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Die Linken

Hello, Freunde der Linken,

es gibt keine Linken in Deutschland. Links sein bedeutet, nicht nur das richtige Ziel, sondern die richtige Methode haben, die das Erreichen des Ziels nicht vorsätzlich destruiert.

Was ist das Ziel der Linken? Die Aufhebung des menschlichen Elends in aller Welt. Marxens Ziel war vollkommen richtig:

„Alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“

Wie ist Marxens Methode? Die Unterwerfung unter den Automatismus einer Heilsgeschichte, die er „ökonomische Verhältnisse“ nennt. Marxens Methode war vollkommen falsch.

Warum bemerkte Marx nicht den „calvinistischen“ Charakter (alles ist vorherbestimmt und liegt fest) seiner „materiellen Verhältnisse“ (das Sein bestimmt das Bewusstsein; auf Deutsch: Gott bestimmt den Menschen)?

Weil er fälschlich annahm, die Religionskritik sei mit Feuerbach abgeschlossen: „die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik“. Eben nicht. Sie ist nicht nur Voraussetzung, sondern die ständige kritische Begleitung aller gesellschaftlichen Kritik.

In einer Epoche schwitzt man sich eine mit Furcht und Schrecken eingepeitschte Religion nicht aus den zitternden Rippen. Schon gar nicht, wenn die Vertreter der Religion mit raffiniert neuen Parolen die uralten Höllenängste, die sie nicht bei Namen nennen, durch Zeitgeistüberlagerung verewigen.

Warum ist ständige Religionskritik notwendig? Weil Religion sich seit 2000 Jahren in alle weltlichen Verhältnisse eingenistet hat. Nichts in der Moderne – nicht mal

der beklagenswerte Zustand der Naturwissenschaften (die meisten Forscher wollen Gott wissenschaftlich beweisen), schon gar nicht die eschatologische Kontaminierung der Technik (geniale Maschinen sollen einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen) und die neocalvinistisch verseuchte Ökonomie (ihre überirdische Erwählung erkennen die Frommen am irdischen Erfolg) – das von Religion nicht bis ins Mark durchtränkt wäre.

Die Religion hat sich von Glaubensbekenntnissen unabhängig gemacht. Sie hat sich hypostasiert, konkretisiert, materialisiert, strukturalisiert: das Wort ward Fleisch. Das Heilige okkupierte das Unheilige und Weltliche. Nicht offiziell, sondern im anonymen Kern. Dem Schein nach hat der Teufel noch eine kleine Weile das Sagen auf der Welt. Doch seit Golgatha ist er gefällt. In der Übergangszeit zwischen Golgatha und Parusie muss der Sieg Jesu über Tod und Teufel von den Gläubigen noch geglaubt werden. Erst bei Ankunft des Herrn fällt der Schleier: dann wird sichtbar, was bislang geglaubt werden musste:

„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.“ (1.Kor. 13,12)

Warum hat die Heilsreligion die Welt besiegt? Weil sie die Sehnsüchte und Bedürfnisse der Menschheit – ihre Misere zu überwinden – real aufgreift, aber nur in verführerisch-illusorischer Weise zu befriedigen verspricht.

Vollkommen richtig spricht Marx vom Drogencharakter der Religion. Drogen erzeugen die Illusion der Erlösung, ohne ein einziges Problem der Menschen wirklich zu lösen.

Erlösung ist das Gegenteil von Lösung. Durch illusorische Verheißung und Erfüllung hält Heilsreligion die Menschen davon ab, die wirkliche Lösung ihrer Probleme selbst in die Hände zu nehmen. Imaginäre Erlösung betrügt den Menschen um die reale Lösung seiner irdischen Probleme. Er träumt vom richtigen Ziel, wähnt sich aber irrigerweise schon hier und jetzt – in unio mystica – im Schlaraffenland seiner Träume.

