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Abgrund

Hello, Freunde des Abgrunds,

huuu, Schauder, Abgrund, Abyssus, Schlund der Unterwelt oder – Hölle. Die Verbrechen der Deutschen sind mannigfach nützlich und ausbeutbar. Das Satanische darf nun als wissenschaftlich-historisch erwiesen gelten. Das Böse, dieser Satz steht fest, ist stets das Fromme, das man lässt. Wer den Schöpfer anbetet, darf den Kniefall vor seinem Widersacher nicht verweigern.

Drobinski, glaubensfester SZ-Prophet seines populistischen – pardon, leutseligen, faustkampferprobten und karnickelallergischen – Papstes, schaut, streng nach Kalender, einmal im Jahr in den Schlund der Unterwelt:

„Warum wir in den Abgrund von Auschwitz blicken müssen“. „Der tiefere Grund für den Wunsch nach einem „Schlussstrich“ ist die Angst vor dem Abgrund. Ohne ihn gibt es aber keinen Stolz auf dieses Land, keinen Spaß an der bunt gewordenen Republik.“ (Matthias Drobinski in Süddeutsche.de)

Welch feine Katholikenpädagogik. Erst eine Portion Abgrund, liebe Kinder, dann dürft ihr in der bunten Republik wieder spielen gehen. Erst das Kreuz, dann die Krone, erst Beichte und Buße, dann Vergebung der Sünden und Versöhnung mit Gott: euer Gewissen ist wieder weiß wie Schnee, gereinigt mit Ysop und päpstlichem Segen.

Was ist der Abgrund? „Man kann nicht fassen, was in Auschwitz geschah. Es gibt die Berichte der Überlebenden, Filme, Bücher, Modelle für den Schulunterricht. Es gibt so viele Erklärungen und doch keine Erklärung.“

Also lasst fahren dahin, ihr überlebenden Auschwitzopfer, ihr könnt erzählen und erklären, was ihr wollt, es bringt nichts. Ihr Gelehrten könnt Bibliotheken voller Bücher schreiben: es bringt nichts. Ihr Lehrer könnt unterrichten, wie ihr wollt: es bringt nichts. Ihr Politiker könnt „zentrale Erinnerungsreden“ halten, dass ihr selbst

von euch ergriffen seid: es bringt nichts.

(Die Berliner Politik ist nicht nur die Zentrale der Macht, sondern die Zentrale der Erinnerung; da Erinnerung ein geistiger Vorgang ist, muss Berlin die Zentrale des Geistes, müssen Gauck & Merkel die Geistesriesen der Republik sein. Das könnte man eine schleichende Totalitarisierung der Demokratie nennen. Die Zentrale ist alles, das Volk ist nichts. Wen wundert es, dass das permanent ausgesperrte Volk dagegen blökt: wir sind das Volk?)

Pneumatiker Drobinski weiß, dass Abgrund der Schlund zur Unterwelt in der Apokalypse des Johannes ist:

„Und er tat den Brunnen des Abgrunds auf; und es ging auf ein Rauch aus dem Brunnen wie ein Rauch eines großen Ofens, und es ward verfinstert die Sonne und die Luft von dem Rauch des Brunnens. Und aus dem Rauch kamen Heuschrecken auf die Erde; und ihnen ward Macht gegeben, wie die Skorpione auf Erden Macht haben. Und es ward ihnen gegeben, daß sie sie nicht töteten, sondern sie quälten fünf Monate lang; und ihre Qual war wie eine Qual vom Skorpion, wenn er einen Menschen schlägt. Und in den Tagen werden die Menschen den Tod suchen, und nicht finden; werden begehren zu sterben, und der Tod wird vor ihnen fliehen.“ (9,2 ff)

Hier haben wir nichts weniger als das Vorbild von Guantanamo: endloses Quälen, ohne die „Gnade des erlösenden Todes“.

„Wenn nun in Auschwitz, im Deutschen Bundestag, in Israel und überall auf der Welt der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee gedacht wird, ist das der Versuch, dem Unfassbaren eine Fassung zu geben, eine Form, einen Ritus.“

Die einzige Form, dem Unfassbaren standzuhalten, ist das „zivilreligiöse Tamtam“, das religionsimitierende Ritual der C-Politiker, also fast des gesamten Bundestags. Das Unfassbare ist das Böse, das durch menschlichen Verstand nicht ergründet werden kann. So wenig Gott durch Vernunft erfassbar ist, so wenig sein Alter Ego.

