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Prüfung

Hello, Freunde der Prüfung,

nun auch Polen. Zuvor schon Ungarn und fast alle Oststaaten der EU. Südamerika bricht mit seinem Linkskurs, unterstellt sich wieder Washington. Frankreich auf Kriegskurs, verbündet sich mit Putin, der schon lange Gorbatschows Verständigungskurs unterminiert hat. Reagan war der Erste, der die Sowjetunion als Reich des Bösen attackiert, die Vorbildphase der Nachkriegszeit – trotz Kaltem Krieg – beendet und Religion an die Stelle von Politik gesetzt hatte.

Sie alle kehren zurück zum Religionskrieg – der keiner sein darf. Denn die eigene Religion darf nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Religion muss reine und lautere Liebe sein und hat die Pflicht, die Probleme der Welt – nicht zu lösen. Nur Gott kann lieben und Probleme lösen. Gott prüft die Seinen. Und wen er prüft, den züchtigt er – durch Not, Elend und Tod.  

Die christliche Welt kehrt zurück zur Herstellung des Mangels und Zerstörung des Überflusses, um ihren gigantischen Produktionsmaschinerien neue Absatzmärkte zu schaffen. Zerstörung muss sein, damit Nachfrage nicht an Übersättigung stirbt und Angebot in den Himmel wachsen kann.

Die Moderne stellt alles her, auch Knappheit, Unterversorgung, Hunger, Krankheit und Tod. Überfluss wird produziert – und Mangel, Luxus – und Elend. Wie der Schöpfer Gutes und Böses schafft, so schaffen seine Geschöpfe Wohlstand und Verderben.

Wodurch? Durch Verteilungskämpfe um knappe Güter, durch Despotie des Geldes und ein klaffendes Gerechtigkeitsgefälle, durch Waffengeklirr und

Hartherzigkeit, die sich der Not anderer Länder – produziert im christlichen Westen – verschließt und die Grenzen dicht macht.

Als die Griechen anfingen, ihre gesamte Tradition zu prüfen, begann die Epoche der philosophischen Aufklärung. Nichts, was sie nicht unter die Lupe genommen hätten. Kein Stein blieb auf dem anderen.

Als die Rechtgläubigen begannen, ihren Lebensstil zu überprüfen, sagten sie sich von allen weltlichen Einflüsterungen und Versuchungen los und kehrten reumütig zurück zu ihrem unfehlbaren Vater, der sich aller gotteslästerlichen Überprüfung entzieht. ER prüft die Herzen der Menschen, die Menschen haben Ihn nicht mit dem leisesten Zweifel zu behelligen.

Wenn Gott prüft, geht’s den Menschen an die Nieren. Gottes Überprüfung ist kein harmloser Test. Jede Folter im Prozess der Inquisition war ein Gottesbeweis. Überlebte der Angeklagte die schrecklichen Verstümmelungen, war Gott mit ihm. Überlebte er nicht, hatte Gott ihn als Lügner und Ketzer entlarvt und widerlegt. Sein Foltertod war göttlichen Rechts. In Guantanamo wiederholen sich die Folterprozesse der heiligen Inquisition.

„Wie der Schmelztiegel das Silber und der Ofen das Gold, so prüft der Herr die Herzen.“ „Ich, der Herr erforsche das Herz und prüfe die Nieren, einem jeden zu vergelten nach seinen Wandel, nach der Frucht seiner Taten.“

Das Ergebnis der griechischen Überprüfung war das Benutzen des eigenen Kopfes, das selbstbestimmte Denken und Lernen, die Einrichtung der Demokratie.

Das Ergebnis der göttlichen Nierenprüfung war die rigorose Herrschaft seiner Offenbarung, die Verfluchung allen eigenen sündigen Denkens und die unfehlbare Stabilisierung der priesterlichen Macht. Wer Gottes Prüfungen nicht bestand, wurde erbarmungslos abgestraft:

„Ich, der Herr erforsche das Herz und die Nieren, einem jeden zu vergelten nach seinem Wandel, nach der Frucht seiner Taten.“

Der amerikanische Testwahn – von den Deutschen kritiklos übernommen – ist die empirische Maskerade der Gottesprüfungen. Die Menschen sehen, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an. Die Entlarvung des wahren Menschen – versteckt hinter seiner persönlichen Fassade – ist der Sinn jeden Tests. Schon merkwürdig, dass der allwissende Gott noch Tests benötigt, um seinen Geschöpfen auf die Spur zu kommen.

