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Ethik

Hello, Freunde der Ethik,

wie produziert man unmoralische Gesellschaften? Indem man Kinder heranzieht, denen man Moral und Ethik vorenthält.

Konfessioneller Religionsunterricht darf Kinderseelen mit menschenfeindlichen Dogmen lebenslänglich schädigen, auf religionskritischen Ethikunterricht aber haben Kinder keinerlei Recht, entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Das letzte Wort wird Karlsruhe haben. Dort wird sich entscheiden, ob die BRD ihren theokratischen Kurs fortsetzt und die Trennung von Kirche und Staat weiter unterminiert – oder ob humane Vernunft die Grundlage unserer Gesellschaft bilden wird.

„Eltern haben keinen grundgesetzlichen Anspruch darauf, dass für ihre Kinder Ethikunterricht in der Grundschule angeboten wird. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Mittwoch entschieden. Bei der Einrichtung von Schulfächern verfüge der Staat über Gestaltungsfreiheit, teilte das Gericht dazu mit. Mit dem Verzicht auf das Fach Ethik für Grundschüler würden die Grenzen dieser Freiheit nicht überschritten.“ (SPIEGEL Online)

Alles, was Deutsche betreiben – mit Ausnahme der Wirtschaft –, machen sie halbherzig. Auch die Trennung von Kirche und Staat. Zwar fliehen immer mehr Menschen vor dem Klerus, doch die Kirche soll im Dorf bleiben: die meisten Flüchtlinge halten sich weiterhin für Christen.

Wie erklärt man sich diese Furcht vor philosophischer Selbstbestimmung? Mit

dem Gleichnis vom verlorenen Sohn.

Die Gewalt der religiösen Prägung war in Europa derart verheerend, dass die Angst vor ewigem Verlorengehen noch immer das Innenleben der christianisierten Neuteutonen prägt. Man will sich von der Gewalt des Himmels und seiner Stellvertreter lösen – und hat doch Angst, auf eigenen Beinen zu stehen und kehrt immer wieder zu den Fleischtöpfen des Vaters zurück. (Mütter spielen in Männerreligionen keine Rolle.)

Die Deutschen stehen unter dem Zwang der Rückversicherung. (Von Rückversicherungszwängen sprechen die Psychologen, wenn man ständig grübeln muss, ob man alles richtig gemacht hat: hab ich den Gasherd ausgemacht, Türen und Fenster richtig verschlossen?)

Die Deutschen werden von religiösen Rückversicherungszwängen bestimmt. Wenn es ernst wird im Leben, Krankheit und Tod die gewohnten Sicherheiten des Alltags bedrohen, regen sich noch immer die indoktrinierten Reflexe des Glaubens an einen allmächtigen, strafenden und belohnenden Gott. Was habe ich falsch gemacht, damit Gott mich straft? Habe ich nicht gesündigt in Worten und Werken und der Vater im Himmel sieht und ahndet alles?

Der christliche Westen ist vom allsehenden Auge des Herrn, von Lohn und Strafe des Himmels, bis in die Knochen infiziert. Keine NSA ohne das Dogma des Allwissenden und Allrächenden.

Zwar gab es schon viele Schübe der Religionskritik in Europa, von der Renaissance über verschiedene Aufklärungen bis zum jungen Hegel, zu Feuerbach, Nietzsche und Freud. Und dennoch schnellte das Band immer wieder zurück. Die Gottlosesten begannen auf dem Sterbebett zu zittern, ob sie nicht doch im Fegefeuer landen könnten.

Elisabeth Langgässer sprach vom unauslöschlichen Siegel der Religion. Wer einmal das Kainszeichen in der Seele trug, der trug es in der Regel bis zum letzten Atemzug – versehen mit letzten Ölungen gegen das nie Auszuschließende, dass man nach dem letzten Seufzer doch Gott in die Hände fallen könnte. „Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Denn Gott ist ein verzehrendes Feuer.“

Das sind die seelischen Grund-Tätowierungen des homo normalis christianus. Auf diesen bis in die Eingeweide dringenden psychischen Verletzungen ihrer Gläubigen beruht die Macht der Kirche. Die Grundlagen für diese Macht legen die Kirchen in Deutschland im gesetzlich garantierten Religionsunterricht.

Noch nicht lange her, dass alle Kinder diesen Unterricht besuchen mussten, gleichgültig ob die Eltern dies wollten oder nicht. Heute muss man ihn nicht mehr besuchen, doch eine juristisch gleichwertige Alternative gibt es noch immer nicht. Ethik, weltliches Gegenstück zum religiösen Verstümmelungsunterricht, bleibt zweitklassig und minderwertig.