Vor dem Bösen und Unergründlichen muss der säkulare Mensch zuschanden werden. „An Auschwitz muss jegliche Selbstsicherheit scheitern.“ Die autonome Sicherheit muss scheitern, der gescheiterte Sünder muss sich Gott ergeben und sich dessen Heils-Sicherheit als unverdiente Gnade erbetteln.

Auschwitz kann mannigfach instrumentalisiert werden, auch zur „zivilreligiösen“ Missionierung der zivil-irreligiösen gottlosen Horden. Der Begriff zivilreligiös ist nicht nur ein Oxymoron – ein Begriff, der sich selbst widerspricht –, er ist eine demokratiefeindliche Unverschämtheit.

Den Blasphemie-Paragrafen wegen Schmähkritik Gottes gibt es immer noch: als ständig drohendes, natürlich nur „symbolisch“ zu verstehendes Damoklesschwert über allen Lästermäulern.

Einen äquivalenten Blasphemieparagrafen wegen Schmähung der Vernunft wird es in 1000 Jahren nicht geben. Die irdische Welt, die areligiöse Politik, die autonome Moral der Aufklärer: sie alle dürfen folgenlos als null und nichtig verunglimpft werden. Wissen doch die Frommen, dass die Welt ohne transzendente Absicherung die Beute des Teufels sein muss.

Schickt Drobinski und all seine Böckenfördes und Karlsruher Oberwächter der klerikalen Scharia vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag! Wo leben wir eigentlich? In einer Demokratie erdreisten sich die Frommen, allein Gefühle und Empfindlichkeiten zu besitzen? Bekanntlich werden laut Genesis die Frommen aus empfindsamer Erde, die Gottlosen aus Gusseisen und Beton fabriziert. Gibt es eine einzige Predigt, die ohne Schmähung der gott-losen Natur und der autarken Welt auskommt?

Ist das Wort Schmähkritik Kritik oder Schmähung? Wenn jede Kritik eo ipso Schmähung sein soll, darf man sich über die desolaten kritiklosen Beziehungen Deutschlands zu Israel nicht wundern.

Wenn an Auschwitz jede Selbstsicherheit – die Sicherheit durch selbst erworbene Reife und Erkenntnis – scheitert, dann bedeutet dies, dass die Deutschen aus ihren Menschheitsverbrechen nichts gelernt haben. Hätten sie ihre verdammte Lektion gelernt, wären sie selbstsichere, menschliche Menschen, die anderen Menschen mit verstehender Empathie und wohlwollender Kritik begegnen könnten.

Nun verstehen wir, warum Deutsche nichts verstehen sollen, sie würden gar die Opfer ihrer Väter verstehen und könnten nicht mehr theatralisch in den Abgrund glotzen.

Drobinski scheut sich nicht, just am Auschwitz-Erinnerungstag den Graben zu den Opfern unüberbrückbar zu machen: „Wer Überlebende trifft, spürt den Abgrund, der sie von den anderen Menschen trennt und über den kein Steg führt. Wenn sie erzählen, steht man da und schaut ins Dunkel.“

Überlebende, was haben wir mit euch zu tun? Seid ihr nicht Emissäre aus Hollywoods Alienwelt?

Man muss nicht akkurat dasselbe Elend erlebt haben, damit man die biografischen Schmerzen und Nöte menschlicher Geschwister verstehen kann. Kein Mensch ist identisch mit dem andern, alles Verstehen beruht auf emotionalen Analogien. Gibt es noch immer die altrassistische Zweiweltentheorie, allerdings mit devot-phrasenhaften Umkehrungen: oh Überlebende der Gräuel, betrachtet uns als Staub an euren Füßen, als Nichts?

Henrik M. Broder hat Recht, wenn er vom Sündenstolz der Deutschen spricht. Ein perverser Stolz, sich vor Gott in den Dreck zu werfen, damit die Gnade des Herrn umso höher erscheine.

Hinter der Hybris der feierlich zelebrierten Selbsterniedrigung steht das uralte Wort: wer sich selbst richtet, wird nicht gerichtet werden. Indem sie sich selbst vergeben, wollen die Deutschen ihre jüdischen Opfer nötigen, ihre Schuld ungeschehen zu machen. Vergebt uns, denn wir haben uns bereits vergeben. Ihr habt gar keine Freiheit mehr, uns nicht zu vergeben.

Die Täternation zeigt sich in gigantischer Demut, um ihre jüdischen Mitmenschen zu Mitleid mit den vorbildlichen Büßern geradezu zu zwingen. Da ist keine Frage an die andere Seite: könnt ihr, wollt ihr uns vergeben? Ist eine Vergebung von eurer Seite überhaupt möglich? Gibt es so etwas wie eine weltliche, von aller Religion unabhängige Vergebung?

