Kategorien
Tagesmail

Das Überkomplexe

Hello, Freunde des Überkomplexen,

überkomplexe Probleme sind unlösbar. Fortschritt ist die Methode des westlichen Menschen, komplexe Probleme zu lösen, indem er überkomplexe Probleme schafft. Im Prozess des Fortschritts verringert sich die Zahl der lösbaren Probleme, die Zahl der unlösbaren Probleme expandiert. Die Moderne wird nicht ruhen, bis ihr eingebauter Fortschritt alle lösbaren Probleme eliminiert und alle neuen Probleme unlösbar gemacht hat.

Was wird das unvermeidliche Ende des Fortschritts sein? Der westliche Fortschritt endet in einer Sackgasse, in einem kollektiven Blackout, in einem globalen Scheitern der Menschheit?

a) Einerseits ja. Die Menschheit will scheitern, also wird sie scheitern. Gott muss Recht behalten, dass seine Kreaturen sündig sind und das Überleben nicht verdient haben.

(Man könnte von selbsterfüllender Theodizee sprechen. Kinder bestrafen sich selbst – stellvertretend für ihre Eltern –, obgleich sie Urteil und Strafe ihrer Eltern für ungerecht halten. Motto: „Geschieht mir ganz recht, dass ich mir die Finger erfriere, hätten meine Eltern mir doch Handschuhe geschenkt.)

Gottes Urteil über die Menschheit steht in 1.Mose 6,5 ff. Bis heute hat sich dieses Urteil bei 99PROZENT der Menschheit nicht geändert. Nur EINPROZENT – das im Alten Testament den Namen Noah trägt – wird davonkommen. Die kleine Schar der geretteten Noahiten sind

im Neuen Testament die Jünger Jesu.

„Da aber der HERR sah, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich gemacht habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis auf das Vieh und bis auf das Gewürm und bis auf die Vögel unter dem Himmel; denn es reut mich, daß ich sie gemacht habe. Aber Noah fand Gnade vor dem HERRN.“

b) Andererseits nein. Wenn auch nur die kleinste Schar gerettet wird, kann ein Neuanfang der Menschheit beginnen. Neues Spiel, neues Glück, neue Liebe. Wurden die Probleme der alten Menschheit gelöst? Nein, für die desolate Menschheit erwiesen sie sich – in selbsterfüllendem Gehorsam – als unlösbar. Wie kann es mit der Menschheit weiter gehen, wenn sie kollektiv in der Sackgasse landet? Antwort:

„Denn siehe, ich will eine Sintflut große Flut mit Wasser kommen lassen auf Erden, zu verderben alles Fleisch, darin ein lebendiger Odem ist, unter dem Himmel. Alles, was auf Erden ist, soll untergehen. Aber mit dir will ich einen Bund aufrichten; und du sollst in den Kasten gehen mit deinen Söhnen, mit deinem Weibe und mit deiner Söhne Weibern.“ Dazu Repräsentanten aller Gattungen der gesamten Fauna und Flora. Da capo al fine.

Gelingt es der Menschheit nicht, ihre Probleme zu lösen, werden sie für sie gelöst – durch die absolute Katastrophe, den Weltuntergang, die Apokalypse, das Jüngste Gericht. Ein gigantischer Gewaltakt wird alle unlösbaren Probleme lösen, indem sie ausgerottet und vernichtet werden. Das ganze Schlamassel kann von vorne beginnen.

„Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher wurden aufgetan. Und ein anderes Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken. Und das Meer gab die Toten, die darin waren, und der Tod und die Hölle gaben die Toten, die darin waren; und sie wurden gerichtet, ein jeglicher nach seinen Werken. Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl. Das ist der zweite Tod, der Feuersee. Und so jemand nicht ward gefunden aufgezeichnet in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl.“

Überkomplexe Probleme sind unlösbar. Also steuern sie auf eine kollektive Gewaltorgie zu, die von einer kleinen Schar Erwählter überstanden wird. Die riesige Mehrheit wird vernichtet.

