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Alles hat keine Zeit XLIV

Tagesmail vom 20.11.2020

Alles hat keine Zeit XLIV,

„Der Kaiser – so heißt es – hat dir, dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen, dem winzig vor der kaiserlichen Sonne in die fernste Ferne geflüchteten Schatten, gerade dir hat der Kaiser von seinem Sterbebett aus eine Botschaft gesendet … Aber die Menge ist so groß; ihre Wohnstätten nehmen kein Ende. Öffnete sich freies Feld, wie würde er fliegen und bald wohl hörtest du das herrliche Schlagen seiner Fäuste an deiner Tür. Aber statt dessen, wie nutzlos müht er sich ab; immer noch zwängt er sich durch die Gemächer des innersten Palastes; niemals wird er sie überwinden; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Treppen hinab müßte er sich kämpfen; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Höfe wären zu durchmessen; und nach den Höfen der zweite umschließende Palast; und wieder Treppen und Höfe; und wieder ein Palast; und so weiter durch Jahrtausende; und stürzte er endlich aus dem äußersten Tor – aber niemals, niemals kann es geschehen –, liegt erst die Residenzstadt vor ihm, die Mitte der Welt, hochgeschüttet voll ihres Bodensatzes. Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. – Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“ (Kafka, Eine kaiserliche Botschaft)

„Nächstdem, sprach ich, vergleiche dir unsere Natur in Bezug auf Bildung und Unbildung folgendem Zustande. Sieh nämlich Menschen wie in einer unterirdischen höhlenartigen Wohnung, die einen gegen das Licht geöffneten Zugang längs der ganzen Höhle hat. In dieser seien sie von Kindheit an gefesselt an Hals und Schenkeln, so daß sie auf demselben Fleck bleiben und auch nur nach vorne hin sehen, den Kopf aber herumzudrehen der Fessel wegen nicht vermögend sind. Licht aber haben sie von einem Feuer, welches von oben und von ferne her hinter ihnen brennt. Zwischen dem Feuer und den Gefangenen geht oben her ein Weg, längs diesem sieh eine Mauer aufgeführt, wie die Schranken welche die Gaukler vor den Zuschauern sich erbauen, über welche herüber sie ihre Kunststücke zeigen. – Ich sehe, sagte er. – Sieh nun längs dieser Mauer Menschen allerlei Gefäße tragen, die über die Mauer herüber ragen, und Bildsäulen und andere steinerne und hölzerne (515) Bilder und von allerlei Arbeit; Einige, wie natürlich, reden dabei, andere schweigen. – Ein gar wunderliches Bild, sprach er, stellst du dar und wunderliche Gefangene. – Uns ganz ähnliche, entgegnete ich … Nun betrachte auch, sprach ich, die Lösung und Heilung von ihren Banden und ihrem Unverstande, wie es damit natürlich stehn würde, wenn ihnen folgendes begegnete. Wenn einer entfesselt wäre, und gezwungen würde sogleich aufzustehn, den Hals herumzudrehn, zu gehn und gegen das Licht zu sehn, und indem er das täte immer Schmerzen hätte, und wegen des flimmernden Glanzes nicht recht vermöchte jene Dinge zu erkennen, wovon er vorher die Schatten sah: was meinst du wohl, würde er sagen, wenn ihn einer versicherte, damals habe er lauter nichtiges gesehen, jetzt aber dem seienden näher und zu dem mehr seienden gewendet sähe er richtiger, und ihm jedes vorübergehende zeigend ihn fragte und zu antworten zwänge was es sei? meinst du nicht er werde ganz verwirrt sein und glauben, was er damals gesehn sei doch wirklicher als was ihm jetzt gezeigt werde? – Bei weitem, antwortete er. – Und wenn man ihn gar in das Licht selbst zu sehen nötigte, würden ihm wohl die Augen schmerzen und er würde fliehen und zu jenem zurückkehren was er anzusehen im Stande ist, fest überzeugt, dies sei weit gewisser als das letzt gezeigte? – Allerdings. – Und, sprach ich, wenn ihn einer mit Gewalt von dort durch den unwegsamen und steilen Aufgang schleppte, und nicht losließe bis er ihn an das Licht der Sonne gebracht hätte, wird er nicht viel Schmerzen haben und sich gar ungern schleppen lassen? Und wenn er nun an das Licht kommt und die Augen voll Strahlen hat, wird er (516) nichts sehen können von dem was ihm nun für das wahre gegeben wird. – Freilich nicht, sagte er, wenigstens sogleich nicht. – Gewöhnung also, meine ich, wird er nötig haben um das obere zu sehen.“ (Platons Höhlengleichnis)