Versteht sich, dass auch Nicht- und Andersreligiöse den Religionsunterricht mit Steuergeldern bezahlen müssen. Frank Patalong in SPIEGEL Online:

„Zu beanstanden ist aber durchaus, dass Nichtchristen mit ihren Steuergeldern Ausbildung und Gehälter von christlichen Priestern bezahlen, die Instandhaltung von Kirchenbauten, den Missionsbetrieb in kirchlichen Krankenhäusern oder Kindergärten. Die Steuerzahler finanzieren auch den Religionsunterricht, dessen Aufgabe es ist, nachwachsende Kirchenmitglieder mit Glaubensinhalten zu füttern.“

Folgerichtig fordert Patalong die strikte Trennung von Kirche und Staat, die in Deutschland auf halbem Wege gescheitert ist.

„Die Privilegierung einer Religion passt nicht zu einem modernen, aufgeklärten Staat. Zur Chancen- und Rechtsgleichheit gehört es, die Religionen vom Staat zu trennen und auf ihren Platz zu verweisen. Ausgesuchten Religionen Privilegien zu geben und normativen Einfluss zuzugestehen, ist schlicht unmoralisch“.

Diese Unmoral ist im Grundgesetz verankert, weshalb es an der Zeit wäre, das Grundgesetz vom religiösen Pesthauch zu befreien. Das reicht vom Gott in der Verfassung bis zum seelenverderbenden Religionsunterricht machtgieriger Popen.

Wie oft ist das Grundgesetz schon verändert worden – beim Asylgesetz sogar ins Unmenschliche. Es wäre Zeit, es in punkto Glaubenszwang zu seinem Vorteil zu verändern und die Macht der Priester radikal auf private Äußerungen und Taten einzuschränken.

Das Bundesverwaltungsgericht berief sich auf Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes:

„(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“

Diese Sätze beißen sich. Unterricht ist eine Informationsveranstaltung und keine Missionsandacht. Jeder müsste sich frei und ungehindert seine eigene Meinung über Religionen und Weltanschauungen bilden können. Noch gilt die übergeordnete Meinungsfreiheit jedes Menschen.

Im Religionsunterricht wird das Recht der Kinder auf Meinungsfreiheit freventlich mit Füßen getreten. Leicht prägsame kindliche Seelen glauben, was anerkannte Autoritäten ihnen weismachen. Artikel 7, Absatz 3 ist für Kinder eine absolute Verletzung des Artikels 4, Absatz 1 und 2:

„1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“

„(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

Mit Unmündigen kann man es machen. Sie werden zur kinder-leichten Beute himmlisch-höllischer Seelenfänger. Leibliche Päderastie an Kindern ist ein schweres Verbrechen. Das Recht zur seelischen Päderastie wird theologischen Päderasten durch das Grundgesetz garantiert. Bei muslimischen Fundamentalisten werden Frauen, bei jüdischen Fundamentalisten Knaben genital beschnitten, im säkularen Deutschland werden Kinder seelisch beschnitten. Sollte das oberste Gericht in Karlsruhe den Richterspruch aus Leipzig bestätigen, müsste Deutschland sich um Aufnahme in die muslimischen Ajatolla-, jüdischen Rabbiner- und christlichen Priesterstaaten bemühen.

Die Kant‘sche Aufklärung wäre in Deutschland Makulatur, die Romantik mit ihrer Forderung „zurück ins heilige Mittelalter“ hätte einen glanzvollen Sieg errungen.

Es steht schlecht um die Forderung, den Staat ganz und gar vom Einfluss der Popen zu befreien. Deutsche Rechtsgelehrte stilisieren sich gern zu Gralshütern der alleinseligmachenden Religion. Ihre Talare ähneln den Talaren der Seelenfänger bis aufs I-Tüpfelchen. Ihre Rechtsphilosophen werden nicht müde, Religion als ultimativen Berstschutz moralisch haltloser Demokraten einzufordern.

Böckenförde, einst Richter am Bundesverfassungsgericht, Nachkriegsschüler des NS-Juristen Carl Schmitt, wurde für sein Diktum berühmt:

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Seine Begründung: würde der Staat mit „Mitteln des Rechtszwangs und autoritativen Gebots“ die Menschen zur Moral zwingen, würde er zur Diktatur werden.

