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Ende der Zivilisation

Hello, Freunde des Krieges,

gibt es Politiker, Wirtschaftseliten, Ideologen, Demokraten, die Krieg wollen? Die alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um die internationalen Spannungen zum Siedepunkt zu bringen?

Offiziell will niemand Krieg. Sollte jemand den Waffengang zwischen Ost und West wirklich wollen, müsste er indirekt vorgehen. Der potentielle Gegner müsste so lang gereizt werden, bis er nervös wird, seine Truppen aktiviert und an der Grenze zusammenzieht – dann hätte man einen Vorwand, selbst zuzuschlagen.

Der verbale Schlagabtausch wird täglich nervöser und aggressiver. Hasserfüllte Klischees und Vorurteile aus dem Kalten Krieg werden ausgegraben. Schon immer misstraute man dem Friedensgesäusel der Anderen. Nun fühlt man sich bestätigt. Schon immer verdächtigte man die andere Seite, im Geheimen die Weltherrschaft anzustreben und sich mit dem Einflussbereich des eigenen Claims nicht zufrieden zu geben.

Steht nicht die finale Entscheidung an, wer die Welt endgültig beherrschen soll? Müssen nicht letzte Verteilungskämpfe um knapper werdende Ressourcen ausgetragen werden?

Ist es nicht der unverborgene Sinn der Erlöserreligionen, das Reich ihres Gottes vom Himmel auf die Erde zu holen und auf dem Planeten zu installieren? Sein Reich ist

 nicht von dieser Welt, aber über alle Welt. Noch regiert der Satan die deformierte Welt. Doch er ist schon besiegt. Der Sieg muss bei Wiederkehr des Herrn nur noch offiziell angetreten werden. „Denn alles, was aus Gott gezeugt ist, überwindet die Welt; und das ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube.“

Die Dramatik der Heilgeschichte hat sich auch in der Philosophie niedergeschlagen:

„Es naht sich, unabweislich, zögernd, furchtbar wie das Schicksal, die große Aufgabe und Frage: wie soll die Erde als Ganzes verwaltet werden? […] Die Erdregierung ist ein nahes Problem. […] Ich sehe die Gefahr, dass die Weltregierung in die Hände der Mittelmäßigen fällt.“ (Nietzsche)

Wer soll das Regiment auf Erden übernehmen? Die Herren und Vornehmen oder der demokratische Pöbel? Nach Nietzsche waren die Übermenschen „irgend ein Rudel blonder Raubttiere, eine Eroberer- und Herren-Rasse, welche, kriegerisch organisiert und mit der Kraft, zu organisieren, unbedenklich ihre furchtbaren Tatzen aus eine der Zahl nach vielleicht ungeheuer überlegene, aber noch gestaltlose, noch schweifende Bevölkerung legt.“

In der Nachkriegszeit gab es einen regelrechten Nietzsche-Boom. Von allen Verdächtigungen, ein gedanklicher Vorläufer der Nationalsozialisten zu sein, wurde Nietzsche rein gewaschen.

Unter den Weißwaschern, wie immer, Rüdiger Safranski, der für die deutschen Genies ein ausgeklügeltes Waschprogramm entwickelt hatte. Das Volk der Dichter und Denker sollte mit den Henkern nichts zu tun haben. Nietzsche wurde von Safranski zum Vorbild aller psychologischen Selbstoptimierer entschärft:

„Nietzsches Bild vom Übermenschen ist ambivalent, und es verbirgt sich darin ein existenzielles Drama. Der Übermensch repräsentiert einen höheren biologischen Typus, er könnte das Produkt einer zielstrebigen Züchtung sein; er ist aber auch ein Ideal für jeden, der Macht über sich selbst gewinnen und seine Tugenden pflegen und entfalten will, der schöpferisch ist und auf der ganzen Klaviatur des menschlichen Denkvermögens, der Phantasie und Einbildungskraft zu spielen weiß. Der Übermensch realisiert das Vollbild des Menschenmöglichen, und darum ist Nietzsches Übermensch auch eine Antwort auf den Tod Gottes.“

Safranski verharmlost den Pfarrersohn zum Vorläufer psychologischer Erbauungsbücher. Jede Annäherung an die SS, die Garde der Übermenschen, wurde als Missbrauch des ruhelosen Alpenwanderers verworfen.

Dichter und Denker wurden missbraucht, Religion wurde missbraucht, Hegel, Fichte und die deutsche Philosophie wurden missbraucht. Wagner und die deutsche Oper wurden missbraucht. Die Kunst wurde missbraucht. Alles, was den Deutschen gut und teuer war, wurde missbraucht.

