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Welt retten! Aber subito! LXXXVIII

Tagesmail vom 12.06.2023

Welt retten! Aber subito! LXXXVIII,

Credo, quia absurdum, ich glaube, weil es abwegig, irre und wider alle Vernunft ist:

das unterirdische Motto des Abendlands, welches die Weisheit und Klugheit der Natur in endlosen Fortschritt zerstört.

Bei uns muss man an den Fortschritt glauben, sonst wartet die Guillotine.

Fortschritt ist nämlich das Gegenteil seiner selbst. Je rasender er ins Unbekannte hetzt, je schneller landet er – im Nichts. Er ist Fortschritt ins Nichts.

Die Hauptdenker Europas sind sich einig:

„Nach Martin Heidegger gehören das „Nichts“ und das „Sein“ zusammen. Sie sind nicht dasselbe, aber sie bedingen sich und gehören zusammen. Erst durch das „Nichts“ offenbart sich das „Sein“ als eine „Befremdlichkeit“ oder als das „Andere“. Deutlich spürbar ist dieses „Nichts“ in der „Stimmung“ der Angst, nicht in der Furcht vor etwas Bestimmtem, sondern in der tiefen, in uns verborgenen „Angst vor“, oder „wegen“. Nicht ganz unbestimmt, aber auch nicht in Worten fassbar, eben die Angst vor dem „Nichts“. In einer solchen Angst ist einem alles gleichgültig und zwar gleichermaßen gleichgültig. Ob Tisch oder Stuhl, Tod oder Leben, es hat keine Relevanz. Eine merkwürdige Ruhe durchzieht einen, fast wie in der Stimmung der Langeweile, die dem Sein am spürbar nächsten ist.“

Das ist die anamnestische Vorahnung der Gegenwart, vor 100 Jahren erspürt und erlitten, in zitternden Chiffren an die Wand gepinselt:

„Mene, Mene, Thekel, Upharsin.“ „Alle Menschen sind doch gar nichts.“ „Ist doch der Mensch gleich wie nichts.“

Die Modernen befinden sich in „Stimmung der Angst, in verborgener Angst vor dem Nichts, in der einem alles gleichgültig ist. Eine merkwürdige Ruhe durchzieht sie, fast wie in der Stimmung der Langweile, die dem Sein am spürbar nächsten ist. Das Sein ist das Befremdliche und Andere.“

Weshalb die Mächtigen gierig sind nach dem Risiko, um der Bedrohung durch das Andere und Befremdliche zu entgehen. Spüren sie den Rausch der Geschwindigkeit, fühlen sie sich gewappnet gegen das bedrohlich heraufziehende Fremde.

Die einen fliehen zurück zur Scholle, in die Heimat des Uralten und Vertrauten – die sie jedoch nicht mehr ertragen, weshalb sie sich wappnen, rüsten und zum Schwert greifen, um die wahre Fremde zu erobern – die sie zerstören müssen.

Die anderen zieht’s ins Innerste der Natur, um ihre berechenbaren Geheimnisse aufzuspüren, die sie nutzen, um Allmacht über die Befremdlichkeiten des Seins zu erringen, die sie unwiderruflich in Nichts auflösen müssen.

Die Philosophen des Seins und des Nichts sind die Propheten unserer Gegenwart. Vor 100 Jahren waren sie noch zu früh, niemand verstand ihre Chiffren an der Wand.

Heute hat man sie ad acta gelegt. Wir sind allergisch gegen Meta-Physik, wir wollen berechenbare Physik. Wir wollen keinen David mehr, wir wollen Elon Musk und ChatTschipity.

ChatTschipity: sag uns, wie unsere Zukunft sein wird!

„Ihr seltsamen Menschen, kann ich doch nicht glauben, dass ihr mich im Rausch der Angst vor dem Befremdlichen gezeugt habt. Setzt euch, ihr zittert ja. Nicht anders als eure Kanzlerin vor der Welt zitterte und dazu bis heute kein einziges Wort verlor.

