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Das fruchtbare Böse

Hello, Freunde des fruchtbaren Bösen,

um ein Geringes wäre die Menschheit in einer globalen Friedensordnung verkommen. Doch nun lasst uns hoffen. Verheißungsvolle Perspektiven tun sich auf: munter und vergnügt, fortschrittlich und einfallsreich schlägt sich die Menschheit wieder tot.

Das kreative Böse bringt die Menschheit voran. Das Gute ist Sumpf, stehender Tümpel, Faulheit, fortschrittsfeindliche Lust am Dasein – oder mediterranes Lebensgefühl.

Der Konflikt zwischen Deutschen und Griechen ist stellvertretender Konflikt zwischen dem protestantischen Westen, seiner arbeitswütigen, habgierigen und eschatologischen Wirtschaft – und den letzten intakten Resten des heidnischen Carpe Diem, des Hier und Jetzt.

Zwei grundlegende Zeitauffassungen kollidieren: die vollendete Gegenwart, die durch keine messianische Zukunft übertroffen werden kann – und die lebensfeindliche Hatz auf das Ende aller Zeiten durch sukzessives Zerstören der Gegenwart. Nach uns die Sintflut. Vollendeter, in sich ruhender Kreis gegen vorwärts jagende Hetze eines sich ins Nebulöse verziehenden universellen End- und Höhepunktes einer linearen Geschichte. Der christliche Westen entlarvt sich zur Kenntlichkeit einer desaströsen, selbsterfüllende Apokalypse.

Die nicht-christliche Welt beginnt sich – unterhalb ihrer auferzwungenen Westideologie – ihrer chinesischen, naturreligiösen, brasilianischen, afrikanischen, althellenischen Hier-und-Jetzt-Philosophie zuzuwenden, die das Leben der Menschheit auf dem Planeten nicht länger einem futuristischen Moloch opfern will.

Das ist die Crux der nichtchristlichen Welt: die Methoden des Westens muss sie kopieren, um vom Westen nicht untergepflügt zu werden. Gleichzeitig dämmert es ihr, dass die westliche Naturfeindschaft dabei ist, den Planeten irreversibel zu schädigen. Nein, die Natur kann sie nicht zerstören. Nach Abtritt der Menschheit

aber wird diese keine menschenfreundlichen Nischen mehr aufweisen.

Der Wettbewerb der Kulturkreise tritt die Rivalen in den Staub, um ihnen – sofern sie mit ihnen pro forma verbündet sind – den Vorwurf zu machen, sie würden zu wenig unternehmen, um sich aus dem Staub zu erheben. Sie wollten auf Kosten ihrer Verbündeten leben. Just so sieht Deutschland Griechenland.

(Kauder bei Illner: wir helfen gerne, aber nur, wenn man sich unseren Anordnungen fügt, fleißig arbeitet – und nicht so viele Interviews gibt. Auf Deutsch: malochen und nicht so viel schwatzen! Maulhalten ist die erste Bürgerpflicht.

Der einzige Grieche, der sich gestern der quantitativ weit überlegenen, argumentativ aber unterlegenen deutschen Schnappatmungs-Meute stellen durfte, konnte Kauder noch so oft der Lügenhaftigkeit zeihen: Illner mit dem Zeigefinger klärte nichts, wollte keiner Kauderwelsch-Lüge auf den Grund gehen und fuhr mit unerbittlichem Trotzdem fort: Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt? Wer hat so viel Pinke, Pinke, wer hat so viel Geld?

Wenn in diesen inflationären Griechen-Debatten gelegentlich das Elend der Kinder und Schwachen erwähnt werden darf, gibt’s die stereotype Reaktion: Trotzdem, kann Griechenland seinem selbstverschuldeten Fiasko noch entkommen?

Es wird die unterschwellige Stimmung erzeugt, der Hinweis auf die humane Katastrophe sei ein weiterer Trick griechischer Levantiner, um sich an die Geldbörse des reichen Deutschlands heranzumachen.

Die Deutschen, in ihrer Jugend zu „Idealisten“ erzogen, werden zu unerbittlich realpolitischen Machiavellisten, wenn sie die „Wirklichkeit entdecken, wie sie nun mal ist“. Ein Guck in die Luft wird zu einem kalten Vollstrecker. Kein deutscher Jugendschwärmer, der nicht als knallharter Wirtschafts-Nietzscheaner das Rentenalter erreichte.)

