Hello, Freunde des Unpopulären,
wer kein Populist sein will, muss unpopulär sein. Die Gazette mit den vier großen Buchstaben will die APO des Volkes sein, indem sie – gegen das Volk agitiert. Sie fordert Mut zur Wahrheit oder zu unpopulären Entscheidungen.
„Schluss mit den Geschenken. Mut zur Wahrheit!“ (Bela Anda in BILD)
Bela Anda, früherer Sprecher Schröders, glaubt für das Volk zu sprechen, wenn er gegen das Volk Stellung nimmt. Sein Populismus ist eine paradoxe Intervention in der Form des Unpopulären.
Solange wir nicht wissen, was das Volk will, können wir nicht entscheiden, ob Populismus vorliegt oder Unpopuläres. Ist das Volk eine Einheit? Oder hat es viele Willensäußerungen? Wenn ja, gibt es keinen klaren Populismus und keine eindeutige unpopuläre Entscheidung. Wollte das Volk selbst keine „Geschenke“, wären unpopuläre Entscheidungen wahrer Populismus.
Anda spricht nicht vom Volk. Dessen wahre Interessen sind für ihn ohne Belang. Also muss er offen lassen, ob er für oder gegen das Volk spricht. Atmosphärisch klingt es bei ihm eher volkskritisch: das Volk ist wie eine Kindergruppe. Ständig will es Süßigkeiten und Geschenke. Kindern und kindischen Völkern muss man Grenzen setzen. Sie sind maßlos und wissen nicht, was gut für sie ist.
Eine verantwortliche Regierung ist eine strenge Erzieherin, die ihren Anbefohlenen nicht alle Wünsche erfüllen darf, wenn sie die Kinder nicht verderben will. Schröder war für Anda ein vorbildlicher Pädagoge, der …
… besser wusste, was dem Volke bekommt, als es selbst – indem er die Hartz4-Rute aus dem Ärmel zog, um faulen und vergnügungssüchtigen Unterschichten die harten Gesetze der Realität einzubläuen.
Das war pures politisches Luthertum. Das Volk ist töricht, die Obrigkeit ist immer von Gott, selbst wenn sie auf den Namen des Atheisten Schröder hört. Deutsche Atheisten – im Gegensatz zu französischen – haben den besonderen Charme, dass sie aus einer „neutralen und objektiven“ Sicht nur umso authentischer – das Heilige empfehlen.
Für alle Theologen ist Nietzsche längst zum vorbildlichen Gläubigen geworden. Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben: das soll der Inhalt seiner Wehklage gen Himmel sein. Seine Grabrede über den toten Gott ist nur ein verzweifelter Sehnsuchtsschrei nach dem lebendigen Gott.
(In Deutschland hast du keine Chancen, dem „Glauben“ zu entkommen. Je mehr du die Frommen kritisierst, je mehr entdecken sie deinen verborgenen Glauben, der im Grunde nur angreift, was er vermisst.)
Was meint Bela Anda mit „Geschenk“? Er meint die Sozialausgaben des Väterchens Staat, dessen Gutmütigkeit die listigen Kinder ausnutzen, um auf seine Kosten vergnügt in den Tag zu leben. Dass Väterchen Staat alle Gelder, die es zu verteilen hat, zuvor vom Volk als Steuern erhielt, hat sich bis zur BILD noch nicht durchgesprochen. Wenn es denn Geschenke wären, so beschenkte das Volk sich selbst – mit Hilfe einer Regierung, die von ihm gewählt wurde.
Das ABC demokratischen Grundwissens ist unseren Eliten abhanden gekommen. In einer stabilen Demokratie gibt es kein separates Väterchen Staat. Das Volk ist sich selbst Väterchen und Mütterchen.
In Deutschland brauchst du Mut, um die Wahrheit zu sagen. Besonders die Verantwortlichen müssen tapfer sein, die ihrem ungezogenen Plebs den Spiegel vorhalten, obgleich der alles andere als die Wahrheit hören will. Er will in Zuckerwatte gepackt und mit Lobreden beschleimt und belogen werden.
Kritischer Mut vor dem Freund ist in Deutschland unbekannt. Sonst würde Merkel ihren großen Freunden in Washington und Jerusalem öfter die Meinung geigen.
(Nicht mal der Bundesstaatsanwalt traut sich, Ermittlungen gegen die Machenschaften der NSA in Deutschland zu beginnen, obgleich die Amerikaner sich über die Deutschen mit ihrem Grundgesetz-Getue lustig machen. Zivilcourage bleibt hierzulande ein französisches Fremdwort.)