Welche Strategie verfolgt die westliche Christenheit – die sie der ganzen Menschheit aufoktroyiert? Das gewalttätige Ende der Menschheit steht für sie glaubensmäßig fest. Also darf sie ihre Probleme gar nicht lösen. Sie muss alles tun, um sie in überkomplexe und damit unlösbare zu verwandeln.

Alle Menschen, die die Probleme des homo sapiens für lösbar halten, muss sie als Glaubensfeinde bekämpfen und dafür sorgen, dass die Probleme überkomplex und unlösbar werden.

Wie löst die Menschheit ihre Probleme? Indem sie von vorneherein 99PROZENT der Menschheit opfert, damit EINPROZENT derselben davonkommt. In der Tierwelt gibt es Gattungen, die aus Selbstschutzgründen einen Teil ihres Körpers opfern, um als selbstamputierte davonzukommen.

(Beispiel: japanische Schnecke opfert einen Fuß, Eidechsen werfen ihren Schwanz ab; das war auch die selbstamputierende Strategie des Kirchenvaters Origenes, der sein bestes Teil opferte, um in den Himmel zu kommen.

In der Bergpredigt wird Selbstamputation um des Himmelreiches willen als Kern der Frohen Botschaft verkündet. „Wenn dich dein rechtes Auge zur Sünde verführt, so reiße es raus und wirf es von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verlorengeht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle fährt“.)

In diesem Sinn ist der homo christianus eine selbstamputierende Tiergattung der radikalsten Art. Die erlösungssüchtige Menschheit opfert 99PROZENT ihrer Gesamtkohorte, um EINPROZENT für die ewige Seligkeit durchzuwinken.

Woran erkennt man den „Irrationalismus“ einer Zeit? Dass sie die Vernunft als Instanz der Problemlösung desavouiert:

a) Eine lädierte Vernunft kann die Wahrheit der Probleme nicht erkennen, denn Wahrheit ist unerkennbar.

b) Sie kann die Objektivität der Probleme nicht erkennen, denn objektives Erkennen gibt es nicht. Natur und Wirklichkeit sind unerfassbar. Wer zu erkennen glaubt, sieht nur seine eigenen Projektionen.

c) Sie kann keine Lösungsperspektive ersinnen, denn Lösungen darf es nicht geben.

d) Gibt es keine Lösung des Problems durch die Vernunft des Menschen, bleibt nur der Glaube. Wer glaubt, wird errettet, wer seine irdische Vernunft einschaltet, geht verloren.

Was bleibt dem Menschen, wenn er durch diese Art der Erpressung zum Glauben gezwungen wird, dennoch partout nicht glauben will? Er muss trübsinnig werden oder verzweifelt, pessimistisch, melancholisch, hoffnungslos, zynisch – oder nihilistisch.

Das ist die Gefühlsmelange bei den Deutschen im ausgehenden 19. Jahrhundert, erst recht nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem deprimierenden Versailler Vertrag. Die verlockenden Friedensverheißungen des amerikanischen Präsidenten Wilson waren von England und Frankreich zertrümmert worden.

Aus einem Pamphlet in der Weimarer Zeit:

„Wichtiger als alle Vivisektionen des Intellektualismus ist das Wachstum eines nationalen Mythos, eines Mythos nicht aus den Nerven geschwitzt, sondern aus dem Blute blühend. Denn nicht der Rationalismus, der Mythos zeugt Leben. Darum ist Feindschaft gesetzt zwischen Volk und Vernunft. Volkheit ist Glaube und Wachstum, Vernunft ist Dürre und Skeptizismus“.

