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Beschleunigung

Hello, Freunde der Beschleunigung,

wir leben in einer immer schneller werdenden, dynamischen Welt??

Die sich in rasendem Tempo verändert?

In täglich neuen Herausforderungen?

Was für Sprüche!

Was für Blindheiten.

Wir leben in einer Welt des Stillstands und Rückgangs.

Das Neue ist das ständige Umrühren und äffische Herausputzen des bankrotten Alten.

Wir drehen durch – mit heulenden Motoren.

Mit technischen Zukunftsmaschinen beschleunigen wir nur rückwärts und abwärts.

Woran messen wir uns? An welchen Maßstäben beurteilen wir uns? Was muss die Richtschnur unserer überfälligen Selbstkritik sein?

Die Maßstäbe wurden von den Völkern der Welt am 26. Juni 1945 in San Franzisco niedergelegt, unterzeichnet und

besiegelt: 

„WIR, DIE VÖLKER DER VEREINTEN NATIONEN – FEST ENTSCHLOSSEN,

künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat,

unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen,

Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können,

den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern,

UND FÜR DIESE ZWECKE

Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben,

unsere Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren,

Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, daß Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, und

internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern

HABEN BESCHLOSSEN, IN UNSEREM BEMÜHEN UM DIE ERREICHUNG DIESER ZIELE ZUSAMMENZUWIRKEN.

Dementsprechend haben unsere Regierungen durch ihre in der Stadt San Franzisko versammelten Vertreter, deren Vollmachten vorgelegt und in guter und gehöriger Form befunden wurden, diese Charta der Vereinten Nationen angenommen und errichten hiermit eine internationale Organisation, die den Namen “Vereinte Nationen“ führen soll.“

Die UNO-Charta war der Triumph einer Menschheit, die sich entschlossen hatte, auf Gewalt in allen Formen zu verzichten, Konflikte im Geist der Humanität zu lösen und den Planeten Erde in eine gerechte Heimstatt für alle Menschen zu verwandeln.

Heute sind die in wundervoller Klarheit verfassten Kriterien der UN-Charta von den Regierungen der mächtigsten Länder der Welt verdrängt, ihre menschenfreundlichen Grundsätze werden Stück für Stück demontiert und zerstört. Wir sind zurückgefallen in jene heillosen Zeiten, die in langer Brutzeit zwei Weltkriege ausheckten und sich in Wort und Tat bewiesen, dass das Böse kein bloßer Wahn ist.

Nach dem höllischen Gipfel des Bösen raffte die Menschheit sich auf zum beispiellosen Aufschwung des Guten, das ein halbes Jahrhundert lang als friedensstiftende Richtschnur für die globale Weltpolitik diente.

Vorbei. Die Menschheit hat sich – gewollt und ungewollt, bewusst und bewusstseinslos, absichtlich und unabsichtlich – den Maßstäben des Guten entzogen und orientiert sich erneut an jenem Bösen, das sie glaubte, für immer überwunden zu haben. Die Maßstäbe der lernfähigen Vernunft werden aussortiert, das religiöse Menschenbild des eigennützigen und diabolischen Barbaren wird in allen Tempeln der Macht angebetet.

Seit Beginn der männlichen Überlagerungskultur ist das Naturrecht der Starken das stahlharte Grundprinzip, das erst im Laufe vieler Jahrhunderte vom Naturrecht der Schwachen zurückgedrängt werden konnte. Kallikles, Schüler des Wanderlehrers Gorgias, formuliert in einem platonischen Dialog das Gewaltprinzip der Alphamänner:

