Kategorien
Tagesmail

Arbeit (XIII)

Hello, Freunde der Arbeit (XIII),

es gibt auch einen Populismus von oben. Wenn Eliten dem populus folgen, aber so tun, als seien sie die Führenden.

Da es kein Lernen mehr gibt, kann es nicht sein, dass Merkel, die Industriellen, der Papst, die Edelschreiber von den eben noch Shitstorm genannten Horden gelernt hätten, was Vernunft fordert und das Herz begehrt: dass Menschen in der Not Menschen beistehen. Am besten vor der Not, damit niemand in Not gerät. Nothilfe ist not-wendig, damit die Not sich wende.

Rationale Politik wäre das menschenmögliche, vorausschauende Vermeiden von Not. Denn der Mensch ist ein Prometheus, ein Vorausdenkender. Die Moderne lässt kein prometheisches Vorausdenken zu. Regelmäßig zerstört sie das Bewährte und Vernünftige, verflucht alle Erfahrung und erfindet ihre Dummheit täglich neu, unter Wahnzuständen in die Zukunft starrend. Wer keine zuverlässige Vergangenheit erblickt, sieht auch keine verlässliche Zukunft.

Merkel ist keine vorausdenkende Politikerin. Droht das negative Ergebnis einer Entwicklung, springt sie ab und sagt kein einziges Wort. Zeigt sich ein gutes Ergebnis am Horizont, springt sie auf. Und findet zur „richtigen Zeit das richtige Wort.“

Deutsche Heilpraktiker haben das Elend der Moderne symbolisch in Szene gesetzt: „Menschen torkeln, liegen herum, halluzinieren. Zwar sind die Betroffenen noch über Stunden kaum vernünftig ansprechbar, die Polizei glaubt jedoch, dass die Gruppe mit dem Psychedelikum 2C-E experimentiert hat, in Szenekreisen als Aquarust bekannt.“ (SPIEGEL.de)

Merkel hat alles verneint und verhindert, was sie inzwischen – unter dem Druck ihrer Untertanen – gutheißt, um Madonna der Völker zu werden. Kein Nobelpreis wird ihr

gerecht werden, es muss schon der Heiligenschein sein.

Wo versteckten sich die ganze Zeit Grillo und sein ehrenwerter Bundesverband der deutschen Industrie und sprachen kein einziges Wort zur Flüchtlingsfrage? Jetzt lässt Zetsche die Flüchtlingslager unverfroren nach den besten Perlen für seinen Betrieb absuchen und reduziert die Menschen zu untertänigen Malochern. Der Zynismus der Tycoone kennt keine Grenzen.

Wo war der gütige Vater aller Christen, warum sprach er kein einziges Wort? Jetzt muss er seinen Priestern die Weisung erteilen, dass sie ihre weiträumigen Pfarrhäuser mit hilfesuchenden Menschen teilen. Auch der Vatikan nimmt großzügig 2,5 Familien auf.

Versteht sich, dass die Hilfsbereitschaft der Deutschen in wenigen Wochen die kostbare Frucht einer klerikal gesteuerten Agape sein wird. Vom Heiligen Vater war wochenlang nichts zu hören und dennoch fabuliert der SPIEGEL: „Der Papst geht mit gutem Beispiel voran“. Besonders wenn er hinterher hinkt.

Ein Großteil der deutschen Presse war skeptisch, ablehnend, ja höhnisch. Roland Tichy, Obergehilfe der deutschen Wirtschaft, schrieb in BILD: Mehr Hilfe schadet. (BILD.de)

Heute sind dieselben Schreiber stolz auf den Pöbel, den sie ersatzweise prügelten, um ihre eigene Pöbelhaftigkeit unter den Teppich zu kehren.

Rainer Hank propagiert mitten in der Flüchtlingskrise seine Parolen: Ungleichheit rettet die Welt. Wer also Gerechtigkeit will, ist ein Neidhammel? Den Flüchtlingen müsste er ins Gesicht sagen: ihr seid doch nur neidisch auf unseren Wohlstand. Warum sonst wollt ihr in unser Sozialnetz einwandern?

