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Die erste und die zweite Natur

Hello, Freunde der zweiten Natur,

die Technik will eine zweite Natur, die Religion will eine zweite Natur.

Was Religion will, führt Technik aus. Technik und Religion zerstören gemeinsam die Natur. Die erste, die minderwertige Natur.

Jeder Mensch braucht eine zweite Chance. Der Schöpfer auch. Selbstberauscht deklarierte er seinen ersten Schöpfungsversuch als eins mit Stern. Kaum zeigten sich Kratzer am Lack, wurde der Erfinder so wütend, dass er alles einstampfen wollte.

Doch er ließ ab von der Zerstörung. Sonst hätte er kein süßes kleines theatrum mundi gehabt, an dem er sich ergötzen konnte wie heutige Jugendliche an ihren Konsolenspielen. Also ließ er die Welt leben – auf Vorbehalt.

Unsere Geschichte ist ein Vorgang auf Vorbehalt. Das Schwert des Herrn schwebt über unseren Häuptern und droht uns jeden Augenblick zu vernichten. Wann es sich auf uns stürzen wird, weiß niemand. Wüssten wir‘s, könnten wir unsere Freveltaten terminieren und kurz vor dem Ende Reue und Buße tun. So einfach hat‘s uns der Herr nicht gemacht.

Wir sollen unser Leben nicht in Ruhe und Frieden verbringen, sondern in ständiger Achtsamkeit. Wachet, denn ihr wisset nicht die Stunde. Hier beginnt das Burnout-Syndrom der Moderne. Immer aufputschen, die übermüdeten Augen offen halten, seinen natürlichen Rhythmus zerstören. Nicht zirkuläres Wachen und Schlafen, Arbeiten und Ausruhen, sondern

lineare Selbstausbeutung ohne Rekreationsmöglichkeiten.

(Wer Synonyme für Ruhe sucht, erhält: Tatenlosigkeit, Faulenzerei, Müßiggang, Nichtstun, Mattigkeit, Rast, Untätigkeit.)

Die lineare Heilsgeschichte ist eine Erschöpfungsgeschichte. Nur wer ausharrt bis ans Ende, kommt aufs Treppchen. Die Konkurrenz der Moderne ist vor allem eine des Durchhaltens, Zähnezusammenbeißens und Wartenkönnens. Zähigkeit im Ertragen der sich hinziehenden Durststrecke ist die Haupttugend der Hoffenden und Harrenden. Die törichten Jungfrauen hatten die Frechheit, einzuschlafen, obgleich die Ankunft des Großen Mannes angekündigt war.

Kaufet die Zeit aus, heißt, verpennt euer Leben nicht mit heidnischer Lust und Freude, sondern er-schöpft euch.

Erschöpfung ist das Gegenteil von Schöpfung, für gewiefte Dialektiker das Gleiche. Erst müssen die lieben Kleinen vor Erschöpfung das Handtuch geworfen haben, damit der Erlöser mit dem Goldenen Hubschrauber einfliegt. Die erste Schöpfung muss erschöpft sein, damit sie der zweiten Schöpfung Platz machen kann.

Die zweite Natur ist die zweite Schöpfung. Oder: alles muss raus, damit neue Ware gekauft werden kann. „Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft. Die des Herren harren, gewinnen das Land“. Die große Bratwurst am Ende der Geschichte: darauf muss man warten. Je mehr man sich ihr nähert, je mehr entfernt sie sich.

Verhaltenstherapeuten würden von Konditionieren durch sich ständig entziehende Verstärkung sprechen. Verheißung ohne Erfüllung: das nennt die Moderne Zukunft. Das christliche Dogma ist Verhaltenstherapie mit Lohn und Strafe. Nach Skinner ist Strafe keine gute Idee, um Menschen zu konditionieren. (Heute spricht man nicht mehr von Konditionieren, sondern von Motivieren.) Strafen ist kontraproduktiv und motiviert nicht.

Unerwünschtes Verhalten sollte besser ignoriert werden, dann legt es sich von selbst. Wenn Kinder merken, dass sie mit Unfug die Autorität ärgern können, erleben sie ihren Übermut als Machtmittel über die Autorität, die sie nach Belieben in Erregung versetzen können. Hier hat Skinner die göttliche Pädagogik seiner puritanischen Jugend übertroffen.