Seltsamerweise sehen die Deutschen sich ganz anders. „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire“, oder: „hier steh ich und kann nicht anders“: in solch furchtlosen Reden wollen die Deutschen sich wiedererkennen.
Ausgerechnet ihre kühnen Denker und Dichter haben ihnen die Gräten gebrochen. Kant verstummte auf der Stelle, als der preußische Minister Wöllner seine Religionsschrift als antichristlich beschimpfte. Und Großmeister Goethe war für Börne nichts als ein Fürstenknecht: „Goethe ist der gereimte Knecht, wie Hegel der ungereimte.“ Schillers Mannesmut vor Fürstenthronen war seit der Uraufführung seiner Räuber in Mannheim in praktischer Hinsicht auf Eis gelegt. Nur in seinen Stücken durfte noch ein wenig randaliert werden. Praktisch war er beim Fürstenknecht in Weimar untergeschlüpft.
Wer wirklich die Klappe auftat wie Heine und Marx, musste nach Paris, London oder gleich ins neue Kanaan emigrieren. Die Besten wurden eingekerkert oder mussten das Weite suchen. Die wilhelminischen Deutschen waren der feige Rest, der am heimischen Herd zurückgeblieben war und im Dritten Reich einen Sohn der Vorsehung mit „mein Führer“ ansprach.
Die Deutschen sind ein geducktes Volk. Wie sie gequält die Miene verziehen, wenn in geselliger Runde jemand ein harmlos kritisch Wörtchen riskiert. Das Maß ihrer Geducktheit kann man am Grad der Gehässigkeit ihrer Shitstorms ablesen. Seitdem der gnadenreiche Fortschritt ihnen das Geschenk des Internets machte, rasselt es in unregelmäßigen Abständen gegen VIPs und solche, die es werden wollen.
Die gestrige Runde bei Illner war einhellig empört über den Gifthauch – sogar in anonymer Form, wie Hoeneß-Freund Jörges sich schockiert zeigte –, der gegen Prominente wie Giovanni di Lorenzo und andere öffentliche Sünder emittiert werde. Die elitäre Runde rückte zusammen und schlug mit vereinten Kräften zurück.
Auch Edelmann Jauch verteidigte in BILD seinen besten Freund mit der seltsamen Bemerkung, der Shitstorm sei die Stimme der political correctness. Gelten die Gesetze für Eliten nicht mehr? Stehen sie, die Berühmten und Vielbeneideten, über dem Gesetz, wie Gott über seinem eigenen Dekalog, den er nur seinen Sündenkrüppeln verordnete, nicht sich selbst?
Die Eliten leben so abgehoben in separaten Hochebenen, dass sie sich immer mehr gegen die Meute von unten zusammenschließen, in der Erwartung einer baldigen Revolte.
Wirtschaftlich haben wir bereits vordemokratische Besitzspreizung erreicht, wie Piketty konstatiert. Früher besaß der Adel alles, heute der Geldadel. So ist‘s mit der antinomischen Moral. Das Fußvolk hat sich an die Zehn Gebote zu halten, Jauch & Co fühlen sich von moralischen Angriffen angewidert. Der Begriff „political correctness“ wurde von Privilegierten erfunden, um nachrückende moralisierende Pinscher von den Leitern zu kippen.
Die Erwählten leben, wie Goethe die Götter im Lied der Parzen beschrieb:
Sie aber, sie bleiben
In ewigen Festen
An goldenen Tischen.
Sie schreiten vom Berge
Zu Bergen hinüber:
Aus Schlünden der Tiefe
Dampft ihnen der Atem
Erstickter Titanen,
Gleich Opfergerüchen,
Ein leichtes Gewölke.
Wir nähern uns mit Lichtgeschwindigkeit uralten Thron & Altar-Verhältnissen. Merkel buckelt vor Obama, Schröder buckelt vor Putin, sodass man von einer ausgeglichenen west-östlichen Buckeldiplomatie sprechen kann. Das deutsche Volk zwischen Zar-West und Zar-Ost hat seine ursprüngliche Kotau-Mitte wieder gefunden.
Zu diesen Phänomenen passt die Rückkehr der Rechten, die nichts anderes wollen als die Zeitreise zurück in die Epoche des seligen Trio infernale aus Monarchie, Adel und Klerus. Der Regression des Ostens entspricht die Sehnsucht der westlichen Randläufer ins Mittelalter.