Andere Schreiber sind bereits allergisch gegen den Stolz der Helfenden. Mehr Demut und Devotheit stünde der Caritas wohl gut an:

„Eine Portion Selbstbeweihräucherung. Ach, was für ein wohliges Gefühl. Deutschland hilft. Deutschland fühlt sich gut. Deutschland darf stolz auf sich sein. Berlin bringt Wasser, Berlin liefert Klamotten ab, Berlin ist geil. F., ihr Glas in der einen, die Zigarette in der anderen Hand: „Am meisten nervt mich dieses ganze Gerede über Stolz. Stolz auf was? Dass hier geholfen wird? Das muss so!“ (TAZ.de)

Doch es handelt sich nicht um gottwohlgefällige Caritas, sondern um politische Moral selbstbewusster Demokraten. Stolz, nicht einerlei mit Arroganz, ist das beste Gegenmittel gegen – kopfnickenden Sündenstolz. Das interessiert keine frommen Linken.

Was müssen die Griechen inzwischen über die hilfreichen Deutschen denken? Ein ganzes Land, das Gerechtigkeit von Europa forderte, wurde von der neoliberalen Lokomotive in der Ägäis versenkt. Erst wenn Menschen sich hilflos am Boden winden, kommen die Heilande des Nordens und erbarmen sich. Wäret ihr nicht so stolz gewesen, ihr Syriza-Rebellen, hättet ihr den gütigen Patriarchen Schäuble auf eurer Seite gehabt. Teile und herrsche, Not wird gegen schlimmere Not ausgespielt. Seid froh, Hellenen, dass ihr nicht in den Fluten versinkt oder an Orbans NATO-Zäunen hängen bleibt.

Den Griechen wird zugemutet, ihre kommunale Wasserwirtschaft zu verscherbeln – während die deutschen Kommunen inzwischen mühsam ihre PPP-Idiotien revidieren. (PPP = public private partnership: die Privaten bemächtigen sich des öffentlichen Reichtums, um die res publica wie eine Weihnachtsgans auszunehmen.)

Warum helfen die Deutschen so vehement und beschämen wieder einmal den Rest Europas, indem sie auf Grundwerte der EU wie Solidarität und Hilfsbereitschaft verweisen? Galt nicht vor wenigen Wochen noch das genaue Gegenteil: bail out, Hilfe und Solidarität strikt verboten?

Den schreienden Widerspruch zwischen barbarischen Wirtschaftsregeln und samaritanischer Gnade hat noch keine Edelfeder aufgespießt. Was auch hat die harte Realität mit privater Lindigkeit zu tun?

Die Europäer sind schizophren im progressiven Stadium. Mit egoistischem Kopf kalkulieren sie in der eiskalten Sphäre öffentlicher Laster, mit dem empathischen Herzen fühlen sie im warmen Bereich privater Tugenden. Sollte die Hilfswelle nicht das Revier des Privaten und Empathischen überwinden und in die Kältekammer des Raffens eindringen, wird das Mitfühlen in einem Fiasko enden.

Worüber wird gar nicht gesprochen? Über die Ursachen der Krise. Die hat einen einzigen Namen und der lautet – Kapitalismus. Ist das nicht Sünde des Vereinfachens, der Reduktion der Komplexität auf simple Formeln?

Das meint jedenfalls der neue Herausgeber des Kursbuchs, Armin Nassehi, porträtiert von Peter Unfried in der linken TAZ, die alles unternimmt, um herkömmliche Linkskritik zu schreddern. Nicht etwa durch überfällige Kritik an Marxens heiliger Geschichte oder an seiner Aversion gegen mündige Moral. Sondern durch digitale Beendigung von „links“ und „rechts“.

„Der Intellektuelle muss heute eher ein Kybernetiker sein, um mit den Wirkkräften der Gesellschaft umgehen zu können. Für Rechts gebe es normativ keine Begründung. „Aber das Böse ist auch in uns, nicht nur in den bösen Glatzköpfen. Man könne Gesellschaft mit Rechts-links-Denken nicht beschreiben. … das Festhalten am klassischen Linken sei nur der Versuch, die Komplexität der Realität zu dämpfen. Herkunft und Besitzverhältnisse strukturieren die Welt, klar, aber Kapitalismuskritik bringt es nicht. Weil sie die Realität der Gesellschaft verfehle in der Reduzierung auf das wirtschaftliche System und im Phantasma, die Gesellschaft „umbauen“ zu können.“ (TAZ.de)

Gebt alle Hoffnung auf, blauäugige Utopisten, die ihr wähnt, die Gesellschaft verändern (umbauen) zu können. Nassehi und Unfried wissen es besser. Die Gesellschaft ließe sich nicht auf ein Wirtschaftssystem reduzieren. Die neuen Links-Rechts-Überwinder wissen, was der Kern des Ganzen ist: das Böse. Gegen den Satan hilft nur algorithmisches Beten, die technische Fortentwicklung des Rosenkranzes.