Vergebung – niemals, sagten schon einige Juden. Aber praktische und politische Versöhnung.

Ist es nicht bereits eine ungeheure Leistung der Opfer, ihren Henkern und deren Nachkommen die Hand zum Frieden zu reichen? Mit ihnen zu reden, in ihren Reihen zu leben? In die Schulen ihrer Kinder zu gehen, um ihnen Zeugnis von Untaten abzulegen, die sich in der Weltgeschichte nie mehr wiederholen dürfen? Nicht zuletzt waren es die jüdischen Opfer, die in der Nachkriegszeit halfen, die Deutschen in die Reihe der Völker zurückzubringen.

Die Deutschen führen keinen offenen und fragenden Dialog mit den Juden. Sie vollbringen einen autistischen Selbstgeißelungstanz mit der unausgesprochenen Frage: reicht‘s noch immer nicht, dass wir uns so oft zu Büßernarren gemacht haben? Wie lange noch wollt ihr uns auf den Wecker fallen mit eurem theatralischen Opfergehabe? Irgendwann muss es einen Schlussstrich geben. An dieser Stelle muss reflexhaft die Deutsche Angst ins Spiel gebracht werden. So auch von Zivilpriester Drobinski:

„Der tiefere Grund aber ist die Angst, die Unfähigkeit und manchmal auch der Unwille, in den Abgrund zu schauen, der sich auftut, wenn man an Auschwitz denkt, an das Unfassbare, das Mark und Seele Erschütternde: Der Boden ist dünn, auf dem wir stehen.“

Nichts ist dem Menschen unfassbar, was irgendein Mensch tut. Und sollte es ihm unfassbar sein, hat er seine eigenen „Abgründe“ noch nicht wahrgenommen.

Nichts Menschliches ist mir fremd, ist ein humaner Satz, der uns alle verbindet. Alles ist dem Menschen nachvollziehbar, was anderen Menschen widerfährt. Wir sind einer Gattung, trotz aller Verschiedenheiten. Wär‘s anders, hätten die Rassisten Recht.

Nicht, dass wir stante pede verstehen. Wir müssen ein Leben lang das Verstehen lernen. Das menschliche Universum ist, nein, nicht unermesslich, sondern bei aller Vielfalt und Pluralität klar begrenzt. Wir sind keine unbegrenzten Götter, sondern endliche Wesen mit irdischen Grenzen.

Zum Verstehen gehört der Satz: noch verstehe ich dich nicht. Noch bist du mir fremd. Doch wenn wir beide wollen, können wir uns näher kommen. Wenn wir lernen, unsere Erfahrungen in die des anderen zu übersetzen, können wir eine Sprache des mitfühlenden Herzens und rationalen Verstandes entwickeln.

Verstehen ist nicht blindes Anempfinden – wie bei überidentischen Romantikern, die plötzlich das Schwert hoben gegen alle, die nicht anempfindend waren wie sie –, und es ist nicht kaltes und gefühlloses Klügeln und Rechnen wie bei jenen Silicon Valley-Genies, die mit ihren Intelligenz-Maschinen die Menschheit überflüssig machen wollen.

In Deutschland wird das Verstehen zunehmend verpönt. Vor allem von Linken, die ihre überragenden politischen Einsichten durch Ausschließen konträrer Meinungen schärfen müssen. Es gibt immer mehr Schwarz und Weiß und nichts dazwischen. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, sind die Parolen jener Heilsgewisser, die jegliche Berührung mit dem Andersdenkenden zu einer Begegnung mit dem Bösen stilisieren müssen.

Die Ansteckung durch Ebola kann nicht ansteckender und gefährlicher sein. Schon das bloße Gespräch überträgt durch Teufelsmagie den Virus des Bösen. So selbstsicher sind altgediente Demokraten, dass sie genau wissen, sie werden jedes Rededuell gegen die Bösen verlieren. „Stellt ihnen durch eure blauäugige Dussligkeit kein Forum zur Verfügung“. „Mit Schwachmaten spricht man nicht“. „Bitte kein sozialklempnerisches Gedöns in der Arena der politischen Gladiatoren“.

„Kein Argument kann Vorurteile überwinden“, dekretiert der Sozialpsychologe – der selbst voller arroganter Vorurteile gegen die schnöde Masse ist.

Jetzt sind die Linken in ihre eigene Falle getappt. Zuerst jubelten sie über den Wahlsieg ihrer griechischen Partner, doch dann verschlug es ihnen die Sprache, als Tsipras mit judenfeindlichen Rechten die Koalition einging.

