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Ecclesia triumphans

Hello, Freunde des finalen Siegs,

oder des christlichen Glaubens. Wie beginnen die standardisierten Nachrichten an den großen christlichen Festen? „Christen in aller Welt“ … feierten Geburt, Tod und Auferstehung des Herrn.

Christen sind die Sieger der Weltgeschichte. Christen in aller Welt: das ist die Formel des Triumphs. Tusch, Drommeten, Zymbeln und Jerichoposaunen rund um die Erde. Glockengeläute in allen Kirchen, Domen und Kathedralen.

Der Papst und alle führenden Popen aller Kirchen und Sekten haben sich zusammengetan, stehen in Reih und Glied und huldigen vor vereinigten Kameras der Welt ihrem König des Universums. Fallt auf die Knie, bewundert und betet an.

„Denn der Herr selbst wird unter dem Schall der Posaune Gottes vom Himmel herabkommen und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen.“ „Wenn eine Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Kampf rüsten?“ „Wir werden aber im Nu verwandelt werden, im Nu einer Posaune, denn die Posaune wird erschallen und die Toten werden auferweckt“. „Und er wird seine Engel aussenden mit starkem Posaunenschall und sie werden seine Auserwählten versammeln von den vier Winden her, von einem Ende des Himmels bis zum andern.“ „Und ich sah die sieben Engel, die vor Gott stehen; und es wurden ihnen sieben Posaunen gegeben. Da machten sich die sieben Engel, die die sieben Posaunen hatten, bereit, zu posaunen.“

Nicht nur die Mauer von Jericho ist durch den Schall der Posaunen eingestürzt, inzwischen ist die ganze Natur dabei, unter dem triumphierenden Fluch der christlichen Zivilisation

sich aus dem Staube zu machen.

Es gibt verschiedene Arten der Kirchen:

a) ecclesia patiens, die leidende Kirche;

b) ecclesia militans, die militante Kirche;

c) ecclesia triumphans, die triumphierende Kirche.

Die Zeit der leidenden Kirche ist seit der kolonialen Eroberung der Welt durch Priester & Soldaten & Kaufleute im Prinzip vorbei. Durch Kreuz zur Krone, durch Schmerz und Tod zum Sieg, durch Leiden zur Macht über das ganze Universum. Gott ist in den Schwachen mächtig?

Das klingt paradox, doch mit verblüffenden Paradoxien stellt Gott alle Weisheiten und Erkenntnisse der Welt auf den Kopf. Die Letzten werden die Ersten sein, die Kleinsten die Größten.

Das Christentum ist keine Kampfansage, sondern eine Vernichtungsansage an die Welt. Ist Christus nicht ein armer und schwacher Schlucker, der gegen die Schergen der Herrschenden keine Chance hat? Sein Reich ist nicht von dieser Welt – diese Welt ist des Teufels –, sondern über diese Welt.

Der leidende und schmachtende Gottessohn spielt nur die täuschende Rolle der paradoxen Intervention, die ihm sein himmlischer Vater auferlegt hat, um die Welt zu besiegen. In der Hülle des Machtlosen verbirgt sich der Pantokrator (= Allherrscher) der ganzen Schöpfung.

Die weltliche Macht, die ihn ans Kreuz schlägt, ist so belanglos, dass er ihr nicht mal widerstehen muss. Sie kann ihm nichts anhaben. „Oder meinst du, dass ich nicht meinen Vater bitten könnte und er würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel zur Seite stellen? Wie sollen denn die Schriften erfüllet werden, dass es so kommen muss?“

Nicht mal im wehrlosen Zustand kann ihm die Weltmacht ein einziges Haar krümmen, wenn sein Vater es nicht will.

Die christlichen Kirchen kannten nur wenige Zeiten des Leidens und der Verfolgung. Innerhalb kürzester Zeit hatten sie das römische Reich erobert und den Bischof von Rom zum Herren Europas und der Welt gemacht. „Urbi et orbi“, der Segen über die Welt, ist ein Machtspruch über die Welt.