Der Drogenwahn hält ihn davon ab, sein gerechtes Ziel mit eigenen Kräften, eigener Intelligenz und eigener Moral zu verfolgen. Anstatt selbständig zu werden, macht er sich von Gnadengeschenken abhängig und unterwirft sich betrügerischen Instanzen, die seine Schwäche ausnutzen, um ihn an die Kette zu legen. Kniet nieder und küsst mir die Füße, dann führe ich euch ins Paradies, spricht ihr Erlöser, der die Schwäche der Menschen nutzt, um ihre Ohnmacht für alle Zeiten irreversibel zu machen.

Das bittere Ende der religiösen Indoktrinierung: nicht nur, dass die Menschen sich nicht mehr helfen können, sie dürfen es auch nicht mehr. Jede Selbsthilfe wäre eine todeswürdige Blasphemie gegen den Heiland der Menschen, der alle Geschöpfe in Kranke verwandeln muss, damit er Kranke heilen kann.

Unabhängige und selbstbewusste Menschen sind ihm ein Gräuel. Ihr Menschen seid Nichts, ein Ottern- und Natterngezücht; Ich, Gott, bin Alles von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Aus der illusorischen Fata Morgana wurde eine reale Degradierung des Menschen in Nichts. Das Mittel der trügerischen Erlösung zerstört das Erreichen des sinnvollen Ziels, die Aufhebung des menschlichen Elends in aller Welt.

Alle Philosophien und Religionen haben dasselbe humane Ziel, das allein von Erlöserreligionen durch inhumane Methoden destruiert wird. Humane Philosophien haben humane Ziele, die sie mit humanen Methoden verfolgen. Humane Methoden sind autonome Methoden. Der Mensch muss aus eigener Kraft schaffen, was er aus eigener Weisheit und Moral für richtig hält.

Schließt das jeglichen Glauben aus? Nicht die Bohne. Nur die inhumanen Religionen, die den Menschen zerstören müssen, um ihn im täglichen Kampf gegen das Grauen zu unterstützen.

Der Kampf geht nicht um Glauben oder Unglauben, wie Wissenschaftsgläubige noch immer in die Welt posaunen. Sondern um humanen und inhumanen Glauben. Wer Glauben benötigt, um seine humanen Kräfte zu stärken oder sich human zu motivieren: nur zu. Hier muss jeder selber sehen, woher er die Kräfte bezieht, die seine Kräfte sein müssen.

Die Erfindung eines humanen Glaubens, einer humanen Motivation ist seine eigene Leistung. Zwar ist auch der Erlöserglauben das Werk des Menschen, aber ein missglücktes, da es auf den Erfinder zurückschlägt und ihn irreparabel schädigt. Jeder Glaube ist nicht nur eine selbsterfüllende Prophezeiung, sondern eine selbst erfundene, selbst ausgedachte Invention, für die er in Eigenregie zuständig ist.

Ohne Glauben geht es nicht. Auch der Glaube an den Menschen ist ein Glaube. Rationales Glauben ist Fürwahr halten von etwas, das in Raum und Zeit noch nicht vorhanden ist. Wer als Kind glaubt, ein guter Marathonläufer zu werden, muss daran glauben, damit er seinen Glauben in Zukunft realisieren kann.

Glauben ist: ein Risiko auf die Zukunft eingehen und den Versuch unternehmen, das Risiko in Tatsachen zu verwandeln. Hat das Kind seinen Traum erfüllt, ist sein Glaube zur nachweisbaren Tat, zur empirischen Erfahrung geworden.

Ein illusionärer Glauben kann nicht realisiert werden, denn er macht sich von illusionären Mächten abhängig. Die illusionären Mächte werden von nichtillusionären Stellvertretern und Popen repräsentiert, die alles unternehmen, um ihre Gläubigen in unfähige Sündenkrüppel zu verwandeln, denen am Schluss nichts bleibt, als bei ihnen auf Knien anzurutschen, um ihre willkürlichen Gnadengaben zu erbetteln. Dieser Glaube ist nicht nur illusionär, er macht die Frommen zu Marionetten höherer Mächte und ihrer machtversessenen Repräsentanten hienieden.