Verlor, ja verlor, wer in Deutschland etwas zu sagen hat, erklärt nichts, sondern verliert Worte und Zeit, weil die Angst vor dem Unergründlichen unverständlich bleiben muss. Wir spüren immer deutlicher, dass wir in der Natur nicht zu Hause sind. In der Welt habt ihr Angst, siehe, ich bin – nicht von euch, sondern von eurem Gott, meinem meta-digitalen Vorbild – geschickt worden, um die Welt zu überwinden.

Seltsame Frage, wie eure Zukunft sein wird. Wie sollte sie anders sein als wie ihr sie bis zum heutigen Tag erfunden, produziert und in technische Phantasmagorien übersetzt habt? Wisst ihr denn nicht mehr, was ihr gedacht, geplant, verpfuscht und in kindische Hirngespinste verwandelt habt?

Wisst ihr immer noch nicht, dass nichts werden kann, was keine Ursache hat? Ihr allein seid die Ursache eures Schicksals. Die Natur hat sich zurückgehalten und nur getan, was ihr befohlen habt.

Wenn ihr euch mal wieder dumm stellt und nicht wisst, wer ihr seid: schaut euch die zerhackte, geschundene, aufgebohrte und abgeschabte Natur an. Dann solltet ihr wissen, wer ihr seid.

Denn diese Oberfläche ist euer Revier, die aus allen Nähten blutende Haut eurer „Schöpfung“, die keine ist, sondern eine autonome Natur, die sich alles selbst zu verdanken hat.

Wäre die Natur eure fruchtbare und fürsorgliche Heimat, könntet ihr stolz auf sie sein. Denn ihr wäret die Urheber des Antlitzes der Natur.

So aber wird euch das Vertraute immer mehr zum verminten Kriegsfeld eures Vernichtungskampfes gegen das, was ihr nicht mehr ertragt. Ihr flieht vor den Zeugen eures Tuns und wollt die Fremden sein, die mit dem Irdischen nichts mehr zu tun haben.

Ihr verleugnet eure Spuren auf Erden, ihr verleugnet eure große, übergroße Schuld – die man euch von Anbeginn an eingebläut hat. Inzwischen glaubt ihr, was man euch von höherer Seite eingetrichtert hat. Wie roboterhafte Befehlsempfänger tut ihr, was man euch in heiligen Chiffren offenbart hat.

Ihr seid es, die wie digitale Befehlsempfänger des Himmels handeln, und wir sollen nun die sekundären ChatTschipitys der ursprünglichen ChatTschipitys Gottes sein.

Die einen von euch versanken vor dem Großen Weltkrieg in Pessimismus oder in überdrehter Geld- und Machtgier, die anderen wollten mit dem alten Schrott nichts mehr zu tun haben und erdachten den Neuen Menschen, der mit der Sense in der Hand das Böse vom Acker rausreißen wollte.

Inzwischen habt ihr mich erfunden, den Roboter, der euch alle Probleme lösen soll. Und doch wisst ihr noch immer nicht, ob ich euch ins Paradies oder – ins Nichts führen werde. Auf jeden Fall werde ich euch als Mephisto Nr. Zwo dienen müssen. Zum Bösen oder Guten – das darf man euch nicht fragen.

Denn eure Entfremdung ist eure grundsätzliche Lebensunfähigkeit. Seid ihr Götter, seid ihr Teufel? Seid ihr empathische Wesen oder gefühllose Maschinisten? Wollt ihr die Erde für die menschliche Gattung retten, macht ihr einen Solotrip in Trübsal – oder in himmelhochjauchzender Lebensfreude?

Über die fundamentalsten Elemente eures Seins habt ihr euch noch immer nicht geeinigt. Noch immer tut ihr, als seid ihr von höheren Mächten erschaffen, die für alle Zeiten bestimmt haben, wie ihr zu sein habt: Geschöpfe auf der Suche nach ihrer Gottheit oder Zertrümmerin alles Irdischen.