Zudem gebe es auch keine Adressaten der Kritik. Grillo verweigere die Annahme des Eilbriefs, dass er und seine Genossen abgesetzt seien. Schon Unfried hat nicht verstanden, dass kritische Moral dem Kopf des Menschen entstammt und sich der Wirklichkeit frei und frank entgegensetzen muss. Moralisches Denken gegen unmoralische Verhältnisse. Vorher sollte man Kirchenvater Marx auf den Kopf stellen – und das Bewusstsein das Sein bestimmen lassen. Nein, das ist nicht Hegel, der nicht an die moralische Kraft des Menschen, sondern an den lutherischen Gott glaubte.

Wer nicht an die moralische Kraft des Menschen glaubt, der muss das theologische Böse in seinem Herzen suchen. Womit bewiesen, dass die Modernsten wieder die Soutane der Popen angezogen haben – freilich im kessen Ton der Zukunftsgewinner. Deutschland, selig sind deine XXL-Wirrköpfe, denn sie werden das Kursbuch gewinnen.

Arnulf Baring kennt das Geheimnis der deutschen Hilfswelle. Wir helfen, „weil wir ein sympathisches und hilfsbereites Volk sind. Mit unserer Hilfe wollen wir unter Beweis stellen, dass wir gute Menschen sind.“ (BILD.de)

Wir Deutsche sind gute Menschen. Bei anderen Menschen weiß man das nicht so genau. Ist das nicht die gesuchte deutsche Leitkultur? Wir sind gut, weil wir deutsch und gut sind, noch Fragen, Jakob Augstein?

Doch jetzt die Enttäuschung: alle Menschen sind gut – wenn man sie nur gut sein ließe. Die Moderne lässt sie nicht gut sein. Wer fortschrittlich und wettbewerbsorientiert denkt, der muss teuflische Verschlagenheit in sich entdecken und als Motor seines Tuns in sein fremdgeleitetes Hirn einbauen.

Bösesein ist seit dem Mittelalter das einzige Triebmittel zum Sieg. In welchen Disziplinen auch immer.

Um Gott von der Last des Bösen zu befreien, hat man seinen Widersacher in seinen Knecht umfunktioniert. Wie bei Hegels Herr und Knecht ist der listige Teufel seinem gutmütigen, leicht vertrottelten Herrn (fast) in allen Dingen überlegen. Ohne Motivation des Bösen wäre das Abendland so statisch geblieben wie das chinesische Reich der Mitte, als es an Konfuzius glaubte.

Gut sein ist böser als das Böse, wenn es gottlos auf die wirksamste Gabe Gottes in der Welt verzichtet, um sie endgültig für den Herrn zu erobern: auf den bösen Knecht Gottes.

„Von allen Geistern, die verneinen, ist mir der Schalk am wenigsten zur Last,

Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh: drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen.“ (Faust, Prolog)

Der Teufel wird zum Malocher Gottes. Seine rußigen Hände muss er noch schmutziger machen, damit Gottes Hände sauber bleiben. Merkel plagiiert diese Arbeitsteilung und setzt Schäuble als ihren stets unterschätzten Teufelsbraten ein. Sie muss noch ein wenig üben, denn von üblen Flecken bleibt sie selbst nicht frei.

Eben waren die Deutschen noch die Teufel, über Nacht wurden sie – dank der überraschenden Flüchtlingswelle – zu den Engeln der EU. Jeder Deutsche ein Angelus, jede Deutsche eine Angela. „Deutschland kann Europa verändern“, jubiliert die WELT, die noch vor kurzem maulte (Dorothee Siems), diese potentiellen Arbeitskräfte könnten nicht mal anständig Deutsch verstehen.