Christian Bommarius hat den dunklen Fleck der Linken aufgespießt.

Die Grünen sind ohnehin von der Rolle. Weil eine Vorsitzende ihrer Partei in Hamburg wagte, in der Höhle der Löwen mit türkischem Abschaum zu debattieren, soll sie ausgeschlossen werden. Das nimmt schon prästalinistische Formen an.  (Daniel Bax in der TAZ)

Beim SPIEGEL breitet sich eine nietzscheanische Herrenreitermentalität aus. Jan Fleischhauer macht seinem Namen alle Ehre und metzgert die faulen Griechen, als hätte der alte arische Dünkel sich in neugermanischen Wirtschaftsrassismus verwandelt. Welch postdemokratischer Hohn: haben die degenerierten Hellenen wirklich die Demokratie erfunden? Muss wohl eine idiotische Erfindung gewesen sein, wie man an diesen Parasiten sieht, die sich auf unsere Kosten durchschmarotzen wollen.

Frage an die Justiz: Gibt es gegen solche Hamburger Jans und Pits keine Paragrafen gegen Volksverhetzung? Gegen den philohellenischen Fleischhauer und den Schwachmatenfreund Augstein sind Pegadisten harmlose Laiendarsteller. Doch wer an der Druckerpresse sitzt, kann ungehindert mit dem Finger auf andere zeigen.

Die strikte Schwarz-Weiß-Trennung gilt nicht nur fürs Innere der Nation. Der neue Kalte Krieg sorgt für übersichtliche Achsen des Guten und Bösen.

Es ist eine Schande, mit rechten Dogmatikern zu kungeln, predigte die Kanzlerin in ungewohntem Schmähdiskant gegen ihre pegadistischen Stiefkinder. Als aber ihr großer Freund Obama mit seinem gesamten Hofstaat bei den fanatischen Saudis einflog, (die gerade einen Freigeist tot peitschen ließen), um den angemessenen Kotau vor Öl und Mammon zu machen – da hörte man aus dem Kanzleramt keinen Pieps.

Als ihre polnischen Freunde geschichtsfälschend den Russen das Verdienst und die Ehre nahmen, die Befreier von Auschwitz gewesen zu sein, hörte man von der machiavaellistischen Magd Gottes – nichts.

Ihre amerikanischen und israelischen Freunde können machen, was sie wollen: Angie weiß genau, bei wem sie Ja und Amen sagen muss – und wen sie verbissenen Gesichts sanktionieren darf.

Bei Obama nicht anders. Die wachsenden Nöte des russischen Volkes kommentiert er mit hämischer Schadenfreude, die totalitären Wahabiten preist er in den siebten Himmel.

Die Weltpolitik spaltet sich zusehends an der alten Block-Markierung: wer sich dem auserwählten Weltführer nicht unterordnet, auch sonst nichts Veritables zu bieten hat, der wird mit dem Matthäusprinzip abgespeist: Wer hat, dem wird gegeben, wer nichts hat, dem wird noch genommen, was er hat.

Es ist eine Schande, Frau Merkel, die Schande anderer aufzuspießen, die eigene aber in pastoralem Selbstdünkel zu verleugnen. Stefan Reinecke kommentiert in der TAZ.

Es gibt keinen deutsch-jüdischen Dialog, es gibt nur sado-masochistische Schlagerituale. Ist es wirklich die German Angst, die die Deutschen daran hindert, sich eingehend mit dem Holocaust-Menetekel zu befassen, wie Dobrinski meint?

Dieses Klischee-Gefühl ist nicht die Angst hilfloser Kinder. Es ist eine invertierte, nach innen gebogene Wut, welche fürchtet, die Welt könnte den noch immer vorhandenen teutonischen Furor zur Kenntnis nehmen. Die bußfertigen Täter müssen sich furchtsam und depressiv zeigen, damit die Welt keinen Verdacht schöpft, sie könnten noch immer mit dem Hammer philosophieren wollen. Und nicht nur philosophieren.

Die deutsche Angst ist eine Mischung aus unterdrückter Wut und larvierter Feigheit. Da es unanstößiger ist, Ängste zu zeigen, als sich mit asozialen Triebregungen zu plagen, hat sich die Nation der Mitte daran gewöhnt, furchtsam mit den Augen zu zucken.

Nie mehr will sie zu den Aggressoren der Weltpolitik gehören. Ein löbliches Ziel, doch mit wenig löblichen Mitteln. Seine Aggressionen wird man nicht los, wenn man sie unterdrückt und ihnen durch Selbsterkenntnis nicht die gefährliche Energie absaugt.