Schon die einfachsten Begriffe stimmen bei Oberrichter Böckenförde nicht. Zwingt ein Staat seine Untertanen zu einer bestimmten Moral, ist er ein faschistischer Staat und keine Diktatur.

(Eine Diktatur ist lediglich die Herrschaft eines Despoten, der nach Lust und Laune seine Untertanen drangsalieren kann, – ohne sie zu moralischer Perfektion zu zwingen. Platon wollte einen perfekten Gerechtigkeitsstaat, Stalin und Mao einen perfekten Sozialismus, Hitler eine perfekte Auserwählten-Antinomie.)

Zudem ist gesetzlicher Zwang kein diktatorischer Zwang – vorausgesetzt, Gesetze sind durch den Willen des Volkes hindurchgegangen. Gesetze sind Regeln der Freiheit.

Einem katholischen Carl-Schmitt-Schüler (für Schmitt waren katholische Theokratie-Faschisten wie de Maistre und de Bonald die leuchtenden Vorbilder) kommt es nicht in den Sinn, griechische Demokratie mit griechischer Vernunft – die Mutter aller europäischen Aufklärungen – in Verbindung zu bringen. Ungläubige Demokraten sind für jeden Ministranten, selbst in höchsten Ämtern, offenbar nichts als raubgierige Bestien, die nur von Gott persönlich an die Kandare gelegt werden können.

Theo-Juristen haben die säkulare Verfassung der BRD heimlich, still und leise ins Korsett des Heiligen Geistes zurückgezwungen. Verfassungsrichter di Fabio hat sich der Evangelischen Kirche als Propagandist Luthers zur Verfügung gestellt und warnt davor, auf „Laizismus“ zu setzen.

Man versteht allmählich, warum die Talarträger und Hobbytheologen von Karlsruhe das bayrische Kreuz in Schulen abgesegnet haben. Vermutlich schneiden sich bayrische Buam beim Schnadahüpfln gegenseitig die Kehle durch, wenn das allsehende Kreuz sie nicht in Schach hält.

Für Böckenförde ist der Mensch eine moralische Niete und Dostojewski scheint der russische Heilige des Bundesverfassungsgerichts zu sein: wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt.

Also sorgen sie sich inständig, den sterbenden Leichnam ihres Herrn und Heilands durch juristische Notbeatmung am Leben zu erhalten. Vermutlich bekreuzigen sich Böckenförde & Co, wenn der autonome, demokratische Mensch sich auf seine Vernunft beruft.

Es kann nicht anders sein: die bundesrepublikanische Juristenelite scheint ihre dicken Gesetzes-Schwarten als ausgedehnte Kommentare zum Dekalog zu verstehen. Sie zelebrieren Recht und Gesetz wie kleine, aber feine Vorausnahmen des Jüngsten Gerichts. In der Mitte des Gerichtstribunals thront eine fleischgewordene Jahwe-Imitation, spricht mit ultimativer Stimme über Recht und Unrecht und verwandelt jeden Angeklagten, bis zum Beweis des Gegenteils, in einen lächerlichen Sündenkrüppel.

Theoretisch gilt die Unschuldsvermutung, atmosphärisch jedoch das genaue Gegenteil. A priori ist jeder solange ein Sündenaas, solange das Gericht nicht das Gegenteil festgestellt hat.

Auch hier wiederholt sich, was sich vor mehr als 100 Jahren im Deutschland Kaiser Willems ereignete. Um seinen ungebärdigen Plebs, die proletarischen Massen, bei der Stange zu halten, befahl der Kaiser, die Offenbarungen des christlichen Gottes wieder zur Ehre zu bringen und viele Kirchen landauf und landab zu bauen. In Heinrich Manns „Untertan“ liest sich das so:

„Sorgen Sie dafür“, hatte Seine Majestät einer Abordnung der städtischen Behörden gesagt, „dass in Berlin Kirchen gebaut werden.“ Nun wurden sie gebaut, die Religion war wieder aktuell, es kam Betrieb hinein. Und alle, der Pastor, der Kneipwirt, Judassohn und Diederich begeisterten sich für die tiefe Frömmigkeit des Monarchen.“

Hier ist der tiefste Punkt des maroden Selbstbewusstseins der deutschen Demokratie. Der mündige Bürger hängt noch immer am Zipfel jenseitiger Mächte oder starker Männer – die man heuer Wirtschaftskapitäne nennt. Kommt ein starker Mann, spricht er mit leiser Stimme, hat aber stets einen Knüppel hinterm Rücken.