Jetzt werden die Schwachen zu Rettern der Starken, denn sie stellen jene Nachwuchsmalocher, die das Überaltern der Gesellschaft verhindern können. Wehe hingegen den Oststaaten der EU, die heute die Flüchtlinge ablehnen: sie werden morgen an Altersschwäche eingehen. (WELT.de)

Am liebsten würden Grillo & Co den paulinischen Satz: wer nicht arbeiten will, der soll auch nichts essen, in den altersfeindlichen umwandeln: auch wer früher arbeitete und heute zu alt ist, hat kein Anrecht auf Essen. Was folgt daraus? Entweder lebenslange Maloche – oder dank Silicon Valley unsterblich werden. Dann ab in die Tiefen des WELT-raums. Für Richard Herzinger in der WELT kein Problem. Silicon Valley ist endgültig in Deutschland gelandet: „So würde die Reise nach Alpha Centauri, dem uns nächsten Sternensystem, heute 75.000 Jahre dauern.“ Für unsterbliche WELT-Raumfahrer ein Klacks. (WELT.de)

Unaufhörlich schreitet der Fortschritt voran und wir dürfen sagen, wir sind dabei gewesen – und haben den Stuss nicht verhindert.

Die bevorstehende Robotergeneration vernetzt alle Maschinen – doch Menschen bleiben atomisiert. Sie lässt Maschinen selbständig denken – doch nicht die Menschen, die sie erfunden haben. Wozu noch Menschen, wenn sie überflüssig werden sollen? Wozu brauchen wir Flüchtlinge, wenn Maschinen uns die Arbeit abnehmen? Wäre es nicht weitaus sinnvoller, die Maschinen im Meer zu versenken und die vorhandene Arbeit unter allen Menschen zu verteilen?

Ach, wie gutmenschlich und blauäugig! Im Gegenteil, erklärt uns Joachim Möller: je genialer die Maschinen, je kreativer können die Freigestellten arbeiten, je mehr können sie produzieren, je höher ist der Profit, je größer das Wirtschaftswachstum.

„Wir sollten uns vor Industrie 4.0 nicht fürchten, sondern die Veränderungen als eine Chance begreifen. Nach dieser Vision wird der Mensch von monotonen, körperlich anstrengenden Tätigkeiten entlastet und erhält die Möglichkeit, seine Kreativität und Flexibilität stärker einzubringen als jemals zuvor. Bei innovativen Unternehmen führt der technologische Fortschritt nämlich dazu, dass die Produkte erschwinglicher werden. Dadurch wächst nicht nur ihr Marktanteil, sondern auch der Markt. Der Absatz steigt und damit das Personal in der Produktion.“ (SPIEGEL.de)

Wer sind die ökologisch Dümmsten im ganzen Land? Die Ökonomen. Ökonomie, Ökologie, fast dasselbe Wort. Es geht um die Erhaltung des menschlichen Hauses in der Mitte der Natur. Ob Natur an sich unendlich oder endlich ist, überlassen wir Einstein. Auf Erden ist sie endlich. Denn die Erde, das Haus der Menschen, ist endlich.

Solche Quisquilien nehmen unendliche Ökonomen nicht zur Kenntnis. Für sie gibt es keine Grenzen. Weder der natürlichen Ressourcen, noch der Menge an Konsumgütern, die die Menschheit hinunterwürgen kann, ohne zu krepieren.

Auf der Wissenschaftsseite kann der SPIEGEL die schrecklichsten Naturkatastrophen ankündigen – ihre Wirtschaftsredakteure nehmen solche Hysterie nicht mal zur Kenntnis. Ökologie ist für Ökonomen ein Fremdwort. Und Fremdworte ignorieren sie. Sie können nur rechnen – und sonst nichts. Was sich nicht in Zins und Zinseszins berechnen lässt, existiert für sie nicht.

Bedürfnisse sind für ökonomisch Unendliche – unendlich, was sonst? Ökonomen müssen auch nicht mehr, wie der zwangsgeplagte Reinhold Messner, im Schweiße ihres Angesichts natürliche Grenzen überwinden. Sie haben alle Grenzen abgeschafft. Unendlich, unsterblich, grenzenlos, unbegrenzt, ad infinitum – oder mit einem Wort: gottähnlich.

Ökonomen sind die Frömmsten unter jenen, die glauben, an nichts anderes zu glauben als an den unbegrenzten Wettbewerb der Nationen, zu denen die unendlich sanftmütige Angela Merkel gehört. Als Pastorentochter weiß sie, dass die Kinder Gottes schon hienieden das Reich der Unendlichkeit betreten haben. Die liebsten Kinder sind Gott die fleißigsten und kreativsten.