Am Abend, wenn die Kraft des Lichts erlischt, wartet der Träumer am Fenster noch immer auf die Frohe Botschaft. Es ist die Botschaft der Sonne, des Gottes, des Weisen, des Erlösers. Er wartet vergeblich, denn zwischen ihm und der Sonne liegt die Mitte der Welt, hochgeschüttet voll ihres Bodensatzes. Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten.

Der Eine erwartet sehnlich das Licht. Noch weiß er nicht, dass es unterwegs erloschen ist. Zwischen ihm und dem Absender liegt der endlose Palast des Kaisers und der Schutt der Welt. Der Bote des Lichts ist ein kräftiger Mann – und dennoch zum Scheitern verurteilt.

Der Andere sträubt sich gegen das Licht. An seine Höhle hatte er sich gewöhnt, die Schatten des Feuers an der Wand hielt er für die blanke Wahrheit.

Der Eine muss warten – und wird vergessen. Der Andere, an die Höhlenwand angeschmiedet, hat sich an seine Fesseln gewöhnt. Die Wahrheit der Sonne vermisst er nicht. Der Weise, der ihm die wahre Welt zeigen will, muss ihn mit Gewalt nach Oben zwingen.

Die kaiserliche Botschaft ist die Frohe Botschaft, in der die Menschen zum Warten auf den Sankt Nimmerleinstag verurteilt werden.

Der platonische Höhlenmensch, der die Wahrheit nicht vermisst und sich der Düsternis angepasst hat, muss zu seinem Glück gezwungen werden.

Religiöser und platonischer Faschismus sind die Fundamente der westlichen Demokratien – die sie peu à peu zum Einsturz bringen. Denn beide sind unverträglich mit politischer Selbstbestimmung.

Die Aufklärungswellen der Neuzeit hatten es geschafft, gegen den Widerstand des Klerus die demokratische Polis einzurichten. Sie hatten es nicht geschafft, der Polis den Geist der Autonomie zu vermitteln:

„Die Philosophen hatten erkannt, dass sie, nachdem sie die theologischen Fundamente der Moral erschüttert hatten, verpflichtet waren, eine andere Basis, eine andere Glaubenslehre zu finden, welche die Menschen zu einem schicklichen Verhalten anhalten würde. Sie waren nicht sicher, dass der Mensch ohne einen übernatürlichen Moralkodex beherrscht werden konnte. Voltaire und Rousseau gaben am Ende die moralische Notwendigkeit einer Religion für das Volk zu. Diderot wollte eine alternative Naturethik entwerfen, gab schließlich sein Scheitern zu: „Ich fühle mich einem solch erhabenen Werk nicht gewachsen.“

Die Revolutionäre wollten die Monarchie durch die Demokratie ersetzen. Doch ihr Vorbild war nicht die athenische Polis, sondern das totalitäre Sparta. Platons idealer Staat hatte sich in vielem an Sparta orientiert:

„Ihr Idol war nicht Ferney (Wohnsitz Voltaires), sondern Sparta und das republikanische Rom.“ (Durant)

Das republikanische Moment der ersten Stunde wurde schnell zur blutrünstigen Logik der Guillotine.

Rousseaus volonte generale war der allgemeine Wille, der nicht die Summe aller Einzelwillen sein konnte, sondern der Wille des Ganzen, sofern das Ganze vernünftig ist. Doch wer bestimmt diesen idealen Willen, wenn nicht die egoistischen Willensinteressen der Individuen? Diejenigen, die sich die Macht erkämpften, den Allgemeinen Willen zu bestimmen und per Gewalt durchzusetzen. Rousseau, der Held der Freiheit, wurde zum Urvater des späteren totalitären Sozialismus.