Ohne Hölle hingegen kommt der transzendente Verhaltenstherapeut nicht aus. Man stelle sich vor, der neue Franziskus würde nur mit himmlischen Verlockungen und Ignorieren der Sünden regieren, das wäre angstreduzierender als rote Lackschuhe zu verschmähen.

Die ganze Heilsgeschichte ist ein zweiter Versuch. Das Erste ist vergangen. Nun muss ein neuer Himmel und eine neue Erde her. Passive Christen – wie die Deutschen – erwarten alles vom Himmel, aktive Christen wie die Amerikaner nehmen vorweg, woran sie glauben. „Der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb, und an ihm werden die Himmel mit gewaltigem Getöse vergehen, die Elemente aber in der Gluthitze sich auflösen und die Erde und die Werke auf ihr nicht mehr zu finden sein.“ (2.Petr. 3,10)

Wie ein Dieb in der Nacht? Will Gott uns die Erde klauen, wenn wir selig schlafen? Das will er. Also wachet, ihr Würmchen, und passt auf, wenn nächtens die Diebe kommen und sich als Götter ausgeben: jagt diesen Spuk zum Teufel. Ignorieren wäre lebensgefährlich.

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde sind verschwunden“. Hier stehen wir am Ursprung der modernen Technik und des Fortschrittsglaubens – und der Vermüllung von Land und Meer. Wer Neues schafft, muss das Alte entsorgen. Wohin mit den ganzen alten Schrott? Den Atomschrott unter die Erde, damit das Grundwasser verseucht wird, den Konsumschrott ins Meer, dass man vor lauter Plastik kein Wasser mehr sieht. „Und das Meer ist nicht mehr“.

(Kleiner Tipp für BASFler: die Plastikmassen am besten flächendeckend mit Globuli bestreuen, dann wird aus Chemie lebendiges Manna für die Fische – die längst unter der zweiten Naturdecke verrecken.)

Alles, was erste Natur ist, wird vom Herrn der zweiten Natur aussortiert.

(Den Begriff Natur = Kosmos lernten die biblischen Schriftsteller erst von den Griechen kennen. Im Alten Testament kommt er sinngemäß nicht vor. Kein Wunder, Kosmos ist das Gelungene und Schöne. Die in Sünde gefallene Schöpfung ist etwas, was überwunden werden muss. Da uns neunmalkluge Gelehrte sagen, wir könnten nicht zurück zu den Griechen, bleibt uns nichts anderes, als nach vorne zu schauen und die sündige Natur zu erlösen, indem wir sie vernichten.

Schöpfen und Erschöpfen ist das Gleiche. Sollten wir da nicht lieber die Gelehrten entsorgen und sie auf Traumyachten schicken, die von der Plastikhölle gekapert und schaurig in die Tiefe gezogen werden? Liebe NSA: keine Drohnen schicken, war nur metaphorisch gemeint.)

Erde ist erste Natur und die ist von Übel. „Wer von der Erde stammt, der stammt von der Erde und redet von der Erde; wer vom Himmel kommt, der ist über allen.“ Wie lange schon schmort Nietzsche in der Hölle für seinen blasphemischen Satz: Bleibet der Erde treu?

Jünger des Himmels sind Jüngern der Erde weit überlegen und beherrschen sie nach Belieben. Die Himmlischen sind die Herren der Erdlinge oder Weltlinge. „Wisset ihr nicht, dass die Freundschaft mit der Welt Feindschaft wider Gott ist? Wer also Freund der Welt sein will, der erweist sich als Feind Gottes.“

Das muss man sich sorgsam auf der Zunge zergehen lassen. Der Freund der Schöpfung ist der Feind des Schöpfers. Womit klar ist, dass die deutschen Schöpfungsbewahrer bei Nietzsche in der Hölle schmoren, worüber er sich bestimmt freuen wird.

Die erste Schöpfung muss vernichtet werden, damit die neue in Erscheinung treten kann. Wüssten die deutschen Öko-Bibel-Fälscher, wovon sie redeten, müssten sie an vorderster Stelle die alte Schöpfung vernichten, um die neue zu schaffen: das ist Bewahren der Schöpfung. Die alte Erde muss in den Schlund, damit die neue aus Silicon Valley in strahlender Schönheit erscheinen kann.