Die Zahl ihrer Märtyrer – von denen sich viele freiwillig zum suizidalen Opfer drängten, um sofort in den Himmel zu kommen – war verschwindend klein, im Vergleich zu den vielen Heiden und Ungläubigen, die sie im Verlauf der abendländischen Geschichte köpften, quälten, verstümmelten, versklavten und ausrotteten.

Der Siegeslauf des Christentums ist einmalig in der Weltgeschichte und wer Erfolg als Kriterium der Wahrheit betrachtet – also der gesamte christliche Westen – sollte in Ehrfurcht erstarren und seinem Gott und Schöpfer danken, dass er auf der Seite der siegenden Bataillone steht.

„Denn alles, was aus Gott ist, überwindet die Welt, und das ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube. Wer ist es, der die Welt besiegt, wenn nicht der, welcher glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?“ „Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus.“ „Tod, wo ist dein Sieg, Tod, wo ist dein Stachel?“

In der Philosophie des Pragmatismus, der in Amerika kreiert wurde und durch den Kapitalismus die Welt erobert hat, wurden Sieg und Erfolg zum Kriterium der Wahrheit. Was sich am Ende durchsetzt, ist nicht nur stärker, sondern die blanke Wahrheit. Das Überleben der Stärksten beweist die Wahrheit derselben. Der Darwinismus ist eine christliche Denkweise (Darwin war studierter Theologe).

Zum Sieg gehört die überlegene Macht in Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Milliardäre sind nicht per Zufall reich und mächtig geworden, sondern als Zeichen ihrer Auserwähltheit.

William James, ein führender amerikanischer Pragmatiker: „Wahre Vorstellungen sind solche, die wir uns aneignen, die wir geltend machen, in Kraft setzen und verifizieren können. Falsche Vorstellungen sind solche, bei denen dies alles nicht möglich ist. In Kraft setzen und verifizieren bedeutet: in die Tat umzusetzen, in militärischen, wirtschaftlichen und technischen Sieg.

Der Tod des Sokrates ist für Pragmatiker der sichere Hinweis, dass er ein jämmerlicher Versager war. In der heiklen Frage nach der Wahrheit der hingerichteten Widerständler gegen Hitler behilft man sich mit dem Jenseits: im Himmel werden die Erfolglosen rehabilitiert.

Das deutsche Sprichwort: wer zuletzt lacht, lacht am besten, bringt es auf den Punkt. In ewiger Seligkeit lachen die Frommen über das Elend der Verfluchten in der Hölle, das sie in inniger Schadenfreude beobachten können – wenn wir dem Kirchenvater Tertullian folgen wollen. Was wir selbstredend tun.

Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg: der Erfolg wurde zur Religion der Moderne, weil die Moderne das Produkt der ecclesia militans und triumphans ist. Kritiker der Moderne müssen keine Hinterwäldler sein, sie können auch Vertreter jener Philosophie sein, für die Wahrheit nicht mit Erfolg identisch ist. Vertreter der Menschenrechte in einer menschenverachtenden Despotie können verfolgt und getötet werden. Sind Menschenrechte deshalb ohne Wahrheit?

Natürlich werden sich alle überzeugten Menschenrechtler bemühen, ihre Grundsätze in Wirklichkeit zu verwandeln. Gleichwohl gibt es für das Gute keine Garantie: unter widrigen Umständen kann die Fackel der Humanität erlöschen.

Ähnliches gilt für den Bereich der Wissenschaft, wie Thomas Kuhn feststellte. Eine neue Wahrheit in der Physik kann sich erst durchsetzen, wenn die Platzhirsche der alten Wahrheit gestorben sind. Die Klugen und Weisen des herrschenden Zeitgeistes sind nicht selten verbohrte Ideologen, die die Kritik an ihren Vorurteilen nicht ertragen.

Sieg des Christentums bedeutet nicht den Sieg des bewussten christlichen Glaubensbekenntnisses. Das christliche Credo gibt es in zweierlei Ausprägungen:

a) als ausgesprochenes, bewusstes Bekenntnis und

b) als christlich geprägte Struktur der Zivilisation, wozu der Sieg des technischen und wirtschaftlichen Menschen über Natur und Welt gehört. Macht euch die Erde untertan. Der Mensch ist worden wie Unsereins.