„In den Augen der Natur ist das Schimpfliche und Unehrenhafte – also das Unrechtleiden – immer das Schlechtere. Unrechtleiden ist nichts, was eines echten Mannes würdig wäre, sondern entspricht dem Verhalten eines Sklaven, für den der Tod besser wäre als das Leben. Wenn man einem Sklaven Unrecht tut und ihn misshandelt, kann er weder sich selbst, noch einem anderen helfen, den er schützen wollte. Gesetze und Bräuche stellen, mein ich, nur Schwächlinge und der rohe Pöbel auf. In ihrem eigenen Interesse erfinden sie allgemeine Gesetze und erteilen Lob und Tadel. Doch damit wollen sie nichts anderes, als starke Männer – die sich durch Kraft und Macht selbst Vorteile verschaffen können – einschüchtern. Den Starken wollen sie ein schlechtes Gewissen machen, wenn sie sich Vorteile und Privilegien ergattern. Dieses halten sie für das größte Unrechttun. Sie hingegen, die Schwachen und Minderwertigen sind freilich zufrieden, wenn sie auf gleiches Recht pochen. Die Gerechtigkeit der Natur aber will, dass der Edlere mehr Vorteile habe als der Verlierer, der Tüchtigere und Leistungskräftigere mehr als der Nichtsnutz. In vielen Staaten sieht man: es ist gerecht, wenn der Starke den Schwachen beherrscht.“

Diesem Naturrecht der Starken und Privilegierten stellt Sokrates das Naturrecht der Schwachen und Gleichen gegenüber: Unrechterleiden ist besser als Unrechttun. Im Dienst dieser humanen Wahrheit erleidet Sokrates lieber den Tod, als dass er dem Gesetz der Vernunft untreu werden könnte.

In der spätjüdisch-christlichen Theologie werden beide Naturrechte zu einer merkwürdigen, die westliche Welt bis heute beherrschenden widersprüchlichen Synthese verschmolzen:

a) Der allmächtige Gott erschafft die Welt aus der Kraft des bloßen Wortes. Gottes Wille beherrscht alles. Kein Härchen auf dem Haupt eines Menschen kann gekrümmt werden ohne Billigung des Höchsten. Seinen Sohn „setzt er zu seiner Rechten über jede Gewalt und Macht und Kraft und Hoheit und jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Alles hat er seinen Füßen unterworfen.“

Diese Sätze könnte man das ins Religiöse transformierte Naturrecht der Starken nennen. Der Allmächtige bestimmt über alles Himmlische und Irdische.

b) Freilich muss der Sohn des Allmächtigen erst – scheinbar – der Ohnmächtige werden, um im Zustand tiefster Schwäche die bösen Feinde zu besiegen: Tod und Teufel. Nach diesem taktischen Zugeständnis an das Naturrecht des Schwachen – das als Beglaubigung des Göttlichen dient – wird der Letzte zum Ersten erhoben. Gott ist in den Schwachen mächtig. „Wenn jemand der Erste sein will, sei er der Letzte von allen. Wer unter euch groß sein will, sei euer aller Diener. Und wer der Erste sein will, der sei euer aller Knecht. Denn der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, damit ihm gedient werde, sondern damit er diene und sein Leben gebe.“

Die Kreuzigung, die schmählichste Erniedrigung vor allen Menschen, wird zur Voraussetzung, wieder zum Pantokrator oder Allherrscher des Universums aufzusteigen.

Der ohnmächtige Gott dementiert nicht das „Naturrecht“ des allmächtigen Gottes, sondern bestätigt es. Macht zeigt sich in vorübergehender Ohnmacht, die nach bestandener Initiationsprüfung ihre strategische Schwachheit überwindet und zur Allmacht zurückkehrt.

Hegel hat diesen Dreischritt zum Grundprinzip seiner Dialektik erklärt:

a) Gott ist allmächtig – These

b) Gott ist ohnmächtig – Antithese

c) Gott verwandelt Ohnmacht wieder zurück in Allmacht – Synthese.

Der Vorteil der christlich-dialektischen Verknüpfung der beiden Naturrechte gegenüber der undialektischen Gegenüberstellung bei den Griechen liegt auf der Hand. Sokrates, der Gute, musste sein Prinzip des unbestechlichen: „Unrechterleiden ist besser denn Unrechttun“ mit dem Tode büßen. War das kein höhnischer Triumph für seine Feinde, die Kraft- und Machtburschen, die ihren schärfsten Kritiker mit roher Gewalt los geworden waren?

Das Schicksal der Unterlegenheit des Guten und Göttlichen musste verhindert werden. Gott, der Gute, musste auch der Allmächtige sein, der seine schärfsten Konkurrenten besiegte, indem er sich ihnen unterwarf.

