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Alles hat keine Zeit XCIV

Tagesmail vom 22.03.2021

Alles hat keine Zeit XCIV,

»Für eine neue CSU braucht es neue Regeln und einen neuen Geist«. Auf Nachfragen von Journalisten sagte Söder, dies sei »kein Vorwurf an die Vergangenheit«.

Was ist das Hauptproblem Deutschlands? Die Missachtung der Logik, die gestörte Beziehung zur Wahrheit.

Durch Missachtung der Logik kann keine Wahrheit gefunden, keine Unwahrheit ausgeschlossen werden.

Was geschieht mit einem Land, in dem Wahrheit missachtet, Unwahrheit nicht ausgeschlossen wird?

Das Land wird zum Reich der Unwahrheit: der Täuschung, Selbsttäuschung, des Irrtums, der Irreführung, des Trugs, des Widerspruchs, der Halluzination, der Lüge, der Unaufrichtigkeit, der Gier nach Macht (durch Setzung beliebiger Ideologien, die als Wahrheit auftreten), der Heuchelei, des Wahns, der Zerstörung des Lebens (da Leben auf der Fähigkeit beruht, die Wahrheit der Realität anzuerkennen.)

Sollten diese Sätze wahr sein, würde das für die lebensbedrohte Menschheit – nicht nur für Deutschland – bedeuten: der homo sapiens (der weise Mensch) ist dabei, sich mit dem Strick seiner wahnhaften Selbsttäuschungen eigenhändig zu erdrosseln. Er wäre unweise, unklug, töricht und lebensunfähig.

Kein Mensch der Gegenwart, schon gar kein mächtiger und einflussreicher, will weise oder klug sein. Der Mächtige will immer mächtiger, der Einflussreiche immer einflussreicher sein, ja das Geschick der Erde und des Universums konkurrenzlos bestimmen. (Master of Universe)

Die Epochen der Menschheit, die Wahrheit und ein weises Leben suchten, sollten wir ad acta legen. Die Ära der Philosophie, (der Liebe zur Weisheit), die etwa vor 2500 Jahren in vielen Kulturen fast zeitgleich begann, ist zum gescheiterten Kapitel der Geschichte geworden.

Blicken wir zurück in Wehmut und Tränen! Nein, in heiligem Zorn – sofern heilig nichts mit Religionen zu tun hat, die die Wahrheitssuche der Menschen vernichten wollen.

„Denn das Törichte von seiten Gottes ist weiser als die Menschen und das Schwache von seiten Gottes stärker als die Menschen. Was vor der Welt töricht ist, hat Gott erwählt, damit er das Starke zuschanden mache … auf dass sich kein Fleisch vor Gott rühme. Wer sich rühmt (prahlt), der rühme sich des Herrn (prahle mit Gott).“

Der Untergang der Menschheit wäre somit der Triumph eines Gottes, der seine Überlegenheit durch Vernichtung der Menschheit beweisen muss.

Die Klimakatastrophe wäre das Ende einer jahrtausendealten Schlacht zwischen Gott und der Menschheit, die er angeblich aus Nichts erschuf, und die er nach diversen Erlösungs- und Verfluchungsspielchen wieder im Nichts versenken will.

Wie moderne Menschen in Konsolenspielen über das Schicksal ihrer Spielfiguren entscheiden, so spielt der HERR sein Schöpfungsspiel mit Konsolen-Marionetten.

„Also erbarmt er sich nun, wessen er will, verhärtet aber, wen er will … O Mensch, jawohl, wer bist du, dass du mit Gott rechten willst? Wird etwa das Gebilde zum Bildner sagen: Warum hast du mich so gemacht? Oder hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus der nämlichen Masse das eine Gefäß zur Ehre, das andere zur Unehre zu machen?“

Was ist Logik? Die Suche nach Widerspruchslosigkeit. Wahrheit kann sich nicht widersprechen, sie ist in Einklang mit sich. Zwei und zwei kann nicht zugleich vier und nichtvier sein.