„Furcht und Schrecken vor euch sei über alle Tiere auf Erden und über alle Vögel unter dem Himmel, über alles, was auf dem Erdboden kriecht, und über alle Fische im Meer; in eure Hände seien sie gegeben. Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich euch alles gegeben.“

Der Mensch zeigt seine Ebenbildlichkeit Gottes durch seine Fähigkeit, wie der Vater im Himmel Dinge aus Nichts zu erschaffen – und ins Nichts zu vertilgen. Am Ende der Zeiten soll die alte Erde „abgestreift“ werden (wie ein TV-Theologe formulierte), eine neue aus Nichts soll an ihre Stelle treten.

Am Ende der Zeiten, der wir uns in rapider Geschwindigkeit nähern, wird die alte Natur verschwunden sein. Nacht und Tod wird es nicht mehr geben, die Natur ist zur Randdekoration geschrumpft. Die finale Stadt auf dem Berge wird voller Gold, Silber und Edelsteine sein. „Man wird die Herrlichkeit und Pracht der Völker in sie bringen“. Das Endreich ist das Paradies für jene, die schon immer Bill Gates und Warren Buffet in einer Person sein wollten.

Christliche Strukturen sind unabhängig von Glaubensbekenntnissen. Wer in christlich versiegelter Natur lebt, in der der Glaube alle Berge versetzt, lebt automatisch als Christ – und sollte er noch so gottlos sein.

Ergo: nicht jeder, der sich Nichtchrist nennt, ist auch einer. Nicht jeder, der sich Christ nennt, muss einer sein. Die meisten christlichen Selbstnenner sind keine Christen, sondern bemühen sich, eine demokratische Humanität zu leben, die sie fälschlicher- und leichtsinnigerweise als Christentum bezeichnen.

Da ihre biblischen Kenntnisse gegen Null gehen, sind ihre Selbstdiagnosen wertlos und irreführend. Was ein Christ ist, bestimmt die heilige Schrift – und nicht windige Deutungen, die zumeist Fälschungen der Schrift sind. Moderne Pfarrer haben die Heilige Schrift zu 99,9% ausgemistet und nur übernommen, was der Humanität der Demokratie nicht widerspricht.

Der absolute Sieg des Christentums wäre der absolute Niedergang der Natur und der Welt. „Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, die du mir gegeben hast. Sie sind nicht aus der Welt, wie ich nicht aus der Welt bin. Weil ihr aber nicht aus der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, deshalb hasst euch die Welt. Wer sein Leben in der Welt hasst, wird es ins ewige Leben bewahren.“

Der endgültige Sieg des Christentums wird die absolute Selbstvernichtung der Menschheit in verwüsteter Natur sein. Die Natur wird sich neu organisieren, der Mensch nicht.

Können Christen Demokraten sein? Solange sie demokratisch sein können, sind sie keine Christen, solange sie Christen sind, keine Demokraten.

Demokratie ist Herrschaft der Vernunft, die im Streit gleichberechtigter Meinungen realisiert wird. Glauben ist eine selektive Gabe an Auserwählte, die die Gebote eines Gottes beachten müssen, der weder gewählt noch abgewählt werden kann. Gebote Gottes gelten unbedingt, demokratische Gesetze unterstehen der Autonomie der BürgerInnen.

Da die meisten Zeitgenossen eine privatistische Sonderreligion als Christentum ausgeben, müssen wir verschiedene Fälle auseinander halten:

Religiöse Haltungen, die sich nur im Innern der Frommen bewegen, das Revier anderer Menschen nicht berühren und sich peinlich an demokratische Gepflogenheiten halten, sind politisch belanglos und demokratie-kompatibel. Interessant sind sie höchstens aus psychologischem Blickwinkel.

Jeder Glaube hingegen, der die Realität mitbestimmen will, muss als politische Ideologie unter die Lupe genommen werden. Einem Glauben aber, der die Welt hasst und vernichten will, besondere Privilegien einzuräumen, ist wie eine Einladung an Brandstifter, das Haus von innen anzuzünden.

Eine politisch relevante Religion, die das Privileg einer besonders geschützten Religion für sich fordert, ist eine antidemokratische Einrichtung.