Die Allmacht des göttlich Guten zeigte sich im Zustand größter Ohnmacht, die gleichwohl seinen Feinden keine Chance ließ. Damit war gesichert, dass das Gute allmächtig wird. Ist das Gute das Allmächtige, kann Gott von niemandem vom Thron gestürzt werden. Am Ende aller Tage wird Gott wieder alles in allem sein. Die ursprüngliche Allmacht hat sich auf höchster Ebene in finaler Unbesiegbarkeit neu hergestellt. Der Name des Herrn sei gepriesen in Ewigkeit.

Schaut man auf die jetzige Lage der Weltpolitik, kann man unschwer erkennen, wie die UN-Charta in allen Variationen des zum Vorbild erhobenen Bösen destruiert wird. Einer Illusionskünstlerin, der Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie, ist es vorbehalten, ihrem Vornamen wirklich die Ehre zu geben und dem UNO-Sicherheitsrat elementare Vorwürfe zu machen:

„Das Problem sei das «Fehlen politischen Willens», kritisierte Jolie. «Wir schauen zu.» Die Unentschlossenheit und Gespaltenheit der Weltgemeinschaft mache den Konflikt nur noch schlimmer und halte den Sicherheitsrat davon ab, seinen Pflichten nachzukommen. «Wir können nicht auf Syrien und das Grauen schauen, das aus der Asche der Unentschlossenheit erstiegen ist, ohne zu denken, dass dies der Tiefpunkt der Unfähigkeit der Welt ist, die Unschuldigen zu schützen und verteidigen.»“ (SPIEGEL.de)

Angelina ist wahrhaftig eine Engelgleiche in Menschengestalt, während Angela, die deutsche Kanzlerin und mächtigste Frau der Welt, ihren Namen nur benutzt, um ihre bösen Taten in der Weltpolitik dekorativ zu überdecken. Hat Merkel ein einziges Mal ein syrisches Flüchtlingslager besucht?

In Deutschland ist ein beeindruckender Stimmungsumschwung zu beobachten. Die Hälfte der Bevölkerung plädiert für eine offensive Willkommenskultur den Schwachen und Elenden gegenüber. Vor Dekaden konnte ein Oggersheimer Kanzler – ohne, dass er aus dem Amt gefegt wurde – in zynischer Unübertrefflichkeit jeden Beileidstourismus verhöhnen. Noch vor zwei Jahren, als es in Lampedusa 200 tote Flüchtlinge gab, konnte Merkels Innenministermarionette Friedrich den Satz emittieren: „Lampedusa ist eine Insel in Italien.“

Heute muss Merkel vor die Öffentlichkeit treten und die Willensstarke simulieren: wir müssen alles Menschenmögliche tun …, obgleich sie längst weiß, dass das Menschenmögliche in Europa nicht in Ansätzen getan werden wird. Merkels beste Freunde Hollande, Cameron und Rajoy nehmen keine Flüchtlinge auf. Das gemeinsame Haus Europa zerfällt, nicht zuletzt wegen Merkels insularer Überheblichkeit.

Wie lange schon besteht der Konflikt in Syrien? Was taten westliche Politiker bisher, um diese schreckliche Wunde der Menschheit zu therapieren? Schlugen sie eine Weltkonferenz vor? Haben sie objektive Ursachenforschung betrieben?

Machtbesessen sitzen sie in ihren Sesseln und unternehmen – nichts. Haben sie etwa nichts Wichtigeres zu tun, als fremdgläubigen Nationen einen Frieden zu bringen, den diese Freiheitsunwürdigen gar nicht verdienen? Der sprunghaft steigende Reichtumserwerb der Superreichen muss täglich – gegen den Ansturm aller Neidhammel dieser Welt – gesichert werden:

„Wer zu den tausend reichsten Menschen in Großbritannien gehören will, muss ein Vermögen von 100 Millionen Pfund knapp 140 Millionen Euro vorweisen. Das sind 15 Millionen Pfund mehr als noch vor einem Jahr, wie aus der Liste der Reichen hervorgeht. Vor zehn Jahren reichten noch 50 Millionen Pfund, um zu dem exklusiven Club zu gehören. Seit 2005 hätten die reichsten tausend ihr Vermögen trotz Finanzkrise verdoppelt und verfügen jetzt über 547.126 Milliarden Pfund, darunter 117 Milliardäre.“ (TAZ.de)

Merkel muss den Wohlstand der Deutschen sichern, indem sie das schwache Griechenland im Mittelmeer versenkt.