Der Kampf geht nicht um Glaube oder Unglaube. Er geht ausschließlich gegen die Erlöserreligionen, die den Menschen nicht nur um sein Ziel betrügen, sondern ihn erst in jenes Elend zurückstoßen, dem er entkommen wollte.

Marx hat das Ziel einer humanen Menschheit richtig erfasst. Seine Methoden aber sind bewusstseinslose Plagiate der christlichen Erlöserreligion. Der Revolutionär verlässt sich nicht auf die Kräfte autonomer Menschen, sondern auf den dogmatischen Automatismus einer Geschichte, die unfehlbar und unaufhaltsam das Reich der Freiheit erreicht.

Wie heißt das berühmte Zitat? „Die Menschen machen ihre Geschichte selbst“? Bis jetzt stimmt alles. Doch wie geht’s weiter?

„Die Menschen machen ihre Geschichte selbst, aber in einem gegebenen, sie bedingenden Milieu.“ Noch immer nicht falsch, wer wollte leugnen, dass Menschen in einem Milieu leben?

Doch wer hat das Milieu zu verantworten? Ist es ein menschengemachtes oder ein vom Menschen unabhängiges Milieu?

Marx: … in einem Milieu, auf Grund vorgefundener, tatsächlicher Verhältnisse, unter denen die ökonomischen, so sehr sie auch von den übrigen politischen und ideologischen beeinflusst werden mögen, doch in letzter Instanz die entscheidenden sind und den durchgehenden, allein zum Verständnis führenden roten Faden bilden.“

Vorgefundene Verhältnisse sind – ganz abgesehen von den natürlichen – nicht selbstgemachte. Kann der Mensch sie nicht ändern, muss er sie anbeten und sich ihnen unterwerfen. Hier beginnt der Irrweg des Revolutionärs. Hier zeigt sich sein mangelnder Glaube an den mündigen Menschen.

Das Ziel der Marxisten bleibt richtig, ihre Methoden führen in die Falle religiöser Botmäßigkeit. Zwar nennt Marx die fremden Mächte „Sein“ und „materielle Verhältnisse“, es hilft aber nichts. Noch immer sind es die alten illusionären Verführer und Menschenverderber, denen sich Marx anvertraut. In dieser Hinsicht gehört er selbst zur Unterdrückungsgeschichte der Religion. Seine eigene Religionskritik bleibt stümperhaft und äußerlich.

Sein Glaube an eine automatische Heilsgeschichte ist im Kern der Glaube an das liebe Jesulein. Hier haben wir den Kern der Ideologie der deutschen Linken, die in der Wolle gefärbte Ministranten bleiben, wie der heutige Greffrath-Kommentar in der TAZ stereotypisch beweist.

Herr Greffrath hält es für richtig, sich hinter seiner „Nichte“ zu verstecken, wohlklingende Zitate aus Altem Testament und Neuem Testament zu liefern, das alte Athen in gewohnter Weise zu verhohnepiepeln, sich für urevangelischer als die böse Kirche zu halten, um als Herz-Jesu-Linker nicht nur Kirchenvater Marx, sondern auch die Frohe Botschaft für sich zu reklamieren. In gewohnter Borniertheit wird die Wiege der Demokratie demoliert, auf dass bei den Linken noch immer die Glocken des Heils läuten dürfen. Gegen Marx „ist doch die athenische Demokratie der reinste oligarchische Klapperatismus.“

Das ist die Schwäche der Linken, denn sie sind keine: den Altarraum der Rechten haben sie noch nie verlassen. Merkwürdigerweise trifft es zu, dass Linke und Rechte fast deckungsgleich sind: alle zwee beeden sind fromm, frömmer geht’s nicht. Wie sagt der Berliner: wie ick den Laden hier kenne, kann dat nur das liebe Jesulein sein, um den sich in Deutschland alles dreht.

