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Ironie

Hello, Freunde der Duineser Elegie oder von Markus Lanz,

Markus Lanz, Luis Trenker der Samstagabend-Familien-Unterhaltung, ist so schön, nett, tüchtig, sportlich, witzig, dass er der bundesrepublikanischen TV-Gemeinde keine andere Chance lässt, als ihn in einer Anwallung von digitalem Neid in die Südtiroler Berge zurückzuschicken. So weit ist Schloss Duino gar nicht entfernt, wo Rainer Maria Rilke Lanzens bedrohliche Schönheit vorausahnte:

„Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht, und nun auch den schönen Markus Lanz nicht mehr.“

Ist er nicht dabei, uns durch seinen angekündigten Abschied gelassen zu zerstören? Wie sollen wir die schreckliche lanzenlose Zeit überstehen? Oh Freundinnen und Freunde der familientherapeutischen, familienstärkenden Unterhaltung, sammelt euch und fordert die Rückkehr des verstoßenen Sohnes von Gottschalk und Elstner. Wie verbirgt er hinter Klamauk, dass er ein Engel ist.

Engel ertragen wir nicht in unserer von Hässlichkeit starrenden Welt. Würde ihn Dabbelju Bush kennen, in seinem

freudlosen Rentnerdasein würde er nur noch ihn porträtieren. Was ist George Clooney gegen unseren aus Marzipan und Meerschaum gezeugten Göttersohn?

Okay, schöne Männer sind doof, eitel und unausstehlich. Was immer sie treiben, es dreht sich nur um sie. Alle „Wahnsinn“-Lobhudeleien an andere sind versteckte Lobhudeleien an sie selbst. Wie oft wiederholt Lanz: Schön, dass Sie bei uns sind? Wie schön, dass er unter uns ist und unsere deutsche Missgestalt und Klobigkeit erträgt.

Kindern, die ihre Wette verloren haben, empfiehlt er, sich von einer Hollywood-Schönen küssen zu lassen. Oh, er weiß, was pubertierende Kinder begehren. In seinem bildhübschen Gehirn ist er jung geblieben. Seine empathischen Fähigkeiten können selbst von Johannes Baptist Kerner nicht übertroffen werden.

Sollte er seine Drohung wahr machen und uns in unserer gestaltlosen Unschöne sitzen lassen, gibt es nur noch eine Rettung des schwer angeschlagenen ZDF-Traumschiffs: Marietta Slomka muss mit nordisch unterkühltem Humor das Wrack in den Hafen von Meenz ziehen, wo Kardinal Lehmann sie bereits mit dem Segen des Franziskus erwartet.

Es wird Zeit, dass Familienministerin Schwesig den Entertainer mit der höchsten Medaille auszeichnet. In Zeiten, in denen Familien zerfallen, hat er unbeirrt dagegen gehalten und am Samstagabend die letzten Reste der deutschen Familie um den Apparat versammelt. Ohne sein nimmermüdes Zusammenführen gäbe es in Deutschland nur noch familiäre Fragmente. Und nun muss er den frühen Heldentod sterben.

„Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,

Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.“

Das Fernsehen ist eine götterbildende Maßnahme. Unsere Schönen, Reichen, Munteren und Wendigen bilden eine große Götterfamilie, zeigen, wie sie miteinander spielen, zusammenhalten wie Pech und Schwefel, Allotria treiben, singen und musizieren, zanken und sich versöhnen, kochen und plaudern.

Auf dieselbe Weise entstanden die Götter des Homer, hielten zusammen, stritten, brachen lustvoll die Ehe, begatteten die begehrenswerten Weiber unter den Sterblichen, führten Kriege und begleiteten die Irrenden sicher ins Heimische.

Die höfischen Sitten sind bei uns schon vollständig ins Volk gedrungen. Die Kleinsten stehen Schlange bei Dieter Bohlen, um in den Olymp aufgenommen zu werden.

Wo amerikanische Songs im Original gesungen werden, da waltet deutscher Geist in transatlantischer Wertegemeinschaft. Heil uns und unserer Mutter Merkel, die keine Geheimnisse mehr vor ihrem großen Freund im Weißen Haus kennt.

Womit therapiert Lanz die desolaten Familien in Deutschland? Mit Spielen. Die Götter des Mainzer Olymp spielen pro nobis. Normale Familien können nicht mehr spielen, sie hassen Mensch-ärgere-Dich-nicht und das Dame-Spiel. Wenn sie spielen, dann an der Konsole mit Toten und Ermordeten.

Eine Gesellschaft, die das Spielen verlernt hat, ist untergangswürdig. Im Spielen zeigt sich nicht nur der Mann, sondern auch Weib und Kind.

