Hello, Freunde der deutsch-französischen Freundschaft,
Merci bien, Franzosen, die deutsche Regierung und die deutschen Medien habt ihr gerettet. Der Innenminister mit dem altadligen Hugenottennamen warnte omnipräsent auf allen Kanälen und verkörperte die leibhaftig gewordene francophile raison d‘état und den deutschen Obrigkeitsstaat von Gottes Gnaden; Gesicht und Brille des Polizeiministers zeigten väterlich-gütige, aber strenge Kante.
Wie durch ein Wunder entkamen die Medien – in erschlichener Überidentifikation mit der demokratischen Unbeugsamkeit der französischen Opfer – ihrer schwärenden Grundlagen-Misere.
Ohne zu erröten steigerte BILD-Wagner die Parole: Je suis Charlie in: „Ich bin Frankreich“. Fehlte nur noch der letzte Minischritt zur himmlischen Vollendung: Je suis Dieu, dann wäre BILD für immer zur GottebenBILDlichkeit aufgestiegen. Dann dürfte Ajatolla Diekmann sinaitisch in die Niederungen der Sterblichen rufen: Je suis celui qui suis. (2.Mos. 3,14)
Günter Jauch, Diekmann-Event-Ausgabe des staatlichen Bildungsfernsehens, hatte unverhofft seine RTL-Circenses unterbrochen und zelebrierte mit gekonnt einstudiertem, verbissen-kritischem Blick die Staatsweihe inmitten hoher germanischer Recken und einer nicht ganz einwandfrei-weißhäutigen Quotenfrau mit diffusem Hintergrund. Vorsichtshalber waren Franzosen und sonstige Undeutsche mit unkalkulierbarem Störpotential nicht in den sturmgerüttelten Gasometer geladen.
Deutschland feierte seine französisch-deutsche Verbundenheit im national-abgedichteten, fremden-allergischen, pegida-affinen Sonder-Rund. Pegida? Das sind die von Mutter Merkel gezeugten Bastarden-Horden, die von ihrer jungfräulichen Erzeugerin bei Nacht und Nebel in den Ossi-Tundren ausgesetzt und bis …
… heute hartnäckig verleugnet werden. Agape muss auch hart sein können.
Trauer in Europa. Die Politiker, die den Fremdenhass durch Propagieren christlicher Werte, die demokratische Werte sein sollen, Errichten von Wassergräben, Mauern und Zäunen, zum standardisierten Abwehrreflex hochgezüchtet haben, in vorderster Heuchel-Reihe – beschützt von Scharfschützen auf allen Dächern.
Kann Trauer in Wut umschlagen? Sich verwandeln in nachhaltige politische Humanität? Benötigen intakte Demokratien mehr Personenschützer als zu beschützende Personen? Kann das tief empfundene Pathos des schmerzlichen Hier und Jetzt sich in Erneuerung der EU transformieren? Können Freiheit der Wenigen, Ungleichheit der Vielen und Unbrüderlichkeit des gesamten kapitalistischen Westens sich in echte Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit verändern?
Nur in Not und Tod zeige sich das wahre Europa? Dann wehe den notlosen Zeiten. Noch mehr terroristische Geburtshelfer werden sie benötigen, um das Leben im alten verrotteten Europa durch mäeutische Todesschmerzen lebenswert zu machen. Nur im Kugelhagel vor Verdun, in Weltkriegen mit unzähligen Toten, in naturverwüstenden Apokalypsen scheinen die Abendländer sich regenerieren zu können.
Lernen durch Katastrophen ist der Buß- und Selbstbestrafungsfluch der Religiösen, die sich das Lernen aus Vernunft mit Hohngebärden verbitten.
Wenn Christen nicht mehr weiterwissen, müssen sie die Gnade ihres himmlischen Vaters durch Selbstzerstören herbeizwingen. Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn – und wenn ich mich selbst auslöschen muss.
Wer davon lebt, dass er das Leben in der ganzen Welt zerstört, um im Wohlstand zu verfetten, muss sich zur Abwechslung selbst zerstören – wenn kein passender Feind in Reichweite ist. Inhumane Vernichtungsgesetze kann man nicht außer Kraft setzen, wenn günstige Vernichtungsobjekte nicht zur Verfügung stehen. Fremdvernichtung wird zur Eigenvernichtung, wenn man das Gesetz der Vernichtung nicht durch Selbsterkenntnis in sich selbst – vernichtet hat.