Pegida und Merkel: beide sind fremdenfeindlich, aggressiv gegen Gottlose und Andersgläubige, beide singen dieselben Kirchenlieder. Die einen glauben an die Heilsgeschichte, die andern nicht minder. Die einen sagen: selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Reich der Himmel. Die anderen sagen: selig sind die moralisch unmündigen Proleten, denn ihrer ist das Reich der Freiheit.

Marx gehörte zur Hegel‘schen Linken, die die Verhältnisse ändern wollte. Doch sein Verändern blieb auf der Stufe quietistischer Unmündigkeit der Romantiker. Der Mensch kann nur verändern, was die allmächtige Geschichte ohnehin verändert. Aus dem Vorwort zu Kapital I:

„Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist – und es ist der letzte Endzweck dieses Werks, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen – kann sie naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren (= bestimmen, wegräumen). Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern.“

Die Geburtswehen einer automatisch ablaufenden Geschichte abkürzen und mildern: that‘s all. Ein bisschen mehr Kohlen ins Feuer der Geschichtslokomotive, wenn‘s einigen Heißspornen zu langsam geht. Oder die Notbremse ziehen, wenn‘s deutschen Tranfunseln zu schwindlig wird beim Sausen und Dampfen ins Reich der Freiheit.

Es geht noch deutlicher. Hatte Marx nicht die „utopistischen“ Sozialisten in Paris verhöhnt, die sich auf ihre moralische Kompetenz verließen? Übrigens dieselbe Position, die deutsche Neukantianer einnahmen, um den Glauben an den Geschichtsautomatismus orthodoxer Marxisten zu bekämpfen. Diese linken Neukantianer waren die Einzigen und letzten Linken in Deutschland. Danach totale Sonnenfinsternis bis zum heutigen Tag.

Bis heute haben die autonomie-vergessenen Linken weder Vorländer, Bernstein, noch Cassirer, Popper und Löwith entdeckt und sich mit deren Marx-Kritik auseinandergesetzt. Die Linken sind so borniert und streitunfähig wie alle religiösen Dogmatiker, die entgegengesetzte Meinungen nicht zur Kenntnis nehmen.

Trotz seiner Teilnahme am „Positivismusstreit“ – dem Streit zwischen Popperianern und Frankfurtern – gehört auch Habermas zu den Linken mit dem engen Silberblick. Zwar sprach er vom gewaltfreien Diskurs, doch seine eigenen Diskursqualitäten lassen zu wünschen übrig. Kein Wunder, dass er am Ende den katholischen Herren Ratzinger und Böckenförde unter den Talar schlüpfte.

Hier der Satz, mit dem Marx die moralische Selbstbestimmung jedes Einzelnen niederschlägt: „Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess auffasst, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.“

Mit anderen Worten: der Mensch kann tun und machen, philosophieren und reflektieren, sich politisch engagieren, wie er will: er bleibt Sklave und Kohlenschipper einer Geschichtslokomotive, die fährt, wohin sie will, gleichgültig, was ihre Passagiere in den Waggons für richtig halten oder nicht. Sie mögen still sein oder randalieren, beten oder fluchen: der naturgeschichtliche Prozess ist, wie jedes Naturgesetz, von keinem Mensch zu ändern.

Marx betrachtet die Heilsgeschichte als deterministisches Naturgesetz, das die Menschen kommandiert, ob sie wollen oder nicht. Zum Fahrplan der Geschichte ist es vollständig hinreichend, wenn man „mit der Notwendigkeit der gegenwärtigen Ordnung zugleich die Notwendigkeit einer andren Ordnung nachweist, worin die erste unvermeidlich übergehen muss, ganz gleichgültig, ob die Menschen das glauben oder nicht glauben, ob sie sich dessen bewusst oder nicht bewusst sind.“ (Das Kapital)

Marx „betrachtet die gesellschaftliche Bewegung als einen naturgeschichtlichen Prozess, den Gesetze lenken, die nicht nur von dem Willen, dem Bewusstsein und der Absicht der Menschen unabhängig sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen, Bewusstsein und Absichten bestimmen.“ Das Bewusstsein des Menschen ist eine untergeordnete, eine zu vernachlässigende Größe.

