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Deutsche Bildung

Hello, Freunde der deutschen Bildung,

es gibt Menschen, die Bildung als Gutmenschentum definieren. Deutsche Bildung halten sie für Humanität; Genialität, gleichgültig in welcher Disziplin, gar für den Gipfel der Menschenliebe.

Konstrukteure von Atombomben, Erfinder von Intelligenzmaschinen, die Menschen überflüssig machen oder mit globaler Überwachung terrorisieren, sind für sie Heroen der Menschheit. Es soll Chauvinisten geben, die die Anzahl der Nobelpreisträger pro Nation addieren, um ihr Volk im Eitelkeitsranking aller gegen alle an der Spitze der Menschheit zu sehen.

Genialität muss Erfolg bringen, gemessen an scheinobjektiven Skalen des Ruhms, Reichtums und der Macht. Die jährliche Verleihung der Nobelpreise ist eine Eitelkeitsorgie selbsternannter Zensoren und Gelehrter, die ihre technische, wissenschaftliche oder wirtschaftliche Kompetenz als Spitzenleistung der Gattung betrachten.

Nur aus Alibigründen wird ein Friedensnobelpreis verliehen. Werke der Menschlichkeit, oft unscheinbar, fast immer mit Risiken verbunden, gelten in der Welt der machtorientierten Genies fast nichts. Deutsche, die im Dritten Reich Juden versteckten, wurden verschwiegen oder galten in Nachkriegsdeutschland lange als Verräter. Vergeblich warnte Popper vor der Diktatur der Brillanz und warb für sokratische Bescheidenheit – dem Gegenteil christlicher Demut, die ihrem Gott in Staub und Asche die Füße küsst.

Wie konnten deutsche Gebildete und Genies zu Menschheitsverbrechern und

Weltmeistern in Bestialität werden?

Vor 70 Jahren wurde eines der größten KZs auf deutschem Boden befreit. Buchenwald, nur einen Katzensprung von Weimar entfernt, dem Tempel des deutschen Genies, war eine Hölle für 250 000 Menschen.

„Salve! Auf dem Frauenplan und an Goethes Gartenhaus blüht, was der Frühling an Farben herbeizuzaubern vermag. Vorm Goethe-Wohnhaus und auch am Schillermuseum stehen geduldige Menschen Schlange. Die einen wollen in die Gemächer des Dichterfürsten, die anderen zu den einst in Weimar gemalten Bildern Lucas Cranachs d.Ä.“

Überm Portal des berühmten Hotels Elephant am Markt hängt Goethes Spruch: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich‘s sein.“ (Ingeborg Ruthe in der BLZ)

Die Opfer in Buchenwald wurden zu Unter- und Nichtmenschen, die Täter zu Un- und Übermenschen. Das Menschliche, das hier sein durfte – wo war es?

In seinem Werk „Deutscher Geist und Judenhass“ schreibt Micha Brumlik: „Der jüdische Historiker Heinrich Graetz vermerkte lakonisch, dass zwei Männer ersten Ranges, Goethe und Fichte, die Eingenommenheit der Deutschen gegen die Juden teilten.“

Bei Fichte wäre Eingenommenheit die Untertreibung des Jahrhunderts. Für Fichte waren Deutsche und Juden zwei Urvölker, die eine herausragende historische Mission für die ganze Welt hatten. „In gewisser Weise konkurrieren Juden und Deutsche um die Rolle des auserwählten Volkes. Erst der Geist der germanischen Stämme – damit wurde Fichte zum Vorläufer der nationalsozialistischen Deutschen Christen – vermöge die im Christentum enthaltenen Impulse angemessen zu entfalten.“

Was bei Fichte noch aggressionsgehemmt formuliert wurde – er sprach von „Rückführung der Juden nach Palästina“ – wurde von seinem Zeitgenossen, dem Publizisten Adam Müller, schonungslos auf den hasserfüllten Begriff gebracht:

„Wir führen Krieg gegen die Juden, gegen ein Gezücht, welches mit wunderbarer Frechheit, ohne Beruf, ohne Talent, mit wenig Muth und noch weniger Ehre, mit bebendem Herzen und unruhigen Fußsohlen, wie Moses es ihnen prophezeit hat, sich in den Staat, in die Wissenschaft, in die Kunst, in die Gesellschaft einzuschleichen, einzudämmen, einzuzwängen bemüht ist.“

