriert und somit dem religiösen Unheil Tür und Tore offen hält?

Jakob Augstein plädierte für eine deutsche Leitkultur. Wie man amerikanisch werden müsse, wenn man in Amerika einwandere, so habe man deutsch zu werden, wenn man als Flüchtling bei uns heimisch werden will. Weiß Augstein nicht, dass die deutsche Leitkultur des Grundgesetzes das genaue Gegenteil der Deutschen Bewegung ist, die noch heute im Es fast aller Politiker und Kolumnisten tief verankert ist?

Günter Jauch stellte die empörte Frage, wer es wage, ihm vorzuschreiben, was er zu denken habe. Den Vorwurf der „Lügenpresse“ könne er nicht mehr hören. Darauf erwiderte ein listiger AfD-Vertreter: Sie sind konditioniert. Auf Deutsch: Die Medien haben eine Schere im Kopf, die sie nicht mehr bemerken. Dauerlügen ist selten bewusst. Es hat sich zum unbewussten Über-Ich der Vierten Gewalt entwickelt, die mit den drei anderen Gewalten identisch sein will.

Hegel hat alle Widersprüche der Welt mit unfehlbarer Dialektik in totale Harmonie verwandelt. Widersprüche sind Konflikte zwischen Menschen und Klassen. Solange die Gesellschaft sich entwickelt, muss es solche Widersprüche geben, damit die Fortschrittsspirale steil nach oben weist. Am Ende der Geschichte aber – für Hegel im preußischen Berlin – haben sich alle Gegensätze in Nichts aufgelöst. In völkischer Symbiose herrscht eitel Sonnenschein.

100 Jahre später wurde die totale Einheit zum totalitären Regime, weil ohne Gewalt die Widersprüche der Gesellschaft nicht zu bändigen sind. Gewalt wurde zur Geburtshelferin totaler Harmonie zwischen Führer und seinem gegängelten Volk.

Dialektik beantwortet die traditionelle Frage, warum Gott das Böse erschaffen oder zugelassen hat. Antithesen sind das, was Fromme als Werke des Teufels bezeichnen. Das Böse widerspricht dem Guten, doch der Widerspruch ist nötig, um die Gesellschaft zum Fortschritt zu nötigen. Der Teufel ist Knecht Gottes, das Böse der Diener des Guten. Mephisto ist ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Die Neuzeit rebellierte gegen die Vorstellung eines menschenfeindlichen Bösen. Kein Gott, keine Natur durfte so dämonisch sein, dass es ein irreversibles Böses hätte erfinden können. Wenn es denn ein Böses gab, musste es ein verkapptes, indirektes Gutes sein. Es musste dem Guten dienen, wie der Teufel dem Gott dienen muss.

Das Böse als Feind der Menschen sollte für immer ausgerottet werden. Die Aufklärung akzeptierte kein göttlich verordnetes Böses. Das Ziel der Aufklärer war vortrefflich. Doch die Methoden der Domestizierung des Bösen waren verheerend. Indem das Böse zum Knecht des Guten wurde, verwandelte es sich selbst in Gutes. Das war die totalitäre Legitimation des Bösen als Gutes. Gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Gut und Böse, kann jedes Böse als Gutes definiert werden.

Hier sind wir bei Nietzsche, der das Reich der Nationalsozialisten ideologisch vorbereitete. (Für Martin Walser, einem verspäteten Romantiker, der von ausschließenden Widersprüchen noch nie hörte, ist Nietzsche ein bewunderter deutscher Denker. Weshalb man dem greisen Wirrkopf vom Bodensee einen Nietzschepreis verlieh. Vor kurzem noch warb Walser in allen Redaktionen für den Theologen Karl Barth. Jetzt für einen der schärfsten Kritiker des Christentums. Für Walser alles kein Problem. Er verfügt über einen gesunden dialektischen Wunderapparat, der alles einebnet, was seine Daueremphase stören könnte.) Nietzsches Motto jenseits von Gut und Böse: ihr sollt nicht besser, ihr sollt böser werden.

Was hat dies alles mit der Kanzlerin zu tun? Alles. Ihre dialektische Politik schließt nichts aus: weder das überschwänglich Gute, noch das Verwerfliche und Absurde. In Gott sind alle Widersprüche gelöst. „Ich erschaffe das Licht und mache das Dunkel. Ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil. Ich bin der Herr, der dies alles vollbringt.“

Merkel ist die Magd des Herrn, die Ihm in allen Dingen ähnlich werden will: gestern mit unvergleichlich Gutem, heute mit Verwerflichem. Der Herr nimmt, der Herr gibt, der Name des Herrn sei gelobt. Man könnte vom faustischen Pakt der Kanzlerin sprechen.