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Welt retten! Aber subito! LXXI

Tagesmail vom 07.04.2023

Welt retten! Aber subito! LXXI,

„Wir alle gehören zur ersten Generation, die die Folgen der Erderhitzung spürt. Wir sind die Generation, die es so weit hat kommen lassen. Und wir gehören zur letzten Generation, die aufhalten kann, was uns droht: der globale Verlust unserer Kontrolle über die menschengemachte Klimakrise.“ (innn.it)

Unerhört, ungeheuer, unfassbar – wiewohl seit Jahrhunderten geplant und voraussehbar. Die Giganto-Kultur, welche die Erde unter ihre Gewalt bringen wollte, hat das Match gegen die Natur verloren.

Christen handeln nicht wider eine göttliche Schöpfung. Eine solche gibt es nicht. Die Menschheit schreddert die natürliche Natur – die alles nur sich selbst verdankt.

Noch acht Jahre. Wenn die Menschheit in diesem Wimpernschlag der Zeit nicht das Ruder herumreißt, der Natur die Fesseln löst, ihr die Hände entgegenstreckt, um Frieden zu schließen, wird geschehen, was Christen als Apokalypse bezeichnen – weshalb das christliche Deutschland seine Ketzer am liebsten in den Orkus zu schicken pflegt.

Die Offenbarung des absoluten Schreckens wird mit Sicherheit stattfinden – für die verfluchte Mehrheit der Menschen; die Offenbarung der Seligkeit hingegen nur für eine winzige Zahl Auserwählter.

Das wird das Ende des historischen Parcours sein, auf dem der Wettlauf der Völker um die Seligkeit stattgefunden hat. Viele waren berufen, nur wenige auserwählt.

Einen himmlischen Universalismus gibt es nicht. Gott selektiert – nicht nach gerechten und einsehbaren Kriterien, sondern nach Laune und Willkür, die von den Erwählten Gnade genannt wird.

Manche allerdings reden von Verdienst, wenn sie den Direktiven des Herrn treu gefolgt sind.

Gäbe es kein öffentliches Glockenläuten, käme kein Fremder auf die Idee, die Deutschen für eine Nation christlicher Werte zu halten.

Um welche Werte es dabei gehen soll, lassen sie ohnehin im Dunkeln, weshalb es unklar bleibt, ob sie diese Werte einhalten oder verächtlich zur Seite schieben.

Nehmen wir an, die Werte seien moralische, so müssten wir erstaunt konstatieren, dass das Land der Reformation eine dreiste Doppelmoral vertritt. Vorausgesetzt, dass biblische Gebote überhaupt moralische sind.

Wären moralische Taten aber Werke des Gesetzes, könnte das Land Luthers doch ein christliches sein. Nach Luther kann man nämlich nur selig werden ohne Werke des Gesetzes, sondern allein durch Gnade, sola gratia, allein durch den Glauben, sola fide und allein durch die Schrift, sola scriptura.

Die Worte und Segnungen eines unfehlbaren Papstes wären Makulatur.

Da man der Gnade Gottes nie sicher sein kann, müsste die Frage offen bleiben, ob Deutschland ein christliches Land genannt werden dürfte.

Die christliche Definition der Moral unterscheidet sich zudem von der jüdischen, die Wert legt auf strikte Einhaltung der Gebote, womit sie glaubt, sich das Recht auf Seligkeit – auf Erden oder im Jenseits – mühsam verdient zu haben. Gesetzesgehorsam gegen himmlischen Lohn und höllische Strafe.

Das wäre die biblische Version des uralten Grundsatzes: do ut des, ich gebe, damit du gibst.

Wir sehen, die vielen Deutungsmöglichkeiten der Heiligen Schrift beantworten nicht klar die Frage, was Moral sei. Hinzu kommt die weitere Schwierigkeit, dass, neben der Bibel, es auch heidnische Moraldefinitionen gibt, etwa bei den Griechen.

Die beriefen sich nicht auf Gehorsamsleistungen gegenüber belohnenden und strafenden Göttern, sondern einzig und allein auf die Forderung der eigenen Vernunft. Der Mensch ist ein autonomes Wesen, das jede Unterwerfung unter übermenschliche Kräfte und Mächte kategorisch verwirft.

Diese, mit der biblischen Moral völlig inkompatible Vernunftmoral hat sich im Verlauf des Abendlandes mit der Gehorsamsmoral der Kirchen immer mehr verschlungen, sodass es fast unmöglich ist, zu sagen: hier handelt einer nach Gottes Willen, hier einer nach eigener Vernunft. Hegels Dialektik vollbrachte zudem das Kunststück, die Klumpenbildung zur höchsten Moral- Erkenntnis zu erheben. Überblicken wir:

a) Jüdische Moral ähnelt der griechischen, indem nur Taten zählen.