Der Knüppel riecht nach Weihrauch und hört auf den Namen Religion. Zur Abwechslung haben wir heute keinen starken Mann, sondern eine starke Frau, die allerdings auch den Religionsknüppel hinter dem Hosenanzug trägt. Dabei lächelt sie zuckersüß, wenn sie ihren lieben Untertanen beibringen muss, dass sie die Palästinenser gefälligst mehr zu hassen und die Juden dafür umso mehr zu lieben haben.

Dass die ehrenwerte Protestantengesellschaft Gauck & Merkel dabei die universelle Moral – die alle Menschen als gleichwertige Wesen betrachtet – verhackstückt, scheint den Deutschen einerlei. Von Recht haben sie ohnehin keine Ahnung.

Beim Einbruch des Neoliberalismus verstanden sie nichts von Wirtschaft, heute verstehen sie alles von Hedgefonds, aber noch immer nichts von Recht. Recht ist für sie eine esoterische Geheimwissenschaft, die von priesterähnlichen Rechtskundigen wie am Rechenbrett zelebriert wird.

Was den IT-Leuten ihre algorithmischen Nullen und Einsen, sind den Juristen ihre undurchdringlichen Paragrafen. Liest man regelmäßig von furchtbaren Juristenprüfungen, verstärkt sich der auratische Eindruck, dass Rechtsgelehrte direkten Umgang mit den Göttern haben müssen und ordinäre Charaktere am besten ihre Pfoten vom Recht lassen.

Nirgendwo wird die Frage gestellt: Wer eigentlich hat diese Paragrafen erfunden? Welche Zeit hat sie ausgebrütet? Wie viele stammen noch aus der NS-Zeit? Was ist das Naturrecht der Starken, das Naturrecht der Schwachen? Auf welchem philosophischen Humus sind die Menschenrechte gewachsen? Was ist positivistisches Recht?

Als das BGB aus der Taufe gehoben wurde, regierte der pöbelverachtende Bismarck, der seine Sozialgesetze nicht aus Liebe zum Volk einbrachte, sondern um die Massen von der Revolution abzuhalten. Will jemand sagen, Bismarcks Gesetze müssen eo ipso demokratieverträglich sein?

Für den Historiker Herbert ist ein Rechtsstaat identisch mit einer Demokratie. Doch kann es demokratische Rechtsstaaten geben ohne demokratische Urheber des Rechts? Muss ein mündiges Volk sich die Gesetze vordemokratischer Epochen gefallen lassen?

In welcher Epoche der Nachkriegsgeschichte wurden Rechtsfragen in der Öffentlichkeit debattiert? Hin und wieder gab es Spezialdebatten über Abtreibungs- und Schwulengesetze. Das war‘s. Im Prinzip werden juristische Angelegenheiten hinter Mauern des Schweigens ausgemauschelt.

Jüngstes Beispiel der Handelsvertrag TTIP, der das vorgesehene Schlichtungsgremium einem demokratisch illegitimen Advokatengremium zuschanzen will.

Merkel schaut zu, wie die Rechte der Deutschen auf Schutz der Privatsphäre durch ausländische Schnüffler in den Kot getreten werden.

Inzwischen gibt es Bestrebungen, die Rechtskostenbeihilfe für Arme zu streichen – während Reiche sich durch üppigen Ablass von aller Schuld freikaufen können. Keine Debatte in Deutschland nirgendwo.

Das Recht, bislang in einem quasiheiligen Elfenbeinturm vor den Blicken Uneingeweihter bewahrt, wird von denselben Eliten immer mehr zu Staub zerrieben. Es ist nur eine weitere Reaktionsbildung auf die bisher gültige Unberührbarkeit des Rechts, dass auch hier die unvermeidbare Ökonomisierung eintritt. Es ist die Verwandlung des ehrwürdigen Rechts in ehrlosen Zaster.

Doch der Verlauf der Ereignisse entbehrt nicht einer gewissen Logik. Wie man sich seine Seligkeit durch ein erklecklich Sümmchen erkaufen konnte, so kann man heute seinen irdischen Vorteil durch schnöden Mammon erkaufen.

Normalerweise nennt man diesen Vorgang Korruption. Ist die Korruption aber im BGB verankert, muss es unantastbares Recht sein. Fiat justitia, pereat mundus. Es lebe das Recht, auch wenn die Demokratie untergehe.

Rechtsfragen sind ethische Fragen. Ahnen wir, warum das Volk mit Ethik nicht in Berührung kommen darf?