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Die ERDE und wir. XIV

Tagesmail vom 20.09.2024

Die ERDE und wir. XIV,

Deutschland tritt an gegen Deutschland.

„Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört?“

Willy Brandt war ein phänomenaler Politiker, sein Motto phänomenal falsch.

Gehört unser Land „völkisch“ zusammen, dass es von selbst wieder zusammenwachsen könnte? Weder die Natur, noch ein himmlischer Beschluss haben West- und Ostdeutschland zusammengeschmiedet, damit es ewig zusammengehören muss.

Wo beginnen wir? Mit Luther natürlich. Hatten wir doch eine lutherische Pastorentochter, die beim morgendlichen Lauf durch die Wiesen des Ostens die Hymne des Reformators vor sich hin trällerte:

Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
wie saur er sich stellt,
tut er uns doch nichts;
das macht, er ist gericht:
ein Wörtlein kann ihn fällen.

Und dieser Politik des obrigkeitshörigen, aber juden- und papsthassenden Wittenbergers folgte die fromme Frau in Ergebenheit. „Wir schaffen das, davon bin ich überzeugt; das schaffen wir.“

Also lasset uns ein neues Lied singen, ein Lied, das die raubgierigen Fremden erschauern lässt:

Wacht auf, Verdammte dieser Erde,
die stets man noch zum Hungern zwingt!
Das Recht wie Glut im Kraterherde
nun mit Macht zum Durchbruch dringt.
Reinen Tisch macht mit dem Bedränger!
Heer der Sklaven, wache auf!
Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger
Alles zu werden, strömt zuhauf!

Vom Nichts zum Alles: eine außerordentliche nationale Karriere.

Es rettet uns kein höh’res Wesen,
kein Gott, kein Kaiser noch Tribun
Uns aus dem Elend zu erlösen
können wir nur selber tun!
Leeres Wort: des Armen Rechte,
Leeres Wort: des Reichen Pflicht.
Unmündig nennt man uns und Knechte,
duldet die Schmach nun länger nicht!

War Deutschland, dieses zerrissene Land, nicht friedlich zusammengewachsen? Nein, war es nicht. Es wurde durch energische Eisenfresser zusammengeschmiedet.

Bismarck führte Kriege in Nord und Süd, um zum ersten Kanzler der germanischen Geschichte aufzusteigen. Bestimmt nicht mit Friedensparolen, sondern mit Hilfe des blitzenden Schwertes.

Als Bismarck sein Werk vollendet hatte, gab es keine Stadt mehr ohne Bismarckstatue oder Bismarckstraße. Und Europa zitterte vor den erwachten Germanen.

„Wir dürfen nicht zögern, aus irgendeiner falschen Humanität heraus, Frankreich so schwer wie möglich zu belasten“, formulierte schneidig Alfred Hugenberg.

Heute entfernt sich Europas mächtigste Nation wieder von den Franzosen. Nein, nach den ersten Wiederannäherungen unter den großen Männern, als jede deutsche Gemeinde eine französische Partnergemeinde hatte, zerfiel die neue Freundschaft wieder. Heute gibt es schon wieder Franzosen, die den Nachbarn bestimmte Reviere abnötigen wollen.

Damals war der „Krieg ein Führer zu Gott, eine Psychotherapeutik im großen, ein Leib und Seele, Geist und Nation reinigendes Blutbad.“ (Max Scheler)

Ja, könnte auch etwas für uns sein, sinnieren die rechtsrheinischen Waffenschmiede. Haben wir im Osten unsere Freundschaftskünste nicht schon längst sinnlos aufgebraucht? Es scheint nicht zu genügen, dass zwei He-manner sich freundlich umarmen.

Putin, der Schlächter, war ja fast ein Erzeugnis der Ossis. Inzwischen wissen diese nicht mehr, wie sie ihn anpacken müssen, um ihn zum Frieden zu locken. Wer war hier freundschaftsunfähiger? Der Russe, der in der Spur des friedlichen Gorbatschow, sich in den demokratischen Westen einschleichen wollte, von misstrauischen Amerikanern aber abgewiesen wurde?

Oder der Westen, der ein friedliches Weltreich wollte – aber nur unter seiner Führung?