Genau genommen, gab es überhaupt keine Vorgeschichte des Unheils, das wie ein teuflisches Ereignis – kein Mensch wusste, warum gerade im hochmoralischen Deutschland – vom Himmel gefallen oder aus der Hölle emporgestiegen war. Im Jahre 33 ereignete sich die Ausgießung des Heiligen, pardon, des Unheiligen Geistes, dessen Regiment akkurat bis zur Kapitulation im Jahre 45 dauerte. Danach Rückkehr zur unbefleckten deutschen Moralgeschichte, als ob nichts geschehen wäre.

Schon im Nürnberger Prozess wunderten sich die Alliierten, dass auf der Anklagebank kein fanatischer Nazi mehr saß. Alle waren sie zum Mitmachen gezwungen worden. Niemand hatte die Verbrechen gut geheißen. Im Grunde waren sie verkappte Widerständler, die an ihrem einflussreichen Platz nur retten wollten, was noch zu retten war. Nicht einer unter den Angeklagten, der nicht seinen Lieblingsjuden versteckt und die Hitler‘sche Völkervernichtung für falsch gehalten hätte.

Ein anderes Bild aber bei der normalen Bevölkerung, das Klaus Mann in seinen Erinnerungen schildert, als er nach Kriegsende als amerikanischer Offizier in seine Heimatstadt München zurückgekehrte. Kaum einer aus dem normalen Volk, der nicht davon überzeugt war, dass Hitler sich nur eine Weile versteckt hätte, um mit neuen Militärkräften zurückzukehren und alle Besatzer davon zu jagen.

Waren die Eliten nur Zyniker und Karrieristen gewesen? Das wendige Spiel überlebensnotwendiger Anpassung konnten sie nur besser spielen als die ungelenken und bornierten Unterschichtler.

Nietzsches Beschreibung der zukünftigen Herrenrasse, von der er träumte und die die Welt in Besitz nehmen sollte, war eindeutig:

„Die vornehme Art Mensch fühlt sich als wertbestimmend, sie hat nicht nötig, sich gutheißen zu lassen, sie urteilt »was mir schädlich ist, das ist an sich schädlich«, sie weiß sich als das, was überhaupt erst Ehre den Dingen verleiht, sie ist werteschaffend. Alles, was sie an sich kennt, ehrt sie: eine solche Moral ist Selbstverherrlichung. Im Vordergrunde steht das Gefühl der Fülle, der Macht, die überströmen will, das Glück der hohen Spannung, das Bewußtsein eines Reichtums, der schenken und abgeben möchte – auch der vornehme Mensch hilft dem Unglücklichen, aber nicht oder fast nicht aus Mitleid, sondern mehr aus einem Drang, den der Überfluß von Macht erzeugt. Der vornehme Mensch ehrt in sich den Mächtigen, auch den, welcher Macht über sich selbst hat, der zu reden und zu schweigen versteht, der mit Lust Strenge und Härte gegen sich übt und Ehrerbietung vor allem Strengen und Harten hat.“

Das ist in philosophischem Ton, dennoch unmissverständlich formuliert. Der Herrenmensch bestimmt seine Werte selbst, von traditionellen Werten lässt er sich nicht befehlen. Eine generelle Herdenmoral lehnt er ab. Schädlich ist, was ihm schadet. Gut ist, was ihm nutzt. Das ist die Moral der blonden Bestie, die alles in den Dienst ihres eigenen Wohlbefindens stellt.

Mitleid? Gelegentlich kann Unglücklichen geholfen werden, aber nicht aus schwächlichem Mitleid, sondern um seine eigene Überfülle los zu werden. (Auch Hayek ist nicht generell gegen soziale Hilfsmaßnahmen. Aber nicht von Seiten des Staates, sondern als Gnadenakte souveräner Reicher. Peter Sloterdijk wollte staatliche Steuern abschaffen und zum System privater Brosamen übergehen. Bill Gates spielt die Rolle Gottes, der allein entscheidet, wessen Leben er rettet und wen er dem Tod überlässt.)

Der Vornehme schwappt über von Energie, die er loswerden muss, um nicht an seinem Überfluss zu ersticken. Der Vornehme verherrlicht sich selbst und sonst niemanden. Die Entfaltung seiner bösen Anlagen ist wichtiger als die Entwicklung seiner guten. „Ihr müsst böser werden, nicht besser!“ Im Bösen steckt das Überlegene und Unverwechselbare. Vornehm ist, wer keine Angst hat, den Ruch des Guten abzulegen und den Brutalen und Bedenkenlosen zu spielen.

Die amoralischen Renaissancefürsten wie Cesare Borgia sind Helden und Vorbilder seines Immoralismus. Das Teuflische ist das Geniale. In der bedenkenlosen Durchbrechung des Scheins des Guten zeigt sich die wahre Klasse und vornehme Rasse.