Friedrich Schleiermacher, führender Theologe der Romantiker, forderte von den Juden nichts weniger, als „dass sie der Hoffnung auf einen Messias förmlich und öffentlich entsagen.“ Die Juden sollen ihrer Messiashoffnung entsagen, damit die Christen ohne lästige Konkurrenz ihren Erlöser erwarten können. Als die Juden der Forderung nicht nachkamen, schwitzten die Deutschen sich einen messianischen Führer aus den Rippen, der den Messias der Juden vernichtete, indem er sie als ganzes Volk vernichten wollte.

Goldhagens These vom mörderischen Antisemitismus der Deutschen, der sich in vielen Jahrhunderten herausgemendelt hatte, wurde von deutschen Historikern mit Empörung quittiert, die das Böse gern auf Hitler reduziert hätten, um die Deutschen als Opfer seiner dämonischen Verführungskünste zu ent-schulden.

Brumlik, dessen Buch in der deutschen Öffentlichkeit nie ankam, hält dagegen, dass die Goldhagen-These vom eliminatorischen Antisemitismus in den „deutschen Ländern durchaus begründet zu sein scheint.“

Das gebildete Weimar, das geniale Deutschland, muss von allen verbrecherischen Untaten frei sein. Die diametralen Gegenbücher zu Brumlik sind Safranskis Heldenbiografien über deutsche Genies. Goethe, Schopenhauer, Nietzsche, die Romantiker, Heidegger: lauter erbauliche Weißwaschungen der bluttriefenden deutschen Bildungs-Weltmeister.

Inzwischen hat die deutsche Nachkriegsphilosophie ihren absoluten Bankrott erlebt: Heideggers – bislang unbekannte – Schwarze Hefte entlarvten den Sein und Zeit-Denker unzweideutig und endgültig als glühenden Judenhasser. Für jeden, der es wissen wollte, hätte es spätestens seit Víctor Farías‘ Buch: „Heidegger und der Nationalsozialismus“ klar sein können, dass der fanatische Katholik im Gewande des Atheisten ein glühender Anhänger der wunderbaren Schlachter-Hände des Führers war.

Doch Víctor Farías war nur ein dahergelaufener chilenischer Germanist. Wie können Außerdeutsche sich anmaßen, die Aura eines deutschen Denkers zu ermessen? Hätte Heidegger in seinen Schwarzen Heften die Juden nicht selbst zu Untermenschen gestempelt – die deutschen Seinsschwurbler würden noch heute mit Stein und Bein seine Unschuld behaupten. (Nebenbei: die Fälschung der Gesamtausgabe Heideggers durch Familienangehörige wollten die Freiburger Experten auch nicht bemerken.)

Heidegger, letzter Gigant der untergegangenen deutschen Denkertradition, musste den Ruf der germanischen Meisterdenker in aller Welt aufrecht erhalten. Eine schlimmere Klatsche für die deutsche Vergangenheitsverklärung war nicht denkbar. Selbst wenn Heidegger kein astreiner Antisemit gewesen wäre: ein lupenreiner Feind aller Demokratie und Anhänger einer heilsgeschichtlichen Auserwählung der Deutschen war er allemal.  

Wie geht Safranski mit den neuen Vorwürfen um? „Safranski tut den Antisemitismus Heideggers als kleinbürgerlichen „Konkurrenzantisemitismus“ ab. Heideggers Bemerkungen zur rechnerischen Begabung der Juden rückt er in die Nähe einer geistespolitischen Verschwörungstheorie – mehr nicht.“ (Ralf Keuper im Denkstil-Blog)

Die deutsche Geschichte wird generalüberholt. Ein bisschen Alibikritik – und Luther ist wieder der Größte. Fichte bleibt ohnehin verdrängt. Die Romantiker waren ach so romantisch. Die Theologen bleiben frei flottierende Geistdeuter, Nietzsche wird zum hippiesken Selbstfindungsguru. Heidegger zum kleinbürgerlichen Verschwörer. Ex-Kanzler Schröder duldet einige Kritteleien an Bismarck – um den Macht-vor-Recht-Berserker mit Herrengedröhn zu seinem neuen Heros und mitteleuropäischen Machtpokerer zu erklären.