Jeder Mensch gilt als infamer Lügner vor Gott und muss durch raffinierte Herz- und Nierenprüfungen enttarnt werden. Dabei ist die Lüge von den Erwachsenen den Kindern implantiert worden durch allpräsente Außenlenkung. Lohn und Strafe sind positive und negative Reize, mit denen die Zöglinge von außen gelenkt werden – in genauer Analogie zu den göttlichen Belohnungen und Bestrafungen.

Da Strafen sich als kontraproduktiv herausgestellt haben, werden sie in der Skinner‘schen Verhaltenstherapie unterlassen. Das ändert nichts daran, dass die Zöglinge die Abwesenheit von Belohnung als Strafe empfinden.

Der Kapitalismus ist das perfekte System der Außenlenkung durch Belohnung mit Erfolg und durch Bestrafung mit Versagen. Jeder ökonomische Verlierer ist ein Bestrafter, der für seine Konkurrenzunfähigkeit stigmatisiert wird. Hartz4-Empfänger sind Loser, die für ihre Faulheit zu Recht degradiert werden.

Der Begriff ferngelenkte Manipulation wird heute vermieden. Lieber sprechen die Manipulateure von Motivieren, Anreize setzen, Fehlanreize vermeiden. Die gesamte Wirtschaft ist die Kunst des richtigen Anreize-setzens. Die Werbepsychologie muss durch unterschwellige Reize jeden Konsumenten zum Kaufen von Dingen motivieren, ob er diese benötigt oder nicht.

Die calvinistische Prädestination verwandelte sich in Skinner‘sche Konditionierung, die von dauerpräsenter Werbung und elitären Medien zur Gesamtlenkung der demokratischen Horden benutzt wird, um die Interessen der Politik und Wirtschaft durchzusetzen. In der Skinner’schen Utopie „Walden two“ wird eine faschistische Zukunftsgesellschaft beschrieben, in der jeder an den Drähten öffentlicher „Reiz-Reaktionsagenturen“ hängt und von diesen nach Belieben gelenkt wird.

Gibt es kein eigenständiges Denken mehr, sind Menschen nur noch speichelleckende Hunde, die auf Glockenton reagieren. Der göttliche Urtest als militärischer Eignungstest steht in Richter 7, 4 ff:

„Und der HERR sprach zu Gideon: Des Volks ist noch zu viel. Führe sie sie hinab ans Wasser, daselbst will ich sie dir prüfen. Und von welchem ich dir sagen werde, daß er mit dir ziehen soll, der soll mit dir ziehen; von welchem aber ich sagen werde, daß er nicht mit dir ziehen soll, der soll nicht ziehen. Und er führte das Volk hinab ans Wasser. Und der HERR sprach zu Gideon: Wer mit seiner Zunge Wasser leckt, wie ein Hund leckt, den stelle besonders; des gleichen wer auf seine Kniee fällt, zu trinken. Da war die Zahl derer, die geleckt hatten aus der Hand zum Mund, dreihundert Mann; das andere Volk alles hatte knieend getrunken. Und der HERR sprach zu Gideon: Durch die dreihundert Mann, die geleckt haben, will ich euch erlösen und die Midianiter in deine Hände geben; aber das andere Volk laß alles gehen an seinen Ort.“

Da Menschen zu dumm sind, die Fähigkeiten und Unfähigkeiten ihrer Mitmenschen realistisch wahrzunehmen, muss Gott stellvertretend für sie den unfehlbaren Test entwickeln. Wir ersparen uns die Assoziation vom Wasserlecken zum göttlichen Speichellecken und nehmen als Offenbarung hin, dass militärische Tüchtigkeit irgendetwas mit Lecken und Knien zu tun haben muss.

Der Test, der etwas offen legen sollte, wurde zum Geheimnis Gottes, das nur durch Gott entziffert werden konnte. Gideon musste der ganzen Prozedur glauben, obgleich ein Hauch von irdischer Klugheit die Episode durchtränken sollte.