Europa muss sich aus der Tiefe seines historischen Raums runderneuern, aus der anamnestischen Tiefe seiner verdrängten Gräueltaten, aus der Tiefen-Erinnerung seiner jahrtausendealten religiösen Perversion. Europa muss sich nicht neu erfinden, indem es das Alte ständig wiederkäut. Es muss sich verändern.
Verändern heißt anders, nicht absolut neu werden. Absolut neu werden ist die Illusion der Erlöser, die den alten Adam unverändert lassen, ihm aber ein blütenweißes Gewand überziehen, damit er vor seinem jenseitigen Richter die jesuanische Kleiderkomödie der Unschuldigen spielen kann. „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.“ Der alte Adam bleibt derselbe, er hat sich nur neu mit seinem Heiland kostümiert, um vor dem himmlischen Vater ein karnevalistisches Fest aufzuführen. Sündige tapfer, oh Christenschar, nur zieh ein reines Kleid über deine blutigen Klamotten, um Gottvater jenen Sand in die Augen zu streuen, den er dir als Blend- und Streumittel zur Verfügung gestellt hat.
Der verständige Mensch ändert sich nicht durch Täuschungsneuheiten. Sondern durch mühsames Lernen. Er ist – Gott verzeih die Kühnheit – lernfähig. Jeder Mensch kann lernen, denn er kann seine Vernunft betätigen. Kein Mensch ist grundlegend verderbt, dass er sich täglich neu taufen und erfinden müsste, um ein ganz Anderer zu werden.
Wir müssen keine Anderen werden, wir müssen werden, wer wir sind. Was wir sind, haben wir als Potential der Natur mit der Muttermilch erhalten und – mit Vaters Religionsfusel verderben lassen. Die weiße Milch der natura mater haben wir eingeschwärzt:
„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng“. (Celan, die Todesfuge)
Europa, werde, der du bist. Wie alle Welt hast du alles in dir, um menschlich zu werden. Du musst deine Menschlichkeit nur aus dem Grab der Religionen ausgraben.
Deinen Platz in der Menschheit wirst du nur finden, wenn du die Menschheit in Freiheit als gleiche und geschwisterliche anerkennst. Noch spielst du den Sonderhelden der Heilsgeschichte, den Erwählten der ökonomischen Evolution. Für dich ist Gleichheit, wenn du allein ganz oben auf dem Treppchen stehst. Für dich ist Geschwisterlichkeit, wenn du den Brüdern und Schwestern in aller Welt das Fell über die Ohren ziehen kannst. Für dich ist Freiheit, wenn du allein bestimmst und alle anderen dir folgen müssen.
Europa, dir steht eine Häutung bevor – oder die nächsten Toten sind bereits im Visier jener, die deine Opfer sind. Das willst du nicht wahrhaben, wenn du großkotzige Reden schwingst: niemand werde gezwungen, aus Elendsgründen andere zu töten. In der Tat, kein Mensch ist eine Maschine, die man von ferne programmiert. Dennoch lädst du Schuld auf Dich, weil du alles unternimmst, um anderen Menschen die Freiheit zu nehmen, sich als akzeptierte oder gar geliebte Wesen zu entwickeln und zu entfalten.
Europa, du bist nicht selbst-gerecht – dein Selbst hast du tief vergraben – du bist fremdgerecht. Gerecht durch die Intervention religiöser Mächte, die die Produkte deiner unmündigen Phantasie sind. Zwischen fieberhafter Einbildungskraft und nüchternem Wirklichkeitssinn konntest du noch nie unterscheiden. Deine märchenhaften Erlöser sind für dich realer als deine Lieben und Freunde, mit denen du täglich zusammenlebst. Eher gehst du als Kamel ins Himmelreich – Verzeihung, ihr Dromedare – denn als aufrechter Mensch ins Reich der Menschen.
Heute noch sitzt der Schock. Doch morgen schon hast du ihn unter Wirtschaftsdaten vergraben und die alte Scheiße is going on. Beim nächsten Schock, der mit tödlicher Gewissheit kommen wird, wird es so schnell keinen Ruck mehr geben. Den Glauben an einen Ruck wirst du in der Tonne für Sondermüll entsorgt haben. Sondermüll ist jene Tonne, in der Besondere und Erwählte deponiert werden, wenn sie nicht zur Vernunft gekommen sind. Eine Drohung? Um Gottes willen, das war eine jener Prophetien, die du über alles liebst.
