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Alles hat keine Zeit XLVIII

Tagesmail vom 30.11.2020

Alles hat keine Zeit XLVIII,

das Wesen mit aufrechtem Gang wird zum Wesen mit verschlossenem Mund. Der Mensch der offenen Gesellschaft wird zum verschlossenen Menschen – homo sapiens, der Weise, zum homo stupidus conclusus, dem verschlossenen Toren, dessen Fortschritt so gewaltig ist, dass ein unsichtbares, kaum ortbares, mit Stacheln bewehrtes Naturwesen ihn zum Gefangenen seiner Leere und Einsamkeit machen kann.

Wo auch immer Nachrichten der Welt herkommen, allerorten erblickt man gespenstische Gestalten, die mit Tüchern ihr Gesicht verdecken. „Gesicht zeigen“ war eine Devise des demokratischen Menschen. „Gesicht verdecken“ könnte zur Devise des demokratischen Verfalls und des Endes der Fortschrittsideologie werden.

Demokratie brauchen wir, Fortschritt nicht, davon haben wir genug.

Maria war Inbegriff des hortus conclusus, des verschlossenen Gärtleins, dessen Urbild im Hohen Lied zu finden war:

„Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born.“

Der versiegelte Born war nur vom Mann aufzubrechen, dem Abbild eines Allmächtigen:

Mensch, du bist ein mund-loses, un-mündiges Wesen, unfähig, dich aus eigener Kraft zu Worte zu melden. Würde man dich nicht von außen aufbrechen, wärst du für immer zur Stummheit verurteilt, der Stummheit jener Politikerin vergleichbar, die immer weniger zu sagen hat. Sie kann nur noch stammeln: ernst, es wird ernst, Unheil, Ungemach, ich warne, warne.

Mündigkeit kommt von Mund. Wessen Mund verschlossen ist, der kann nicht mündig sein.

Deutschlands Weg zur Unmündigkeit wird von den Mächtigen unverhohlen gefordert.

„«Wir streiten uns einfach zu viel!», antwortet Söder gerade heraus. «Dort gibt es eine einheitliche Philosophie, und die wird angewandt. Bei uns muss man jede einzelne Maßnahme in zig Diskussionen begründen!» «Ich weiß jetzt nicht, ob es Querdenker in Japan gibt», wettert er. «Aber all das, was jetzt ständig versucht wird, auch mit Verschwörungstheorien die Leute kirre zu machen, das untergräbt die Bereitschaft, mitzumachen.»“ (BILD.de)

Mit Hilfe einer Epidemie beginnt Söder, die Meinungsvielfalt und Debattenkultur der Republik zu unterlaufen. Kein Protest. Wer nicht reden kann, kann nicht protestieren. Marktplatz und Straßen dienen nicht mehr dem öffentlichen Bekunden abweichender Meinungen. Man zieht sich in seine vier Wände zurück, der Domäne meinungsloser Privatiers.

Kein Streit mehr! Eine Ideologie genügt. Wie wär‘s mit einer Religion, deren Symbole in allen bayrischen Amtsstuben hängen?

Eine Journalistin rühmt Vietnam als Vorbild:

„«Vietnam ist coronafrei», meldet die Journalistin stolz. Die deutschen Debatten dagegen finde sie „zynisch“, denn: „«Letzten Endes stirbt hier alle dreieinhalb Minuten ein Mensch!» «Solche Zahlen haben wir in Asien nicht», meint sie. Denn: «Die Regierungen haben sehr schnell die Grenzen dichtgemacht. Jeder leistet seinen Beitrag! Da wird nicht gemeckert!» In Deutschland dagegen, so auch die jetzt eingeblendete Kritik der Journalistin in der „Zeit“, gehe es «im schlechtesten Fall um reine Selbstprofilierung, nicht aber um den effizientesten Schutz der eigenen Bevölkerung.»“

Debattieren heißt also meckern und sich profiliieren. In Vietnam wird pariert, sei es aus religiösen oder weltlichen Gründen. Niemand fragt die Wissenschafts-Journalistin, ob sie Nichtmeckern für demokratisch hält. Demokratische Normen sind abhanden gekommen.