Warum aber überhaupt ein Test? Weil nicht alle Menschen geeignet sind. Das betrifft nicht nur spezielle Fähigkeiten. Das betrifft das Wichtigste des irdischen Menschen: seine Kompetenz zum Glauben. Jeder Mensch sollte glauben. Doch was geschieht mit jenen, die nicht glauben können – oder wollen?

Man könnte die ganze Heilsgeschichte als Gesamttest Gottes mit seinen Geschöpfen definieren. Im Verlauf seines Lebens soll jeder Einzelne die Möglichkeit erhalten, seine Empfänglichkeit zum Glauben unter Beweis zu stellen. Wer diese Fähigkeit beweist, wird erwählt, wer versagt, wird verdammt. Die Sieger des Tests, die sich auf EINPROZENT belaufen, werden Bewohner des Himmels, der unselige Rest guckt in die höllische Röhre.

Das Leben des Wiedergeborenen ist ein einziger Testlauf:

„Stellet euch selbst auf die Probe, ob ihr im Glauben seid: prüfet euch selbst! Oder erkennt ihr euch selbst nicht, dass Jesus Christus in euch ist? Ihr müsstet denn unbewährt sein.“

Wie aber kann der Einzelne sich selbst überprüfen, wenn er sich nicht kennt? Ja gar nicht kennen kann?

„Mir aber ist’s ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht. Denn ich bin mir nichts bewußt, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der HERR ist’s aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der HERR komme, welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rat der Herzen offenbaren.“

Ich bin gar nicht kompetent, mich zu beurteilen, denn die Wurzeln meines Tuns verlieren sich im sündigen Unbewussten. Auch Freuds Unbewusstes ist eine einzige Kloake des Sündigen und Bösen – auch wenn der gottlose Freud das Böse als das Irrationale und Triebgesteuerte beezeichnet.

Wo ES war, soll ICH werden: das Ich hat dem Es durchweg zu misstrauen und die irrationalen Triebregungen in bewusste Rationalität zu transformieren. Der reife Mensch hat ein bewusst lebender Mensch zu sein. Menschen, die aus ihrem Unbewussten leben wie Frauen, Kinder und Wilde, können keine rationalen Wesen sein. Was will das Weib, das Kind, der Wilde? Nur zügellosen Sex, kindische Spiele und teuflische Urwaldaggressionen.

Die Deutsche Bewegung hatte, in Animosität gegen die französische Aufklärung, allem Bewusstsein ihr grundsätzliches Misstrauen ausgesprochen. Freudianisch hätten sie formulieren können: wo abstraktes aufgeklärtes französisches ICH war, soll eruptives, genialisches und instinktives deutsches ES werden. Dieses germanische ES, der Kontrolle des bewussten ICH entzogen, war die Hauptursache des deutschen Blut-und-Boden-Schlamassels. Der neugermanische Furor berauschte sich an sich selbst. Das war für ihn der Echtheitstest seiner Ursprünglichkeit und Überlegenheit über alle Verstandeswichte des aufgeklärten Europas.

Nach Paulus kann sich der Mensch hienieden nicht selbst beurteilen. Deshalb soll er sich auch nicht selber richten. Darum richtet nicht vor der Zeit. Die Prüfung des Menschen durch den Menschen fällt wegen Nebelbildung aus. Als Unbekannte müssen wir miteinander umgehen. Jeder Mensch ist ein Risiko – vor allem ein potentieller Bösewicht.

„Ich habe dich zum Schmelzer gesetzt unter mein Volk, das so hart ist, daß du ihr Wesen erfahren und prüfen sollst. Sie sind allzumal Abtrünnige und wandeln verräterisch, sind Erz und Eisen; alle sind sie verderbt. Der Blasebalg ist verbrannt, das Blei verschwindet; das Schmelzen ist umsonst, denn das Böse ist nicht davon geschieden. Darum heißen sie auch ein verworfenes Silber; denn der HERR hat sie verworfen.“

Selbst Gott hat keinen Erfolg, mit Testverfahren die Guten von den Bösen zu trennen. Also muss er seine Testmethoden verschärfen und seinen Sohn als Haupttester einsetzen. Der schärfste Test ist die Bereitschaft der Menschen, ihn als Gottessohn zu anzubeten, obgleich er zum Loser der Loser, zum Verbrecher aller Verbrecher, zum Auswurf der Menschheit deklassiert wird. Wer wider den Augenschein an den Erlöser glaubt, der wird zu Recht selig gesprochen.