Die rechten, religiös gestimmten Regimes bezogen sich auf den totalitären Willen der göttlichen Obrigkeit. Die linken, religionskritischen Regimes bezogen sich auf den totalitären Willen Rousseaus, der bei Marx zur Diktatur des Proletariats wurde. Seitdem waren Europas Demokratien von linken und rechten Zwangsbeglückungen umzingelt.

Die Rettung kam aus England und Amerika, deren Gentlemen-Demokratien sich am meisten von Perikles inspirieren ließen.

In der Entwicklung der modernen Demokratie spielt Deutschland keine Rolle. Der aufgeklärte preußische König, von den französischen Philosophen als vorbildlichster Monarch Europas bewundert, war ein Absolutist, der seine Untertanen mit der Knute aufklärte. Nicht nur im Heer, sondern auch in den ersten staatlichen Schulen, deren Lehrpersonal aus gefechtsuntüchtigen Soldaten bestand. Das Urmuster der Kaserne hat die deutsche Schule bis heute bewahrt.

Kant und Lessing waren nur möglich in der friderizianischen Toleranz, der Alte Fritz war kein Freund der Popen. Als er starb, kippte die Stimmung unter seinen Nachfolgern. Das „Wöllner-Dekret“ verbot christentumskritische Äußerungen. Der alte Kant, scharfer Kritiker klerikaler Bevormundung, begann zu wanken und verstrickte sich in Widersprüche.

Demokratie, „die Staatsverfassung, bei der alle zusammen, welche die bürgerliche Gesellschaft ausmachen, die Herrschergewalt besitzen“, war ein „Despotism“. Warum? „Weil alles da Herr sein will“.

Ohne es zu wissen, übernahm Kant die Meinung der athenischen Adelseliten und des Aristoteles, die keine Übermacht pöbelhafter Unterschichten über die Reichsten und „Besten“ als Demokratie akzeptierten.

Die aristokratische Verachtung des Volkes spielt noch in der heutigen Demokratie eine Rolle.

„Eine besondere Gewissensfreiheit genießen Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die laut Grundgesetz ihre Entscheidungen im Rahmen des freien Mandats nur anhand ihres Gewissens ohne Bindung an Weisungen und Aufträge fällen sollten (Art. 38 GG).“

Das ist die listige Hintertür, durch welche die gewählten Abgeordneten dem „imperativen Mandat“ des Wählerwillens entkommen können.

Niemand soll zu etwas gezwungen werden, was seinem Herzblut widerspricht. Kommt es aber zum Zerwürfnis zwischen Wählerwillen und eigener Überzeugung, kann niemand das Recht beanspruchen, die Stimme seines Gewissens der Stimme des Volkes vorzuziehen. An dieser Kollisionsstelle müsste er – sein Mandat zurückgeben.

Nein, nicht im Land der christlichen Werte! Das eingeschmuggelte Gewissen breitet den Teppich aus zum Empfang der Böckenförde-Doktrin. Ohne Religion in der Hinterhand keine verlässliche irdische Moral. Die Moralfeindschaft der deutschen Eliten sagt es zwar nicht laut, meint es aber: wozu brauchen wir eine heidnische Moral, wenn wir mit einer göttlichen nach Belieben jonglieren können?

Anfänglich war Kant kompromisslos.

„Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, so brauche ich mich ja selbst nicht zu bemühen.“

Wenige Zeilen später knickt er ein, indem er den öffentlichen Gebrauch der Vernunft vom Privatgebrauch unterscheidet:

„Der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muss jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zustande bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern.“

Ein Pfarrer kann als Theologe in der Öffentlichkeit nach Belieben gegen die Dogmen seiner Kirche verstoßen. Als Seelsorger seiner Gemeinde aber muss er sich an die Bekenntnisse seiner Kirche halten.

Hier öffnete Kant die Tür zur offiziellen Heuchelei der modernen Theologen. Man ist nicht frei, seine abweichenden Meinungen zu entwickeln, wenn man sich als Gemeindepfarrer peinlich genau an das Glaubensbekenntnis halten muss. So entstanden die bigotten Seelsorger von heute, die in der Kirche kritiklos die Legenden der Heiligen Schrift psalmodieren, in der politischen Öffentlichkeit hingegen als Vertreter der historisch-kritischen Methode brillieren.