„Betrachten wir nun die innere Natur dieser Spiele, so ist zuvörderst das Spiel dem Ernste, der Abhängigkeit und Not entgegengesetzt. Mit solchem Ringen, Laufen, Kämpfen war es kein Ernst; es lag darin keine Not des Sichwehrens, kein Bedürfnis des Kampfes. Ernst ist die Arbeit in Bezug auf das Bedürfnis: ich oder die Natur muss zugrunde gehen. Wenn das Eine bestehen soll, muss das andere fallen,“ schreibt Hegel in seinen „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie.“

Haben wir damit das Lanz-Rätsel gelöst? Muss er seinen Abschied nehmen, weil seinen Spielen der nötige Ernst fehlt? Können wir uns in einer permanenten Wettbewerbsgesellschaft solch unernsten Tand noch leisten? Müssen die Menschen nicht auf Hauen und Stechen ihres Alltags vorbereitet werden?

In der Arbeit der Moderne geht es um Sein oder Nichtsein. Entweder die Natur – oder wir. Wir brauchen den richtigen Killerinstinkt, um die Natur zugrunde zu richten. (Oder wie gestern ein netter Prediger in Bibel-TV sagte: Die alte Natur muss abgestreift werden, damit der Herr einen neuen Himmel und eine neue Erde mit der Kraft seines bloßen Wortes schafft.)

Streifen wir elegant die alte Natur ab, damit eine neue Schöpfung aus dem Nichts auftauchen kann. Das Nichts muss erst geschaffen werden, damit aus ihm die neue Schöpfung entstehen kann.

Halt: sind Stefan Raab, Markus Lanz und die anderen Götter des TV nicht Vorbilder im Wettstreit, im unerbittlichen Fighten um die ersten Plätze? Raab, ein besonderes Exemplar des zwanghaften Siegers, gibt niemals auf. Er muss gewinnen und wenn er dabei drauf ginge. Sein Ethos ist unerbittlich gewinn- und wachstumsorientiert. Selbst Achill, der edle Grieche, hätte gegen den Ex-Ministranten nicht die geringste Chance.

Und Markus Lanz erst, der keinem Duell aus dem Wege geht und selbst vor Liegestützen im Schokoladenmeer nicht ausweicht. Unsere TV-Götter sind Vorbilder in Athletik, umfassendem Wissen und Schlagfertigkeit.

Das deutsche Fernsehen hat dem heiteren Spiel die Gräten gebrochen. Es geht immer um Sieg und Niederlage. Das Überleben des Stärksten hat die heitere Freiheit des Spiels längst entsorgt und den kapitalistischen Furor auf die Bühne unserer verbissen kämpfenden TV-Götter gebracht.

Je mehr die Familien in der Realität zerrüttet werden, desto anheimelnder und vorbildlicher treten sie auf der TV-Bühne auf. Wie der Vater im Himmel die Defekte seiner Geschöpfe ausgleicht, so gleichen Lanz & Raab die Defekte der Gesellschaft aus.

Die Monaden, unfähig, miteinander zu reden, schwatzen umso mehr per Handy, je weiter sie voneinander entfernt sind. Das Reden ist zum Fernschwatzen, zur Tele-Kommunikation geworden. Nähe behindert die Vertraulichkeit. Erst wenn ich am anderen Ende der Stadt bin, wird die Illusion der Nähe zur Realität.

Die TV-Unterhaltung saugt der Gesellschaft das letzte Blut aus den Adern. Die Intimitäten der Götterfamilie sind interessanter als unsere eigenen Gedanken und Gefühle.

Der tödliche Ernst unseres Überlebenskampfes – die Natur oder wir – wird durch das Spiel der professionellen Unterhaltung nicht in freie Heiterkeit jenseits von Siegen und Verlieren verwandelt. Was aussieht wie Spiel, ist derselbe tod-ernste Wille zum Siegen oder Verlieren wie in Hayeks neoliberalem Dschungel.

Die Menschen werden durch ihre öffentlich-rechtliche Unterhaltung um Erholung und Muße betrogen. Das Entertainment ist der sublimste Anreiz zum nie endenden Kampf um Sein oder Nichtsein. Ohne Rankings geht fast nichts. Alles wird zur Rivalität, um brahmanische Rangordnungen herzustellen.

Das Dabeisein ist nichts, der Sieg alles. Jeder rangelt mit jedem, um mit exklusiven Klassen und Schichten die Demokratie zu unterhöhlen. Nein, die Menschen sind nicht gleich, aber sie müssen ihre Ungleichheiten nicht wie Orden vor sich hertragen. Wenn immer nur Differenzen herausgearbeitet werden, wird irgendwann die rechtliche Gleichheit aller BürgerInnen zur Makulatur. Ist eine Gesellschaft nicht mehr in der Lage, sich im Spiegel des Nachbarn zu erkennen, hat sie ihre demokratische Reife verwirkt.

Was für das Spiel gilt, gilt noch mehr für den so genannten Spaß, den Humor, die Ironie der professionellen Spaßmacher.

Die sokratische Ironie war keine. Sokrates stellte sich nicht dumm, um seine Gesprächspartner in die Irre zu führen. Er tändelte nicht, wenn er sein Nichtwissen ins Spiel brachte. Seine mäeutischen Fragen beruhten nicht auf Wissen, sondern auf Durchdenken der Probleme.