Was ist das Grundgesetz der Welt? Macht geht vor Recht, Rendite vor Moral, auftrumpfende Stärke vor falschem Mitleid mit Verlierern der Moderne. Das Prinzip „Macht vor Recht“ ist den Deutschen noch vertraut.

Warum wurde der Ex-SS-Mann Gröning jetzt erst vor Gericht gestellt? Warum blieb die Majorität seiner Mordskollegen unbestraft? Weil die Justiz versagt habe, sagte gestern Bundesjustizminister Maas bei Jauch.

Warum aber hat die Justiz versagt? Das vergaß Jauch zu fragen. Antwort: weil der Ungeist des Dritten Reiches – Macht vor Recht, Interessen vor Moral, Erfolg vor Empathie – die deutsche Gesellschaft noch immer aus dem Untergrund dominiert.

Merkel agitiert das Böse durch Ducken. Sie unterwirft sich den Starken und tritt die Schwachen. Die Geheimdienste der USA dürfen schon seit Jahr und Tag deutsche Untertanen ausspähen – mit Wissen Merkels, die sich als Agentin einer fremden Macht betätigt und ihren Amtseid – Schaden vom Volk abzuwenden – schändlich verrät. (SPIEGEL.de)

Sie lässt zu, dass amerikanische Agenten deutsche Untertanen verschleppen und in Guantanamo foltern. Bis heute hat die Pastorentochter kein Wort der Entschuldigung zur Al Masry-Affäre gefunden.

Merkel lässt zu, dass Obama von deutschem Boden aus Unschuldige mit Drohnen füsiliert. Seit 2004 wurden bereits Hunderte Zivilisten getötet. Ohne Anklage, ohne Verteidigung, außerhalb des Völkerrechts. (Süddeutsche.de)

Weit und breit kein Aufstand gegen Merkel, die mit leidender Miene ihre Macht auf dem Rücken trägt, als sei sie die weibliche Ausgabe des Gekreuzigten. Es gibt Leute, die ihre Madonnenrolle als feministische Paraderolle betrachten. Das Gegenteil ist wahr. Es ist der Mann, der eine Magd Gottes benötigt, wenn er seine Felle davon schwimmen sieht.

Wie Merkel sich Obama beugt, so auch dessen mächtigem Rivalen Netanjahu. In bedingungsloser Solidarität segnet sie die Völkerrechtsverbrechen der beiden auserwählten Nationen ab. Putin wird wegen wesentlich geringerer Verstöße gegen internationales Recht schwer bestraft. Doch gegen Obama und Netanjahu hört man kein kritisches Wörtchen. Im Gegenteil, Israel wird für seine notorisch rechtlose Besatzungspolitik mit neuen U-Booten belohnt.

Eine der wichtigsten Ursachen des Flüchtlingselends ist die zunehmende Dürre in Afrika, verursacht vom Klimawandel, den vor allem der Westen zu verantworten hat. Merkel ergreift keine Initiative, um die Selbstvergiftung des Planeten zu stoppen. Die Wirtschaft muss weiterwachsen, koste es, was es wolle. Merkel & Gabriel verteidigen verbissen die Arbeitsplätze der Braunkohle, auch wenn dieselbe alle Klimaziele torpediert. (TAZ.de)

Merkels Politik ist unmoralisch. Sie betreibt Interessenpolitik. Interessen sind amoralische egoistische Bedürfnisse eines Staates. Die deutsche Staatsraison setzt realpolitische Interessen über jede moralische Erwägung. Moral ist hierzulande ein lebensuntüchtiger Idealismus. Nur wer seine Interessen mit Gewalt und List verfolgt, darf bei uns ein echter Politiker heißen.

