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Frieden

Hello, Freunde des Friedens,

wie auf Krieg und Kriegsgefahr reagieren? Den linken Backen hinhalten, die Hälfte der Ukraine dem Aggressor opfern – oder zu den Waffen eilen und einen Dritten Weltkrieg riskieren? Wenn Krieg vor der Tür steht, hat das Weltdorf bereits versagt.

Ist Russland formell eine Demokratie? Sind westliche Demokratien noch Demokratien – oder bereits Plutokratien, Technokratien, Elitokratien, Google-kratien? Kann es zwischen Demokratien überhaupt zum Krieg kommen?

Nach bisheriger Meinung nein. Wer Handel miteinander treibt, nützt sich, wer Krieg führt, schadet sich. Kapitalismus schließt also Krieg aus?

Kapitalismus – so die Überzeugung seiner Propagandisten – ist jene Form von Aggression, die die militärische Aggression verhindern soll. Man könnte von Impfung sprechen: eine tägliche Dosis kleiner Konkurrenz- Aggression zur Verhütung des großen militärischen Kladderadatsch.

Man könnte auch das Gegenteil sagen und aus der täglichen Aggression auf einen Kumulationseffekt schließen, der unvermeidbar explodieren wird.

(Eine ähnliche Debatte findet in der Psychologie statt. Dienen die unendlichen Gewaltspiele und TV-Krimis dazu, den nationalen Pegel der Gewalttätigkeit zu heben – oder machen sie verdrängte Aggressionswünsche bewusst, um sie als bewusste unter Kontrolle zu kriegen?

Psychoanalytiker vertraten die zweite Alternative. Bruno Bettelheim betonte in seinem Buch: Kinder brauchen Märchen, die nützliche Ersatzfunktion grausamer Märchen. Kinder würden ihre eigenen Aggressionsphantasien in den Märchen wiedererkennen und – könnten durch

Bewusstmachen ihrer verdrängten Triebregungen ihre „wilden Haustiere“ in zahme verwandeln, ohne sie in schlimme Taten ausufern zu lassen.

Andere Schulen vertraten das Gegenteil: die ständige Überschwemmung mit Hass und Gewalt würden die jungen und formbaren Seelen zur Nachahmung reizen. Wenn alle Welt böse ist – denkt das Kind -, warum sollte es dann nicht auch böse sein dürfen?)

Formell ist Russland eine Demokratie. Sollte es zur kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den NATO-Staaten und dem riesigen Land kommen, wäre die Doktrin von der Unmöglichkeit der Kriege zwischen Demokratien widerlegt.

Könnte es nicht sein, dass die westlichen Demokratien bislang nur deshalb Kriege untereinander vermeiden konnten, weil die Welt in demokratische und nichtdemokratische Nationen aufgespalten war und die Demokratien konnten angesichts der Folie des Gegenteils ihre Vorbildlichkeit demonstrieren? Fällt aber das Feindbild flach, gibt es keinen Grund mehr, sich als Vorbild zu bemühen und die Staaten fallen übereinander her wie eh und je?

Zudem: stimmt es wirklich, dass der durchschnittliche Kapitalismus nur aus kleinen Dosierungen an Aggression besteht? Trifft das nicht nur auf jene Staaten zu, in denen die erforderliche Wettbewerbs-Aggression sich in Grenzen hält oder unliebsame Folgen durch soziale Maßnahmen abgefedert werden? Aber nicht für jene, die den Kapitalismus als imperialen Import der Weststaaten ablehnen?

Ist es kein unerklärter Krieg, wenn in benachteiligten Ländern viele Kinder regelmäßig verhungern, weil der Kapitalismus unbarmherzig zwischen Erfolgreichen und Losern selektiert?

Vergessen wir nicht, dass nach dem Aufklärer Adam Smith, den wir heute einen linken Liberalen nennen würden, der Pfarrer Malthus die Bühne betrat und lakonisch erklärte:

Wenn eine Familie für einen Menschen sorgen soll, die „nicht die Mittel hat, ihn zu ernähren oder wenn die Gesellschaft seine Arbeit nicht nötig hat dieser Mensch hat nicht das mindeste Recht, irgend einen Teil von Nahrung zu verlangen, und er ist wirklich zu viel auf der Erde. Bei dem großen Gastmahle der Natur ist durchaus kein Gedecke für ihn gelegt. Die Natur gebietet ihm abzutreten, und sie säumt nicht, selbst diesen Befehl zur Ausführung zu bringen.“          

Das ist das Todesurteil für Überflüssige und übertrifft das paulinische Todesurteil für Arbeitsunwillige um ein Vielfaches. „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ – Paulus bedrohte nur die Arbeitsverweigerer in seinen jungen Gemeinden. Malthus bedroht auch diejenigen, die arbeiten wollen, aber gar nicht können. Weil es für sie keine Arbeit gibt. Weil ihre Arbeit niemand benötigt oder niemand will.