Die ganze Epoche fasst Sontheimer so zusammen:

„Aus der Verwerfung der Vernunft wurde im Endeffekt das gedankenlose und tatendurstige Schwelgen in einem Irrationalismus, der sich keinerlei Kontrollen unterwarf und im Namen der neuen Werte auch das Barbarischste und Inhumanste zu rechtfertigen bereit war. Das Denken wurde zum „Schauen“, das Schauen zum Glauben, der Glauben zur Tat – und die Vernunft blieb auf der Strecke. (Kurt Sontheimer, „Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik“)

Nietzsches Nihilismus nach dem Tode Gottes verführte ihn zur Kreation des göttlichen Willens zur Macht, zur Anbetung des messiasgleichen Übermenschen. „Müdigkeit, die mit einem Sprunge zum Letzten will, mit einem Todessprunge, eine arme, unwissende Müdigkeit, die nicht einmal mehr wollen will: die schuf alle Götter und Hinterwelten.“ (Zitiert von Fritz Stern in seinem wegweisenden Buch „Kulturpessimismus als politische Gefahr“)

Leben wir in einem Zeitalter des Pessimismus? Wenn Geschichte sich nicht wiederholte, wäre die Frage belanglos. Sie wiederholt sich nicht in Daten und Quantitäten, sondern im Geist und Ungeist ihrer ganz verschieden erscheinenden empirischen Daten. Würde Geschichte sich nicht wiederholen, bedeutete dies, dass der Mensch sich grundlegend verändert und aus seinen Fehlern gelernt hätte.

Wenn die Gefahr der Wiederholung nicht existierte, warum warnt alle Welt vor denselben Fehlern der Europäer, die sie in den Ersten Weltkrieg trieben?

Solange das Verdrängte nicht aufgearbeitet ist, welche Chance hätte es, sich nicht zu wiederholen? Ist Freuds Grunderkenntnis von gestern, wonach das nicht aufgearbeitete Verdrängte unter Wiederholungszwang steht?

Der friedlose Mensch, der sich nicht verändert, wird stets neuen Unfrieden stiften müssen. Seine gesamte Charakterstruktur lebt vom Rhythmus: Sucht nach äußerem Erfolg, hämischer Triumph über Konkurrenten, Absturz und lähmender Pessimismus, Flucht in den Glauben an Heilande und Führer.

Was hat der französische Schriftsteller und Lyriker Houellebecq mit dem vatikanischen Glaubensinquisitor Müller, was haben beide mit dem Odenwald-Schule-Skandal und dem neuen Ost-West-Konflikt zu tun?

Gefühlslagen der Gegenwart werden am sensibelsten von Literaten und Lyrikern erfasst. Die offiziellen Fassaden einer Konkurrenz-Gesellschaft dürfen sich keine emotionalen Blößen geben. Der Rivale würde sie gnadenlos als Schwäche ausnutzen. Also bleibt nur die kulturelle Flanke, die sich den Luxus des Negativen erlauben kann.

Zurzeit ist es der französische Erfolgsschreiber Houellebecq, der in einem Lyrikbändchen seine trübsinnige Stimmungslage offen legt. Da schreibe jemand, so der SPIEGEL, „der im Weltschmerz aufgeht, der die ganze Klaviatur von Einsamkeit, Melancholie, Abschied und Tod beherrscht – es ist hier sicher erlaubt, das lyrische Ich und den Autor gleichzusetzen. Houellebecq, im Ausland vor allem als Romancier bekannt, protokolliert „die B-Seite des Daseins“, wie es in einem Gedicht heißt. Ein Buch wie ein langer Abschiedsbrief. Auch dem „Ennui“ im Sinne Baudelaires, dem Abscheu vor der Welt, begegnen wir immer wieder.“ (Franziska Wolffheim in SPIEGEL Online)

In Deutschland darf kein Buch erscheinen, das das Leben als heiter und freudig beschreiben würde. Ohne Scheitern, Schiffbruch und persönliche Aussichtslosigkeit braucht ein Schriftsteller sein neues Buch gar nicht erst vorzulegen. Ein „Happy End“ wäre ein Suizid auf offener Szene.

Wer sich von Umfragen täuschen lässt, bei denen das Volk noch immer gute Gefühle beim Schoppen und Konsumieren äußert, will nur seiner eigenen Verzweiflung nicht ins Auge schauen. Im europäischen Gruppenkonzert vertreten die benachteiligten Länder den Part der Pessimisten, auf dass die tüchtigen Neugermanen ihre wirtschaftliche Hegemonie im Biergarten umso krachender feiern können.