Welche Weltordnung wollte Hitler? Keine permanente Friedensordnung, sondern einen ständigen Kriegszustand. Mit einer Anzahl kleiner Armeen könne man eine große Anzahl von Völkern ständig beherrschen. Hitler begnügte sich nicht mit einem Angriffskrieg. Seine Zukunftsperspektive war ein „permanenter Raubzug und Vernichtungskrieg“. Das sei die „höchste Form des Lebens, die den Jüngling zum Manne und das Volk zur Rasse“ mache.

Ein Herrenvolk mache sich im Krieg auf den Weg, „um im Tode der anderen das eigene Leben zu erringen und zu bewähren.“ Die Aussicht auf einen immerwährenden Krieg an der Ostgrenze erfüllte ihn mit Begeisterung. Der endlose Krieg werde dazu beitragen, eine feste Rasse zu bilden und Deutschland daran hindern, in europäische Verweichlichung zurückzusinken. Jeder Friede, der länger als 25 Jahre andauere, sei schädlich für eine Nation.

Für Hitler sind Kriege die Revolutionen gesunder Völker. Der Krieg sei „die stärkste und klassischste Ausprägung des Lebens.“ Schon die italienischen und französischen Faschisten waren der Ansicht, dass die Menschheit „im ewigen Frieden zugrunde gehen müsse“.

Das Grundprinzip in den besetzten Ostgebieten müsse die absolute Rechtlosigkeit der Unterworfenen sein. Sie haben keinerlei Rechte, außer auf einen frühen Tod. Selbst Lesen und Schreiben muss man ihnen verbieten. Auf den Autobahnen der Besatzer könne man sie bedenkenlos überfahren, von ihrer Sorte gebe es ohnehin zu viele. Nur eins müssen sie lernen: an die Gottähnlichkeit ihrer Herren glauben.

An den barbarischen Phantasien eines arischen Herrenvolkes hätte Nietzsche seine Freude gehabt. Wer konnte auf die absurde Idee kommen, dem Propagandisten der Herrenmenschen und des Willens zur Macht das Etikett eines Humanisten beizulegen?

Wer schließt aus, dass die Vorstellungen eines Helden produzierenden Kriegs noch immer eine Rolle spielen? Dass konsumierende Gesellschaften sich im Luxus zu langweilen beginnen? Dass die ständige Erneuerung des immer gleichen Warenkorbs die Übersättigten zu ekeln beginnt? Dass die Unfähigkeit, ihre Überlebensprobleme anzugehen, zum unbewussten Bedürfnis der Menschen nach einem zivilisatorischen Donner- und Kahlschlag, einer tabula rasa, einer Generalreinigung durch Krieg führt?

Die gegenwärtige Weltpolitik hat kein Ziel und keine menschenfreundliche Utopie. Wer aber nicht wächst, fällt zurück. Das neoliberale Gesetz entstammt Erfahrungen des Reifens und geistigen Wachsens und pervertierte zum zwanghaften Wachstum einer grenzenlosen Wirtschaft.

Wenn die Menschheit nicht weiß, wohin ihre Reise führt, muss sie in vergangene Verhaltensmuster zurückfallen.

Der arabische Frühling, der syrische Konflikt, die Krim-Krise, der palästinensisch-israelische Dauerstreit, die ökologische Blockierung der Völker, die unermessliche Kluft zwischen dem Einprozent der Superreichen und dem Rest der Abgehängten: diese Probleme sind nur lösbar, wenn die Menschheit sich auf ein friedliches Gesamtziel der geschichtlichen Entwicklung einigen würde.

Doch das religiöse Menschenbild des deformierten Egoisten und Sündenkrüppels hat wieder Besitz vom westlichen Menschen ergriffen. Hatte er nach dem Zweiten Weltkrieg nicht ausreichend Zeit, seine humane Lernfähigkeit zu beweisen? Ist er nicht kläglich gescheitert?

Wer nicht gut ist, muss böse sein: das ist die Anthropologie der Gegenwart. Der Darwinismus der Ökonomie hat sich unmerklich zum militaristischen Blockdenken verschärft und – zurückentwickelt. Das Überleben des wirtschaftlich Stärksten wird täglich mehr zum Siegenwollen des militärisch Mächtigsten.

Russland bedient sich noch herkömmlicher Gewaltmethoden, während Amerika die Weltherrschaft mit unsichtbaren Intelligenzmaschinen und ferngelenkten Drohnen aus der Luft gewinnen will. Der Westen ist empört über das Völkerrechtsverbrechen Putins, doch amerikanische Ferntötungen ohne Anklage und Gericht haben schon wesentlich mehr Todesopfer gefordert als die unblutige Annexion der Krim.