Auch Marx war kein Freund der ersten Natur. Sie musste durch menschliche Arbeit erst zu einer zweite Natur veredelt werden, bevor er seinen biblischen Segen gab, den er für gottlos hielt. In den Spuren von Locke, der Natur auch nur in kulturierter Form zu schätzen wusste, gilt für die erste Natur: „Für den Menschen ist sie nichts, solange sie nicht durch gesellschaftliche Arbeit angeeignet werden kann.“

Wie bei Benjamin Franklin, einem der Urväter des methodischen und zeitauskaufenden Kapitalismus, ist auch für Marx die Arbeit das Zaubermittel, um aus minderwertiger Natur die Verlockungen zu machen, die uns im Supermarkt verzaubern. Ein weiterer Beweis für die Übereinstimmung von Sozialismus und Kapitalismus. Natur im Roh-Format – im Roh-stoff-Format – ist für Ausbeuter und Klassenkämpfer nichts. Erst menschliche Arbeit entsündigt das Rohe und verwandelt es in die Hostie des Kapitalismus: in Waren.

Arbeit ist das Pendant zur priesterlichen Segnung, welche rohe Oblate und schnöden Wein in Leib und Blut „transsubstantiiert“. Also in himmlische Substanz verwandelt. Natur, per Arbeit verwandelt, entspricht dem Leib und Blut Christi. Konsumieren ist Wiederholen des Abendmahls, übertragen auf alle Dinge der Natur.

Auch Marx wollte die zweite Natur durch Vernichten der sündigen ersten Natur und Verwandeln in paradiesischen Wohlstand auf Erden. Der sakramentale Segensspruch des Priesters entspricht der transsubstantiierenden Maloche des Proleten, der aus Staub, Kot und Schmutz die zweite paradiesische Natur herzaubert.

Bei Hegel keinen Deut anders. Bevor durch Arbeit das Heilige entsteht, muss es verflucht werden. Was verwandelt werden will, muss erst durch die Prüfung des Feuers. Nicht anders als beim Erlöser, der erst in die Hölle niedergefahren sein muss, bevor er feuergeprüft und -bewährt auferstehen darf. Das Normale, die erste Natur, hat die „Furcht des Todes, des absoluten Herrn empfunden“, hat in „sich selbst erzittert und alles Fixe hat in ihm gebebt.“

Arbeit ist Läuterung schnöder Materie in geistgewirkte Menschendinge. Das ganze „Geschäft der Weltgeschichte ist die Arbeit, den Geist zum Bewusstsein zu bringen.“ Die erste Natur ist bewusstseinsloser Stoff, erst die Zauberkraft der Arbeit bildet diesen zum Geistprodukt. „Arbeit ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden oder sie bildet.“ Wer hemmungslos seinen Trieben folgt, ist lustverseucht. Die erste Natur ist bewusstseinslos, erst die zweite Natur ist zu sich gekommen und weiß von sich.

Durch Arbeit geschieht, was Paulus das „Offenbarwerden der Herrlichkeit der Söhne Gottes“ nennt. Arbeiter sind Söhne Gottes, die das Geschaffene (= Natur) aus der Knechtschaft des Verderbens zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes befreien.“ (Röm. 8, 19 ff)

Erst durch die erlösende Kraft der Arbeit ist der Sündenfall überwunden, bei dem ein Keil gelegt wurde zwischen Mensch und Natur. Aus der Sündenarbeit im Schweiße des Angesichts macht die Neuzeit die Erlösungsarbeit an der gefallenen Natur. Gottes Fluch verwandelt der gläubige Mensch in Segen. Aus Bösem macht er Gutes. Mephisto, der stets das Böse will, muss das Gute schaffen. Kants Natur, die Zwietracht zwischen den Menschen sät, spornt sie an, über sich hinauszuwachsen.

Der Mensch der Neuzeit emanzipiert sich vom christlichen Credo, indem er alles durch Gott verordnete Negative in Segenstaten umfunktioniert, die er durch eigene Arbeit zuwege bringt. Mandeville hatte dem Bösen den Kampf angesagt und private Laster in öffentliche Tugenden umgewandelt.