Deutschland benötigt eine fleckenreine Vergangenheit, um im neuen geopolitischen Weltverteilungsspiel unbelastet mitzuzündeln. Das erwartet die exportkräftige deutsche Waffenindustrie.

Die kapriziöse Gegenwart ist dazu übergegangen, das Gesetz der Kausalität außer Kraft zu setzen. Während den Gehirnforschern vor lauter physiologischer Kausalität der Freie Wille abhanden gekommen ist, darf es im Bereich der historischen Menschwerdung keinerlei Kausalität geben. Alle müssen ex nihilo Zukunft erbauen. Erinnerungen wären da nur lästig.

Was sind die Ursachen der deutschen Katastrophe?

„Weimar, Stadt Goethes, Schillers, Herders, Wielands – aber auch Stadt des Tausendjährigen Reichs – musste sich vor der Welt erklären. Wie war es möglich? Und wie konnten damalige Weimarer sagen, sie hätten davon nichts gewusst, nichts gesehen, nichts gehört? Der Zwiespalt quält, macht ratlos bis heute.“  (BLZ)

Alles ist so komplex, dass wir – Gottseidank – nur kapitulieren können. Man stelle sich vor, die Ursachen lägen auf der Hand. Die Ursache der deutschen Judenfeindschaft wäre das eliminatorische Christentum, das sich bemüßigt fühlt, im Slalom um die knappen himmlischen Plätze, alle Konkurrenten – vor allem die potentesten unter ihnen – auszulöschen? Der Antisemitismus wäre nur zu besiegen durch Überwindung des christlichen Credos? Nein, nicht durch Fata-Morgana-Deutungen, sondern durch knallharte Kritik an den unseligen neutestamentlichen Stellen und entsprechenden dogmatischen Glaubenssätzen?

Doch was nicht sein darf, kann nicht sein. Die Kirche muss im Dorf, die Vertuschung in der Kirche bleiben. Die Deutschen lieben das Rätselhafte und Vernunftübersteigende, um ihre Vernunft nicht überzustrapazieren.

In einem Interview mit dem Historiker Norbert Frei stellt Michael Hesse tatsächlich die Frage:

„Die Hitler-Begeisterung und der Erfolg der Nationalsozialisten sind ja nicht aus dem Nichts entstanden, sondern gewisse bestehende Strukturen wurden durch Hitler angesprochen. Welche waren das?“ (BLZ-Interview)

Antwort: die Deutschen waren wirtschaftlich verführbar. Den beginnenden Wohlstand schrieben sie den Nationalsozialisten zu – und schon waren sie mit dem Genozid an den Juden einverstanden? Der pflichtgemäße Hinweis auf die „clevere Propaganda“ darf nicht fehlen. Ergo: eigentlich hatten die Deutschen keinerlei Probleme mit den Juden, wenn sie nur nicht so verführbar gewesen wären.

In früheren Zeiten waren Massen (siehe Ortega y Gasset, Gustave le Bon und Elias Canetti) unberechenbar wütende, alles über den Haufen rennende Pöbelhorden. Die deutsche Masse ist schon weiter gekommen. Sie ist berechenbar passiv und verführbar. Vor allem durch Borstenvieh und Schweinespeck – und diverse Autokutschen. Für den Aufschwung der Konjunktur sollen sie der Werbetrommel folgen, ansonsten allen Politparolen widerstehen – nur denen der eigenen Partei nicht.

Dass man verführbar ist nur durch eine verführungsappetente Innerlichkeit, die auf dem Mist irgendeiner Ideologie gewachsen sein muss, kommt den Omnipotenzdenkern der Werbung nicht in den Sinn.

Satte, zufriedene Menschen sind gegen Reize materieller Triebbefriedigung immun. Selbstbewusste Demokraten gegen Reize charismatischer Gewaltführer. Psychisch autonome Menschen gegen Reize persönlicher Selbstwerterhöhung per vager Heilsversprechen.