Die Roboterisierung der Welt durch schlaue Siliconisten führt unvermeidlich zur Malthusianisierung des Erdkreises. Wenn es nichts mehr gibt, was die Maschine nicht besser kann, ist es um den Menschen geschehen.

Diese Schreckensperspektive wird zurzeit noch überdeckt, um unter den Massen der potentiellen Überflüssigen keinen Aufstand zu erregen. Man bläut den Nutzlosen ein: strengt euch an, findet Nischen in den Bedürfnissen der Gesellschaft, gründet neunmalkluge Lakaiendienste, dann habt auch ihr Chancen zum Überleben.

Das sind Rosstäuschereien. Schon Keynes prophezeite in den 30ern, spätestens in den 80ern könne die notwendige Arbeit so verteilt werden, dass jeder Mensch mit vier Stunden täglicher Arbeit auskomme. (Schon Marx hatte von vier Stunden Arbeit im Reich der Freiheit gesprochen.)

Vor fünfzig Jahren setzte Jeremy Rifkin die Tradition von Keynes und Marx fort und schrieb ein Buch über „Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft“. Da intelligente Zeitgenossen nie nach hinten, sondern immer in die Zukunft glotzen, können sie nicht wissen, wie sie regelmäßig betrogen werden.

Heute ist man erfolgreicher Start-up-Neuling, wenn man digital Ehebrüche vermittelt oder Racheaktionen an denen organisiert, die nicht guten Tag gesagt haben. Sagen wir‘s lutherisch und grob: ein Drittel aller digitalen Genieunternehmen ist überflüssig, das zweite Drittel Tand, das dritte gefährlich.

Sollten Maschinen wirklich sinnvoll sein, müssen sie die Menschen in selbstgewählte und nicht mehr unter dem Diktat des Überlebens stehende freie Tätigkeiten entlassen. Und wenn sie‘s nicht tun, wer besitzt die Dreistigkeit, von „intelligenten“ Maschinen zu reden?

Und tschüss, Leute, macht‘s gut und freut euch des Lebens bei eurer – Muße.

Muße – schon mal gehört? In paulinischen Kulturen ein Begriff wie Donnerhall. Die Deutschen sind bekannt geworden für ihr dümmliches Wort: Müßiggang ist aller Laster Anfang.

Justament der Schwiegersohn von Karl Marx, ein Kubaner namens Paul Lafargue, schrieb ein kleines, aber inhaltsschweres Büchlein über „Das Recht auf Faulheit“. Er meinte Muße, denn er selbst war ein fleißiger Schreiber, dennoch ein lebensfroher Mensch, was man von deutschen Schreibern nicht behaupten kann.

Das Büchlein war eine fulminante Kritik am inwendigen Paulinismus seines Schwiegervaters, der ihn prompt als Neger oder Mulatten beschimpfte. (Wer‘s nicht glaubt, schlage im offiziellen Lehrbuch der Ossis über Marxismus nach: „Grundlagen der Marxistischen Philosophie“. Auf Seite 462 steht: „Hier gilt das Prinzip „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Zitieren müsste man können. Ein weiterer Beweis für die christliche Indokrinierung des Marxismus, die sich hinter ihrem siamesischen Zwilling im Geiste des real existierenden Kapitalismus nicht verstecken muss.)

Was erleben wir gegenwärtig? Das widersinnige Schauspiel, dass immer mehr hirnrissige Intelligenzmaschinen den Planeten vollstellen, die die Menschheit aber keineswegs entlasten. Im Gegenteil, noch nie hat diese so viel malochen müssen wie jetzt. Das könnte man mit Fug eine globalisierte Intelligenzorgie nennen.

Sollten Aliens demnächst einen Angriff auf unseren Planeten starten, werden sie schnell besiegt sein: über die Blödheiten dieser skurrilen Erdengeneration werden sie sich tot lachen.