Wie hatte Obama über das Reich des Ostens geurteilt? „Bedeutungslos …“

Das war das letzte Zeichen für Putin, der seinen jugendlichen Westallüren Lebewohl sagte, um – als Anführer anderer Oststaaten – seine Soldaten an der Grenze der Ukraine aufmarschieren zu lassen.

Hätte auf der westlichen Seite Dabbelju Bush dasselbe getan, um ein Land des Öls zu umzingeln – was er tatsächlich getan hat –, hätten wir in Deutschland alle wortlos genickt.

„Mochten die Herzen der Amerikaner dem sympathischen Michail Gorbatschow zufliegen, Reagans Leute sorgten dafür, dass die Perestroika scheiterte. Eine ihrer Ziele bestand darin, die Sowjetunion wirtschaftlich zu isolieren. Inzwischen sind sich die Politologen in West und Ost darüber einig, dass der Rüstungswettbewerb zwischen den NATO- und den Warschauer-Pakt-Staaten der Sowjetunion ökonomisch das Rückgrat gebrochen hat.“ (Gerd Raeithel, Geschichte der nordamerikanischen Kultur)

Es war nicht Putin, es war „Reagan, der die Attacken auf Moskau suchte und den wirtschaftlich angeschlagenen Gegner durch eine weitere Runde des Wettrüstens in Bedrängnis brachte.“ (ebenda)

Solche Analysen suchst du in Wessi-Deutschland vergeblich. Hier gelten die eisernen Regeln: die Basis unserer Politik ist die Partnerschaft mit den USA, weshalb es nicht den leisesten Hauch einer Kritik an Washington geben darf. Nie hätte Schröder einen amerikanischen Präsidenten derart innig umarmt wie seinen Freund Putin.

Amerika war der große Freund und Beschützer der Kriegsverlierer, also bitte nicht die leiseste Kritik an Washington.

Russland hingegen hatte eine echte Freundschaft mit Deutschland gesucht. Gorbatschow wollte gar eine ökologische Weltgemeinde gründen. Nein, mit Ökologie hatten es die Amerikaner nicht so. Ihre Weltfirmen waren noch immer gierig dabei, die Natur zu zerstückeln und aufzusaugen.

Die Amerikaner wurden von den Deutschen – außer von rebellischen Studenten – nie kritisiert, Putin hingegen konnte seine neuen Freunde peu a peu um den Finger wickeln – wenn er eine völkerrechtswidrige Beute nach der anderen machte.

Was zeigt uns das? Das zeigt uns, dass die Deutschen weder kritik-, noch freundschaftsfähig sind. Sie haben Angst, ihre Autoritäten auseinanderzunehmen, und fürchten sich gleichzeitig, ihre neuen Freunde unter die Lupe zu nehmen.

Aber auch die Amerikaner waren nicht so freundlich zu ihren Schützlingen, wie der äußerliche Schein vermittelte:

„Jeder dritte Amerikaner sah in der Wiedervereinigung eine Gefahr für den Weltfrieden. Die Furcht vor einem zu starken Deutschland hatte mit der Furcht vor einem Wiedererstarken des Faschismus zu tun. Arthur Miller vermisste in Deutschland nach wie vor eine stabile demokratische Grundlage. In einem Geheimpapier des Pentagon wurde vor Deutschland als einer Atommacht und einem Rivalen gewarnt. Die wirtschafts- und militärpolitischen Ziele und Interessen der BRD und der USA waren über die Jahre hinweg auseinandergelaufen. Es wurde klar, dass die USA weiterhin mit militärischen Mitteln in Konflikte eingreifen würden, aber selektiv, nicht nach allgemeinen Prinzipien, sondern je nach Interessenlage. Die Vereinigten Staaten, so hieß es in einem Buch Nixons, könne man nicht anrufen wie eine polizeiliche Notrufnummer. Nur wenn es um die vitalen Interessen der USA auf der Welt ginge, müsse man eingreifen.“ (ebenda)

Das war der Tod des westlichen Universalismus, der ohnehin nie ein konsequenter und logisch einwandfreier gewesen war.

Ab jetzt fühlten sich auch die Israelis legitimiert, ihre anfänglich ziemlich moralische Landnahme in eine bigotte zu verwandeln.

Der ganze Westen wurde zu einer universalistisch, dennoch bigotten Kapitalismus-Maschine, der man nichts mehr glauben durfte.