Wenn Margot Käßmann sich berechtigt fühlt, im Namen ihrer Religion der Gesellschaft ein bestimmtes Verhalten aufzuzwingen, so ist sie eine Moral- und Glaubensdespotin.

Wenn Schutz einer Religion bedeutet, dass dieselbe andere Demokraten zu einem bestimmten Verhalten zwingen darf, so ist dieser Glaube eine demokratiefeindliche Einrichtung.

Richter, die ein solches Urteil sprechen und nicht den Gesetzgeber auffordern, solche skandalösen Sondergesetze zu löschen, sind keine demokratischen Richter, auch dann, wenn sie sich auf bestehende Gesetze berufen können. Nicht alles Legale ist legitim und demokratisch.

Alle Religionen, Philosophien und Weltanschauungen, die die Wirklichkeit prägen, unterliegen der Bewertung der Vernunft, die sich als Mehrheitsentscheidung konkretisiert. Mehrheitsentscheidungen sind keine unfehlbaren Entscheidungen und können von der Gesellschaft durch Debatte und Abstimmung stets neu gefällt werden.

Ist Religion eine Droge des Volkes oder eine Droge fürs Volk? In einer Demokratie ist diese Frage obsolet. Das Volk umfasst alle Klassen und Schichten. Eliten sind nicht per se vernünftiger und demokratischer als andere Schichten. Für Religionen sind sie genau so anfällig wie Mittel- und Unterschichten.

Wenn Menschen eine Religion für das Heil ihrer Seele benötigen, ist das legitim, solange das Heil ihrer Seele nicht das Verhalten anderer Menschen dominiert.

Das Schicksal der Menschheit wird vor allem durch die christliche Struktur der modernen Zivilisation bestimmt, wozu der Glaube an den Fortschritt gehört. Fortschritt ist der Fortgang der Geschichte ans Ende der Zeiten. Da jeder Glaube eine selbsterfüllende Prophezeiung ist, muss das Ende der Zeiten durch menschliches Tun selbst herbeigeführt werden.

Das Ende der Zeiten hat ein doppeltes Gesicht: für Erfolgreiche und Auserwählte wird der Himmel auf Erden bereitet, auf Erfolglose, Schwache und Verlierer warten grässliche Verhältnisse des Elends. Die gesamte Politik des Westens strebt dem doppelten Ausgang der Geschichte zu.

Silicon Valley, Hollywood und die Wallstreet haben nichts anderes im Sinn, als mit Ökonomie, Technik und biblizistischen Bildergeschichten die Menschheit auf die Herrschaft der Auserwählten und die Knechtschaft der Verworfenen vorzubereiten.

Silicon Valley ist nichts als die Realisierung gottgleicher Beobachtung und Überwachung aller Menschen. Wer es wagt, sich diesem Ziel zu widersetzen, wird von heimtückischen Drohnen und wirtschaftlichem Niedergang bedroht.

Die demokratische Vorbildphase der westlichen Menschheit geht ihrem Ende entgegen. Wir nähern uns einer globalen postdemokratischen Epoche. Postdemokratie ist Antidemokratie.

Die drei größten Mächte der Welt sind keine Demokratien. China war noch nie demokratisch, Russland fällt in einen cäsaropapistischen Zarismus zurück und Amerika, die bislang größte Leuchte der Demokratie, wird von Eliten bestimmt, die die Chuzpe besitzen, in aller Öffentlichkeit nichtdemokratische Macht für sich fordern.

Afrika, Südamerika und Europa werden sich entscheiden müssen, ob sie sich den drei Supermächten unterwerfen oder ihnen die Gefolgschaft verweigern wollen.

Mit einer christogenen Zivilisation hat die Menschheit keine Zukunft. Der finale Kampf um die Weltherrschaft wird ein Kampf der Religionen sein.

Entweder berühren Religionen das Wesentliche der Menschen, dann wird das Wesentliche auch die Weltpolitik bestimmen – oder Religionen sind nur luftige Selbstempfindungen, dann wären sie bloße Randnotizen des Weltgeschehens.

Eine christliche Religion, die sich von der heiligen Schrift beherrschen lässt, ist mit der Zukunft des Menschen inkompatibel.