Kategorien
Tagesmail

Die ERDE und wir. XIII

Tagesmail vom 16.09.2024

Die ERDE und wir. XIII,

Kein Beginn ohne schnelles Ende. Eben war noch alles sehr gut und schon hieß es:

„Da sah Gott auf die Erde, und siehe, sie war verderbt; denn alles Fleisch hatte seinen Weg verderbt auf Erden. 13 Da sprach Gott zu Noah: Das Ende allen Fleisches ist bei mir beschlossen, denn die Erde ist voller Frevel von ihnen; und siehe, ich will sie verderben mit der Erde.“

Gott, die allmächtige KI jener Urtage sprach zu dem Auserwählten jener Tage:

„Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus; denn dich habe ich für gerecht befunden vor mir zu dieser Zeit. 2 Von allen reinen Tieren nimm zu dir je sieben, das Männchen und sein Weibchen, von den unreinen Tieren aber je ein Paar, das Männchen und sein Weibchen. 3 Desgleichen von den Vögeln unter dem Himmel je sieben, Männchen und Weibchen, um Nachkommen am Leben zu erhalten auf der ganzen Erde.“

Das Elend nimmt kein Ende, sondern findet seine Fortsetzung: hier die „Reinen“, dort die „Unreinen“; eines unbestimmten Tages die Trennung in Gut und Böse.

Und Gott, der omnipotente Alleswisser und Alleskönner, sprach das unerwartete Wort:

„Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. 22 Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

Wie lange noch wird die Erde stehen?

Geoffrey Hinton gehört zu den Gotteserfindern der Gegenwart, denn er glaubt, „er habe geholfen, ein Monster zu erschaffen.“ (SPIEGEL.de)

Doch was genau bereut er?

„Ich sah auch die extremen Risiken der generativen KI. Vor allem das enorme Tempo der Entwicklung, den enormen Wettbewerb. Mit der Einführung von Konversationsrobotern wie ChatGPT hatten wir auf einmal ein Stadium erreicht, von dem ich dachte, das sei noch fünfzig Jahre entfernt. Und kein Unternehmen, weder Google noch Microsoft, hält Technologien zurück, auch wenn sie eigentlich unverantwortbar und unkontrollierbar sind. Seither warne ich.“

Aber was daran soll so schlimm sein?

„Als diese Chatbots aufkamen, wurde ich der unmittelbaren Bedrohung für die Menschheit gewahr. Millionen Arbeitsplätze können abgeschafft, Wahlen durch massenweise gefälschte Videos kompromittiert werden. Durch diese Art von KI wird es möglich, viel bessere Cyberangriffe zu führen und hocheffiziente, fiese Viren zur biologischen Kriegsführung zu entwickeln. KI, die Bilder, Sprache und Text verstehen und generieren kann, wird alles verändern. Wir alle können bald einen Hausarzt haben, der schon 100 Millionen Patienten und ihre Krankheiten gesehen hat, der sich alles über sie merkt und ihr ganzes Genom kennt. Und das ist sehr gut. Aber die Mächte dieser Welt, USA, Russland, China, Großbritannien und Israel, werden KI auch nutzen, um autonome, tödliche Waffensysteme zu entwickeln.“

KI ist so gefährlich, weil sie den Menschen übertrumpft hat:

„Jetzt müssen wir verstehen, dass moderne KI eine viel bessere Form der Intelligenz ist als die, die wir selbst haben. Sie ist uns schon heute in vielen Bereichen weit überlegen.“

KI ist so gefährlich, weil sie uns überlegen ist?

Überlegen? Darauf wollten wir doch hinaus. Die Intelligenz unserer Maschinen soll uns in allen Dingen überlegen sein. Balde schon, demnächst, in naher Zukunft. Wir reden von Fortschritt.

„ChatGPT weiß tausendmal mehr, als ein Mensch je lernen wird. Er ist in keinem Bereich perfekt. Aber er ist für alles ein halbwegs guter Experte – der sich gelegentlich etwas ausdenkt. Wir sollten sehr ängstlich sein. Es ist mit ChatGPT in etwa so, als wenn Außerirdische gelandet wären, die sehr gut Englisch oder Deutsch sprechen können. Würden wir Aliens treffen, wären wir zu Recht ziemlich verängstigt. Bei KI sagen aber Leute wie Yann LeCunn, Metas KI-Chef, man baue doch nur Dinge, die genau das täten, was der Mensch von ihnen wolle. Einfach, weil er sie erschaffen habe.“

Wir sollten sehr ängstlich sein. Müsste der Forscher es nicht schwer bereuen, sich am Fortschritt beteiligt zu haben?