Als die bewunderten französischen Revolutionäre unter Napoleon Preußen überfielen, schlug die Liebe zu den Menschenrechten um in moralfreie deutsche Real- und Interessenpolitik. Der Kosmopolitismus der Klassiker und Aufklärer wurde wütend begraben. Asthenische Dichter und Denker sollten sich zu echten Männern entwickeln. Ein General der Befreiungskriege beendete die Epoche der kategorischen Moralisten mit den Worten:

„In der Politik muss man zurückkommen von den spekulativen Ideen, die der große Haufe sich bildet über Gerechtigkeit, Billigkeit, Mäßigung, Aufrichtigkeit und ähnliche Tugenden der Nationen und ihrer Lenker: alles läuft schließlich auf die Macht hinaus.“

Macht vor Recht: das wurde hinfort zur Maxime des Bismarckreiches, des Wilhelminismus, des Dritten Reiches – und der BRD. Zwar nicht mehr Macht mit Feuerwaffen, aber Macht mit Wirtschaftswaffen.

Moral gilt nur für Sonntagspredigten und Gedenkfeiern. Im politischen Alltag zählen Interessen. Seit Gründung des deutschen Reichs müssen die braven Konfirmanden beweisen, dass sie die Moral der Kinderstube abstreifen können. Die Bergpredigt für Alte und Kinder, doch für männliche Eliten – Machiavelli.

Hegel war ein Bewunderer des italienischen Machtideologen, der sich auf das griechische Naturrecht der Starken bezog. Und nicht mehr auf die Duckmäusermoral der rechten und linken Wange. Nicht, dass die Kirchen bis dahin pazifistisch gehandelt hätten. Ihren bedenkenlosen Machiavellismus der Kreuzzüge hatten sie nur gekonnt mit biblischer Sanftmut dekoriert.

Machiavelli hingegen war für Ehrlichkeit. Macht ist Macht und keine verlogene Nächstenliebe. Die neue Ehrlichkeit imponierte den deutschen Romantikern, die einen heiligen Krieg gegen die verkommenen Franzosen führen wollten. Machiavellis Virtu (amoralische Tüchtigkeit) war nicht auf Tugenden ausgerichtet, sondern auf konkrete Interessen und machtorientierte Ziele.

Der junge Friedrich der Große hatte – unter dem Bann der französischen Aufklärer – dem Machiavellismus noch eine Absage erteilt. Sein „Antimachiavellist geht von einem prinzipiell anderen Welt- und Menschenbild aus. Während Machiavelli einen machtgierigen, unvollkommenen Menschen propagiert, vertritt der Antimachiavellist eine lernfähige humanistische Sichtweise.“

Erst der ältere Schlachtenkönig verwarf seine jugendlichen Flausen und mutierte zu einem Bewunderer des Florentiners. „Nachdem Friedrich II. in die große Politik als König von Preußen eingetreten war, bereut er sofort, dass das Werk jemals veröffentlicht worden war und damit seiner Person oder seiner eigenen politischen Rolle zugeordnet werden könnte. Es war dies aber allerorten ein offenes Geheimnis; dennoch fand es Voltaire später, dass man überall in Europa den Anti-Machiavel kaufen konnte, nur nicht in Preußen. Dort konnte man, offiziell zumindest, nur den Fürsten Machiavellis bekommen.“

Das war der Anfang der deutschen Machtpolitik, die von Friedrich über Bismarck bis Hitler reichte. (Deutsche Gelehrte lehnen diese historische Verbindungs-Linie ab. Sie wollen Deutschland – mit Ausnahme weniger Schwerverbrecher – zu einer ganz normalen Nation verharmlosen.)

Natürlich in verschiedenen Bosheitsgraden. Während Brandt, Schmidt und Kohl noch eine annehmbare internationale Moralpolitik verfolgten, hat Merkel sich längst von der Linie ihrer Vorgänger befreit und die verhängnisvolle Vorkriegstradition in einen bedenkenlosen ökonomischen National-Machiavellismus transformiert. Raffiniert vorgetragen in bekümmerter und leidender Muttermiene.

Interesse schlägt jede Moral: das ist die übereinstimmende Devise von Marxismus und Neoliberalismus. Einziger Unterschied zwischen beiden Ideologien: Marx will mit amoralischen Methoden ein moralisches Ziel erreichen, Hayek kennt nur amoralische Methoden und Ziele der Evolution. Doch bei beiden dominiert eine automatische Geschichte. Eine autonome Gestaltung des menschlichen Schicksals ist weder bei Marx noch bei Hayek vorgesehen.