Dieses Entweder-Oder wird im christianisierten Deutschland stets verwechselt mit dem Hell-Dunkel des Gott-Teufel-Dualismus. Theologen wehren sich mit Händen und Füßen gegen den „manichäischen Dualismus“, in dem Gutes und Böses, Gott und Teufel sich auf gleicher Augenhöhe gegenüberstehen, um den Sieg am Ende der Geschichte zu erringen. Ausgang ungewiss, denn beide Seiten sind gleich stark.

Die christliche Lehre will kein Dualismus sein, sondern ein Monismus: auch der Teufel, obwohl Widersacher, ist ein Geschöpf des Allmächtigen und folgt nur dessen Direktiven. Für naive Ohren ein Widerspruch. Nicht aber für Gläubige. Für sie ist der Gegenspieler ein Geschöpf des Herrn, das mit seiner Bosheit eine entscheidende Rolle in der Ökonomie der Heilsgeschichte spielt.

Goethes Mephisto hat diese Funktion präzis auf den Punkt gebracht: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Von der mittelalterlichen Theologie über Luther, Mandeville, Kant, Fichte, Schelling, Hegel bis Nietzsche und der nationalsozialistischen Ideologie, vom Marxismus, Darwinismus bis zum Kapitalismus gilt das Gesetz: ohne Kampf, Verdrängungs-Wettbewerb, erbarmungslosen Konflikt, ohne gefährliche Risiken gibt es keinen Fortschritt, keine Entwicklung der Menschheit. Das Böse ist der kreative Stachel, der die angeborene, sündige Trägheit des Menschen bezwingt und alle Kräfte der Menschen mobilisiert.

Selbst bei dem Aufklärer und kategorischen Moralisten Kant klingt das böse Prinzip der Natur unerbittlich:

„Der Mensch will Eintracht, aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist; sie will Zwietracht.“

Alles Ungesellige und auf Rabatz Gebürstete, „woraus so viele Übel entspringen“, dienen dennoch einer „neuen Anspannung der Kräfte, mithin mehrerer Entwicklung der Naturanlagen – und verraten also wohl die Anordnung eines weisen Schöpfers und nicht etwa die Hand eines bösartigen Geistes, der in seine herrliche Anstalt gepfuscht oder sie neidischerweise verderbt habe.“ (Idee zu einer allgemeinen Geschichte …)

Das Gute ist langweilig, träge und unkreativ. Untätig würde es in den Tag hineinträumen und sich mit dem Wenigen begnügen, das vorhanden ist – wenn nicht das Böse der Stachel im Fleische wäre, der alle Kräfte antreibt, mobilisiert und motiviert.

Bei Mandeville sind es die privaten Laster, die zu öffentlichen Tugenden werden. Bei Hegel ist es der allgegenwärtige Widerspruch, der als Böses das simple Vorhandene (oder die These) mit der Antithese zum Kampf reizt, um in der Synthese zur finalen Harmonie zu finden.

Bei den Deutschen war es der Heilige Krieg, der die Menschen aus ihrer täglichen Monotonie reißt und zu Höchstleistungen motiviert. Nur hier können sie als todesmutige Helden den Rausch ihrer Gottähnlichkeit feiern.

Im Kapitalismus ist es die Aussicht auf endlosen Reichtum und technische Macht über Mensch und Natur, die den Geist des Verdrängungs-Wettbewerbs anfeuert. Es ist das Vorspiel der göttlichen Scheidung der Menschen in Erwählte und Verworfene, die man in der wirtschaftlichen Spaltung in Reiche und Arme erleben kann.

Die Ursache des nützlichen und unentbehrlichen Teufels liegt in der Antinomie (Gesetzlosigkeit) Gottes. Gott ist kein simpler Moralist. Er steht jenseits von Gut und Böse und lässt sich vom Menschen nicht  auf die Projektionsfigur eines lieben und gütigen Volltrottels reduzieren.

Er ist nicht nur Schöpfer der Erde und aller Kreaturen, auch sonst hat er alles erschaffen, was zum irdischen Repertoire gehört: Gutes und Böses, Freudiges und Trauriges, Kreuz und Krone, Tod und Auferstehung.