Anfänglich war Kant ein kompromissloser autonomer Moralist – woher der Begriff „kategorischer Imperativ“ stammt:

„Die Moral, sofern sie auf dem Begriffe des Menschen als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens, gegründet ist, bedarf weder der Idee eines anderen Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer anderen Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beobachten. Sie bedarf also zum Behuf ihrer selbst (sowohl was das Wollen als auch das Können betrifft) keineswegs der Religion.“

Doch dann schrieb er sein Buch „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“, in dem er den Begriff des radikalen Bösen erfand. Zwar meinte er nicht das angeborene Böse der Christen, aber die krasse Formulierung führte zur Meinung, der alte Kant sei in die Knie gegangen.

Als ihm Friedrich Wilhelm II. 1794 eine entsprechende Kabinettsorder zuschicken ließ, gab Kant die „versöhnliche Antwort“, seine Schriften seien nur an Gelehrte und Theologen gerichtet gewesen, deren Gedankenfreiheit im Interesse der Regierung erhalten bleiben müsse. Sein Buch habe die Unzulänglichkeit der Vernunft bei der Beurteilung der letzten Geheimnisse des religiösen Glaubens zugegeben.

Nach dem Robespierre‘schen Terror und der Machtübernahme Napoleons wurde die Aufklärung in Frankreich ad acta gelegt. Es begann die Epoche der Romantik, die wieder ins christliche Mittelalter zurückstrebte.

Wieder einmal war zu beobachten, wie unerledigte Konflikte den Menschen über den Kopf wachsen und zur religiösen Haltung zurückführen: aus tiefer Not schrei ich zu dir.

Seit 200 Jahren sind es nur seltene Ausnahmen unter den deutschen Intellektuellen (inzwischen der Medien), die auf selbstbestimmte Vernunft setzen. Man überbietet sich in faunischen Bocksprüngen gegen die Langeweile der Ratio. Das Leben muss doch Spaß machen – und wenn man sich dabei zugrunde richtet. Nur wer als Held den Tod nicht scheut, kann zur messianischen Größe auferstehen.

In dieser Woche geschah etwas Außergewöhnliches. Obwohl die Klimaproblematik seit Jahrzehnten bekannt ist, geschah es im deutschen Fernsehen zum ersten Mal, dass ein öffentlich bezahlter Sender die immer dringlicher werdende Gefahr in Form eines Fernsehspieles zur heiligen Zeit kurz nach acht seinem Publikum zumutete.

Es war eine fiktive Anklage gegen Merkel im Jahre 2034 vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (der aus Gefahrengründen nach Berlin verlegt wurde). 31 Länder verklagen im Film die Bundesrepublik. Merkel habe ihre ökologischen Pflichten sträflich vernachlässigt, weshalb besonders arme und südliche Länder in ihrer Existenz bedroht wurden.

Das Sensationelle war, dass dieser Film ausgestrahlt wurde. Über sein Wie muss gestritten werden.

Der Film rekapitulierte viele Fakten und die unfasslichen Wortbrüche der mächtigen Frau. Ist sie dadurch schuldig geworden? Zuallererst hätte die Schuldfrage erörtert werden müssen. Klar ist, dass die ganze Menschheit gegen das Recht zum Leben, niedergelegt in der UN-Charta, verstößt. Wo aber blieben die verheerendsten Umweltsünder China, USA, Russland etc? Warum nur Deutschland? Als pars pro toto und warnendes Exempel für die Welt wäre das Verfahren zu vertreten gewesen.

Dagegen spricht: hat Merkel nicht im Namen des deutschen Volkes agiert? Müsste nicht das ganze Land auf die Sünderbank? Merkel und Deutschland bilden eine Symbiose. Wer die Pastorentochter anklagt, klagt ihre Untertanen an.