Eins sollte dem letzten Anbeter von Silicon Valley klar sein. Wenn die EINPROZENT der Welteliten die absolute Macht über die Menschheit per Spähprogramm, Geld und Drohnen errungen hat, wird sie nicht mehr zögern, unter den 99PROZENT Überflüssigen gründlich aufzuräumen. Dann wird die paulinische Devise ausgeweitet werden: auch wer überflüssig ist, soll nichts essen. Überflüssig sind 99PROZENT aller Kreaturen.

Wie heißt es über jenen Knecht im Gleichnis, der sich – aus linker Gesinnung und ziviler Courage – geweigert hatte, den von seinem Herrn erwarteten Profit zu erzocken? „Und den unnützen Knecht stosset hinaus in die Finsternis, die draußen ist. Dort wird sein Heulen und Zähneklappern.“ (Matth. 25,30)

Es hilft alles nichts: der Kapitalismus ist ein Krieg: a) des Menschen gegen die Natur, b) des Menschen gegen den Menschen.

Solange die Tycoons nicht die erforderliche Allmacht über die nutzlosen Massen errungen haben, werden die Folgen des kapitalistischen Rundumkriegs noch abgefedert und gedämpft.

a) Da die Rohstoffe der Natur rapide zur Neige gehen, werden Kriege um die letzten Ressourcen immer unvermeidlicher. Die Ukrainekrise könnte die Ouvertüre zu einem solchen Knappheitskrieg sein.

b) Der Kampf des Menschen gegen den Menschen wurde bislang durch Reste einer humanen Moral noch im Zaum gehalten. Da auch die Moral – nach Wahrheit, Erkennen und humaner Utopie – auf der Abschussliste steht, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie in ihren letzten Zügen liegt. Die Vertreter der hiesigen Religion, schon immer Todfeinde autonomer Moral, werden auf dem Petersplatz ein Te Deum anstimmen.

Mit welchen Mitteln der Westen auf die Provokationen Putins reagieren soll, wird in der heutigen TAZ kontrovers debattiert. Dominic Johnson plädiert für „Stärke zeigen“:

„Angesichts eines Gegenübers, das seine Politik mit militärischen Mitteln durchzusetzen bereit ist, kann man nicht aus prinzipiellen Erwägungen auf militärische Mittel verzichten. Der Spruch „Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor“ bleibt aktuell. Leider.“

Wäre es nicht sinnvoller, den Satz ein wenig umzuformulieren: Wenn du Frieden willst, rüste dich für den – Frieden? Klingt trivial. Ist es aber nicht. Passiert nämlich nirgendwo in der christlichen Welt. Da die nichtchristliche auf die christliche reagieren muss, passiert es auch dort nicht.

Jesu Kriegserklärung gegen die Welt hat die Welt überwunden: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ „Ein Feuer auf die Erde zu bringen, bin ich gekommen, und wie sehr wünschte ich, es wäre schon entfacht. Meint ihr, dass ich gekommen sei, Frieden auf der Erde zu schaffen? Nein, sage ich euch, sondern Entzweiung.“

Alles nur uneigentliche Bilderrede? Dann sollte man weiterlesen:

„Von jetzt an werden fünf in einem Hause entzweit sein, drei mit zweien und zwei mit dreien. Es werden entzweit sein der Vater mit dem Sohn und der Sohn mit dem Vater, die Mutter mit der Tochter und die Tochter mit der Mutter, die Schwiegermutter mit ihrer Schwiegertochter und die Schwiegertochter mit der Schwiegermutter.“

Alles nur spirituelle Geisterreden? Dann sollte man die nicht unbekannte Bergpredigt lesen:

„Selig sind die Friedfertigen“! Da fehlt doch was! Ah jetzt. „… denn sie werden Gottes Söhne heißen.“

Gottes Söhne sind jene, die im Jüngsten Gericht neben Christus sitzen, zu richten die Lebendigen und die Toten. Die einen ins Kröpfchen, die anderen ins Töpfchen. Welch eindrucksvolle friedensstiftende Tat, den eigenen Vater, Mutter, Schwiegermutter, Schwiegertochter in die Hölle zu schicken. Muss das eine Freude sein!