Gottes Antinomie benötigt zwei Arme, um sowohl das Schlimme als auch das Gute zu vollstrecken. Unter irdischer Perspektive ist das Böse ein Widerspruch zum Schöpfer. Genau besehen aber ist der Teufel als Symbol des Bösen nur das Werkzeug des Herrn. Am Ende wird der Teufel unter dem endlosen Gelächter Gottes zum Narren gehalten.

„Aber du, o Herr, lachst ihrer, du spottest aller Heiden.“

In der Religion gibt’s keine Widersprüche zu lösen. Denn diese werden – als Triebelemente des Bösen – zum Fortgang der Geschichte und zum Endsieg des Höchsten benötigt: der ans Ziel gekommenen Einheit des Guten und Bösen.

Bei Hegel ist Widerspruch der Inbegriff des Bösen, den der Weltgeist benötigt, um seine Evolution vom anfänglich Zerrissenen zur finalen Harmonie zu vollenden. Am Anfang des Seins sind Nichts und Alles getrennt, am Ende bilden sie eine Einheit, der Widerspruch aller Dinge ist durchgearbeitet und endet in Harmonie des Ganzen. Natur, die böse Schöpfung, und göttlicher Geist waren die elementarsten Widersacher. Am Ende hat der Geist seine Feindin überwunden, das Ziel ist erreicht: „die Natur zu unserem Nutzen zu verwenden, sie abzureiben, aufzureiben, kurz sie zu vernichten.“

Die Vernichtung des Lebens ist das Ziel abendländischen Fortschritts, die minderwertige Natur muss durch Vernichtung „erlöst“ werden.

Die Widersprüche Hegels sind keine logischen: mit Kleinigkeiten gab sich der schwäbische Allversöhner von Gott und Teufel nicht ab. Seine Widersprüche sind reale Konflikte zwischen allem und allem. Anfänglich scheinen sie unauflösbar, dann aber müssen sie durch die Schreddermühle der Dialektik, um in unendlich vielen Stufen alles mit allem zu versöhnen.

Was ist der Unterschied zwischen Logik und Dialektik? Logik ist die Methode des selbstdenkenden Menschen, um die Unverträglichkeiten des Unwahren durch Eliminieren abstrakter Widersprüche aufzudecken und sich peu à peu der Wahrheit zu nähern. Die Buntheit der Realität muss reduziert werden auf abstrakte Punkte, die auf Widersprüchlichkeit überprüft werden müssen.

Demokratie ist unvereinbar mit Nichtdemokratie. Doch jede Demokratie enthält unübersehbar viele lebendige Elemente – genauso wie jede nichtdemokratische Gesellschaft. Hier ließen sich problemlos viele Gemeinsamkeiten finden, die sich ähnlich sein könnten: Menschen müssen arbeiten, sich ernähren, politisch agieren, leiden und sterben etc.

Von all diesen Impressionen muss abstrahiert werden auf den einzigen nervus rerum: ist die Gesellschaft eine Demokratie, in der jedes Mitglied die Würde eines gleichen und freien Menschen genießt – oder ist der Mensch die hörige Marionette einer Despotie? Das allein sind die wesentlichen Punkte, die verglichen werden müssen.

Hegel verachtete die simple Logik der Heiden, die durch mühsamen Streit freier und mündiger Menschen den edlen Kampf um die Wahrheit kämpfen mussten. Als Christ weiß er, dass alle realen Widersprüche der Welt im Prinzip längst gelöst sind und demnächst, ja zu seinen Lebzeiten, in Berlin in Harmonie enden werden. Gewiss, Kleinigkeiten werden noch Probleme bereiten. Aber nicht mehr lange und der Prozess einer unwiderstehlichen Versöhnung wird alles in Wohlgefallen auflösen.

Dialektik ist Versöhnung in unendlichen Stufen der These, Antithese und Synthese. Noch leben wir in Widersprüchen. Doch der Schein trügt: in Wirklichkeit sind alle Widersprüche bereits überwunden, ein kleines Weilchen noch und sie werden sich in Luft auflösen. Hegel übersetzte das Heilsgeschehen in einen historischen Prozess winziger Harmonisierungen, die in der endgültigen Versöhnung am Ende aller Tage einmünden werden. Fromme würden vom Jüngsten Gericht sprechen, an dem alle Bücher aufgetan und alles Irdische sub specie aeternitatis abgeurteilt wird.