„Der Wille zur Freiheit kann nicht gebrochen werden“, tönen deutsche Sprüchemacher. Dabei sind es erst 70 Jahre her, da wurde der freiheitliche Wille von einem demokratischen Volk gebrochen. Nein, nicht mal gebrochen musste er werden, binnen weniger Jahre hatte er sich in Luft aufgelöst.
Europa, soll es dir ähnlich ergehen? Wie hast du vor Dekaden so hoffnungsvoll begonnen. Betrachte dich im Spiegel: was siehst du? Einen verwüsteten, durch Reichtum zerstörten nimmersatten Schlund, der nur noch Zahlen sabbern, Maschinen und Zukunft anbeten und alles in Trümmer legen kann, um sich die Illusion des Existierens zu verschaffen.
Ändere dich, Europa – oder Friede deiner Asche. Komm ja nicht und behaupte, du seist nicht gewarnt worden. Vor allem ihr europäischen Eliten, die ihr seit Jahr und Tag das Schifflein auf den Grund setzt, bei jeder Havarie aber gekonnt auf die Kleinen und Schwachen zeigt.
Oh gewiss doch, die Doofen und Armen im Geiste können auch gefährlich werden. Doch lange nicht so gefährlich wie Ihr, die ihr Worte drehen und wenden könnt, wie es euch beliebt, um eure intrigante Macht ständig rein zu waschen.
Wer zerstört denn die Demokratie, wenn nicht ihr, die ihr immer vom „Staat“ redet, den ihr destruieren und ramponieren müsst? Ihr redet vom Staat, meint aber die Demokratie.
Wer wird nicht müde zu behaupten, Demokratien seien maßlos überschätzt? Nun müsse die Epoche der Postdemokratie kommen, um Europa wettbewerbsfähig zu halten? Wer schließt TTIP-Verträge, um Parlamente und demokratische Institutionen außen vor zu lassen? Wer will den Rest der Welt mit vereinigter Wirtschaftsgewalt der reichsten Länder an die Wand fahren? Wer kokettiert mit funktionaler Diktatur, weil unsere Demokratie es nicht mehr bringe? Wer schmäht Aufklärung und Vernunft, die einzigen Body-Guards einer intakten Demokratie? Wer verhöhnt menschenverbindende Moral, nur weil er kein Spießer, sondern ein grenzen-sprengender Kreator ex nihilo und ein ästhetisches Genie sein will? Wer fühlt sich gottgleich, wenn seine Freiheit weder Maß noch Regeln folgt? Das Gesetz nur kann uns jene Freiheit geben, die eine bestmögliche Freiheit für alle und nicht die maximale für EINPROZENT der Weltbevölkerung wäre?
Euch Eliten ins Stammbuch, wohl wissend, dass ihr nur Zahlen und keinen sinnvollen Text mehr lesen könnt. Ihr lutscht und saugt nicht nur die Schwachen und Abhängigen aus, um eure Säckel zu füllen. Ihr wollt, dass die Malocher ausgebrannt und ausgelaugt seien, dass sie keine Muße mehr aufbringen zur politischen Betätigung. Abends sollen sie kraft- und saftlos vor dem Fernseher liegen, um den letzten Empörungswillen bei Rosamunde Pilcher und tausend Quiz- und Spieleshows auszuhauchen.
Eure Glitzerkanäle sollen dem passiven Publikum ein aufregendes Scheinleben vorgaukeln. Mit schönen und sympathischen Menschen, die Abenteuer und sinnlose Herausforderungen bestehen, bei denen sie ihre Grenzen überspringen und selbst-schädigend missachten. Wer zusehen muss, wie elementare Grenzen gesprengt werden, wird es auch für richtig halten, wenn naturfeindliche Unternehmungen die Grenzen des Menschlichen sprengen.
Ebenso, wenn ihr ungeheure Reichtümer sammelt, wenige Groschen den Verhungernden in den Rachen werft – die ihr aus euren Charity-Festen wohlweislich aussperrt. Weil ihr eure Liebes-Objekte aus der Nähe nicht ertragt. Sie sind hässlich und stinken nach Untergrund, Gullys und Katakomben. Während ihr nach allen Wohlgerüchen Arabiens duftet, um euren Egomanengestank zu übertönen.