Fehlt noch was? Ach so: „Selig sind die Sanftmütigen, denn … sie werden das Land besitzen.“

Heute werden gern die knallharten Interessen betont, die die Politik bestimmen würden. Und nicht religiöse Glaubensbekundungen. Dummerweise sind geistige und materielle Interessen in der Bibel von der ersten bis zur letzten Seite identisch.

Was heißt: das Land besitzen? Im renommierten Matthäus-Kommentar von Lohmeyer/Schmauch wird ausdrücklich davor gewarnt, bei diesem Wort „nur an geistliche Gaben zu denken“. Der Geist Gottes und seiner Gläubigen ist nicht interesselos. Gott will von seinem Widersacher die ganze verlorene Welt zurückerobern. Es geht um die Erringung der Weltherrschaft – auf einer ganz neuen Erde. (Im Urtext: gä = die Erde; lat.: terra). Die ach so Sanftmütigen wollen nur die Erde für sich gewinnen. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Will jemand Frieden in der Welt? Vortreten soll er, der Clown, damit alle über ihn lachen.

Niemand will Frieden. Selbst Kant nicht, der vom ewigen Frieden schrieb. Schaut man genauer, bleibt nichts übrig: „Der ewige Frieden, das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts, ist eine unausführbare Idee, aber man kann sich ihm annähern.“

Kann man wirklich? Dann schauen wir noch genauer in seine „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“.

Das törichte Menschlein, ja, das will „ein arkadisches Schäferleben bei vollkommener Eintracht, Genügsamkeit und Wechselliebe.“ Doch dann würden „alle Talente des Menschen ewig in ihren Keimen verborgen bleiben. Die Menschen, gutartig wie die Schafe, die sie weiden, würden ihrem Dasein kaum einen größeren Wert verschaffen als dieses ihr Hausvieh hat. Sie würden das Leere der Schöpfung in Ansehung ihres Zwecks als vernünftige Natur, nicht ausfüllen. Der Mensch will Eintracht, aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist, sie will Zwietracht.“

Wie kann man einen ewigen Frieden anstreben, wenn man keinen Frieden im täglichen Leben entwickeln darf? „Unvertragsamkeit, missgünstig wetteifernde Eitelkeit, eine nicht zu befriedigende Begierde zum Haben und zum Herrschen“: das müssen die friedlosen Motivationen des Menschen sein und bleiben.

Hegel verstärkt Kants Zwietracht: Im Frieden sei das bürgerliche Leben „auf die Länge ein Versumpfen der Menschen“. Wenn eine Anzahl von Staaten sich zu einer Familie zusammenschließe, „so muss sich dieser Verein einen Gegensatz kreieren und einen Feind erzeugen. Aus den Kriegen gehen die Völker nicht allein gestärkt hervor, sondern Nationen, die in sich unverträglich sind, gewinnen durch Kriege nach außen Ruhe im Innern.“

Wenn das keine Empfehlung an Putin wäre. Die Amerikaner kennen das Rezept, durch äußeren Feind Ruhe im Innern zu gewinnen. Gewiss, durch Kriege komme „Unsicherheit ins Eigentum, aber diese reale Unsicherheit ist nichts als die Bewegung, die notwendig ist.“ Dieses Prinzip könnte von Hayek stammen: Wirtschaftswachstum gibt’s nur durch Risiken. Kriegerische Risiken inklusive. „Im Frieden wird die sittliche Gesundheit der Völker zerstört.“ Ein Krieg ist wie die Bewegung der Winde, „die die Seen vor der Fäulnis bewahrt.“

Niemand will Frieden im postmodernen Neoliberalismus, der sich täglich neu erfinden muss. Was nichts anderes bedeutet als täglicher Vernichtungskampf gegen das Alte, Bewährte, Vertraute und Liebgewordene. Fortschritt und geniale Erneuerungen beruhen auf Neid, Konkurrenz, Zwietracht, Vernichtung und Friedlosigkeit.

Frieden ist kontraproduktiv, schläfert ein und macht den Menschen zur überflüssigen Massen- und Fabrikware, die niemand benötigt und also auf dem Müll der Geschichte landet.

Wollte die Menschheit Frieden, müsste sie eine Utopie wollen. Eine humane Utopie ist Frieden unter den Völkern.

Ist es nicht merkwürdig: die Menschheit will keinen Frieden – und wundert sich, dass sie nicht im Frieden lebt?