In den Schulen des Westens hat das massenhafte Testen den Sieg über Lehren und Lernen davon getragen. Bevor die Lehrer den Kindern etwas Sinnvolles beibringen, müssen sie erst „objektive Tests“ mit ihnen durchführen, damit sie wissen, wie sie ihre Zöglinge „fördern“ können. Der Test wurde zur wirkungsvollsten Methode, den Kindern Angst und Schrecken einzujagen und ihr impulsives Selbstbewusstsein zu unterminieren.

Wer Angst hat vor einer ständig drohenden numinosen Strafe der Autoritäten, wird sein unbefangenes Denken innerhalb weniger Monate einbüßen. Das kann man an der täglichen Entwicklung des kindlichen Verhaltens beobachten. Anfänglich gehen alle Kinder gerne in die Schule und freuen sich auf das Lernen in der Gemeinschaft. Innerhalb weniger Wochen verfällt die Freude zur Unlust, nicht selten zur alltäglichen Pein. Aus quicklebendigen und vor Intelligenz strahlenden Mädchen und Jungen werden angepasste, dauerängstliche Objekte eines uniformen Frontalunterrichts.

In der gegenwärtigen Minute der Weltgeschichte ist wieder ein kollektiver Test fällig. Die Völker haben zu ausschweifend, risikolos und verwöhnt gelebt. Herr, nun schlage du darein, dass sie wieder Vernunft, pardon, den rechten Glauben, annehmen. Der Herr der Geschichte fordert seine Menschenopfer, auf dass sein Zorn gedämpft werde. Zu Opfern eignen sich am besten Frauen und Kinder, Verfolgte und Schwache. Die Reichen und Mächtigen sitzen in ummauerten Vierteln, schon hienieden gehören sie zu den Auserwählten und wissen, der Engel mit dem blutigen Schwert wird an ihnen vorüber gehen.

Wenn Völker regredieren, trennt sich das Unkraut vom Weizen. Das Abendland ist so verseucht vom religiösen Lohn- und Strafedenken, dass die Nationen es nicht lange ohne einen Fingerzeig von oben aushalten. Wer gehört zu den Erwählten, wer zu den Verworfenen?

Die Deutschen, nachdem sie vor kurzem zu den Verworfenen gehörten, wollen diesmal zu den Lieblingskindern Gottes gehören. Weshalb sie Angela Merkel zu ihrer Kanzlerin gekürt haben. Selbst ihre politischen Gegner scheuen sich nicht, sie zur weiblichen Ausgabe des Erlösers zu ernennen. „Jetzt vergleichen sie Merkel sogar schon mit Jesus“, textet die WELT:

„Die Debatte dauert erst wenige Minuten, da steht Angela Merkel schon in einer Reihe mit Jesus. »Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen«, zitiert ausgerechnet Dietmar Bartsch, der neue Fraktionsvorsitzende der Linken, die Worte Christi nach dem Matthäusevangelium und fügt hinzu: »Heute heißt das übersetzt: ‚Wir schaffen das.‘«“ (WELT.de)

Wenn Deutsche in Not geraten und den Wettlauf zum himmlischen Vater beginnen, kennen sie weder rechts noch links. Kein Zufall, dass ehemalige Marxisten – die mit ihrem bärtigen Stammvater die Moral verachteten – demokratische Vernunftregeln überspringen und mitten in jesuanischer Heiligkeit landen wollen. Darunter machen sie‘s nicht.

Ist es dreist oder strohdumm, dass Bartsch das neutestamentliche Gebot mit dem Satz übersetzen will: Wir schaffen das? Die jesuanische Moral ist so hoch, dass Luther sie für unerfüllbar hielt. Bartsch hätte sagen müssen: zwar schaffen wir es mit unseren schwachen Kräften nicht, doch wenn wir Gott inständig bitten, wird er vielleicht stellvertretend für uns eintreten.

Im Übrigen ist dem Linken nicht aufgefallen, dass er eines der menschenfeindlichsten Äußerungen des Erlösers zitiert. Den Menschen soll nicht geholfen werden, weil sie Menschen sind, sondern weil sie auf den Herrn verweisen. Indem man ihnen hilft, hilft man nicht ihnen, sondern dem Herrn. Sie selber sind nichts, der Herr ist alles. Menschen sind nur beliebig austauschbare Testpersonen, mit denen der Glauben an den Erlöser überprüft werden soll. Der Mensch an und für sich ist es nicht wert, dass man ihm hilft.