Warum kokettieren Marine Le Pen, Victor Orban und andere Lichtgestalten mit dem Kreml-Chef? Weil sie autonome Demokratie hassen. Da muss Schröder sich in bester Gesellschaft fühlen. Doch germanische Nibelungentreue und Heldenfreundschaft währen bis über den Tod hinaus.
Zu Putins neuen Denkerstars gehört Iwan Iljin, der lange Zeit in Russland verschollen war und nun mit Macht aus der Tiefe des Raumes ins Rampenlicht drängt, unterstützt von der russisch-orthodoxen Kirche. Wir lesen:
„In seinem Werk „Über die Staatsform“ plädierte er angesichts der politischen Entwicklung und seines Standes für „eine nationale, patriotische, keineswegs totalitäre, jedoch autoritäre – zugleich erzieherische und aufweckende – Diktatur“.
Zu Putins Vorbildern gehören die „Eurasier“, die bereits in den 20er Jahren die Vision eines zukünftigen russischen Reiches ausbrüteten, gleichweit entfernt von Bolschewismus wie von westlichem Rationalismus und Individualismus. „Seit dem Ende der Sowjetunion lebte das Eurasiertum als Idee einer konservativen Revolution wieder auf, diesmal im russischen Mutterland. Ihr Wortführer Alexander Dugin formuliert seine neu-eurasische Doktrin als Kampfbegriff gegen den „Atlantismus“.“ (Luisa Maria Schulz in der FAZ)
Dugin sieht sich als Schüler des NS-Juristen Carl Schmitt und des italienischen Mussolinibewunderers Julius Evola, der die Französische Revolution als den „Ursprung allen demokratischen Übels“ deklassierte. In Italien war er der einflussreichste Rassentheoretiker und Antisemit.
Auch Nikolai Berdjajew, der als christlicher Existentialist gilt und sich der russisch-orthodoxen Kirche verbunden sah, gehört in die Reihe der Putin‘schen Lieblingsphilosophen.
Was all diese Denker verbindet, ist die Abscheu vor der demokratischen Selbstbestimmung des Menschen und die rückwärts gewandte Sehnsucht in ein goldenes Mittelalter. Richtig, es ist das Programm der deutschen Romantiker, das von Novalis in seiner Schrift „Die Christenheit oder Europa“ entworfen wurde.
Novalis beschrieb eine Vergangenheit, „in welcher der heilige Sinn wirklich alles in allem gewesen war“, verknüpft mit der „feurigen Prophezeiung von einer Zukunft, in welcher derselbe wiederum alles in allem sein werde“. Das werde die „Alleinherrschaft des religiösen Organs“ sein. Im Mittelalter war „Europa ein christliches Land, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte. Ein Oberhaupt lenkte und vereinigte die großen politischen Kräfte. Unter ihm die Zunft der Geistlichkeit, einen schönen, wunderreichen und menschenfreundlichen Glauben verkündend.“
Wer waren die Feinde dieses Mittelalters, die alles unternahmen, um die monolithische Herrschaft des Glaubens zu unterminieren? „In der Philosophie des französischen Materialismus und in der deutschen Aufklärung konzentrierte sich der Hass gegen das Heilige, gegen allen Enthusiasmus und alle Poesie – um zuletzt in der Französischen Revolution zum Durchbruch zu kommen.“
Novalis verkündet die Heraufkunft eines Dritten Reiches des Heiligen Geistes im Sinne des Joachim di Fiore: „Kommen wird sie – eine neue goldne Zeit mit dunklen unendlichen Augen, eine prophetische, wundertätige und wundenheilende, tröstende und ewiges Leben entzündende Zeit. Und das wird das neue Europa, die neue Christenheit, die neue sichtbare Kirche sein, die alle nach dem Überirdischen dürstenden Seelen in ihren Schoß aufnehmen wird. Denn der Geist der Christenheit ist ein alles umarmender, ein freier Geist.“
Nun verstehen wir die Situation der deutschen Mitte. Merkel fühlt sich mit den Gedanken einer christlichen Renaissance in Russland herzlich verbunden, Anhängerin der westlichen Demokratie ist sie nur mit dem Kopf. Schröder ignoriert das heilige Gedöns und bewundert den starken Mann, den er als Repräsentanten internationaler Aufsteiger betrachtet.