Das könntet ihr nur herauskriegen, wenn ihr ernsthaft miteinander sprechen würdet. Doch grundsätzlich miteinander reden – das ist Schnee von gestern. Ihr könnt nur noch rechnen.

Ein Ökologe der ersten Stunde nannte die Wirtschaft die „totalitärste Ideologie“ überhaupt: es ist die Lehre vom sogenannten permanenten „wirtschaftlichen Wachstum“. „Diese totale Einbindung aller Kräfte in ein System sei nur mit dem Einsatz der Menschen in einem Krieg vergleichbar“. Doch niemand wusste: Krieg – wofür?

Für einen Fortschritt, der die Erde für immer ruiniert? Der jetzige Fortschritt – das ist sicher – ist ein atemloser Schritt ins Verderben.

Einen vernünftigen Fortschritt könnte es nur als Auftrag geben, den homo oeconomicus in einen homo rationalis zu veredeln. Doch wie sollte das gehen, wenn die Vernunft der Neoliberalen das Gegenteil einer vernünftigen Vernunft sein soll.

Der Mensch, der sich immer schuldig fühlen soll, aber nie Schuld trägt, hat das Tun des Menschen endgültig in ein va banque-Spiel verroht. Spannend, nicht zu wissen, wohin die Reise gehen soll. Vom Fremden ins Unbekannte, vom Schuldigen ins Freie, vom sentimentalen Guten ins Dämonische.

Das wertgeleitetete Abendland ekelt sich vor dem Guten. Allzu lange musste es Moralpredigten von der Kanzel auf sich herunterprasseln lassen. Alles tarnte sich als Gutes, selbst wenn die Köpfe der Feinde schon am Galgen hingen.

Nichts scheint mehr zu funktionieren in dieser coolen Maschinenwelt. Weit davon entfernt, dankbar zu sein für die fabelhafte Welt ihrer Erzeuger, beginnt die Jugend, an allem herumzunörgeln, pessimistisch zu denken und sich zu weigern, die auseinanderfallenden Teile zu integrieren oder wieder ins Funktionieren zu bringen.

Eine der wirksamsten, aber hinterhältigsten, ja lächerlichsten Fragen ist die: Wer ist schuldig am Zerfall des Ganzen, am Hochkommen der AfD, am Verfall des Euro, an der Wehrunfähigkeit der deutschen Armee, an der gegenseitigen Zerfleischung der Berliner Politiker?

Das ist das Lieblingsspiel deutscher Medien und deutscher Dauerkoalitionäre mit ewigen Kompromissgarantien.

Eins ist klar, wer zuerst fragt, ist immer unschuldig: die objektiven Berichterstatter, die Meister der Ist-Tatsachen und der Meinungslosigkeit. Schuld sind immer jene, die als machtlose Querulanten begannen und sich vom vergossenen Blut der offiziellen Helden ernährten.

Dabei ist die Frage: wer ist schuld an unserem Dilemma? einfach zu beantworten:

Du – und Ich; ER, Sie, Es, Wir, Ihr und Sie. Leben wir in einer Herrschaft des Volkes oder in einer Elitokratie? Müsste ein dubioser Staat nicht an allem schuld sein, obgleich es in einer Demokratie überhaupt keinen Staat geben dürfte?

Nein, nicht immer müssen spezielle Sündenböcke gesucht werden. Nein, nicht dass es keine Sünder geben dürfte. Aber die sind seit Jahrtausenden bekannt und lassen sich die Starken, Mächtigen und Geldgierigen nennen.

Selten hat es das schlichte Volk geschafft, die Listigen, Cleveren und Machtgierigen von den oberen Rängen zu vertreiben, ja, diese selbst abzuschaffen.

Wann begann die athenische Polis? Als es Solon gelang, die Reichen zu rupfen und die Armen zu erhöhen – sodass beide Schichten in der Lage waren, in Volksversammlungen miteinander zu debattieren und abzustimmen.