In weiten Teilen des deutschen Bürgertums gab es eine Führersehnsucht?“

Frei denkt nicht daran, Führersehnsucht zu definieren. Stattdessen mildert er gleich wieder ab: nicht so sehr die „harten Weltanschaungselemente“ begründeten die wachsende Zustimmung, sondern eine „volksgemeinschaftliche Aufbruchsstimmung“, als sei ein völkischer Aufbruch wohin? die psychische Grundausstattung jedes Volkes. Von einer absonderlichen Weltanschauung soll abgelenkt werden, die Deutschen sollen möglichst unscheinbar normal daherkommen. Der Sonderweg der Deutschen wurde ohnehin längst gekappt. Die Deutschen sind pumperlnormal – wie Du und Ich.

Doch jetzt verfängt Frei sich in seiner eigenen Falle. Erst wird der Führer heruntergedimmt, um ihn Sätze später zum eigentlichen Zentralbösen des Geschehens zu machen:

„War Hitler ein starker Führer?

„Das ist eine alte Diskussion, die in der Geschichtswissenschaft geführt worden ist – und eine überholte Fragestellung. Denn es ist evident, wie erfolgreich die im Grunde höchst moderne Inszenierung der Figur des „Führers“ war. Insofern war die Wirkungsmacht der Figur in jedem Fall stark.“

Solchen Widerspruchsquark predigen deutsche Historiker, wenn niemand mehr nachfragt. Einerseits soll Hitler belanglos sein, andererseits die schwarze Zentralsonne. Einerseits ist die Frage überholt (keine Fragen können überholt sein), andererseits trifft sie das Richtige. Was nun, überholt oder richtig?

Dass eine Gelehrtenzunft sich die Arroganz herausnimmt, Fragen anderer Leute als überholt zu bezeichnen, nur, weil sie in ihrem Dünkel so befindet, ist lachhaft. Die ganze Debatte ist in den Besitz unfehlbarer Scholastiker gekommen. Historia locuta, causa finita. Verführte Hitler die Deutschen oder die Deutschen Hitler? Hätte Klein-Adolf ohne deutsche Gesamtstimmung seit vielen Dekaden sich auch nur annähernd zu einem Hitler-Monstrum entwickeln können? Natürlich nicht.

Über die „Fettkrise“ gehen wir aus Schamgründen hinweg. Die Frage: war Hitler ein starker Führer? wird erneut gebeckmessert – und der Frager lässt sich alles gefallen. Das sei eine alte und überholte Fragestellung. Fehlt nur noch, dass die Fragenden sich demnächst für ihre Dummheiten bei den hohen Wissenschaftlern entschuldigen müssen. Leben wir noch in einer Demokratie oder bereits in einer altindischen Brahmanenhierarchie?

„Es hätte auch ohne Hitler eine brutale antijüdische Politik gegeben, das lag im Trend der Zeit.“

Judenhass war ein Trend der Zeit, wie heute der Fitnesswahn? Woher der modische Trend kam, wird mit keinem Wörtchen angesprochen. Dass die gegenseitige Faszination von Volk und dem Sohn der Vorsehung ein eschatologisches Ereignis oder die „Ausgießung des Heiligen Geistes“ war – nichts davon.

Warum kämpften die Deutschen bis zur letzten Sekunde für Hitler, und warum taten sie sich schwer, „Abschied zu nehmen“ von ihrem geliebten Führer? Weil sie einer politischen Religion oder religiösen Endzeitpolitik folgten? Kein Wörtchen über Messianisches verschwenden. (Aus eben dieser Fixierung an eine himmlische Lichtgestalt folgerten die Mitscherlichs die „Unfähigkeit zu trauern“. Doch von solchem Psychogeschwätz halten harte historische Aktenfresser nichts.)

Endlich kommt mal eine leidlich kritische Fragestellung zu Richard von Weizsäckers These von der Befreiung – für alle medialen Sprücheklopfer der „eine Satz, der alles veränderte“. (Bist du tot, wirst du unschlagbar. Eben kam die Meldung, Günter Grass sei gestorben. Wetten, dass nach der üblichen Schelte jugendlicher SS-Dummheiten sofort die Verklärung beginnt? Am dritten Tage wird Grass größer sein als Goethe und Schiller zusammen.)