Merkel will nicht wissen, dass ihr religiöses Interesse ein unbewusstes Interesse am starken Mann bedeutet, denn Schöpfer und Erlöser sind Männer in spirituell-inzestuöser Verbundenheit. Schröder will nicht wissen, dass seine Bewunderung des starken Mannes seiner verdrängten Bewunderung für die Religion des allmächtigen Mannes entspricht.
Kein einziger Kommentar über die wachsende Bedeutung der europäischen Rechten hat ein Wörtchen über den religiösen Kern der rechten Putinfreunde verloren. Das entspricht der absoluten Tabuisierung und Rechtfertigung der Religion in deutschen Landen.
Die gesamte politische Beobachter-Elite – atheistisch-christlich bis tiefgläubig-christlich – verharmlost Religion als privaten Sehnsuchtsraum in ätherischer Abgehobenheit. Mit Lammert zu sprechen: Religion kennt keine Interessen. Was er vergaß: nur das belanglose Interesse an der Weltherrschaft. Aber das versteht sich unter europäisch-rechten und eurasischen Neoromantikern von selbst. Darüber muss nicht mehr gesprochen werden.
Wie erklären sich die etablierten Parteien das Heraufkommen der Rechten? Sie sind ratlos. Ratlosigkeit ist der Bankrott politischen Verstehens. Haben die Etablierten kein Ohr am Volk? Wissen sie nicht, was das Volk bewegt? Hören sie ihren Wählern nicht zu? Quatschen sie andere nur zu?
Doch nicht nur politische Macher, auch die professionellen Beobachter sind ratlos. Wie etwa der folgende SPIEGEL-Artikel:
„Doch die Einsicht kommt spät, sie zeigt auch, wie ratlos viele Politiker des Landes dem Front National gegenüberstehen. Längst bündelt er nicht mehr nur Proteststimmen. Seit Le Pen die Partei 2011 übernommen hat, kann sie immer mehr Franzosen für ihre simplen Botschaften gewinnen. Sie spielt dabei geschickt mit den Ängsten der Bürger, die sich weder von den Konservativen noch den Sozialisten verstanden fühlen.“ (Katharina Peters in SPIEGEL Online)
Hier haben wir die Grundklischees der Analyse der Rechten:
a) „Simple Botschaften“. Das Leben ist komplex und kennt keine einfachen, also gar keine Lösungen. Rechte Populisten nutzen die „Ehrlichkeit“ der Etablierten (dass es keine Lösungen geben kann), um ihre simplen Lösungen zu propagieren. Das Bedürfnis der Menschen nach Reduktion kognitiver Dissonanz beuten sie für ihre eigenen Zwecke aus.
b) „Spielen“. Die Rechten spielen mit den Wählern. Von ihren Lösungen sind sie selbst nicht überzeugt, sie sind Zyniker.
Das erinnert an die linke Interpretation der Hitler-Eliten, die ihre eigenen Parolen angeblich nicht glaubten und hinter den Kulissen ihre eigene Ideologie verhöhnten. (So bei Lukacs)
Das ist grässlich dummes Zeug mit dem einzigen Zweck, die überwiegend religiöse Biografie der Deutschen nicht wahrzunehmen. Sei es, um christliche Momente der marxistischen Heilsgeschichte nicht aufzurühren. Oder sei es, um die Legitimation der Kirchen in der Nachkriegszeit nicht zu gefährden, obgleich sie zu den glühendsten Gefolgsleuten des Führers gehört hatten.
c) „Die Ängste der Bürger“. Wenn man nicht mehr weiter weiß, bildet man einen Arbeitskreis – oder redet von Ängsten. Angst klingt tiefsinnig und erweckt den Eindruck, man nehme die Menschen ernst. Zumeist aber wissen Ängste nicht, wovor sie sich ängstigen.
Wenn Politik ihre Aufgabe darin sieht, durch konkrete Entscheidungen die Ängste der Menschen zu beheben, müsste sie die verschiedenen Ängste erst systematisch zur Kenntnis nehmen. Ängste vor dem Tod, Ängste vor der Hölle, sind durch Politik nicht kurierbar. Angst vor der Zukunft schon eher, wenn angstmachende Zukunftsentwicklungen auf ihren realen Gehalt geprüft werden. Doch gerade ökologische Gefahren spielen bei den Rechten keine Rolle, bei den Etablierten nur eine Scheinrolle.