Auch Deutschland ist nicht ohne erhebliche Schuld. Alle illegalen Tötungen per Drohnen gehen über Ramstein. Die Berliner Regierung aber will nichts davon wissen und steckt den Kopf in den mährischen Sand.

Die maßlosen Spähaktionen der NSA verwandeln die ganze Welt in ein planetarisches Freiluftgefängnis, dem kaum ein Indio im Urwald entkommt. Die Weltherrenattitüden christlicher Supermänner tragen nicht zur friedlichen Entspannung zwischen den Völkern bei. Das globale Fieber der Gereiztheit und nervöser Endzeitstimmung steigt und macht die internationale Gesamtstimmung aggressiver und unduldsamer.

Thomas Schmid in der WELT rät Deutschland zu strikter Parteilichkeit im Schoss des Westens. Wer jetzt noch zwischen Ost und West vermitteln wolle, betreibe das Geschäft Putins. Über Nacht sieht Schmid zwei auseinanderklaffende Welten ohne jede Gemeinsamkeiten.

Das dualistische Schema der christlichen Geschichtsbetrachtung hat uns wieder. Im Osten das Reich des Bösen, bei uns das Reich der unvergleichlich Guten. Wer nicht klar gegen den Osten ist, muss ein Verräter des Westens sein:

„Das Schwanken zwischen West und Ost, zwischen Zivilisation und Kultur, zwischen Ratio und Seelentiefe hat eine lange und trübe Tradition.“  (Thomas Schmid in der WELT)

Fast unglaublich, in welchen Klischees der Herausgeber der WELT befangen ist. Dieselben Frontlinien wie im Ersten Weltkrieg, als westlich-flache Zivilisation gegen unergründlich deutsche Seelenkultur stand. Hie aufgeklärte Vernunft, dort unergründliche Innerlichkeit.

Seit dem 9/11 sei die eschatologische Interpretation der Weltgeschichte zu einer Zeitsitte geworden, schreiben Viktor und Viktoria Trimondi in ihrem spannenden Buch „Krieg der Religionen. Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse“.

Die Zahl der US-Bürger, die Geschichte und Politik aus der Sicht biblischer Prophezeiungen interpretierten, sei gigantisch.

Mehr als ein Drittel aller Amerikaner spekuliere, in welchem Zusammenhang aktuelle Nachrichten mit den Weissagungen der Heiligen Schrift stünden. 59% seien überzeugt, dass wir in einer Zeit lebten, in der sich die Ereignisse der Johannesoffenbarung realisierten. Ein Viertel aller Amerikaner glaube, der 11. September sei in der Bibel vorausgesagt.

Zunehmend spräche man von der Armageddon-Philosophie, nach der sich nicht nur christliche Politiker des Westens richten würden, sondern auch islamistische Terroristen, radikale jüdische Siedler, indische Kongressabgeordnete, der Dalai-Lama und neue chinesische und japanische Mega-Sekten.

Hat das Christentum andere Religionen apokalyptisch infiziert oder besinnen sich jene auf ihre eigenen eschatologischen Strukturen? Alle Religionen der Welt müssen auf den Prüfstand, um ihre Verträglichkeit mit Mensch und Natur nachzuweisen.

Es war ein grausamer Scherz, als zur Trauerfeier für die 9/11-Opfer die Vertreter vieler Religionen als Symbole reiner Menschenliebe nebeneinander standen und taten, als könnten sie keinem Menschen ein Härchen krümmen.

Selbst Tony Blair sprach 2004 von einem Endzeitkrieg. „Seit dem 11. September konnte ich die Bedrohung klar erkennen. Hier wurden Terroristen darauf vorbereitet, Armageddon auszulösen.“

Die Washington Post schrieb 2003 einen Artikel, in dem sie vor einem möglichen Ende der Zivilisation warnte: „Wir werden gewarnt, uns nicht nur Sorgen über den Kampf der Kulturen zu machen, sondern über das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen, über das Ende, vielleicht, der Welt selber.“

Während bibelfeste Christen in der angelsächsischen Hemisphäre das Ende der Welt herbeisehnen und ihre gesamte Politik in den Dienst dieser Sehnsucht stellen, fühlt man sich in Deutschland allen apokalyptischen Neigungen und mythologischem Abrakadabra abhold. Johannesoffenbarung, Armageddon, Eschatologie, Parusie des Herrn: alles Begriffe, die in Deutschland so gut wie unbekannt sind.

Christsein in Deutschland bedeutet, von Christsein keine Ahnung zu haben. Ach Herr, sie glauben: hilf ihrem Unglauben.