Göttliche Autorität, ewigen Lohn und Strafe allerdings kennen die weltlichen Philosophen nicht.

b) Die christliche – oder neutestamentarische – Ethik (vornehmer Begriff für Moral) ist gespalten in die katholische und evangelische. Die katholische ist eine Mischung aus Verdienst- und Gnadenethik (semipelagianisch). Der Gnade seines Herrn muss der Gläubige entgegenkommen und einige Werke „liefern“. Sieht der Herr, dass sich jemand anstrengt, kann er das Bemühen gnädig belohnen.

c) Die evangelische Moral wird wiederum getrennt in lutherische und calvinistische. Luther verflucht die Werke, nur Gnade wäre entscheidend. Bei Calvin sind alle Menschen zur Seligkeit oder zur Verdammung vorherbestimmt. Alles Tun und Bemühen des Menschen seien belanglos.

d) Wie kam Max Weber dazu, die calvinistische Vorherbestimmtheit als Grund und Boden des Kapitalismus zu definieren? An der – schon vor Erschaffung der Welt – festgelegten Prädestination war in der Tat nicht zu rühren.

Da der Calvinist aber nie wissen konnte, ob er zu den Auserwählten gehört, versuchte er sich dennoch subjektive Gewissheit durch möglichst viele gute Werke zu verschaffen. Wen Gott liebt, dem gibt er die Chance zu guten Werken. Mit kapitalistischem Erfolg konnte sich der Gläubige das wohltuende Gefühl des Erwähltseins verschaffen. Dem Urcalvinisten ging es also nicht um Reichwerden an sich, er benötigte nur ein möglichst sicheres Zeichen des Erwähltseins.

Das wären die verschiedenen Moralarten des Abendlands – von den vielen Sekten ganz abgesehen.

Wenn die Deutschen von heute eine Aversion gegen Moral entwickeln, stellt sich die Frage, welche Moral der vielen Religionen sie denn ablehnen?

Sie könnten die autonome Moral der Griechen ablehnen. Weil sie gegen alles Philosophische oder Autonome allergisch sind. Eine selbstbestimmte Moral erfordert nämlich einen “aufrechten Gang“, der heute nur selten zu sehen ist.

Sie könnten sich intuitiv auf Luthers Ablehnung der Werke berufen, weil sie jede „Angeberei“ mit Moral unerträglich finden. Sie könnten Moral prinzipiell ablehnen, mit der die Prediger von der Kanzel herunterdonnern, weil sie allergisch sind gegen jedwede autoritäre Anmaßung.

Vor allem könnten sie allergisch sein gegen jedwede Politmoral, weil dieser Begriff für sie ein Widerspruch in sich wäre. Seit Machiavellis deutsche Eingemeindung als politischer Oberstratege hatte Moral sich zur privatistischen Kunst entwickelt, moralfreie Interessen hingegen zur politischen Kunst. Moral wurde zum Anstand des Spießers, das Politinteresse hingegen zur kühlen Kunst „der Staatsraison“.

Friedrich Meinecke hat in seinem Buch „Die Idee der Staatsraison“ dieses Auseinanderdriften in kleinbürgerliche Moral und in politische Raison eindrucksvoll geschildert. Selbst die Schergen des Dritten Reichs unterschieden zwischen privater Moral und staatlich gebotenen Interessen, mit der sie ihr gottverdammtes Tun rechtfertigen konnten.

Mit welcher Moral wird der Herr am Ende der Geschichte die Völker richten? Niemand weiß es, jeder müsste spekulieren. Wollen die Gläubigen sich zufrieden geben mit einer undefinierbaren Melange verschiedenster Moralen?

Fazit: die Gläubigen der verschiedensten Glaubensrichtungen können definitiv nicht wissen, welche Völker oder Einzelgläubige selig werden oder nicht.

Wenn die abendländischen Konkurrenzmoralen bestimmen dürfen, welchen Platz sie im Jüngsten Gericht einnehmen, versteht es sich von selbst, dass der wirtschaftliche und politische Erfolg am größten sein wird, wenn die zur Schau gestellte Moral den Staat nicht daran hindern kann, seine politischen Erfolge zu erzielen.

Machtgestützter Erfolg und moralischer Schein dürfen sich nicht gegenseitig behindern.