Warum aber sollen Ängste nur bei Populisten eine Rolle spielen? Wenn es sie wirklich gibt, müssten sie von allen Parteien bekämpft werden. Doch es klingt, als ob nur Populisten so hinterhältig seien, sich mit Ängsten zu befassen, während die Etablierten solche Psychopolitik gar nicht nötig hätten oder gar ablehnten.
Gibt es etwa das Dogma: seriöse Politik hat sich mit irrationalen Emotionen nicht zu beschäftigen? Diese müssten sie Therapeuten und Seelsorgern überlassen? In der Ökonomie hört man nie, dass der homo oeconomicus Ängste hätte. Geht denn nicht alles rational zu beim Beutemachen? In der Politik hört man: Angst ist kein guter Ratgeber. Stimmt, wenn Angst den Menschen überwältigt und handlungsunfähig macht.
Hier treffen wir auf einen Grundgedanken der Moderne. Unsere Probleme sind komplex und nie endgültig zu lösen. Wären sie lösbar, wäre eine finale Utopie nicht mehr ausgeschlossen. Doch viele Politologen verwerfen die Möglichkeit einer Utopie. Das wäre der Versuch, den Himmel auf die Erde zu holen mit dem Ergebnis, eine Hölle zu etablieren.
Die Populisten vom rechten Rand jedoch scheinen sich an das Utopieverbot nicht zu halten. Mehr oder minder deutlich versprechen sie den Menschen das Paradies auf Erden. Und also trifft sie der Vorwurf der Etablierten und fast aller Medien: solange ihr den Eindruck erweckt, ihr könntet die Probleme der Menschheit grundsätzlich lösen, seid ihr keine politischen Parteien mehr, sondern religiöse Sekten.
Religionen dürfen alles versprechen, das ist der Sinn der Erlösung. Doch weltliche Politik muss sich von Religion wesenhaft unterscheiden.
Erneut stehen wir vor einem subkutanen Dogma. Der Tenor der Kritik an den Rechten ist: ihr macht eine unbefugte Grenzüberschreitung und predigt religiöse Verheißungen, anstatt nüchtern und ehrlich irdische Politik zu betreiben. Religion darf absolute Lösungen anbieten, wenn nicht für hier, so doch fürs Jenseits. Politik hingegen ist das Tun unvollkommener Menschen, die sich nicht erkühnen dürfen, in den absoluten Bereich der Religion vorzudringen.
Diese Grenzziehung beruht auf einem tief verborgenen augustinischen Denken. Augustin verbietet der Welt, ihre Dinge grundsätzlich in Ordnung zu bringen. Das wäre ein unerlaubter Eingriff in das Hoheitsrecht des allmächtigen Schöpfers. Der irdische Mensch hat sich mit nicht lösbarer, immer nur vorläufiger und letztlich zum Scheitern verurteilter Politik zu begnügen. Entbehren sollst du, sollst entbehren. Scheitern sollst du, sollst auf Erden scheitern. Auf dass du deinem Schöpfer die Chance lässt, seinem Erlöserberuf nachzukommen.
Einen guten Pädagogen erkennt man daran, dass er sich überflüssig macht. Einen allmächtigen Gott erkennt man daran, dass er gebraucht werden will – bis zum Ende aller Tage. Im Streit zwischen „pädagogischer“ und „göttlicher“ Politik hat Gott die besseren Karten.
Der Konflikt zwischen rechter und etablierter Politik steht – ohne dass er es weiß – unter dem Diktat des augustinischen Gottes. Irdische Politik, so die Botschaft der Etablierten, ist immer zum Scheitern verurteilt. Nein, widersprechen die Rechten: politische Probleme können lösbar sein, wenn Politiker identisch werden mit Propheten, Staat und Religion miteinander verschmelzen. Politik muss wieder Religion, Demokratie muss zur Theokratie werden.
Gegen diese charismatischen Sirenengesänge aus dem Himmel helfen nur die Thesen:
a) Rationale Politik ist nicht zum Scheitern verurteilt, wenn der Mensch wieder lernen würde, seine Vernunft zu benutzen.
b) Eine totalitäre Theokratie ist vermeidbar, wenn der Mensch begönne, wieder an seine Autonomie zu glauben.
Die Politik der Etablierten muss vernünftig und autonom werden, um den unterschwelligen Heilsgesängen rechter Populisten – die keine Freunde des Volkes sind, sondern verkappte Priester und Propheten – energisch Paroli zu bieten.