Es ist eine Schande, Frau Merkel, dass Sie zur Lage der Nation – außer Wirtschaftsdaten – nichts Sinnvolles beizusteuern haben.

Hat Gauck eine große Rede zum deutsch-jüdischen Verhältnis gehalten, wie alle Medien unisono behaupten?

Er hat an die Erinnerung – erinnert. Was aber war das Fazit seiner Erinnerung an die Erinnerung? Welche historischen Ursachen der deutschen Berserkerwut gegen die „Ersterwählten des Herrn“ hat er entdeckt?

Solche Lappalien interessieren den geistlichen Herrn nicht. Für Gauck gibt es keine Ursachen, die aus der Tiefe der deutschen Geschichte kämen. Auch er glaubt an das Böse und das ist ein ewiges Geheimnis. Nicht ansatzweise hörten wir eine erkenntnisfördernde Rede, es war eine Kanzelpredigt mit obligatem Ablesen von Tugendkatalogen. Verstehen und Erklären ist bei Jüngern Jesu, die an das Böse als Ursache des Schrecklichen glauben müssen, nicht vorgesehen.

Doch Gaucks Rede war nicht nur substanzlos, sie war eine veritable Schandrede. Der Bundespräsident brachte es fertig, die verhängnisvolle, ja entscheidende Rolle seiner lutherischen Kirche und der ganzen deutschen Christenheit, vollständig zu verleugnen.

Die Kirchen haben das unglaubliche Kunststück zustande gebracht, ihre nationalsozialistische Mäeutenfunktion ins pure Gegenteil zu verkehren, sodass jede Edelfeder heute zu schreiben wagt: die Schergen waren gottlose Satansbraten, die tapferen Kirchen waren märtyrerhafte Gegner der Höllenbrut.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, die die Regel bestätigen, waren beide Kirchen besessene Halleluja-Rufer des lange erwarteten, nun endlich erschienenen Führer-Messias. Die Christen spürten mit allen Fasern das Wehen des Heiligen Geistes, wie C. F. von Weizsäcker, der fanatische Bruder des Ex-Bundespräsidenten, zu formulieren pflegte.

Nur zwei Äußerungen aus unendlich vielen Zeugnissen:

Der protestantische Theologe Emanuel Hirsch, damals einer der führenden christlichen Intellektuellen, war überzeugt, dass Hitler ein vom Himmel gesandter Führer sei. Im Frühsommer 1933 schrieb er:

„Kein einziges Volk der Welt hat so wie das unsere einen Staatsmann, dem es so ernst um das Christliche ist; als Adolf Hitler am 1. Mai seine große Rede mit einem Gebet schloss, hat die ganze Welt die wunderbare Aufrichtigkeit darin gespürt.“ (Robert Ericksen, Theologen unter Hitler)

Und ein Theologe der Deutschen Christen, die die riesige Mehrheit der evangelischen Christen bildeten, schrieb:

„Tatsache ist es, dass in der stockdunklen Nacht christlich-kirchlicher Geschichte Hitler für unsere Zeit gleichsam das wunderbare Transparent, das Fenster wurde, durch das Licht auf die Geschichte des Christentums fiel. Durch ihn hindurch vermochten wir den Heiland in der Geschichte der Deutschen zu sehen. Es ist wesentlich für den Ausgangspunkt des deutschen Christen, dass ihm Gott fordernd im praktischen Glauben an Deutschland, im täglichen Sichhingeben für sein Volk im nationalsozialistischen Kampf nach dem Jahre 1918 begegnet ist und nie mehr losgelassen hat. Das deutsche Christentum lebte nicht mehr abseits vom Volk und seiner Geschichte. Die deutsche Kirche war nicht mehr nur „Sekte“, der „Zug der Welt-, Natur- und Lebensabgewandtheit“ verschwand, weil christliche Gemeinde und politische Bewegung das gleiche Ziel hatten: den Glauben an Deutschlands Sendung. Deutschland war das „Gegenvolk der Juden“, dazu auserlesen, „den Schleier der Nacht“ vom Kreuz zu nehmen, und der Welt den wirklich erlösenden Dienst zu erweisen, zu dem sich bis heute kein Volk der Erde fand.“ (Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich)

Wie kann auf erbärmlichen Geschichtslügen der deutschen Regierung und der gesamten Ökumene das deutsch-jüdische Verhältnis kritisch erinnert und neu aufgebaut werden?

Der Tag der Erinnerung war ein schändlicher Tag der nationalen Verblendung.