Ihr lebt in eurer eigenen, mit Mauern umgebenen Welt und habt den Kontakt mit normalen Menschen verloren. Euer Gehirn ist ein gated Neocortex, der nur in der ecclesia triumphans der Erwählten und Besonderen überleben kann. Ihr habt bezahlte Schreiber, Mietlinge, Gelehrte und Politiker, die ihr gar nicht bestechen müsst. Die schmeißen sich freiwillig an euch ran, um die leckeren Brosamen von eurem Tisch aufzufangen, die ihr sonst den Hunden hinwerft.
Alles will nach oben, selbst die Vertreter der Proleten. Einen andern Platz der Sehnsucht kennen sie nicht mehr. Oben im Licht, wo ihr schon alle Plätze besetzt habt. Die Vertreter der Proleten wollen keine Menschen unter Menschen, sondern erfolgreiche und illustre Karriereschnösel sein. Besonders für sie gilt das Gesetz amoralischer Brillanz und des moralfreien Erfolgs.
Wenn alle nach oben wollen, dort aber nur eine Handvoll Erwählter Platz hat – wo bleibt dann die Menschheit? Solchen misanthropischen Nonsens erzählen „Vertreter der Schwachen und Armen“.
Fast alle politischen Parteien sind zu Füßeküssern der Erfolgreichen geworden. Deren Evangelium ist das heilige Risiko. Das Risiko, wie man Mensch und Natur zur Schnecke machen kann, ohne sich erwischen zu lassen. Oder so mächtig zu werden, dass keine entrechtete Masse den Abenteurern an den Kragen geht. Ihr kennt nur ein einziges Ziel, ihr Eliten: die Transsubstantiation jedes natürlichen Atoms in Heller und Pfennig.
Transsubstantiation ist die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut des Erlösers. Just nach diesem magischen Rezept wollt ihr schnöde Materie in heiligmäßigen Erfolg verwandeln. Erfolg ist das Signum der Lieblinge Gottes. Die Erfolgreichen sind das neue Volk Gottes, das sich mit goldenen Mauern umgibt, um dem Anblick der Verdammten nicht ausgesetzt zu sein.
Das Paradies ist der versprochene Garten Eden auf Erden, in dem nur Risikoliebhaber und grenzensprengende Abenteurer Einlass erhalten. Abenteurer sind Harrende des kommenden Messias, die ihm entgegeneilen, wenn er auf sich warten lässt. Und er lässt. Also muss das Ende der Geschichte in selbsterfüllender Prophezeiung erfüllt werden.
Die folgsamen Agenten der Erfüllung seid ihr, Eliten. Wenn ihr den ganzen Erdball in Gold und Edelsteine verwandelt haben werdet, könnt ihr eurem Schöpfer berichten: Melden gehorsamst, Gott und Herr: die Erde ist deinem Widersacher wieder abgeluchst. Alles gehört uns Menschen wieder, den Liebsten unter deinen Geschöpfen. Bei den Siegern hat der Satan sein Recht verloren. Unser irdischer Traum ist mit deinem Heilsziel verschmolzen, oh Herr. Das Goldene Jerusalem ist der finale Ort der Geschichtsgewinner.
Wie sieht es im Reich Gottes auf Erden aus? Johannes, Offenbarer der Endzeit, hat es gesehen: Die Stadt besteht aus kristallhellem Jaspis, Saphir, Chalzedon, Smaragd, Sardonyx, Karneol, Chrysolith, Beryll, Topas, Chrysopras, Hyazinth, Amethyst, aus Perlen und reinem Gold gleich reinem Glas.
Der Kern der Weltpolitik ist die Vollstreckung der Heilsgeschichte. Durch Technik, Wirtschaft und Naturverwüstung soll das Reich der Sünde in das irdische Reich Gottes verwandelt werden. Am Anfang der Geschichte, im Sündenfall, verlor der Allmächtige seine Schöpfung an seinen Widersacher. Am Ende wird Er sein verlorenes Erbe mit Hilfe seiner Getreuen zurückerobern. Zum Dank werden sie Miterben und Mitregenten ihres Vaters im Himmel sein.
Deutschland steht in der Mitte zwischen Frankreich und den USA. Mit Amerika ist das Land durch Religion verbunden, mit Frankreich durch Aufklärung. Ihre aufgeklärte Religion schaut ebenso auf den biblizistischen Buchstabenglauben der Amerikaner herab, wie ihre klerikale Theokratie auf den gottlosen Laizismus der Franzosen.