„Und dann gibt es Dinge, die man getan hat und für gut hielt und die sich erst im Nachhinein als schrecklich herausstellen. Die Folgen waren nicht vorhersehbar, es gab das Wissen einfach nicht. So geht es mir. Ich habe erst 2023 gemerkt, wie schnell sich das alles entwickelt. Wie katastrophal es womöglich wird. Ich habe nicht wirklich diese Art von schuldbewusstem Bedauern für das, was ich getan habe. Außerdem: Wenn ich überhaupt nicht existiert hätte, wäre all das vielleicht um eine Woche verlangsamt worden – nein, ich denke, ich habe auf eine vernünftige Weise gehandelt.“

Glaubt man das? Ein Forscher geht an die Öffentlichkeit, um sie vor den ungeheuren Gefahren der KI zu warnen, dennoch bedauert er nichts von dem, was er getan hat. Hätte nämlich er’s nicht erforscht, wäre ein anderer an seiner Stelle gewesen und hätte es getan. Das eigene Tun ist beliebig ersetzbar, das „individuum est ineffabile“ kannst du vergessen. (Das Individuum ist unaussprechbar, unvergleichlich.)

Wir müssen schließen: die Überlegenheit der KI ist bereits so unermesslich geworden, dass die menschlichen Genies der Abteilung „ineffabile“ sich in nichts mehr mit ihren Creationen vergleichen lassen. Der Mensch schrumpft, seine Erfindungen steigen ins Unermessliche.

Da der jämmerliche Mensch ohnehin nichts mehr tun kann, ist es gleichgültig geworden, was er getrieben hat oder noch treiben wird. Er kann nur noch – wie Maria, die belanglose Mutter Gottes – ein Wesen gebären, das mit nichts Irdischem zu vergleichen war. Die Menschheit gebärt sich über sich hinaus ins Unmessbare, Ungeheure, Endlose und Unbegrenzte. Natürlich gibt sie damit jede Kontrolle über ihr irdisches Schicksal aus der Hand.

Ob wir es bedauern oder nicht, was wir getan und erfunden haben: die Werke unseres Tuns sind so übermächtig geworden, dass wir nur noch sagen können: Auch wenn’s doof war, ich hab’s nun mal getan. Was daraus folgt, liegt in KI`s metallenen Greifhänden. Amen.

Hinton fordert die Menschheit auf, ängstlich zu werden bei ihren Fortschrittserfindungen, obgleich sie nicht mehr in der Lage sein wird, irgendetwas zu korrigieren. Was bleibt? Früher hätte man gesagt: beten!

Ein internationaler Forscher macht zwei Schritte in die Öffentlichkeit, um zu warnen – und drei wieder zurück, um seine Warnungen für überflüssig zu erklären. Diese Logik hat schon höhere theologische Qualität.

Francis Bacon hat den neuen wissenschaftlichen Fortschritt seiner Zeit mit zwei Formeln charakterisiert:

Disseccare naturam – zerstückelt die Natur – und „wisdom is power“ – Wissen ist Macht.

Eine wunderbare Doppelformel: was auch immer ihr erfinden werdet, es dient allein der Zerstückelung der Natur, denn es ist nichts anderes als Macht-Wissen.

Haben wir Widerstandskräfte gegen diese verhängnisvoll-selbsthergestellte Menschheitszerstörung?

Wie wär’s mit Streiten – wie es uns die hervorragende Streiterin Svenja Flasspöhler demonstriert?

„Die offene Gesellschaft braucht den Streit. Wer Feindschaft verhindern will, muss Gegnerschaft zulassen. Solange man streitet, steht man miteinander in Verbindung. In einer Paarbeziehung muss man in der Lage sein, den wahren Grund eines Konflikts zu erkennen.“ (SPIEGEL.de)

In der griechischen Philosophenwelt waren Denken und Streiten die wichtigsten Elemente der Vernunft – um …? Ja, um was?