Hegel steht am Ende und hat den Endsieg des Weltgeistes (= des Geistes Gottes) in der Siegerhand.

Die Logik der Heiden kennt keine Heilsgeschichte, weder einen Anfang noch ein Ende der Menschheit. Sie kennt nur eine zirkuläre Zeit, in der die Natur ihre ewig gleichen Vorgänge wiederholt. Dem Menschen bleibt die Pflicht, durch Erkennen der Wahrheit sich in Einklang zu setzen mit Mensch und Natur. Verfehlt er die Wahrheit, wird er scheitern. Gelingt es ihm, sich ihr unablässig anzunähern, wartet ein freies und fröhliches Leben auf ihn.

Dass Hegel die wahrheitssuchende Funktion der heidnischen (von Aristoteles formulierten) Logik nicht verstanden hat, beweist sein folgendes Beispiel:

„Der Philosoph verwendet den Satz: „Das Hier ist z. B. der Baum“. Dann argumentiert er, da vermittels des praktischen Umwendens „diese Wahrheit verschwunden und … sich in die entgegengesetzte verkehrt“ habe: „Das Hier ist nicht ein Baum“.“ (Peter.Ruben.de)

Hegel verwechselt sinnliche Eindrücke mit abstrakt-logischem Denken. Kein normaler Mensch dächte daran, sich umzudrehen, um zu sagen: den Baum, den ich auf der Südseite sah, kann es nicht geben, weil ich ihn auf der Nordseite nicht mehr sehe. Jedes Kind würde den großen Dialektiker und Besieger der heidnischen Logik auslachen. Die Fehlleistung erinnert an die intellektuelle Heldentat seiner Jugend, in der er mit glasklarer Logik die Nichtexistenz eines Sternes bewies, der von einem dänischen Astronomen bereits entdeckt worden war.

Was schließen wir daraus? Die Menschheit muss der scheinbaren Allwissenheit ihrer Erlöserreligionen entsagen und zurückkehren zur mühsamen Wahrheitssuche der Heiden durch autonomes Denken und scharfsinnigen Gebrauch ihrer Logik. Keine höhere Instanz schenkt uns Wahrheit, wir sind aufgerufen, unseren eigenen Kopf einzuschalten und uns auf die Suche zu machen. Natur mag sich in vielen Dingen verbergen: wir sollten aber zuversichtlich sein, dass sie uns jene Wahrheiten nicht vorenthält, die wir zum guten Leben benötigen.

Renaissance und Aufklärung zeigten der religiösen Allwissenheit (= dem Glauben) die rote Karte und forderten den Menschen zum Selberdenken auf.

Doch das ist ein mühsames Geschäft und erfordert ein menschenwürdiges Leben, das nicht von harter Arbeit dominiert wird, sondern den Menschen jene Muße bereitstellt, die er zum Lernen und Nachdenken benötigt.

Natürlich will er auch die Früchte dieses Nachdenkens noch in seinem Leben genießen. Doch das verhinderten die herrschenden Könige, Fürsten und Popen, die alles unternahmen, um die ersten Schritte in die Freiheit – wie in der Französischen Revolution – unschädlich zu machen und in uralte despotische Verhältnisse zurückzukehren.

Verwirrte Menschen, ohne Überblick über ihre Zeit, ziehen dann den nachvollziehbaren Schluss: unsere Befreiung ist gescheitert. Fast nichts hat sich verbessert, vieles verschlechtert. Lasst uns reumütig zurückkehren in die altbekannten Verhältnisse des VATERS. Deren Nöte und Leiden sind uns wenigstens bekannt – und wir können den Himmel um Trost und Bestärkung bitten.

Drei Schritte voran, zwei zurück: so vollzieht sich der humane Fortschritt in mühsamen Stolperschritten. Jede Niederlage, jede Katastrophe der Menschheit ist eine Sternstunde für Erlöser, die nur darauf lauern, der darbenden Kreatur die Botschaft vom Heil zu verkünden. Dass dieses übernatürliche Heil die Vernichtung der Menschheit und der Natur bedeutet, ist deutschen Christen bis heute verborgen geblieben. Sie wollen es auch nicht wissen und stecken den Kopf in den heiligen Sand der Ignoranz. Was sie nicht wissen, kann sie nicht beunruhigen.

