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Die ERDE und wir. XXXIII

Tagesmail vom 25.11.2024

Die ERDE und wir. XXXIII,

Friede! Sag das Wort: Friede.

Die beiden Begriffe, die unsere Zeit bestimmen, heißen Fortschritt und KI. Von Frieden ist keine Rede.

Oder soll eine futuristische Supermaschine der Menschheit den Frieden auf dem Tablett servieren? Sascha Lobo und die Futuristen würden jubilieren.

Wäre der Frieden einer superklugen Maschine eine Erfindung, die den religiösen Friedensbringer des Abendlands übertrumpfen könnte?

„Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten.“

Können wir Frieden empfinden, wenn wir wissen, dass ein Unschuldiger um unsertwillen getötet wurde?

„So haben wir Frieden mit Gott.“ Ist Frieden mit Gott identisch – mit Frieden der Menschheit?

Schauen wir genauer hin. „Glaubt nicht, dass ich gekommen bin, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“

Der große Friedensbringer brachte das Schwert, um sich zu opfern? Und wir sitzen auf Erden, umgeben von Plastikmüll, in welchem wir ersticken?

Die ersten Christen empfanden sich nicht als Freunde der Welt – sie waren Fremdlinge. Wer sich fremd fühlt, kann sich nicht näher kommen.

Warum sollen die Menschen der Gegenwart sich immer so schnell voneinander lösen? Weil sie keine Freunde werden sollen. Warum sollen die Kinder so schnell wie möglich Reißaus nehmen und in der Fremde verschwinden? Um mit der eignen Familie nicht befreundet zu werden.

Wenn sie heiraten: warum sollen sie die angeheiratete Familie ignorieren und keine Gemeinschaft aufkommen lassen? Freundschaft ist nicht nur Erquickendes, sondern auch etwas Zermürbendes. Da muss man miteinander arbeiten, um das Fremde zu überwinden.

Jetzt nähern wir uns der Gegenwart. Je mehr Menschen es auf Erden gibt, je gedrängter sie miteinander leben müssen, je fremder sollen sie einander werden.

Die Mechanismen des Fremdwerdens einer Megagesellschaft sind Konkurrenz und erbarmungsloses Übertrumpfen. Freunde ertragen sich, wie sie sind, selbst wenn Andere sie übertrumpfen.

Fremde fühlen sich wie Nichts, wenn sie nicht oben auf dem Treppchen stehen und ihre Konkurrenten spöttisch auf sie herabschauen.

Es gibt zwei Quellen des Fremdseins auf Erden: a) die Religion von Oben, die alle Wesen der Natur zu Fremden erklärt, wenn sie nicht den rechten Glauben annehmen, und b) die Naturwissenschaft, die die Erde in eine quantitative Fremde verwandelt, die man rücksichtslos ausbeuten und zersetzen kann. Oder, wie Mumford es erklären würde: wenn der Mensch die Natur in eine riesige Maschine verwandelt.

So sah es noch bei den Heiden aus:

„Nimmer war die Fichte, gefällt von heimischen Bergen
Fremde Gestade zu sehen, herab in die Fluten gestiegen …
Auch die Städte umgaben noch nicht abschüssige Gräben
Weder im Helm noch Schwert war der, die sicheren Gemüter
Lebten ohne des Krieges Bedarf in wonniger Muße
Ewger Frühling war.“ (Ovid)

In seinem Buch „Weltbürgertum und Friedensbewegung“ kommentiert Viktor Engelhardt:

„Die Stimmung ist da, auf der sich überzeugter Pazifismus aufbauen kann. Das Augusteische Zeitalter hat eine neue Epoche eröffnet, die der Welt einen fast 200-jährigen Frieden bescherte. Die Pax romana brach an. Kunstschaffen, und Dichtung, philosophisches Streben und Wissenschaft hatten eine alle Menschen umschließende, universale Bedeutung gewonnen. Dem Frieden durch Macht, wie ihn Augustus beschert, folgt der Frieden in der Kultur. Er schuf das Reich eines Geistes – der Synthese aller bisherigen antiken und orientalischen Werte. Als äußeren Rahmen verlangte diese in sich zusammenhängende Welt ein gleichmäßig geltendes Recht. Der römische Kodex brachte als letzten Ton im Dreiklang: den Frieden im Recht. Damit waren Friedensgedanken und Weltbürgertum zusammengewachsen.“

Nein paradiesisch war das alles noch nicht. Das soziale Problem war im „goldenen Zeitalter noch in keiner Weise gelöst. Das aber kann den Ruhm des Erreichten jener Tage nicht schmälern. Fremden wurde es immer leichter gemacht, das römische Bürgerrecht zu erwerben, bis 212 alle Vollfreien zu römischen Vollbürgern erhoben wurden. Das Weltbürgertum war damit Staatseinrichtung geworden. Das römische Imperium hat die kosmopolitischen Ideen älterer Philosophengenerationen in die Wirklichkeit umgesetzt. Hatten die Denker einst das Ziel zu setzen, so hatten sie jetzt den (unvermeidbaren) Abstand zwischen Ideal und Wirklichkeit zu betonen und damit zu weiteren Kraftanstrengungen aufzurufen.