Flasspöhler will mit Streiten auf keinen Fall die Therapeutin ihres Mannes sein.

„Ich bin nicht die Therapeutin meines Mannes, und er ist sicherlich auch nicht mein Therapeut. Aber ich lerne durch den Blick meines Mannes oft etwas Neues über mich. Das macht mich souveräner.“

Wie bitte? Streiten hat nichts mit Therapie zu tun? Therapieren heißt Konflikte lösen, Frieden mit sich und seinen Mitmenschen herstellen. Wer in Unfrieden lebt, lebt in Dauerstreit mit sich. Nur wenn sein bewusster und unbewusster Streit sich auflöst und in Frieden endet, kann er „souveräner“ werden. Just das, was die Philosophin will.

Nein, er muss dabei nicht die Zauberformel der Schöpfung, pardon, der Natur, erfasst haben, aber er wird einen soliden Boden gefunden haben, von dem aus er weiterforschen kann. Denken ist eine lustvolle lebenslange Beschäftigung, ein, wie die Griechen es nannten, Wahrheitssuchen und Wahrheitsfinden.

Das ist nicht nur eine egoistische Beschäftigung mit sich selbst, das ist eine entscheidende politische Tat. Denn wer mit sich selbst im Streite liegt, liegt auch mit seinen Mitmenschen im Streit.

Die Demokratie wurde erfunden, um den Streit mit Waffen zu beenden, und an die Stelle der Schwerter das treffliche Argument zu setzen.

Heute ist der Streit mit Argumenten zur Lösung politischer Probleme zur Dummheit geworden. Denn die alles entscheidende Wahrheit, die gesucht müsste, die gebe es nicht.

Jeder habe seine privaten Wahrheiten, die man in die Welt hineinliest, hineinprojiziert, hineinfühlt, hineinsieht oder -hört, und diese endlosen Unterschiede lassen sich nicht auflösen. Streiten? Sinnlos. Auf dem Marktplatz debattieren? Noch sinnloser.

Also Denken! Doch langsam, ist denken nicht außerordentlich mühsam? Das suggeriert auch der folgende Artikel:

„Warum Denken anstrengend ist“. (TAZ.de)

Die „Experten“ erforschten den Zusammenhang zwischen Denken und Anstrengung.

„Dabei entdeckten die Forschenden einen ausgeprägten Zusammenhang zwischen gedanklicher Anstrengung und Verstimmung. Um zu verstehen, ob das auf alle Menschen zutrifft, untersuchten die Forschenden eine Menge möglicher Einflussfaktoren – meistens ohne Erfolg. Geschlecht, Alter und Schulabschluss spielten keine Rolle. Genauso wenig Einfluss hatte die Dauer der Aufgaben, ob sie lebensnah oder gruppenbasiert, körperlich anstrengend oder besonders bewegungsarm waren. Denken ist also eine Zumutung. Aber wieso machen wir manchmal doch gern ein Sudoku oder ein Kreuzworträtsel?“

Moment mal. Ist die Lösung eines Kreuzworträtsels schon Denken? Dann wäre Deutschland mit seinen endlosen TV-Quizsendungen Weltmeister im Denken! Der pure Wahnsinn.

Denken ist nicht Wissen. Schon gar nicht, was andere Leute als Wissen präpariert haben.

Kinder sind die größten Denker, obgleich sie noch wenig wissen. Hervorragende Denker wären bei Kai Pflaume vermutlich die größten Nieten. Zwar können sie durchaus viel wissen, müssen es aber nicht, um die Verwicklungen ihres privaten und überprivaten Seins zu entwirren.

Muss ich etwas über die Griechen wissen, um über Demokratie Bescheid zu wissen? Ich muss gar nichts – förderlich aber wäre es durchaus, wenn ich Anregungen aus Athen hätte, um meine privaten und politischen Verwirrungen aufzudröseln.

Denken ist ständige Selbsterforschung. Um nicht nur mich, sondern meine soziale Umgebung immer besser zu verstehen.

Ziel des Denkens wäre Frieden mit der Natur und den Menschen. Ob das die Quizmaster von heute schon wissen?

Fortsetzung folgt.