Ganz anders die Ironie der Romantiker, die Hegel mit Abscheu ablehnte: „Ironie soll darin bestehen, dass alles, was sich als schön, edel, anläßt, hintennach sich zerstöre und aufs Gegenteil ausgehe.“

Selbst die Satire der ernsthaften Kabarettisten droht heute zum Unernst zu werden, wenn das Publikum durch Klatschen und listiges Verstehen der Ironie glaubt, seine politische Pflicht erledigt zu haben. Auf diese Weise wird Kabarett zum Ventil tief sitzender Unzufriedenheiten und zum dienstbaren Instrument der Mächtigen.

Das Ironische war die Erfindung depressiver Romantiker, die ihre Melancholie nicht anders zu zügeln wussten als durch Hohn und Zynismus.

Die klassische Generation hatte „in ihren großen Vertretern so viel Glauben an das Leben und so viel eigene Lebenskraft, dass sie es als ihre Aufgabe fühlte, vor dem ernsten Antlitze des Lebens nicht in den Scherz zu entweichen, sondern sich ernsthaft mit dem Leben auseinanderzusetzen.“ Korff meint dazu: „Aus diesem großartigen und im tiefsten Sinne klassischen Impuls ist die Klassik hervorgegangen, und ihr geisteswissenschaftliches Wesen ist darum ein Sieg durch die Vernunft. Zu dieser klassischen Leistung aber hatte die Romantik keine Kraft. Der romantische Humor ist seinem tiefsten Wesen nach Resignation, die Verhinderung einer wirklichen Lösung.“

Kaum zu glauben, mit welchem Wirrwarr und satirischen Vexierspielen ein Herr Lotter die Befreiung von einem unterdrückenden Kapitalismus fordert, indem er einen „amoralischen Kapitalismus“ predigt: „Amoralisch heißt, dass ich die Welt nicht nach meiner Vorstellung definiere, sondern sehe, was anderen hilft, ihr Leben zu verbessern“. (Peter Unfried in der TAZ)

Was hier – um mediale Aufmerksamkeit zu erlangen – amoralisch genannt wird, ist nichts anderes als traditionelle kapitalismuskritische Moral. Windiger und zynischer geht’s nimmer, was Lotter in absurden Widersprüchen vorträgt, kritiklos unterstützt von einem „linken“ TAZ-Reporter.

Hat Hegel nicht Recht, wenn er diese Art der Begriffsrabulistik so beschreibt: „Dass alles, was sich als schön, edel anlässt, hintennach sich zerstöre und aufs Gegenteil ausgehe“?

Nach Vorstellungen ironischer Poeten darf sich die „Willkür des Dichters“ keinem übergeordneten Moralgesetz fügen. Das ist der Kern der Satire, die nichts ernst nimmt und unter Gelächter und Zoten alles dem Untergang preisgibt.

Die Deutschen gelten als ernst und humorlos. Das liegt daran, dass ihre geschichtlichen Zeiten der Zufriedenheit und des Wohlbehagens immer nur kleine Epochen waren. Wer ständig in Sorge, in Angst vor ewiger Verdammnis lebt, der hat keine Distanz zu den Notwendigkeiten des Daseins. Unbeschwert und heiter kann er kaum werden.

Also imitiert er jene Völker, die Witz und Verstand zu ihren Vorzügen zählen. Aus Witz wird in Deutschland meistens Zote, aus befreiendem Gelächter höhnischer Spott und Hohn.

Warum wird das Fernsehen immer schlechter? Weil es nicht unterhalten kann und keinen Humor besitzt. Früher war es kein Widerspruch, durch Belehren zu unterhalten und durch Unterhaltung zu belehren. Heute ist Unterhalten leer und Belehren witzlos.

Das Fernsehen muss sich ständig überbieten, obgleich die Fähigkeiten des Menschen begrenzt sind. Lanz & Kollegen benutzen die Menschen als Dekorationsware und stellen sich selbst in den Mittelpunkt.

Die TV-Eliten gerieren sich als unkündbare Beamte, die durch ein kirchensteuerähnliches Pflichtsystem ihr Leben lang abgesichert sind. Ihr Geschmacksurteil begnügt sich mit dem Verweis auf Quoten.

Fernsehen darf nicht zum Ersatzleben werden. Humor und Ironie sollten dem Menschen zur Selbsterkenntnis verhelfen. Stattdessen haben die Deutschen jene romantische Ironie übernommen, die aus „dem Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung“ besteht. Wer in seinen Schöpfungen immer nur sich selbst bewundert und Natur vernichtet, der kann der Selbstvernichtung nicht entgehen.

Wenn Markus Lanz in die Wüste geht, sollte er 99,9% seiner KollegInnen mitnehmen. Fast durchweg hat die deutsche Unterhaltungsindustrie den Zustand des Erschöpft- und Ausgelaugtseins erreicht.

„Es ist ihr Ernst mit nichts, es ist Spiel mit allen Formen“, hatte Hegel das moderne Entertainment vorausgeahnt.