Als Bush Truppen gen Saudi-Arabien sandte, war klar, dass er eine Offensive plante. „Eine Friedensinitiative von Gorbatschow weckte in Bush die Befürchtung, die Kontrolle über den Gang der Dinge könne ihm entgleiten. Die NYT stufte die Friedensliebe – vormals Ziel der re-education – als neurotisch ein. Pazifisten beschimpfte man im In- und Ausland als Weichlinge und Drückeberger.“ (ebenda)

Westdeutschland ist kapitalistisch, Ossideutschland war sozialistisch. Im Streit um west-östliche Verständigung kommen solche Kleinigkeiten gar nicht vor. In der gestrig- spielerischen Paartherapie bei Anja Reschke unterschied man zwischen Sachebene und Gefühlsebene.

Doch es gibt keine Gefühlsebene, die nicht mal auch eine Sachebene war und später in der Versenkung verschwand. Gefühle sind nur schwer verbalisierbare, von der Verdrängung bedrohte Sachinhalte.

Wenn Deutschland zu sich kommen will, muss es seine Vergangenheitserfahrungen freilegen. Doch Erfahrung und Vergangenheit sind noch immer hochtabuisierte Begriffe, die das Licht der Welt nicht erblicken dürfen.

Gab es keine Vermittlung zwischen den Ossi-Proleten und den westlichen SPD-Proleten? Auf keinen Fall.

Denn der Begründer der SPD war Lassalle, der ein „Diktator“ der Arbeiterbewegung sein wollte. 1863 war die Geburtsstunde der deutschen Sozialdemokratie. Der Verein wählt Lassalle zum Vorsitzenden mit diktatorischen Vollmachten.

„Das ist der national-sozialistische Führerstaat in nuce: bis zum heutigen Tage krankt die deutsche Sozialdemokratie, scheinbar unheilbar, an den Übeln ihrer Geburtsstunde: als eine auf dem Führerprinzip aufgebaute nationale Massenpartei unterdrückt sie die innere Opposition, vermag keine wirkliche Reform zu realisieren und marschiert außenpolitisch am Gängelband ihrer Gegner und Feinde. Das alles ist angelegt in der Persönlichkeit Lassalles, ihres ersten Führers.“

Am Anfang der Arbeiterbewegung war noch Enthusiasmus. „Mann der Arbeit, aufgewacht.! Und erkenne deine Macht: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arme es will.“

„Lassalle glaubt nicht an den Arbeiter, nicht an die Massen, nicht an das Volk, wohl aber an den Staat; an den starken Staat, dem er die Kräfte der Arbeiterschaft, des Volkes, der Massen zuführen will, sodass ein einziges „Wesen von gigantischen Ausmaßen“ entsteht.“ (In F. Heer, Europa, Mutter der Revolutionen)

Marx wird nie die Bedeutung von Lassalle erhalten, sodass wir die Bedeutung Lassalles für die heutige Entwicklung der SPD ableiten können.

Die heutige Dumpfheit und Debattenunfähigkeit der SPD verdankt sich dem Einfluss des autoritären Arbeiterführers Lassalle. In der SPD kennt man keinen „dogmatischen“ Marx, keinen „revisionistischen“ Bernstein, keine Fähigkeit, den Kapitalismus zu zerpflücken.

Als die Grünen aufkamen mit ihrer Rebellion gegen die Naturzerstörung, waren die Proleten unfähig, die klimakritischen Belange der Grünen zu verstehen. Sie verstanden nur: hier sind neue Technikfeinde am Werk, denen wir widerstehen müssen.

In der SPD gibt’s keine vitalen Debatten, es gibt nur teigige Kompromisse, die alle Probleme ersticken.

In den Debatten der Gegenwartspolitik müssten all diese Faktoren wahrgenommen und taxiert werden. Davon kann keine Rede sein. Konturlos palavert man sich in die Zukunft eines sintflutartig-überschwemmten Kapitalismus.

Die Müßiggänger schiebt beiseite!
Diese Welt muss unser sein;
Unser Blut sei nicht mehr der Raben,
Nicht der mächt’gen Geier Fraß!
Erst wenn wir sie vertrieben haben,
dann scheint die Sonn‘ ohn‘ Unterlass.

Fortsetzung folgt.