Hinweg mit den glaubensfernen Perspektiven von John Maynard Keynes, der im Jahre 1930 prophezeite, in 100 Jahren – oder schon früher – würde die Welt in Überfluss leben. Die Menschen müssten nur noch einen Bruchteil ihrer Lebenszeit mit sklavischer Arbeit verbringen. Wenn diese Zeit kommt, sagt er, dann

„steht uns der Weg offen, zu einigen der sichersten und gewissesten Prinzipien von Religion und überlieferter Tugend zurückzukehren – dass Habsucht ein Laster, Wucher ein Vergehen, und die Liebe zum Geld verabscheuungswürdig ist.“

Doch dann kommt die Warnung:

„Aber Vorsicht! Die Zeit hierfür ist noch nicht gekommen. Zum mindesten noch weitere 100 Jahre müssen wir uns selbst – und anderen – vortäuschen, dass redlich ruchlos und ruchlos redlich ist; denn Ruchlosigkeit ist nützlich und Redlichkeit ist es nicht. Habsucht, Wucher und ängstliche Vorsorge mögen weiterhin unsere Götter bleiben. Denn nur sie können uns aus dem Tunnel wirtschaftlicher Notwendigkeit an das Licht führen.“

Auch Möller zitiert den Engländer – und verstümmelt ihn zur Unkenntlichkeit. Vielleicht haben die Ökonomen bei Theologen die grenzenlose Hermeneutik entdeckt. Was im Text steht, bestimmen noch immer sie. Technologischer Fortschritt bedeute zwar, dass immer „weniger Leute gebraucht“ würden. „Dann droht das, was John Maynard Keynes bereits 1931 als technologische Arbeitslosigkeit bezeichnet hat.“

Doch Entwarnung. „Interessanterweise ging Keynes nicht von einem Wegfall von Jobs bei den Technologieführern, sondern bei den Nachzüglern aus. Bei innovativen Unternehmen führt der technologische Fortschritt nämlich dazu, dass die Produkte erschwinglicher werden. Dadurch wächst nicht nur ihr Marktanteil, sondern auch der Markt. Der Absatz steigt und damit das Personal in der Produktion.“

Keynes formulierte eine fulminante Selbstkritik an seinem Fach, der Ökonomie. Der erwartbare Fortschritt würde den Menschen nicht nur Überfluss bringen. Die Menschen könnten endlich von der amoralischen Wirtschaft Abschied nehmen, in der Habsucht, Wucher und Ruchlosigkeit „unsere Götter“ seien. Das Böse müsste nicht länger der Motor des Fortschritts werden. Der Mensch könnte endlich wieder Mensch werden, er müsste nicht länger der Feind des Menschen bleiben. Homo hominis amicus, der Mensch wird dem Menschen ein Freund: das wären die utopischen Perspektiven der angekommenen technischen Perfektion. Und keineswegs etwas, das der Mensch zu fürchten hätte wie bei dem deutschen Unendlichkeitsökonomen Möller.

Bei Keynes steht der Fortschritt im Dienste des Menschen, bei Möller der Mensch im Dienst des Fortschritts. Eine genaue Verfälschung von Keynes um 180 Grad.

Wie kann der SPIEGEL eine solche dreiste Fälschung coram publico zulassen? Gibt’s eigentlich noch Grundregeln der Wissenschaft oder kann jeder nach Belieben Texte deuten und fälschen, wie er will? Eine unverschämte Frechheit des Schreibers und des Magazins.

Natürlich kommt der Artikel ohne die üblichen Floskeln nicht aus: „Wir sollten uns vor Industrie 4.0 nicht fürchten, sondern die Veränderungen als eine Chance begreifen. Nach dieser Vision wird der Mensch von monotonen, körperlich anstrengenden Tätigkeiten entlastet und erhält die Möglichkeit, seine Kreativität und Flexibilität stärker einzubringen als jemals zuvor.“

Es gibt keine kreative Arbeit unter den Zwängen des unbegrenzten Profits. Sollte man nicht den Menschen überlassen, welche Arbeit – wenn sie frei bestimmbar wäre – sie als Selbstentfaltung oder als despotische Demütigung empfinden? Schon der älteste weise Chinese wollte lieber körperlich schuften als ein „maschinenförmiges Herz“ erhalten.

Kreativ ist – das wollen die Kreativen nicht wahrhaben – nichts als sklavisches Imitieren des Schöpfers, der eine Welt aus Nichts kreiert. Aber auch ins Nichts vernichten kann. Mit naturfreundlicher Erfindung hat das nichts zu tun.