Der Kosmopolitismus der jüngeren, römischen Stoa ruht auf der Überzeugung der Verwandtschaft der Menschen. Seneca eröffnet den Reigen; „Wir sind Glieder eines großen Körpers. Die Natur hat uns als Verwandte erschaffen, da sie uns aus demselben Stoffe und zu denselben Zwecken hervorgebracht hat“.“

Mutig dehnt Seneca die Verwandtschaft aller Menschen auch auf die Sklaven aus: „Es sind Sklaven? Nein – Menschen – Freunde niederen Standes. Die Verwandtschaft der Menschen macht die Welt zum Vaterland. Die Krönung des Kosmopolitismus durch den Pazifismus wird mit dieser vorbehaltlosen Friedensliebe des Seneca völlig anerkannt.“

Heute ist diese Friedensordnung auf den Kopf gestellt. Fremde werden in Massen über die Grenzen zurückbefördert, ganze Völker in der Ferne müssen verhungern, gemeinsame internationale Gesetze werden beschimpft und geschmäht, die eigene Auserwähltheit – die höchste Form des Rassismus – gilt als Herrenrasse der Welt. Der Mensch ist etwas, was überwunden werden muss durch bewusstseinslose Geniemaschinen. Alles, was Fortschritt war, ist zum Abfall geworden. Das Universum wurde zur Plastik-Müllhalde.

Wann haben wir zum letzten Mal die Stimmen der älteren Stoa gehört? Haben Trump und Musk je etwas von Marc Aurel vernommen? Und wenn, bekämen sie dann keinen Lachkrampf?

„Haben wir das Denkvermögen miteinander gemein, so ist uns auch die Vernunft gemeinsam. Ist dem so, so haben wir auch die Vernunft gemein, die uns vorschreibt, was wir tun und was wir nicht tun sollen. Ist dem so, so haben wir auch alle ein gemeinschaftliches Gesetz; ist dem so, so sind wir Mitbürger untereinander und leben zusammen unter der derselben Regierung; ist dem so, so ist die Welt gemeinsam unsere Stadt. Darum ist die Feindschaft der Menschen untereinander wider die Natur. Es ist ein Vorzug des Menschen, auch diejenigen zu lieben, die ihn beleidigen.“ (ebenda)

Heute weiß niemand, was Frieden bedeutet – und wie man Frieden herstellt. Telefonieren mit Putin und ihn mit trügerischen Schalmeientönen verlocken? Ihn mit schrecklichen Waffen bedrohen?

Willst du Frieden, rüste zum Krieg. Und dann? Kriegerischer Dauerzustand mit dem Feind? Oder Überwindung der kriegerischen Atmosphäre durch Dauerfrieden?

Willst du Frieden, rüste zum Krieg – um des Friedens willen? Ja, Friede muss das letzte, ultimative Wort haben.

Willst du Frieden, wirf alle Waffen weg – um dich zu unterwerfen und dein Schicksal in die Hände der Feinde zu geben?

Christlicher Pazifismus ist die Vollendung der Schöpfungsordnung, in der alle Menschen einander Fremde sind. Fremde können sich nach Belieben den Kragen umdrehen: das wahre Leben findet ohnehin jenseits der Erde statt.

Christlicher Pazifismus ist Abschied nehmen von der Erde, um sich so schnell wie möglich ins Jenseits versetzen zu lassen. Dort sind sie die Könige aller Geschöpfe, auf Erden aber keine sich liebenden Freunde. Die Bewahrung der bösen Welt ist kein Anliegen der Himmelsgierigen. Zertretet die Welt unter euren Stiefeln, erst im Jenseits beginnt euer wirkliches Leben.

Mumford hat debattenwürdige Thesen vorgetragen:

„Durch seine ausschließliche Konzentration auf Quantität hat Galilei im Endeffekt die reale Welt der Erfahrung disqualifiziert; er hat auf diese Weise den Menschen aus der lebenden Natur in eine kosmische Wüste vertrieben, noch gebieterischer, als Jehova Adam und Eva aus dem Garten Eden vertrieben hatte.“ (Mythos Maschine)

Der Angriff gegen die Maschine wäre heute schlimmer als die Zerstörung von Notre Dame. Die sich objektive gebenden Wissenschaftler produzieren den Fortschritt. Doch was die Menschen mit dem Fortschritt machen, das geht sie nichts an. Außer saloppen Worten von Oben hört man fast nichts von Ihnen. Nun strengt euch mal an, ihr wissenschaftliches Kleinvieh, wir haben euch die Erfindungen in die Hände gegeben, jetzt seid ihr dran.

Dann nehmen sie Reißaus in ihre Labore, in die Tiefen des Universums, übergeben die Steuersysteme ihrer Raketen den Superreichen, die mittlerweile zu Herren der Welt geworden sind.