Gesundheit ist nicht nur ein körperlicher, sondern auch ein geistiger Zustand. Gesundheit ist allumfassendes Wohlempfinden. Wie hoch ist die Zahl der Toten, die aus fehlendem Wohlgefühl Abschied nehmen? Warum wird die Zahl der Selbsttötungen verschwiegen? Wie viele Tote wird die Klimakatastrophe kosten, um die sich – im Schatten der Coronakrise – kein Mensch mehr kümmert? Was ist das für ein Zynismus, diese Zahlen für belanglos zu halten?

Nicht nur die niederen Klassen der Welt werden schleichend ent-mündigt. Den Vertretern der Vierten Gewalt wird das ungehinderte Berichten immer mehr erschwert. Und wenn sie nicht zensiert werden, zensieren sie sich selbst. ARD-Schönenborn enthüllt das Geheimnis diskursunfähiger Talkshows:

„Ich glaube nicht, dass eine Talkshow der beste Ort für wissenschaftliche Debatten ist. Und schon gar nicht für eine Auseinandersetzung darüber, was Fakt ist und was gefühlte Wahrheit.“ (Sueddeutsche.de)

Wissenschaft ist die Paradedisziplin rationalen Debattierens. Und gerade sie sollte zum öffentlichen Streiten unfähig sein? Gehört Schönenborns Presseclub auch zu den streitunfähigen Scheindebatten?

Warum werden nicht konträr denkende Wissenschaftler eingeladen, um ihre unterschiedlichen Standpunkte vor Publikum zu erklären, zu verteidigen und zu falsifizieren? Moderatoren wären überflüssig, ja störend. Streitfähige Menschen benötigen keine Gesprächstyrannen, die unfähig sind, der Plausibilität der Argumente nachzuforschen. Stattdessen stellen sie unverbundene Fragen, die sie sich zuvor mühsam aus den Rippen geschwitzt haben.

In einer wissenschaftlichen Debatte stünde niemand unter Einigungszwang. Vielleicht sind die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Schulen noch unverträglich? Dann wäre es die Aufgabe der Wissenschaftler, die Gründe der Uneinigkeit zu erforschen und dem Publikum zu erklären. Wissenschaften sind nicht dem Konsens, sondern präzisen Forschungsmethoden verpflichtet.

Wissenschaftliche Debatten wären Fortsetzungsreihen. Was in einem Streitgespräch nicht geklärt werden kann, müsste in mehreren Debatten durchgearbeitet werden. Umstrittene Fakten müssten von verschiedenen Teams erforscht und laufend verglichen werden. Forschung ist ein langwieriger Prozess, kein Orgasmus interruptus.

Nirgendwo in Deutschland gibt es Gespräche, die den Erfordernissen der Logik und der anamnestischen Erforschung der Denkunterschiede genügen würden.

Es gibt nur eine Art der Gesprächskunst, die dem dialogischen Erkennen verpflichtet ist: das ist die sokratische Gesprächsführung, die zwei Elemente miteinander verbindet: a) die scharfe Erarbeitung der Unterschiede und b) den Versuch, diese Unterschiede durch biografische Rekonstruktion zu verstehen und – durch Verstehen nach Möglichkeit zur Verständigung zu gelangen:

„Die Geburtshilfe, die Sokrates leistet, besteht in seiner Technik des zielführenden Fragens. Mit ihr bringt er seine Gesprächspartner dazu, vorhandene irrige Vorstellungen zu durchschauen und aufzugeben. Das führt oft dazu, dass sie in eine Ratlosigkeit geraten. Im weiteren Verlauf des Gesprächs kommen sie aber auf neue Gedanken. Diese werden wiederum mittels der Fragetechnik auf ihre Stimmigkeit überprüft. Schließlich gelingt es dem mäeutisch Befragten, entweder den tatsächlichen Sachverhalt selbst zu entdecken oder sich zumindest der Wahrheit anzunähern. Diese Hilfe beim Suchen und Finden von Erkenntnissen, wobei auf Belehrung konsequent verzichtet wird, erscheint in Platons Darstellung als spezifisch sokratische Alternative zur konventionellen Wissensvermittlung durch Weiterreichen und Einüben von Lehrstoff.“

Der Wahrheit anzunähern? Kein Mensch wäre fähig, diese Annäherung exakt zu beschreiben. Denn niemand kennt das Ziel. Kein Ergebnis des Dialogs dürfte als absolute Wahrheit versiegelt werden.