Während der ganzen Nachkriegszeit standen die Deutschen dem Kapitalismus der Amerikaner näher als dem Land der scharfsinnigsten Aufklärer. Das Attentat gegen Charlie Hebdo wendet nun das Blättchen – für einige Tage.
Mit dem Niedergang der amerikanischen Demokratie seit 9/11 hätte Europa die Chance gehabt, sich der Welt als vorbildliche Demokratie zu präsentieren. Doch die Macht der Ökonomie hat das Unterfangen erledigt. Deutschland will eine mächtige Wirtschaftslokomotive sein, der Ausbau einer demokratischen Humanität steht bei ihm nur auf dem Papier.
Merkels Stummheit ist die Fanfare des siegreichen Mammons. Die Pflege des lutherischen Erbes ist der Pastorentochter wichtiger als die Erinnerung an den Königsberger Aufklärer. Die Kirchen sitzen in allen weltlichen Gremien und verbreiten Herrschaftsgelüste.
BILD, der mächtigste weltliche Arm des Klerus, vollbringt das Kunststück, sich mit den französischen Kritikern des Religiösen zu identifizieren, gleichwohl den Kern des Problems um 180 Grad zu drehen. Nicht die fanatische Erlöserreligion ist der Kern allen Übels, sondern – die Gottlosen, die sich der Religion bedienen.
Ganz Deutschland schaut seelenruhig der ungeheuren BILD-Fälschung zu. Kein Wörtchen zu Diekmanns klerikaler Umwertung aller französischer Werte – nirgends. Deutschland liegt nicht im Winterschlaf, sondern in Fieberträumen der Botmäßigen, die den Herren der himmlischen Polis willenlos folgen. Die irdische Polis hat die Deutschen seit 200 Jahren nicht mehr interessiert. Alles oder Nichts, ist das Motto ihres ecclesiogenen Tun und Machens. Wenn Jesus euch sehen würde, würde er kotzen, schleudern Deutsche Deutschen entgegen. Jesus ist das Mysterium aller deutschen Machenschaften.
In Frankreich ist Religion eine Privatsache. Der Staat soll von clarté und raison regiert werden. Diese fundamentale Differenz ist der Knackpunkt aller deutsch-französischen Missverständnisse, die von beiden Seiten unter den Teppich gekehrt werden. Vornehm verwenden beide Nationen das Fremdwort Laizismus, um nicht wahrzuhaben, dass in Frankreich Voltaires „Écrasez l’infâme“ (Rottet die infame Kirche aus) obsiegt hat, in Deutschland aber Hegel und die frömmelnden Romantiker, die von einer Symbiose des weltlichen und geistlichen Schwertes träumten.
Den Traum haben sie im Dritten Reich verwirklicht. Die vereinte Gewalt der westlichen Mächte hat ihnen den Traum aus dem ruchlosen Herzen geschnitten. Heute sind die Neugermanen wieder ein Reich der Mitte, das nicht weiß, bei wem es unterschlüpfen soll. Bei den Russen? Hätte Putin nicht die Muskeln spielen lassen, würde der russisch-orthodoxe Gott schon ein herzliches Einvernehmen mit dem deutschen üben. Der Graben zu Amerika wird immer tiefer. Die Entente cordiale mit Paris steht nicht auf kongenialem Boden.
Zu einem eigenen Kurs wäre Deutschland nur fähig, wenn es seine Vergangenheit nicht nur bußfertig, sondern erkenntnismäßig aufarbeiten würde. Davon sind die Täter weit entfernt, nicht mal das Problem ist ihnen bekannt. Das Land der klerikalen Sonderrechte und der Angst, sich von seinem Gott ein spöttisches Bildnis zu machen, wird noch lange haltungslos von einer Seite zur andern pendeln.
Eine deutsche Intelligentsia, die sich in der Politik engagieren würde, existiert nirgendwo. Die Medien sind sakral kontaminiert.
Doch den Maschinen- und Autoherstellern geht’s glänzend. Mercedes kooperiert mit dem Polizeiminister und plant die flächendeckende Überprüfung ihres gesamten Personals auf terroristische Umtriebe. Alles gut in Deutschland.
Wenige Tage nach „je suis Charlie“ hat ein Leipziger Gericht das Zeigen einer Mohammed-Karikatur bei Kundgebungen untersagt. Womöglich kämen die Deutschen noch auf die Idee, ihren Jesus zu verspotten. So weit geht die Liebe zu Voltaire denn doch nicht. Vive la difference.