Die Deutschen sind von den Folgen zweier verlorener Weltkriege noch immer traumatisiert und unfähig zur Wahrnehmung ihrer authentischen Gefühle. Der Begriff Demokratie ist bei ihnen noch immer mit dem Schmerz zweier Niederlagen verbunden, weshalb ihn niemand ohne Not in den Mund nimmt. (Lass den FC Bayern noch zweimal schmählich unter die Räder kommen: dann wird’s selbst für die unschlagbare Kanzlerin mulmig.)

Sollte der Franzose die schwarzsehende Grundbefindlichkeit getroffen haben – was zu befürchten ist –, steht Europa vor einem Umkippen bislang positiver Gemeinschaftsgefühle ins Hoffnungslose. Akkumuliert die Krise in der Ukraine, dürfen sich alle Hirten und Popen der EU auf Zulauf freuen. Schon jetzt profitiert die ecclesia triumphans in Rom übermäßig von der Sehnsucht einer wirtschaftlichen Verwöhn- und Luxusgesellschaft nach überirdischem Halt.

Beim geistlichen Trost wird’s nicht bleiben. Die Sehnsucht nach einer reinigenden Katastrophe, nach einem kathartischen Krieg wird sich nicht mehr aufhalten lassen. Die Deutschen leisten sich keine offene und ehrliche Depression. Sie sind Spezialisten für larvierten und maskierten Trübsinn.

Wenn‘s trübe unter den Massen aussieht, schlägt die Stunde der Alleinseligmachenden. Kardinal Müller, oberster Glaubenswächter in Rom – dieses Amt können nur Deutsche wahrnehmen –, lässt keinen Zweifel daran, dass der Mensch auf Erden weder Probleme lösen kann noch darf:

Kann er nicht, darf er nicht: „Müller geht davon aus, dass die Not der Menschen nicht dauerhaft gelindert werden kann ohne Gott, ohne religiös motivierte Ethik. Rein menschliche Versuche, für gerechte Verhältnisse zu sorgen, führten irgendwann automatisch in den Totalitarismus. «Dies belegt die reale geschichtliche Entwicklung im Kommunismus, aber auch in neoliberalen Wirtschaftssystemen, wo das Geld zum Selbstzweck wird – da wird Gott durch das Gold ersetzt …» Weltweite Gerechtigkeit und wahrer Humanismus seien nur «im Lichte des Glaubens» möglich“. (Lucas Wiegelmann in der WELT)

Müller ist ehrlicher als alle Geißlers, linke Katholiken und Herz-Jesu-Marxisten zusammen, die der Menschheit noch immer vortäuschen, die Kirche wolle fundamentale Probleme auf Erden lösen. Nein, sie will dafür beten und passiv bleiben. Lösen kann, wenn überhaupt, nur der himmlische Vater. Und dies nur auf Kosten der 99PROZENT Verdammten.

Merkels Strategie des heiligen Durchwurstelns wird im päpstlichen Lager mit Wohlwollen gesehen. Wer sich mit Hilfe politischer Vernunft um wirkliche Lösung der irdischen Probleme bemühte, wäre ein totalitärer Utopist.

Wer an die Utopie des Himmels glaubt, muss jede Utopie auf Erden verdammen. Müller sollte den französischen Pessimisten zur Kenntnis nehmen und ihm einen päpstlichen Großorden verleihen. Schwarzseher sind die besten Lobbyisten aller Popen der Welt.

Was hat der Vatikan mit dem protestantischen Vorzeige-Institut der Odenwald-Reform-Schule zu tun? Kritiker der Schule attackieren zu Recht, dass den Kindern des renommierten Internats viel zu lange sexuelle Gewalt angetan werden konnte.

(Bis heute gab‘s kein kritisches Interview mit dem langjährigen Vorsitzenden des Elternbeirats, dem edlen Ex-Bundespräsidenten von Weizsäcker. Sein Nachfolger, ein politischer Däumling namens Wulff, wurde wegen Bagatellen vor ein Gericht gezerrt, sein Vorgänger wegen massenhafter pädophiler Verbrechen von niemandem behelligt.)