Man könnte sagen, die Bibel wird mit eigenen Waffen geschlagen. Gottes Strafen werden als Prüfungen verstanden, die der Mensch besteht, indem er die versteckten pädagogischen Absichten des Herrn durchschaut und ins Gegenteil verkehrt. Hat der Herr es schlecht mit uns gemeint? Es sah nur so aus, doch wir haben das Beste daraus gemacht. Wir müssen nur seine versteckten Hinweise verstehen und seine Double-Bind-Sprache dekodieren.

Wie die NSA die versteckten Beweggründe der Menschen entlarvt, entlarvt das mündige Subjekt die verborgene Botschaft des himmlischen Vaters. Erkennen ist Aufdecken, Entlarven, Entblößen dessen, was verborgen ist.

Hier gleichen sich Journalisten, Schlapphüte und Psychoanalytiker. Alle wollen sie investigativ erforschen, was sich im Schutz der Dunkelheit und der Sünde verborgen hat. Modernes Erkennen ist Eindringen ins Dunkle geworden.

Bei den Griechen völlig undenkbar. Dort gab es kein sündiges Unbewusstes, dort musste gesehen werden, was vor aller Augen lag. Mit sinnlichen Augen sehen, so fängt das Erkennen an. Doch das Gesehene muss verstanden werden, damit man es vollständig wahrgenommen hat. Erst, was in seinen Strukturen verstanden wurde, war vom geistigen Auge gesehen worden. Wahres Sehen ist Erkennen.

Diesen Zusammenhang hat die Moderne verleugnet. Journalisten und Schlapphüte – verfeindete Geschwister – sehen, was vor Augen ist. Es käme aber darauf an, die Daten in ihren Zusammenhängen zu verstehen. Warum ist die Erkenntnis des Verborgenen in der Moderne so wichtig geworden?

Die Griechen kannten kein System Unbewusstes. Der Grund ist einfach: die platonische Höhle, der man durch Erkenntnis entkommen kann, wird zur christlichen Hölle, der man nur mit Gottes Hilfe entkommen kann. Das Unbewusste der Moderne wird zum Reich der Sünde und des Verderbens. Die Hölle des Verdrängten muss erobert und durchleuchtet werden, damit dem Bösen das Handwerk gelegt werden kann. Das ist die Absicht moderner Entlarver und Entblößer: sie alle sind Kämpfer gegen das Böse der Welt.

Modernes Erkennen ist Böses-Erkennen. Griechen erkannten den Kosmos, die schöne Natur, die uns bezaubert.

Sinnliche Augen müssen geistig sehen lernen. Erkennen kann man nur, was man schon immer gesehen und doch nicht wahrgenommen hat. Hier beginnt das Staunen.

Am Anfang des griechischen Erkennens war das Staunen. Am Anfang des modernen Erkennens steht das Erschrecken. Danach die Überwindung der Angst und das Eindringen ins düstere Reich des Verworfenen.

Nach dem Staunen kam das Entzücken am Wohlgeordneten und Vollkommenen. Nach dem Erschrecken kommt das Gefühl: noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Das Reich der Finsternis ist durchsucht, das verborgene Böse ist zur Beute geworden. Der Drachen liegt in seinem Blut.

Das ist das gemeinsame Erkenntnismodell von Tagesschreibern und Spähern. Sie müssen das Dunkle der Menschen enthüllen, um weiteren Schaden von ihnen zu wenden.

Die NSA denkt nicht daran, das Offenbare und Augenfällige zu sichten, zu verstehen und zu erklären. Deshalb haben sie noch nie elementare Umwälzungen vorausgesehen. Voraussehen kann man nur, was man gesehen hat. Alles andere ist Kaffeesatzprophetie.

Auch der Journalismus sieht im Entlarven von Verborgenem die Hauptdisziplin seiner Arbeit. Gelegentlich ist das sinnvoll. Denn die Mächte verstecken ihre Machenschaften, um ihre Macht zu vergrößern. Dennoch liegt das Wesentliche vor aller Augen, es wird nur nicht zur Kenntnis genommen.