Nach Kant jedoch darf der Mensch kein Mittel zum Zweck sein. Seine menschliche Würde besteht darin, Selbstzweck zu sein. Jesus erniedrigt den Menschen zum austauschbaren Objekt seiner Seligkeitsbedürfnisse.

Alle sozialen Beziehungen auf Erden werden zu Scheinbeziehungen instrumentalisiert, die nur den Herrn und Heiland im Visier haben und an konkreten Menschen desinteressiert sind. Die christliche Agape benötigt gesichts- und namenlose Hilfsobjekte, die nur dazu taugen, Punkte für die Seligkeit zu erwerben. Hat man diese erworben, kann man die Hilfsobjekte ihrem Schicksal überlassen.

Nicht anders traktiert der Kapitalismus seine Abhängigen, die nur den Zweck haben, aus Profitinteressen ausgelaugt zu werden. Danach kann man sie jesuanisch entsorgen:

„Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Und sie werden in die ewige Pein gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben.“

Im christlichen Westen genießt Friede keinen hohen Wert. Der Mensch versinkt im Lotterleben, wenn der Frieden zum Dauerzustand wird. Der Westen war allzu lange den Versuchungen des Friedens ausgesetzt. Selbst der Königsberger Freund des ewigen Friedens war strikter Gegner des arkadischen Schäferlebens, in dem „bei vollkommener Eintracht, Genügsamkeit und Wechselliebe alle Talente auf ewig in ihren Keimen verborgen blieben“.

Die Europäer stagnieren in technischem Futurismus, die Helden von Silicon Valley laufen ihnen davon und besetzen die Zukunft. Also muss Europa erwachen, um nicht abgehängt zu werden. Das geht nur mit einem erfrischenden Krieg. Hegel warnte vor dem Frieden:

„Durch Frieden wird die sittliche Gesundheit der Völker zerstört. Im Frieden dehnt sich das bürgerliche Leben aus, es ist auf die Länge ein Versumpfen der Menschen. Der Frieden der Ewigkeit muss nicht zum Lächeln des Selbstgenügens und gemütlichen Behagens herunterkommen. Im Krieg zeigt sich die Kraft des Zusammenhangs aller mit dem Ganzen. Nationen gewinnen durch Kriege nach außen Ruhe im Innern.“

Auch in der Ewigkeit hört das konkurrierende Rennen und Laufen, die Hetze nach Bedeutung nicht auf. Leider ist es in Europa so weit gekommen, meint Hegel, dass kaum eine Nation mit einer anderen Krieg beginnen könne. Das sei die Verfaulung des alten Kontinents.

Doch nun lasset uns hoffen: die Völker wetzen die Messer, die Kampfflugzeuge schwärmen aus, die Flugzeugträger liegen vor Syrien. Es kommt Bewegung in den verrosteten alten Kontinent.

Ist Merkels bigotte Flüchtlingspolitik – keine Obergrenze, aber alles reduzieren, Außengrenzen schließen und Erdogan anwinseln, uns die Flüchtlinge vom Leibe zu halten – wirklich christlich?

Wie in allen Dingen ist das Neue Testament auch hier widersprüchlich. Gegner wie Befürworter der Willkommenskultur können sich gleichermaßen auf das Heilige Buch berufen.

Philipp Gessler, Theologe der TAZ, verleugnet die Doppelbödigkeit des Neuen Testaments. Für ihn ist alles eindeutig. Die Kritik des bayrischen Katholiken Glück an Merkel wischt er vom Tisch:

„Die Sache ist im Grunde recht einfach. Wer sich auf Jesus Christus beruft, sollte nachschauen, was der so gesagt hat, und das ist in Bezug auf Flüchtlinge oder Fremde eindeutig: „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen“, so hat Matthäus die Worte Jesu in einer zentralen Stelle des Evangeliums überliefert.“ (TAZ.de)

War Jesus in seinem eigenen Volk ein Fremder? Ein Fremder im Glauben, doch kein politisch Vertriebener. Er selbst definierte sich als Fremden, nämlich als Sohn des Himmels, der die Erde als sündige Fremde betrachtete. Hätte er Mensch und Natur geliebt, weil sie liebenswert sind, hätte er nicht den Versuch unternehmen müssen, als himmlischer Fremdling Menschheit und Natur zu erlösen. Die Menschheit ist nicht erlösungsbedürftig. Jesu‘ befremdliche Aussagen sind natur- und menschenfeindliche Attacken.