Weizsäckers These war ein frommer Wunschtraum, aber keine getreue Schilderung der deutschen Befindlichkeit. Fanatische Gläubige wollen von ihrem Messias nicht befreit werden. Von der Verstrickung der eigenen Familie – von Vater und älterem Bruder – wollte Weizsäcker nichts wissen. Schuld ist immer das, was andere betrifft. Gerade sein fanatischer Nazi-Bruder Carl Friedrich – der es später bis zum Bundespräsidenten-Kandidaten der SPD gebracht hatte –, sprach stets von der „Pseudo-Ausgießung des Heiligen Geistes.“

Das „pseudo“ ist immer schnell zur Hand, um den Ursprung des Schrecklichen aus dem originären Revier des Heiligen zu entfernen und der Phrase einer allgemeinen Säkularisierung unterzujubeln. Merke: eine christliche Vorzeigefamilie schwimmt in jedem Regime immer ganz oben. Mit untrüglicher Intelligenz und Anpassungsfähigkeit wittern sie die herrschenden Elemente der neuen Epoche und bringen es fertig – sie ex post selbst erfunden zu haben. Solche Kleinigkeiten lernt man beim Studium der christlichen Heilsgeschichte.

Versteht sich von selbst, dass in der berühmten Rede Richard von Weizsäckers die Rolle des Christentums bei der Installierung des nationalsozialistischen Bösen nicht mal erwähnt wurde. Immerhin war der adlige Bundespräsident in früheren Jahren Präsident des evangelischen Kirchentags gewesen. (Was ihn nicht daran hinderte, jede Frage nach seinem „persönlichen Gott“ unwirsch abzuweisen. Nach seiner Funktion als Elternbeirat in der Odenwaldschule wagte ihn ohnehin niemand zu fragen. Die Affäre Böhringer und der Gifteinsatz von Agent Orange in Vietnam waren längst tabu. Ein deutscher Gentleman und christlicher Machtmensch, der mit Vergangenheit wahrhaft kreativ umgehen konnte.)

Die Motivation für den Widerstand der Stauffenbergs hält Frei für „eine Tat aus klaren moralisch-ethischen Prinzipien.“ Wie meinen? Wie lange dauerte es, dass die obrigkeitsgläubigen Protestanten sich aufrafften, trotz Römer 13 zur gotteslästerlichen Tat zu schreiten? Für Paulus ist jede Obrigkeit von Gott, selbst die schlimmste. Es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre. Also nichts mit klaren moralischen Prinzipien. Solange Hitler erfolgreich war, waren alle Stauffenbergs & Co überzeugte Nationalsozialisten. Ganz anders als bei Georg Elser, dem unbeirrbaren Widerständler aus dem Volk, entdeckten die Eleven des Dichtermessias Stefan George ihre Renitenz erst, als das Schifflein der Verworfenen zu sinken begann.

Das Interview mit Norbert Frei beweist, dass deutsche Historiker – um ihre Ignoranz zu überdecken – immer arroganter und lächerlicher werden. Von verstehender und erklärender Erarbeitung der Vergangenheit kann keine Rede sein.

Vor dem Dritten Reich war deutsche Bildung allzu oft das Gegenteil von Humanität. Und danach wurde sie zum trübsinnigen Geschwätz. Die deutschen TV-Anstalten zeigten zum Tage der Erinnerung an Buchenwald die schrecklichsten Bilder, die sie zur Verfügung hatten. Damit hatten sie ihrer anamnestischen Pflicht Genüge getan.

Der pure Schrecken soll aufklärende Wirkung haben. Kein Wörtchen zu möglichen Ursachen und Schuldigen. Keine Talkshow mit Plasberg oder Illner. Man weiß ja schon alles.

Deutschland findet unter Merkel zunehmend seine Identität als machtgeleitete Wirtschaftsnation, die sich für berechtigt hält, anderen Nationen das savoir vivre und savoir mourir – das Leben- und Sterbenkönnen – mit ökonomischer Gewalt einzubläuen: die Identität einer christogenen Vergangenheitsverdrängung, die unverwandt in die Zukunft blickt:

„Gedenket nicht mehr der früheren Dinge, und des Vergangenen achtet nicht.“