Die Kreativität des Kapitalismus ist nichts als naturfeindliche Destruktion. Der Kapitalismus will den Menschen nicht zur Ruhe kommen lassen. Das würde seine Siegerzahlen beschädigen. „Wir dürfen nicht ausruhen“, so die eiserne Zuchtrute selbsternannter Despotenerzieher, denen niemand das pädagogische Mandat verliehen hat.

Wirtschaftsredakteure sind besonders scharfe Wachhunde, die im Hochgefühl des Erfolges anmahnen: „Zwar geht es uns gut, gerade deswegen dürfen wir nicht satt und selbstzufrieden sein.“ Auch das ist von urpaulinischem Hass auf Bedürfnisse irdischer Menschen, die alle unter dem Vorzeichen der Erbsünde stehen: „Ihr seid schon satt geworden.“ Natürliche Bedürfnisse wie Stolz, Ruhe, Sattsein, Befriedigtsein sind alle teuflischer Natur: sie können auf göttliche Erlöser verzichten.

Auch der Artikel von Sven Astheimer in der FAZ ist von ähnlicher Problemvergessenheit wie der von Möller im SPIEGEL. Zuerst stellt er die notwendigen Fragen. „Wo bleibt da der Mensch? Die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung der Produktion, auch als „Industrie 4.0“ bekannt, verdrängen zunehmend die menschliche Arbeitskraft. Der Kollege Roboter erledigt nicht nur die stupidesten Arbeiten, ohne zu murren. Er ist auch unschlagbar günstig.“ (FAZ.NET)

Doch keine einzige Frage wird beantwortet. Stattdessen hören wir erneut das Glaubensbekenntnis derer, die technischen als menschlichen Fortschritt definieren. Sollten neue Probleme erwachsen, brauchen wir nur neuen Fortschritt, um die Lösung derselben – auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben.

„Andererseits birgt die Entwicklung unstrittig auch eine Vielzahl an Chancen.“

Fortschritt ist nötig, um gegenwärtige Probleme zu lösen. Sollte ihm dies nur gelingen durch unbeabsichtigtes Hervorrufen neuer Probleme, wäre er erst recht notwendig, um die neuen Probleme zu lösen, indem er ganz neue schafft. Und so fort in alle Ewigkeit.

Das ist Rechtfertigung eines Vorganges, der sinnlos wurde. Doch die Menschen halten widerborstig an ihm fest, indem sie ihm einen unendlichen Sinn verschaffen. Fortschritt wird zum Selbstläufer. Einst erdacht, um la condition humaine zu verbessern, ist er zum bornierten Herrscher des Menschen geworden.

Keynes wusste noch vom Dämonischen des Kapitalismus, den er nur rechtfertigen konnte durch das utopische Endziel, das alle Mühen und Perversitäten der historischen Entwicklung belohnen und beenden würde. Das perfekte Ende rechtfertigt die bösartigen Mittel seiner Herstellung.

Der deutsche Historiker Ranke nahm Abschied von diesem unmenschlichen Fortschritt, der nur auf den Knochen aller Vorgänger errichtet werden kann. Und definierte jeden Moment der Geschichte als „unmittelbar zu Gott“. Jeder Augenblick sollte die Epiphanie des Vollendeten sein, damit alle Geschlechter der Menschheit die gleichen Chancen zur glücklichen Erfüllung hätten.

Die heutige Ökonomie kennt kein instrumentelles Böses mehr. Alles ist gut, was den unendlichen Prozess des Wirtschaftswachstums weiterbringt und beschleunigt. Wenn alles gut sein soll, obgleich das Böse noch immer Agens des Fortschritts ist, bleibt nur eine Schlussfolgerung: das Gute selbst ist zum Bösen geworden.

Arbeit ist schon lange kein Mittel zum Überlebenszweck mehr. In entfremdeter Form ist sie zum Herrn der Menschheit geworden. Die einen müssen arbeiten, damit die anderen die Früchte ihrer Arbeit kassieren. Das ist der Tod der Gerechtigkeit und droht zum Tod der Natur und der Menschheit zu werden.

Der Neoliberalismus hat alle Kriterien der Selbstkritik vernichtet. Gibt es keine Maßstäbe mehr, an dem die globale Wirtschaft sich überprüfen und messen lassen muss, gibt es nur noch die unendlich blinde Fahrt ins Paradies: Und siehe, alles war sehr gut. Danach die Sintflut.