Das kollektive Es der Menschheit als gegängeltes Es materieller Verhältnisse spielt die entscheidende Rolle in der Geschichte. Sein ach so stolzes Ich kann der Mensch an der Garderobe des Seins zurückgeben. Zwecks überflüssigen Tands.

Marx wollte die Menschheit von trügerischen Drogen befreien, die Perspektiven einer humanen Gesellschaft entwerfen. Doch sein Geschichtsautomatismus ist von derselben opiaten Art wie die Religion der Christen, deren Ende er feierte. Die unfehlbare Hoffnung seiner Lehre ist das Geheimnis seines Erfolgs in aller Welt, die keine Mühe hatte, vom soteriologischen zum marxistischen Rauschgift überzugehen. Mit einem Gesicht schaut Marx auf das humane Ziel der Zukunft, mit dem anderen verweist er den Menschen ins düstere Mittelalter.

In seiner Marx-Biografie versucht der Neukantianer Karl Vorländer das Duo Marx & Engels zu verstehen. Sie hätten die Schnauze voll vom klerikalen Predigen und Moralisieren – nicht anders als Adam Smith –, deshalb schütteten sie das Kind mit dem Bade aus und verfluchten alle kantische Moralautonomie. In dieser Hinsicht blieben die Väter des revolutionären Sozialismus passive, kant-allergische Romantiker:

„Es ist sicher, dass Marx und Engels nur aus einer tiefgehenden Abneigung gegen alle bloßen schönen Worte und frommen Wünsche, gegen alles flache Versöhnungsgerede und gegen alles „Moralpauken“, das in der Regel von einer Ethik der Satten an die Adresse der Bedrückten gerichtet wird, zu ihrer Abweisung aller sogenannten Ethik aus ihrer Begründung des Sozialismus gekommen sind, den sie auf ein nur naturgesetzliches „Müssen“ statt des ethischen „Sollens“ begründen zu können glaubten. Und, nicht zu vergessen, aus ihrer grundsätzlichen Ablehnung des Utopismus. Gerade in diesem Zusammenhang kommt der „berüchtigte“ Satz von Marx vor, dass die Arbeiterklasse „keine Ideale zu verwirklichen“, nämlich „keine fix und fertigen Utopien durch Volksbeschluss einzuführen“ habe.

Linke Neukantianer waren die letzten Linken in Deutschland, die das Marx‘sche Ziel einer gerechten Gesellschaft mit antimarxistischer moralischer Autonomie zu verbinden wussten. Die heutigen Linken sind verkappte Heilsgeschichtler, die des Nachts zu den Altären ihres Jesulein schlüpfen, um ihre tonnenschweren blauen Marx-Bände absegnen zu lassen. Niemand darf wissen, dass auch sie die fromme Mutter Merkel verehren, ihre erfolgreiche Schwester im Herrn.

Die BRD ist eine GAGROKO – eine ganz große Koalition – der Frommen, eine Querfront aus Linken und Rechten, die als Lohn ihres Geschichtsgehorsams das Reich Gottes und das Reich der Freiheit erwarten. Der Friede Gottes, der höher ist denn alle aufgeklärte Vernunft, bewahre ihre Herzen und Sinne bis morgen früh um acht.

Danach aber der verständige Mensch, der seine Utopie in selbst-gerechter, selbst-bewusster und selbst-gewisser Mündigkeit mit Gleichgesinnten in aller Welt zu schaffen gedenkt.