(In ihrer gestrigen TV-Debatte haben Precht und Wagenknecht nur die moralischen Ziele von Marx erwähnt. Seine Degradierung des Menschen zur Marionette einer alleinseligmachenden Geschichte scheint den beiden unbekannt. Die Marx-Kritik der Neukantianer, von Popper und Rüstow ist an der Linken bis heute vorübergegangen. Ein Hauptgrund, warum die Linken bedeutungslos geworden sind. Sie beten in gleichem Maß die Macht eines Gottes an wie die Frommen. Nur heißt er bei ihnen „dialektische Geschichte“.

Marx ersetzte die „geistigen“ und moralischen Bewegkräfte der Popen und Idealisten durch materielle Interessen, indem er die Moral der autonomen Solidarität unter Menschen verwarf:

„Die Phrase, welche dieser eingebildeten Aufhebung der Klassen-verhältnisse entsprach, … war die Brüderlichkeit, die allgemeine Verbrüderung und Brüderschaft. Dies ist eine gemütliche Abstraktion von den Klassengegensätzen, dies ist eine sentimentale Ausgleichung der sich widersprechenden Klasseninteressen, dies ist eine schwärmerische Erhebung über den Klassenkampf.“

Klassenkampf lässt keine gemeinsame Moral mit den Feinden zu. Nicht Moral, sondern das Interesse an einer erfolgreichen Revolution sind die politischen Motive der Proleten. Erst im Reich der Freiheit dürfen die Menschen moralisch werden. Vorher müssen sie ihre Ausbeuter mit List und Gewalt vernichten.

Machiavellismus war die Strategie der modernen Nationalstaaten im Wettbewerb um die besten Plätze in der Geschichte. Diese Epoche permanenter Rivalität mündete in den Exzess der Weltkriege. Und wurde von der UNO erst nach den beiden Weltkriegen für beendet erklärt.

Die Welt ist zum globalen Dorf zusammengewachsen. Der irrsinnige Kampf von jedem mit jedem würde das ganze Dorf in Trümmer legen. Die vereinigte Menschheit kann sich einen endlosen Bürgerkrieg nicht mehr erlauben.

Je enger die Völker zusammenrücken, umso mehr werden sie mit dem Rückstoß ihrer Barbarei konfrontiert. Konnte die Natur noch die Eskapaden ihrer Zöglinge in früheren Zeiten ausgleichen, ist sie heute gezwungen, ihren frivolen und vernunftlosen Zöglingen immer öfter die rote Karte zu zeigen.

(Ines Pohl ermahnte im gestrigen Presseclub ihre eigene Zeitung, nicht penetrant mit moralischen Geschützen aufzufahren. Von vielen Deutschen wird der Begriff Moral durch Ethik ersetzt, als ob sich dadurch die Sache ändern würde. Im privat hochmoralischen Deutschland ist die Einsicht nicht zu vermitteln, dass alles unmoralisch ist, was nicht moralisch ist.

Ob man aus psychologischen Gründen immer mit dem „erhobenen pädagogischen Zeigefinger“ kommen soll, ist eine Frage der Ehrlichkeit. Es gibt moralische Abstufungen und Farbschattierungen zwischen weiß und schwarz. Das ändert nichts daran, dass richtig und falsch, wahr und unwahr, moralisch und unmoralisch die Grundkategorien unserer politischen Bewertungen und Strategien sein müssen.)

Künftige Weltpolitik wird entweder moralisch – oder sie wird nicht mehr sein. Die Völker sind zusammengewachsen und können sich nicht mehr traktieren wie hasserfüllte Europäer vom 30-jährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg.

Das gilt besonders für das destruktive Konkurrenzverhalten der Wirtschaft. Wirtschaft ist dazu da, die Menschheit zu ernähren. Nicht, um eitlen Größenwahn der Mächtigen zu befriedigen.

Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln? Die Menschheit kann sich die Übertragung dieses militanten Prinzips auf die Wirtschaft nicht leisten. Wirtschaft ist nicht die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

Geschwisterlichkeit ist das einzige legitime Interesse, das die Menschheit in Zukunft verfolgen darf. Die UN-Charta muss wieder zum Leitstern der internationalen Politik werden – aber in beschleunigtem Tempo. Per favore.