Auch Sokrates ist kein unfehlbarer Besitzer der Wahrheit, er weiß nur, dass er nichts weiß. Was bedeutet, auch seine „Wahrheit“ muss überprüft werden. Dialoge sind gegenseitige Überprüfungen. Wer glaubt, etwas besser zu wissen, muss es durch zielführende Fragen, einleuchtende Argumente und Verstehen fremder Meinungen nachweisen.

Auch wenn beide Dialogpartner sich am Ende des Gesprächs einig wären, bedeutete das nicht, sie hätten die endgültige Wahrheit gefunden. Sie hätten sich auch auf einen gemeinsamen Irrtum einigen können.

Theoretisches Wissen muss separiert werden vom praktischen. Theoretisch kann sich der Mensch immer irren, praktisch kann er – nach vielen Gesprächen und politisch-moralischen Erfahrungen – zu einer Gewissheit gelangen, die ihm Selbstsicherheit und emotionalen Frieden gewährt.

Vernunft und Gefühl sind keine Gegner – wie Rousseau gegen die Aufklärer wütete. Wenn Vernunft bestätigen kann, was Gefühle für richtig halten, wenn Gefühle die Logik der Vernunft beglaubigen, darf der Mensch vertrauen, sich der Wahrheit am weitesten angenähert zu haben. Der Mensch, dessen Tun, Denken und Fühlen sich gefunden haben, darf seiner Synthese vertrauen.

Sokrates hätte nie den Mut aufgebracht, seinen Anklägern zu widerstehen, wenn er nicht mit allen Fasern seiner Existenz von der Richtigkeit seiner Meinung überzeugt gewesen wäre.

Talkshows gieren nach dem Eklat unterschiedlicher Positionen. Sie denken nicht daran, anamnestisch den Denkweg des Anderen zu erkunden und mit dem eigenen zu vergleichen. Unterschiedliches Denken ist kein Produkt der Natur, sondern verschiedener Umgebungen und Einflüsse. Am Ursprung des Denkens und Fühlens sind wir alle gleich. Wären wir es nicht, gäbe es keine fruchtbaren Zwiegespräche, kein Verstehen, keine überzeugende Kraft der Argumente.

Verbindet sich aber unterschiedliches Denken mit unterschiedlicher Macht, wollen die (Schein-) Vorteile der Macht sich überlegenen Argumenten kaum noch beugen. Unterschiedliche Verteilung von Macht und Reichtum sabotiert jede Art der Verständigung. Die Mächtigen dünken sich im Besitz der Wahrheit, wie anders hätten sie im Leben so erfolgreich sein können als durch Anwendung überlegener Erkenntnisse?

Im Calvinismus ist weltlicher Erfolg das sichtbare Zeichen der Erwählung. Nicht im Luthertum, wo Armut sich der Gnade des Himmels sicherer fühlt. Im dialogischen Streit um Wahrheit spielen beide Religionsvarianten keine Rolle. Denn Wahrheit ist kein Ergebnis menschlicher Erkenntnissuche, sondern passives Empfangen durch Offenbarung.

Nur ein Dialog ist ein strenges, wahrheitssuchendes Gespräch. Im Getümmel von Gruppengesprächen gibt es keine Möglichkeit, Andersdenkende nach ihrem biografischen Werden zu befragen.

Am Anfang der Anamnese steht die hypothetische Definition des Gefragten. Was, mein Freund, verstehst du unter Gerechtigkeit? Die Anfangsdefinition ist das Material der beginnenden Befragung, die zuerst die Widersprüche der Definition herausarbeiten muss. Grundlage jedes Dialogs ist die gemeinsame Überzeugung von der Wahrheit widerspruchsfreier Logik. Anhand dieses Kriteriums werden alle Teile der Hypothese überprüft.

Wer Wahrheit sucht, darf sich keiner traditionellen, heiligen oder autoritären Wahrheit unterstellen. Was nicht bedeutet, dass er sie apodiktisch vom Tisch fegen muss. Erst, wenn er zu seiner – vorläufigen – Wahrheit vorgedrungen ist, kann er sie in Beziehung setzen zu geltenden Wahrheiten seiner Familie, seiner Polis, seiner Religion.

Hat er dieselbe Wahrheit gefunden, darf er sich ermuntert fühlen, mit Überzeugung seine Umgebung zu unterstützen. Kommt er zu einer abweichenden Meinung, muss er – zumal in einer demokratischen Gemeinde – seinen Widerspruch anmelden und versuchen, die geltende Tradition zu verändern. Er muss, um ein umstrittenes Wort zu nehmen, ein Querdenker werden.