Wie immer in politischen Talkshows stürzen sich die Debattanten, pardon die Rhetoren, auf endlose Fakten, die grosso modo gegeneinander abgefeuert werden, ohne sie in Ruhe zu überprüfen. Was fehlt, sind die zugrunde liegenden philosophischen Fragen: was ist Schuld? Gibt es in großen historischen Elementen überhaupt eine persönliche Schuld? In wie vielen Gazetten wird die Suche nach Schuldigen als Hatz von Verschwörungstheoretikern geschmäht? Der Kapitalismus sei eine evolutionäre Maschine, für die niemand die Verantwortung trage. Keine Verantwortung, keine Schuld. Schuld gibt es beim Klauen im Supermarkt, nicht in den historischen Großelementen.

Der Film folgte zu sehr dem Credo der Medien: Fakten, Fakten, Fakten. Fakten müssen verstanden und kausal hergeleitet werden. Dem Film fehlte die philosophische Grundlage.

Alan Posener macht dem Film vor allem zwei Vorwürfe:

a) Die Anklage der Länder habe sich auf die UN-Charta berufen:

„Zur Begründung heißt es, aus dem in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantierten Recht auf Leben folge ein „Recht auf Unversehrtheit der Natur“. Das ist juristischer Unsinn. Wer unversehrte Natur haben wollte, müsste in die Zeiten zurückgehen, da die Menschen weder das Feuer gezähmt noch die Landwirtschaft erfunden und eine Lebenserwartung von etwa 20 Jahren hatten. Mensch sein heißt, die Natur verändern.“ (WELT.de)

Nicht die Begründung ist Unsinn, sondern Poseners Kritik an der Begründung. Das Recht auf Unversehrtheit der Natur bedeutet nicht, dass die Natur unverändert bleiben müsse, als ob es den Menschen nicht gäbe, der sich von ihren Produkten ernährt. Unversehrt ist nicht unverändert, sondern nicht versehrt. Versehren heißt verletzen, beschädigen. Die Natur kann benutzt, darf aber nicht beschädigt werden.

Mutter Natur – pardon für diese Sentimentalität – ist stolz darauf, ihre Geschöpfe zu ernähren. Mit Vergiftungen, Luftverschmutzungen, endlosen Ausgrabungen, Waldbränden, Meeres-Vermüllungen etc. hat die Ernährung der Menschheit nichts zu tun. Eben das wäre die Leistung der Ökowende, dass der Natur die Möglichkeit gegeben wird, die Menschheit durchzufüttern, ohne ihre Substanz und Regenerationsfähigkeit anzugreifen.

b) „Aber kann es Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Medien sein, die Bürger*innen eine Woche lang auf allen Kanälen aufzufordern, ihr Leben zu ändern? Wäre das in einer Demokratie – wenn schon – nicht Aufgabe der Parteien? Oder ist die ARD Partei?“

Da läuft endlich eine filmische Anregung zum politischen Nachdenken – die Hauptaufgabe der Kunst, der Medien und aller öffentlichen Organe – und exakt dies soll nicht die Aufgabe der ARD sein, sondern der Parteien? Wer hat in Demokratien den Auftrag, die BürgerInnen zum Nachdenken zu stimulieren, provozieren, motivieren? Jedermann und jedefrau. Das nennt man demokratische Leidenschaft und Verantwortung übernehmen. Es ist deutscher Untertanengeist, auf „höhere“ Instanzen zu warten und der Obrigkeit das Wichtige zu überlassen. Sokrates wartete auf keinen Auftrag, um seiner selbst gewählten Aufgabe zu folgen, der athenischen Polis ein Stachel im Fleisch zu sein.

Der Aufruf zur Passivität ähnelt dem Wartenden am abendlichen Fenster in Kafkas Parabel. Weshalb wir uns die Kühnheit erlauben, den Schluss umzuschreiben:

Du aber sitzt an deinem Fenster – und merkst plötzlich, dass Du dir selbst eine Botschaft gesendet hast. Du bist der Kaiser deines Lebens und niemand sonst. Deshalb hat sich der Demokrat den kategorischen Imperativ gegeben: „von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“ Und in Handeln umzusetzen, was seine Vernunft gebietet.

Wie ein Blitz schlug die Erkenntnis in den Wartenden. Er sprang auf, rief seine Nachbarn zusammen und schrie: an uns liegt es, ob wir uns retten können. Wir sind die Sonne unseres Lebens.

Fortsetzung folgt.