Wie Christen mit Ungläubigen und Fremden umgehen sollen, dazu gibt es widersprüchliche Aussagen:

„So jemand zu euch kommt und bringt diese Lehre nicht, den nehmet nicht ins Haus und grüßet ihn auch nicht. Denn wer ihn grüßt, der macht sich teilhaftig seiner bösen Werke.“

„So aber jemand nicht gehorsam ist unserm Wort, den zeigt an durch einen Brief, und habt nichts mit ihm zu schaffen, auf daß er schamrot werde.“

„Nun aber habe ich euch geschrieben, ihr sollt nichts mit ihnen zu schaffen haben, so jemand sich läßt einen Bruder nennen, und ist ein Hurer oder ein Geiziger oder ein Abgöttischer oder ein Lästerer oder ein Trunkenbold oder ein Räuber; mit dem sollt ihr auch nicht essen. Denn was gehen mich die draußen an, daß ich sie sollte richten? Richtet ihr nicht, die drinnen sind? Gott aber wird, die draußen sind, richten. Tut von euch selbst hinaus, wer da böse ist.“

Wenn eine Moral sich derart widerspricht, dass alle Verhaltensweisen gebilligt und missbilligt werden können, handelt es sich um keine Moral, sondern um Absegnung aller Teufeleien im Namen des Guten. Das Gute muss das Böse decken und wird selbst zum Bösen.

Manfred Clauss hat ein überzeugendes Buch über das frühe Christentum geschrieben. Mit unvorstellbarer Wut und Grausamkeit haben die frühen Christen fast die gesamte griechische Kultur am Boden zerstört. Verglichen mit dieser Barbarei ist der heutige IS eine stümperhafte Hobbygruppe. Das sei nicht falsch, konstatiert die NZZ in ihrer Rezension des Buches, aber nur die Hälfte der Wahrheit:

„Dem Aufklärer wird jeder Leser zustimmen, der die vielen Quellen kennt, die Manfred Clauss anführt und sorgfältig nachweist. Nicht zustimmungsfähig dagegen ist der generalisierende Untertitel des Buches. Der an der Universität Frankfurt am Main lehrende Althistoriker hat nicht «Die Geschichte des frühen Christentums» geschrieben, sondern von der unheiligen Gewalt berichtet, die diese Geschichte wie ein Schatten begleitet. In dieser Geschichte gab es nicht nur Fundamentalismus, sondern auch einen friedfertigen Glauben, der dem Leben vieler Menschen Richtung und Heimat zu geben vermochte – ein Fundament in einem ganz anderen Sinn.“ (NZZ.ch)

Das Fazit der NZZ ist der Bankrott jeder eindeutigen Moral. Auch Hitler liebte seine Schäferhunde, Hausgenossen und fanatischen Verehrer. Wären die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus gerechtfertigt, nur weil die Schergen auch Gutes taten? Himmelschreiender kann religiöser Wahn nicht sein, der die gesamte Weltpolitik im Griff hat. Macht euch die Erde untertan: die Gläubigen haben den Befehl Gottes ausgeführt. Die ganze Erde ist ihnen untertan.

Eine humane Moral muss Ja sagen zu allem Tun, das Menschen als gleichwertige Wesen akzeptiert, sie in allen Dingen der Weisheit fördert und sich für ein gutes Leben der Menschheit einsetzt. Und Nein sagt zu allem, was den Menschen zur verachtenswerten Canaille erniedrigt, die man beliebig ins Elend stürzen und ausradieren darf.

Der Erlöser hatte eine Lektion in griechischer Logik und Moral gelernt: „Eure Rede sei Ja ja und Nein nein. Alles, was dazwischen ist, ist von Übel.“

Hätten seine Jünger mit dieser Regel der Logik ihren Herrn und Meister auf Herz und Nieren geprüft: niemals hätten sie ihn als unfehlbaren Gottessohn anbeten können.