Bisher gelang es den USA nach dem 2. Weltkrieg noch am besten, sich als mächtigsten Staat der Welt mit der integersten Moral darzustellen. Die rigorose Bekämpfung des Hitlerreiches, verbunden mit der anschließenden Patronage der deutschen Verlierer war ein eindrucksvolles Beispiel für die Verbindung von realistischer Macht und idealistisch-universeller Moral.

Dennoch gab es, in den Augen der Dritten Welt, erhebliche Spannungen zwischen Nächstenliebe und Machtinteressen, die einerseits in den kolonialen Kriegsverbrechen des Westens zu sehen waren, andererseits in der Heuchelei, der universellen Moral der UN-Charta zu folgen, dennoch aber die Interessen des ressourcengierigen Westens zu befriedigen.

Dabbelju Bushs Eroberung des Irak, angeblich, um einen „bösen“ Staat zu entschärfen, in Wirklichkeit, um an dessen Ölquellen heranzukommen, war das grellste Beispiel der immer schlimmer werdenden Nachkriegsheuchelei, dem die „unterentwickelten Länder“ nicht mehr länger applaudieren wollten.

Die Nationen des Ostens und Südens entwickelten sich immer mehr zu einem oppositionellen Block gegen den Westen, der, je länger, je mehr, ein selbstkritisches Sensorium für seine weltpolitischen Frevel vermissen ließ.

Wie ging Deutschland mit diesem Dilemma um? Wie immer in der Nachkriegszeit: kritiklos ordnete man sich den USA unter – aus falscher Dankbarkeit. Wer einen befreundeten Staat kritisiert, hasst ihn nicht, sondern will sein Bestes. Im Fall Israel versank Deutschland im Abgrund zwischen blinder Loyalität und wacher Solidarität.

Gelang dem Westen eine eindrucksvolle Tat, mit der er armen Völkern unter die Arme griff, erklang stets die gleiche Selbstanpreisung: wieder einmal ein eindrucksvolles Beispiel für unsere weltbesten abendländischen Werte.

Entlarvte sich aber die hohe Tat als hinterlistiger Eigennutz, verteidigte man sich mit der Formel: internationale Politik kann kein moralischer Idealismus sein, er muss seine Interessen knallhart vertreten. Sehe jeder zu, wo er bleibt. Weltpolitik ist kein ökumenischer Gottesdienst, sondern ein knallharter Wettbewerb.

So zerfiel der universelle Geist der UN-Moral immer mehr in skrupellose Interessenpolitik der christlichen Völker, die sich immer mehr dem Ende ihrer Heilsgeschichte zu nähern schienen. Am Ende der Geschichte wollten sie unbedingt als Sieger eintreffen.

Warum aber sind die Deutschen so unfassbar träge und bewegungslos im Kampf gegen das Klima? Weil sie, im Gegensatz zu den Amerikanern, nichts von irgendeiner Apokalypse wissen wollen. Es würde sie vollends lähmen, wenn sie mit einem gerechten Urteil im Jüngsten Gericht rechnen müssten.

Die Absage an das Jüngste Gericht war ein Bruch mit ihrer Geschichte, die seit 1000 n.Chr. ständig mit der Ankunft des Jüngsten Tags rechnete. Das ging bis zur Vorbereitung des Dritten oder 1000jährigen Reichs, welches – wie diese Begriffe schon sagen – den Triumph der Deutschen am Ende der Geschichte bezeichnen würden.

Das Fieber der Deutschen nach einem göttlich beglaubigten Führer gab ihnen das Gefühl: jetzt oder nie. Wir, wer sonst, sind die prädestinierten Sieger über die Völker der Geschichte, weil Gott auf unserer Seite ist.

„Thomas Mann bemerkte nach dem Zweiten Weltkrieg, die Deutschen hätten, im Gegensatz zu den Franzosen nichts Besseres zu tun, als „Apokalypsen zu träumen“. In der Tat haben die beiden Weltkriege, der erste noch mehr als der zweite, in Deutschland eine Flut apokalyptischer Deutungen hervorgerufen. Das betraf auch das angeblich atheistische Lager der Sozialisten. Theoretiker dieses Lagers von Marx bis Ernst Bloch trugen maßgeblich bei zur apokalyptischen Ausrichtung des Sozialismus deutscher Provenienz.“ (Klaus Vondung, Die Apokalypse in Deutschland)

Was genau ist Apokalypse?

„Apokalypse meint den Untergang und zwar den totalen und endgültigen, den Untergang der Menschheit, das Ende der Welt. Doch dieser Untergang kann nur eine Durchgangsphase sein zu einer neuen Erde, einem neuen Jerusalem. Apokalypse war eine Erlösungsvision.“ (ebenda)

Vorsicht: die Erlösung kommt mit einem doppelten Kopf daher: einem Erlösungs- und einem Vernichtungskopf. Gottes finale Parole hieß: „Siehe, ich mache alles neu“. Ist alles neu gemacht, kommen die Erwählten in ein zweites Paradies – das seinen Schatten mit sich führt: die Vernichtung des sündigen Alten in der Hölle.