Sokrates und seine philosophischen Kollegen waren Urbilder europäischer Querdenker. Alle Reformen und Revolutionen im Abendland waren nicht die Ergebnisse verschiedener materieller Verhältnisse – wie Philosophenfeind Marx behauptete –, sondern Produkte des ach so harmlosen Denkens. Marx war ein Philosoph, der gegen sich selbst wütete.

Am Begriff Querdenker kann man die zunehmende Verkommenheit der gegenwärtigen Lage in Deutschland ablesen. Vor wenigen Dezennien war Querdenker noch eine Auszeichnung. Ein Querdenker hatte den Mut, seinem eigenen Kopf zu folgen und herrschenden Meinungen, die er für falsch hielt, zu widerstehen. Querdenker war ein furchtloser Selbstdenker, eben das, was Kant einen mündigen Menschen nannte.

Heute gehört der Begriff zur Schrottmasse der Republikfeinde:

„«Herr Virchow, in Ihrem Kurzgutachten nennen Sie Querdenkende, Coronarebellen und so weiter „Pandemieleugner*innen“. Weil sie nicht daran glauben, dass es eine Pandemie gibt, wollen sie wissen, was „tatsächlich“ der Grund sein könnte, dass die Regierung Eingriffe in Freiheitsrechte durchsetzt. So kommen sie zu den Verschwörungserzählungen. Viele davon haben explizit antisemitische Elemente oder implizit einen antisemitischen Kern, weil sie auf die Idee zurückverweisen, dass es eine kleine Elite gibt, die aus Finanz- oder Machtinteressen die Menschheit manipuliere.»“ (TAZ.de)

Noch vor kurzer Zeit waren Populisten die schlimmsten Feinde der BRD, jetzt sind es Esoteriker, Impfgegner, Querdenker und Verschwörungstheoretiker. Die Machtmitte greift sich eine irrelevante Minderheit am Rande der Gesellschaft und dämonisiert sie zur Schuldigen aller Übel. Die Scheinwerfer medialer Staatsverteidiger stürzen sich erleichtert auf die Randläufer und stellen sie an den Pranger.

Laut Duden ist ein Querdenker „eine männliche Person, die eigenständig und originell denkt und deren Ideen und Ansichten oft nicht verstanden oder akzeptiert werden.“ Frauen können demnach keine Querdenkerinnen sein, es sei denn, sie hießen Jana aus Kassel und beriefen sich auf den Widerstand gegen Hitler. Ob das falsch ist oder nicht, für gestanzte deutsche Ohren ist es vor allem unerträglich arrogant. Maxim Biller fragt:

„Muss es in Deutschland immer gleich der ultimative Nazivergleich sein, wenn man nach einem guten Argument sucht? Und warum genügen ein paar ziemlich anstrengende, wirtschaftlich beunruhigende, am Ende aber völlig untotalitäre Eingriffe in unser praktisches Leben, damit unsere Intellektuellen und Künstler plötzlich Solschenizyn und Geschwister Scholl spielen?“ (Sueddeutsche.de)

Jahrhundertelang waren die Deutschen ein Mitläufervolk, das jeder Obrigkeit aus religiösen Gründen gehorchen musste. Gehorsam haben sie verinnerlicht seit Beginn ihrer christlichen Indoktrinierung. Nach vielen Katastrophen werden sie unverdienterweise mit einer Demokratie beschenkt und hören die Forderung, sich zu Selbstdenkern zu entwickeln, ihre nationalsozialistische Vergangenheit aufzuarbeiten und die Widerständler gegen Hitler als Vorbilder zu betrachten.

Mit dieser Umerziehung wurden sie während der gesamten Nachkriegszeit geplagt. Heute kommen sie endlich in die Gänge und gehen mit mulmig-tapferen Gefühlen auf die Straße, um ihrer Obrigkeit die rote Karte zu zeigen: Rumms, da fällt der Vorschlaghammer derer, die sich zu selbsternannten Zensoren des Pöbels erhoben haben.

Wenn Pädagogen von ihren Zöglingen eine moralische Haltung verlangen, die sie – wenn die Zöglinge sie befolgen – sogleich verdammen: wie nennt man dieses Verhalten unter Fremdgerechten?

Experten sprechen von paradoxer Intervention. Was man forderte, war das Gegenteil von dem, was man für richtig hielt. Man könnte auch von Heuchelei sprechen.