Doch jetzt haben die Kritiker der elitären Vorzeigeschule das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Sie können nicht mehr glauben, die Probleme so zu lösen, wie unser Recht es vorsieht: nicht als Sippenhaftung, sondern jeden einzelnen Fall für sich.

Wer Stückwerkreformen für unmöglich hält, hat den Glauben an die lernfähige Demokratie aufgegeben. Wir brauchen keine Revolutionen, die alles beim Alten lassen, wir brauchen gründliche Reformen und Lernschritte. Die Schule ist kein Sodom und Gomorrha, auf das der Herr Schwefel werfen möge.

Zu Recht monieren die Kritiker, dass bislang zu wenig passiert ist. Daraus auf einen kollektiven Sündenpfuhl zu schließen, der nur mit göttlicher Totalstrafe saniert werden kann, ist deutsche Unfähigkeit, rational und individuell Probleme zu lösen.

„Wie oft soll die Welle der medialen Empörung noch über das Land schwappen? Bis zum nächsten Vorfall? Und dann? Dann können wir wieder das Entsetzen, die Fassungslosigkeit, den Zorn der Betroffenen und die Beschwichtigungen der Verantwortlichen der Odenwaldschule in der immer mehr oder weniger gleichen Choreografie betrachten. Während diejenigen den Preis dafür zahlen, dass Erwachsene verantwortungslos gegenüber denjenigen handeln, denen gegenüber sie verantwortlich sind: die schutzbefohlenen Kinder. So war es in 100 Jahren Odenwaldschule. So ist es heute. Das Licht zieht die Motten an. So wie die Odenwaldschule die Pädokriminellen. Es ist Zeit, dort das Licht auszumachen.“ (N.Denef und A.Huckele in der TAZ)

Es ist nie Zeit, das Licht auszumachen. Sondern Zeit, ein neues Gesamtkonzept vorzulegen, das die Motten fernhält. Das erfordert Mühe und Einzelprüfung. Alles andere wäre unverantwortlich. Pauschalverdacht, der zur Pauschalverurteilung führt: das wäre ein neuer Hexenprozess. Ohne konkrete Indizien kein konkreter Verdacht.

(Nebenbei: dass als Konsequenz aus der Affäre der philosophische Eros gleich mit auf den Scheiterhaufen gelegt wird, ist schrecklich. Eros war keine Legitimation zur Vergewaltigung von Schutzbefohlenen, wie man an Sokrates unschwer erkennen kann. Dass die Nähe zu Kindern auch gleich vom Tisch gefegt wird, beweist nur blinde Rache und Rückfall in den Geist jener Weimarer Zeit, in der die „neue Wertschätzung des Kindes“ zu den Verfallsphänomenen einer degenerierten Demokratie gerechnet wurde. Etwa bei Max Scheler in „Der Mensch im Weltalter des Ausgleichs“, wo er unisono Tanzwut, Jugendbewegung, die Psychoanalyse und die neue Wertschätzung des Kindes als geistverachtende Bewegungen der neuen Zeit verdammte.)

Der Geist der Gegenwart will, darf und kann keine Probleme lösen. Problemlösen wäre ein Affront gegen die Kompetenz des Allmächtigen. Wen wundert‘s, dass die Ereignisse in der Ukraine sich selbständig zu machen scheinen und Politanalytiker behaupten, ein Krieg wäre kaum noch zu vermeiden? Ist es nicht schon wieder wie vor dem Ersten Weltkrieg? Damals wollte niemand den Krieg und schon war er da?

Bewusst wollten den Krieg vielleicht nur wenige (die Filmaufnahmen aus jener Zeit zeigen ein anderes Bild), wie aber war die Untergrundstimmung der Völker, die nach wenigen Provokationen in einem europäischen Inferno explodierte?

Es gibt keine überkomplexen Probleme, denn alle Probleme sind von Menschen gemacht und nicht von Geistern und Dämonen. Der Mensch ist kein unerkennbares Monstrum.

Wenn Wahrheit dem Menschen zumutbar ist, dann auch die Wahrheit über den Menschen. Nur Schlafwandler wollen nicht wissen, was sie tun.