Die Feindschaft gegen die irdische Wahrheit fand vor wenigen Jahren ihren Höhepunkt in der Übernahme der „Postmoderne“, einer philosophischen Lehre, die alle denkende Autonomie vernichtete. Die Postmoderne zog einen Schlussstrich unter die Zuversicht der Aufklärung, der Mensch könne selbst die Wahrheit finden.

„Aus der Moderne ging die Postmoderne hervor, und die Ideen von Friedrich Nietzsche. Als Schutzpatron der postmodernen Philosophie hielt Nietzsche am „Perspektivismus“ fest, der besagt, dass alles Wissen (inklusive Wissenschaft) der Perspektive und Interpretation unterliegt. Viele andere Philosophen bauten auf Nietzsches Arbeit auf (z.B. Foucault, Rorty und Lyotart) und teilten seine Ablehnung gegen Gott und Religion im Allgemeinen.“

Alles ist Sache subjektiver Perspektiven, objektive Wahrheiten existieren nicht. Gibt es aber keine generell verbindliche Wahrheit: wie sollen Menschen ihre Interessenkonflikte und Streitigkeiten lösen, wenn es keine verbindliche Instanz für alle gibt, auf die man sich berufen kann?

Kann man nicht miteinander reden und streiten, bleibt nur eins: der Wille zur Macht. Recht hat, wer Macht hat. Krieg, Gewalt oder technische und wirtschaftliche Überlegenheit müssen alles regeln. Diesem Zustand nähern wir uns in globaler Gleichzeitigkeit und in beschleunigter Geschwindigkeit.

Die Nachkriegszeit war gekennzeichnet durch die gemeinsame Letztinstanz der UN-Charta, in der die Einhaltung der Menschenrechte das oberste Kriterium der Wahrheit bildete.

Dieses universelle Denken zerbricht gerade in nationale Mythen der Vorkriegszeit. Jede Nation, jede Kultur ist regrediert in das „Narrativ“ ihrer unfehlbaren Erleuchtungen.

Was ist ein Narrativ?

„Als Narrativ wird seit den 1990er Jahren eine sinnstiftende Erzählung bezeichnet, die Einfluss hat auf die Art, wie die Umwelt wahrgenommen wird. Es transportiert Werte und Emotionen, ist in der Regel auf einen Nationalstaat oder ein bestimmtes Kulturareal bezogen und unterliegt dem zeitlichen Wandel. Bestimmendes Element hinter einem Narrativ ist weniger der Wahrheitsgehalt, sondern ein gemeinsam geteiltes Bild mit starker Strahlkraft.“

Narrative sind subjektive Erzählungen, die als Mythen der Nationen deren Überlegenheit über konkurrierende Nationen beweisen sollen. Die Corona-Pandemie bringt es an den Tag. Immer mehr folgen einzelne Staaten ihren national-subjektiven Narrativen, um autistisch die Frage zu beantwortet, wie man den Virus am wirksamsten bekämpfen kann.

Die EU als Instanz verbindlicher politischer Wahrheiten verfällt. Die europäischen Staaten fallen zurück in ihre nationalen Erwählungsmythen der Vorkriegszeit. Diese Selbstvergötzungen gaben ihnen das Recht, ihre Einmaligkeit in Kriegen zu suchen, die als Gottesbeweise galten.

Söder sucht neue Regeln und einen neuen Geist, behauptet aber gleichzeitig, dies sei kein Vorwurf an die Vergangenheit. Sucht man denn Neues, wenn man dem Alten nicht Versagen vorwirft? Die Deutschen kennen keine Widersprüche. Sie befinden sich bereits in selig-dialektischer Versöhnung am Ende ihrer Heilsgeschichte.

Als Söder zu seinem Amtsantritt Kreuze in allen bayrischen Amtsstuben aufhängen ließ, scheint der religiöse Akt die moralische Kompetenz der Abgeordneten nicht erhöht zu haben. Ganz im Gegenteil.

Fortsetzung folgt.