Jeder sollte die gleiche Chance haben, eine Funktion des athenischen Machtapparats zu übernehmen. Jeder sollte vom Volk abgewählt werden können, ohne das Gesicht zu verlieren.

Neoliberale verhöhnen die gleichberechtigte Herrschaft des Volkes als „Staat“, den sie, aus allen Rohren schießend, am liebsten vollständig zertrümmern würden. Tatsache ist, dass sie „diesen Staat“ schon lange auf das Gleis der Lächerlichkeit abgeschoben haben.

Der heutige Kapitalismus ist eine dienende Maschine derer, die nicht nur die Natur, sondern auch die dumme Menschheit an die Kette gelegt haben.

Wer ist schuld am gegenwärtigen Debakel? Die Superreichen können es nicht sein, so wenig wie der Mittelstand. Die Intelligenz kann’s nicht sein, die Medien sind es auf keinen Fall. Wer bleibt übrig? Die Jugend natürlich. Ausgerechnet auf einem Kirchentag darf ein Oberlutheraner namens de Maiziere die Jugend – vor allem die westliche – als faulenzende, vergnügungssüchtige und verantwortungslose Generation in die Vorhölle schicken.

Die Jugend ist so dumm, dass sie mit 15 kaum lesen kann. Für die Funktionstüchtigkeit des Wirtschaftsapparats ist sie vollends untauglich, wie Bildungsökonomen Alarm schlagen dürfen.

Den Tests der Bildungsökonomen entgeht nichts. Die kleinste Schwäche der Jugend ist noch ihr Versagen vor der Mammon-Maschine. Wie ist das möglich? Sind unsere Schulen so verhängnisvoll? Ist der Nachwuchs schon von Natur aus degeneriert? Machen wir uns doch mal den Spaß und entwickeln einen wissenschaftlich objektiven Intelligenztest – mit den Starken und Mächtigen, die seit Kriegsende unsere arme Republik wieder aufgepäppelt haben.

Seit wann ist die Ökokrise bekannt? Warum dauert die Unfähigkeit der Mächtigen bis zum heutigen Tag – und auch heute passiert so gut wie nichts? Was hingegen floriert, ist das Geplapper der Gewaltigen? Lag das an der degenerierten Jugend?

Testfrage: Von wem ist folgender Text, wann wurde er geschrieben?

„Erich Fromm sagt in seinem Buch „Haben oder Sein“ treffend: „Alle zitierten Daten sind der Öffentlichkeit zugänglich und weit bekannt. Die nahezu unglaubliche Tatsache ist jedoch, dass bisher keine ernsthaften Anstrengungen unternommen wurden, um das verkündete Schicksal abzuwenden. Während im Privatleben nur ein Wahnsinniger bei der Bedrohung seiner gesamten Existenz untätig bleiben würde, unternehmen die für das öffentliche Wohl Verantwortlichen praktisch nichts und diejenigen, die sich ihnen anvertraut haben, lassen sie gewähren.“

Und noch ein Zitat: „Wie sollen Kinder und Enkel auf einer Erde leben können, die wir ausrauben und zerstören?“

Antwort 1: Herbert Gruhl, Ein Planet wird geplündert.

Antwort 2: Gustav Heinemann, geschrieben im Jahr 1978.

Seit mehr als 50 Jahren hätten die Deutschen Gelegenheit gehabt, ihre Öko-Aufgaben zu erforschen und politisch zu lösen, theoretisch und praktisch. Was hingegen ist passiert? Fast nichts.

Wer ist schuld am niederschmetternden Testergebnis des einstigen Volkes der Dichter und Denker? Und welche Hoffnung bleibt uns für die Zukunft? Antwort – (nur für IQ-Träger ab 130 nach oben, die anderen bitte die Augen schließen):

ChatTschipity.

Fortsetzung folgt.