In der Nachkriegszeit hatten die jungen Deutschen die Nase voll von Apokalypsen (mit Ausnahme der „wissenschaftlichen“ Geschichtsprophetie des freien Proletariats). Bazon Brock – der führende Kunsttheoretiker jener Aufbruchsjahre – war nicht der einzige, der aus tiefstem Herzen gegen das ganze „apokalyptische Theater“ wetterte. Der SPIEGEL war voller Schmähungen gegen jede Andeutung der letzten Tage.

Deutschland musste beweisen, dass es etwas gelernt hatte – und dem Pfad des ewigen Fortschritts folgen konnte. Wie Amerika, das Vorbild in Aufbruchsgeist und verheißungsvoller Zukunft.

Was die Germans nicht sehen wollten; gerade der Bible Belt, das religiöse Zentrum der USA, war süchtig nach der Wiederkunft des Herrn. Bis heute wollen die Deutschen die religiöse Kluft zwischen ihnen und den Marsstürmern nicht wahrhaben.

Die erschreckende Gelähmtheit der Deutschen im Wahrnehmen und Bekämpfen der Klimakatastrophe ist das Ergebnis der Erblindung ihrer immer noch religiösen Kollektivpsyche.

Hätten die apokalyptischen Warner Recht, müssten die Deutschen immer noch mit immensen Schuldgefühlen vor ihren Herrn treten. Womit könnten sie ihre satanischen Verbrechen rechtfertigen? Mit nichts.

Allein die Ahnung einer solchen Gerichtsvorstellung macht sie sprachlos, so sprachlos, wie deutsche Politiker auf Vorwürfe der jungen Klimaschützer reagieren.

Warum warnen sie ständig vor Gefahren, ohne anzugeben, wie man diese praktisch kurieren könnte? Ihr ständiges, substanzloses Warnen ist eine Ersatzleistung für ihre passiven Entwarnungen in Klimadingen.

Wird schon alles gut gehen. Ging es in den letzten Jahrzehnten mit uns nicht immer bergauf? Warum sollte sich das ändern?

Diese hysterischen Warner sind doch nur neidisch auf uns, die Macher des Aufstiegs. Sie sind glücksunfähig und wollen uns aus dem Wege räumen. Ihre depressive Grundstimmung erträgt nicht mehr unseren futuristischen Optimismus.

Sie schaffen es nicht, ihre lädierte Vergangenheit aufzuräumen. Was mutet an der deutschen Politik so gespenstig apokalyptisch an? Dass sie tief im Untergrund ein ganz anderes Bild von der Realität hat, als sie in der Öffentlich herumflunkert.

Tiefenpsychologisch haben sie „das Bild einer Welt, die zutiefst verdorben ist, chaotisch, mörderisch, böse, einer Welt, die abgestorben und zu Schutt und Schlacke geworden ist, reif zur Vernichtung. Da gibt es keine Zwischentöne; die bisherige Existenz ist so durchsetzt von Schmerzgebrüll und unsagbarem Leid, von Wahnsinn, Hass und Niedertracht, dass nur noch eine Rettung möglich scheint: durch Vernichtung der alten Welt den Boden für die neue zu bereiten.“ (ebenda)

Hier stehen wir vor dem tiefsten Grund der deutschen Unfähigkeit, die Wirklichkeit wahrzunehmen, wie sie ist. Noch acht Jahre.

Sagen die deutschen Politiker zu ihren Kindern: noch acht Jahre – und dann ist alles vorbei für euch?

Mit Schuldgefühlen erfüllt, glauben sie, dass alles zuerst in Trümmer gehen muss, um einen Neuanfang zu wagen. Das Alte ist vergangen, siehe, ich mache alles neu. Doch sie wissen, die geringste Andeutung ihres suizidalen Wahns würde sie im Nichts versenken.

Eingepfercht zwischen Kreuz und Auferstehung stehen sie und stammeln – nichts. Was müssten sie sagen, wenn sie ehrlich wären? Die Schöpfung aus Nichts muss in den nächsten acht Jahren erneut zu Nichts werden. Dann sehen wir weiter.

Jetzt die allerletzte Warnung: Schluss mit den selbstzerstörenden Phantasien um Sein oder Nichts. Am Tag der Auferstehung gehen wir Ostereier suchen.

Fortsetzung folgt.