Gab es irgendwo eine Debatte mit den Janas dieser Gesellschaft? In dieser ehrenwerten Schwatz-Gesellschaft debattiert man nicht, man inszeniert Talkshows zum immer gleichen Thema: Corona. Dort sitzen Experten, die Altmaiers und Söders dieser Republik. Wie Anne Will, die blaublütigste unter den ModeratorInnen, ihren Job versteht, hat sie endlich verraten:

 „Will fuchtelt nervös mit den Händen: «Das ist mein Trick», behauptet sie. «Ich beziehe immer die Gegenposition.»“

Sie spielt den advocatus diaboli. Das war jener Anwalt des Teufels, der die Argumente des advocatus dei in klerikaler Disputation zerfetzen sollte, um ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. Natürlich nicht durch rationale Argumente, sondern durch Zitieren der Heiligen Schrift.

Anne Will hat keine persönliche Meinung und wenn doch, wird sie alles tun, um sie zu verbergen. Denn dies könnte ihre Voreingenommenheit entlarven. Das wäre das Ende jeder demokratischen Debatte. Talkshows veranstalten rhetorische Scharmützel. Rhetorik war jene Fähigkeit, mit glitzernden Worten das Publikum zu beeindrucken. Über Wahrheitsfindung konnten Rhetoren nur lachen.

Anne Will & Schönenborn scheinen derselben Meinung zu sein: zur Wahrheitsfindung in brisanten Fragen taugen TV-Debatten nichts. Es geht um die Quote.

In Zeiten der Degeneration, in denen ernsthafte Fragen gestellt und durchstritten werden müssten, veranstalten TV-Anstalten Redescharmützel, die keine Lösungen, sondern nur Unterhaltung bieten sollen. Rund um den Abgrund veranstalten die Deutschen untergangssüchtige Veitstänze.

Was wirklich auf dem Spiele steht, kann nachgelesen werden in einem Artikel von Ludger Volmer, der in einem ganz ungewohnten existentiellen Ton wagt, das grauenhafte Kasperlespiel der Deutschen zu durchbrechen:

„Klimakrise und Corona – Politikroutine und technische Innovation allein helfen hier nicht. Diese Megakrisen erfordern ein Denken in völlig anderen Dimensionen. Quantitatives Wachstum und Profitmaximierung haben als Zielgrößen und Strategien globaler Wohlstandssteigerung ausgespielt. Zur Existenzsicherung der Gattung taugen sie überhaupt nicht, im Gegenteil. Selektives Wachsen und Schrumpfen auf der Basis einer vernunftgeleiteten internationalen Strukturpolitik müssen das interessengeleitete Marktgeschehen ersetzen. Ziel ist eine globale Post-Wachstumsgesellschaft. Die Corona-Krise ist quälend, aber sie bietet auch eine Chance. Sie bietet die vielleicht letzte Chance, vernunftgesteuert die Entwicklungsrichtung zu ändern, bevor ein katastrophaler natürlicher Super-Gau der in ihrer Hybris selbsternannten „Krone der Schöpfung“ (lat: corona genesis) ein Ende macht.“  (Berliner-Zeitung.de)

Wo bleiben die Intellektuellen der Republik, die einst in aufgeklärten Zeiten das Menschenfeindliche attackierten, um der Humanität aufzuhelfen? Sie wissen vor allem, dass sie nichts wissen. Aber nicht im sokratischen Sinn, der wohl wusste, welche moralische Position er zu verteidigen hatte. Zustimmend zitieren sie einen resignativen Satz von Bertold Brecht:

„Lethen ist der seltene Intellektuelle, der die Welt, auch seine eigene, lieber mit Fragen als unverrückbaren Antworten bedenkt. Und der gar nicht vorgibt, jeden Widerspruch der Welt verstehen oder gar auflösen zu können: „Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug“, so heißt ja sein Buch, ein Brecht-Zitat.“ (WELT.de)

Es gibt zwei Grundarten deutscher Intellektueller.

Die Mehrheit sind perfekte Experten in partikularen Fragen, die es gleichwohl ablehnen, mit ihren Kenntnissen die Welt zu humanisieren.

Die Minderheit übt sich in intellektueller Bescheidenheit – die sich für unfähig erklärt, die Probleme der Welt zu lösen.

Der Mensch ist zu dumm für die hochkomplexe Welt. Auf Dummheit steht die Todesstrafe.

Fortsetzung folgt.