Die wichtigste Kausalität der Gegenwart, die Religion, wappnet sich mit Heiligkeit, um nicht durchschaut zu werden. Sie wäre der Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart, die bewusstseinslos den Gesetzen der Religion folgt. Je mehr das Heilige sich der Erkenntnis entzieht, je mehr müssen private Einzelheiten im Verborgenen aufgedeckt werden.

Will man heute etwas verbergen, muss man es in der Mitte des Marktplatzes deponieren. Hitler schrieb ein Buch in Millionenauflage über die Schandtaten, die er vorhatte. Niemand glaubte ihm. Wer wird sich in aller Öffentlichkeit freiwillig entlarven? Je un-heimlicher, je belangloser.

Was öffentlich ist, ist noch lange nicht verstanden. Der Mensch, so die Moderne, ist ein Heimtücker, der seine bösartige Wahrheit mit allen Mitteln verbirgt. Genau diese Wahrheiten müssen ihm entrissen werden. Die offensichtlichen Taten der Menschen sind am wenigsten interessant. Entlarvend sind die heimlichen Motive und Gedanken.

„Ich bin mir nichts bewusst, deswegen bin ich noch lange nicht gerecht gesprochen“, sagt Paulus. Die paulinische Bewusstseinsschwäche soll überwunden werden, indem die sündige Seele der Kreatur durchschaut wird. Die Erkenntnis des unbewussten Bösen ist bei Paulus dem Gott vorbehalten.

Die NSA reklamiert diese göttliche Erkenntnisart für sich. Die amerikanische Nation ist gottebenbildlich, also besitzt sie die Fähigkeit, das Böse dem Unbewussten zu entreißen und zum Nutzen der Guten zu verwenden.

Ähnlich das psychoanalytische Erkenntnismodell. Das Verdrängte zu erforschen ist wichtiger, als das Offenliegende zu debattieren. Der Mensch wird von seinem triebhaften Unbewussten gelenkt, nicht von seinen bewussten philosophischen Gedanken. Wo Es war, soll Ich werden. Doch beim Ich versteht sich alles von selbst, wenn es nur vom Es befreit wurde.

Logische Debatten zwischen Analytiker und Patient sind nicht vorgesehen. Kommt es zu Meinungsverschiedenheiten, liegen sie immer daran, dass der Patient seine neurotischen Dunkelheiten noch nicht aufgearbeitet hat. Das Bewusste kann sich selten irren, nur das Unbewusste verzerrt die Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Gibt es Streit zwischen Analytikern – wie zwischen Wilhelm Reich und orthodoxen Freudianern – liegt der Grund immer im Unbewussten des Gegners: Reich hat seinen Vaterkomplex noch nicht überwunden.

Minderwertige erste Natur muss überwunden und in eine perfekte zweite Natur verwandelt werden. Sei es durch Erkenntnis des Bösen oder durch Arbeit. Arbeit ist das Sakrament, mit dem die erste Natur in eine vollkommene transformiert wird. Ora et labora: bete und arbeite heißt in Hegels Deutung: bete arbeitend, arbeite betend. Beten und Arbeiten sind identisch.

Wenn Arbeit Gottesdienst ist, darf man sich nicht wundern, wenn das BGE (Bedingungsloses GrundEinkommen) keine Chance hat, politische Realität zu werden. Jeder muss seiner sakramentalen Arbeitspflicht nachkommen. Selbst bei nichtchristlichen Parteien. Linke und Rechte sind sich einig: nur Arbeit macht den Menschen zu einem höheren Wesen, das die Erde in ein Paradies verwandelt.

„Ora et labora! Bete und fluche! Fluchen ist sonst, wenn einer Sakrament sagt, aber in der Religion fallen alle diese Dinge, die sonst auseinander, zusammen. Die Erde sei verflucht und im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen! Arbeiten heißt die Welt vernichten oder fluchen.“ (Hegel)

Die Arbeit des momentanen Weltgeistes ist der letzte Akt der Verwandlung des Unvollkommenen ins Vollkommene. Die erste Natur muss verflucht und vernichtet werden, damit am amerikanischen Horizont die Morgenröte der zweiten neuen Natur heraufsteigen kann.