Ob da alles gerecht ist – diese schrecklichen Diskrepanzen zwischen Oben und Unten – interessiert sie einen feuchten Kehricht. Ethik? Moral? Nicht ihr Problem.

In ihren amoralischen Fahrrinnen haben sich längst die „Objektivisten“ eingefädelt, wie etwa die Gazettenschreiber oder die Historiker, die nichts Besseres zu tun haben, als zu beschreiben, was ist oder war – die ethischen Konsequenzen überlassen sie den Mächtigen.

Was ist – nach dem Vorbild quantitativer Rechner – Objektivität? Wenn man rechnen kann. Was jedoch und zu welchem Zweck man etwas berechnet – ist nicht mehr das Problem der Rechner.

„Objektivität … bezeichnet die Unabhängigkeit der Beurteilung oder Beschreibung einer Sache, eines Ereignisses oder eines Sachverhalts vom Beobachter beziehungsweise vom Subjekt. Die Möglichkeit eines neutralen Standpunktes, der absolute Objektivität ermöglicht, wird verneint. Da man davon ausgeht, dass jede Sichtweise subjektiv ist.“

Subjektiv soll die Grundlage unseres Erkennens sein? Und zwar so, dass es keine Entwicklung des Subjektiven ins Objektive geben kann? Dann gäbe es ja keine Möglichkeit, unsere Subjektivitäten ins Objektive zu entwickeln. Dann wäre auch die quantitative Erkenntnis der Natur nichts als subjektives Gestammel?

Die in sich verliebten Postmodernisten verachten Sokrates, weil er an die mäeutische Objektivität glaubte. Der Poststrukturalist Roland Barthes wendet sich im Rahmen seiner Kritik am Logozentrismus auch gegen die sokratische Mäeutik; er sieht in der Vorgehensweise des Sokrates das Bestreben, „den anderen zur äußersten Schande zu treiben: sich zu widersprechen.“

In der Tat, wie oft widersprechen wir uns? Doch wir sind auch fähig, unseren Widersprüchen durch eindeutige Logik zu entkommen.

Deutsche Politiker missachten die rationale Logik der Vernunft. Hier ein Beispiel von Grünenpolitiker Sven Giegold:

„Die Forderung nach Widerspruchsfreiheit halte ich für einen riesigen politischen Fehler. Das führt zu einer Verarmung des Diskurses. Eine grüne Abgeordnete darf schließlich auch gern Steaks essen und trotzdem für bessere Tierhaltung streiten.“ (SPIEGEL.de)

Links blinken und nach rechts steuern: eben das ist die dreiste Bigotterie der gegenwärtigen Politik. Damit landen wir in der Hölle, aber nicht im Frieden.

Hier sehen wir die pseudo-wissenschaftliche Grundlegung unserer Naturverwüstung. Wen wundert es, dass Klimaleugner behaupten: es gebe keine Klimagefahr? Wer das behaupte, sei ein isolierter Subjektivist?

Nein, objektiv sind wir nicht von Natur aus, wir müssen Objektivität lernen. Wir lernen es durch strenges Debattieren. Kein Wunder, dass unser demokratisches Streiten nach schrillem Lärm klingt.

Der Mensch ist dabei, sich hinter objektivem Quantifizieren zu verstecken, um mit subjektivem Wischiwaschi Propaganda zu treiben. Kein Mensch weiß, was Musk auf dem Mars treibt, gerade deshalb muss sein Projekt außerordentlich und geheimnisvoll sein.

Regelmäßig werden wir von Gazetten mit außerordentlichen Erkenntnissen überschwemmt; doch was diese für unser Leben bedeuten, überlassen wir den fremden Genies.

Was ist Frieden heute? Kurbjuweit hat im SPIEGEL seine Meinung geäußert:

„Frieden ist eines der schönsten Wörter, die es gibt, und steht in einer Reihe mit Liebe oder Glück. Leider ist es auch ein vielfach missbrauchtes Wort, vor allem wenn es mit »Demonstration« oder »Bewegung« gekoppelt wird.“ (SPIEGEL.de)

Ob Friede ein schönes Wort ist oder nicht, ist belanglos, wichtig allein ist, was Frieden politisch bedeutet. Natürlich muss Frieden durch täglichen Kampf, durch Demonstrationen und Bewegungen erarbeitet werden. Alles andere ist Wortgekräusel.

Frieden ist das Ziel, dem wir uns unaufhörlich nähern müssen. Doch heute sind Ziele strikt verboten. Abfällig nennt man sie Ideologien – und die sind immer gefährlich.

Wie sollen wir uns streiten, wenn wir keine gemeinsamen Kriterien besitzen? Wie können wir gemeinsame Kriterien besitzen, wenn wir nichts mehr Objektives erkennen?

Wir versabbern uns im Geschwafel der Subjektivisten oder Postmodernen. Postmoderne haben nichts objektiv zu bestreiten oder logisch zu argumentieren. Jeder zeigt sein einmaliges Fähnchen – bevor er mit Getöse untergeht. Friede seiner Asche!

Fortsetzung folgt.