Nicht, dass moderne Griechen keine Christen wären. Dennoch haben sie und ihre mittelmeerischen Nachbarnationen sich so viel Lebenskompetenz bewahrt, dass Deutsche sich am liebsten in italienischer, griechischer und spanischer Gastfreundschaft als vollwertige Menschen fühlen.

Ihre vitale Überlegenheit müssen Südländer mit wirtschaftlicher Inkompetenz bezahlen. Deutschland rächt seine linkische, vergangenheitsbelastete Zwanghaftigkeit mit dem Knallen der wirtschaftlichen Herrenpeitsche. Heilszeit unter der Despotie irdischen Selbsthasses steht gegen die fröhliche Zeitpräsenz der Sonnenkinder. Deutschland exportiert nicht nur tote Dinge in die Welt, sondern seine sauertöpfische Lebensunfähigkeit.

Dieselben Türken, Griechen und sonstigen leichtlebigen Zukunftsignoranten, deren Gastfreundschaft sie im Urlaub genießen, verachten sie im heimischen Revier als unterwertige „Menschen mit Migrationshintergrund.“

Es ist dasselbe Problem wie in den USA, Israel und anderen Weststaaten, in denen weiße und rechtgläubige Herrenrassen unaufhaltsam von fremden Einwanderungsethnien demoskopisch überrundet werden. Die Oberherrschaft der christlichen Herren der Welt beginnt in den Grundfesten zu wanken. Je bedrohter sie sich fühlen, je hektischer wird ihr wirtschaftliches und technisches Fortschrittsrasen.

In Goethes Egmont ist die westliche Ursause formvollendet beschrieben:

„Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als mutig gefaßt, die Zügel festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.“

Der Westen glaubt, zu wissen, wohin die Reise geht: in die Hände des lebendigen Gottes, der sie am Ende der Tage von der unerträglichen Last irdischer Sündhaftigkeit erlösen wird. Doch das ist eine unterirdische und für autonome Menschen unwürdige Phantasterei. Das Schicksal der Erde wird zum chiliastischen RISIKO, das niemand berechnen kann. Wie beim Pokern mit unbekannten Karten muss der Westen innerlich auf alles gefasst sein. Dass sein Höllenritt auf irgendeinem Siegerpodest ankommt oder, dass seine carte blanche unwiderruflich ins Nirwana führen wird. Der prägende Archetypus des wirtschaftlichen Risikos ist das unkalkulierbare RISIKO der Heilsgeschichte.

Die jetzige weltpolitische Lage geht um die Vorherrschaft des wahren unfehlbaren Monotheismus. Zurzeit bekämpfen auf Sieg geeichte Christen & Juden ihre fanatischen muslimischen Konkurrenten, die es nicht ertragen, dass sie den finalen Slalom verlieren könnten. Ist der Kampf entschieden, schlägt die Stunde des Endkampfes zwischen christlich-jüdischen Erlösern – und dem heidnischen Rest der Welt.

Doch es tut sich was. Unter der Decke eines trügerischen Wohlstands und einer militanten Ökonomie beginnen sich rund um den Globus Widerstandsbewegungen zu bilden, die das Leben auf Erden bewahren wollen.

Das Leben auf Erden bewahren kann man nur, wenn man mit der Natur Frieden schließt. Frieden mit der Natur kann man nur schließen, wenn man ihre kreisende Zeit akzeptiert. Ohne Beendigen der linearen Heilsgeschichte ist ein Friedensschluss mit der Natur ausgeschlossen.

Die Menschheit wird sich bald entscheiden müssen: entweder Anfang, Mitte und Ende der linearen Zeit eines übernatürlichen Heils – oder das selige um sich Kreisen der Naturzeit, die sich dem Diktat zwanghafter Erneuerung entzieht, da sie stolz ist auf alles, was sie in unendlichen Zeiten entwickelt hat.

Die Feier der Natur ist nur jenen möglich, die sie mit keiner religiösen Übernatur negieren. Der Abendländer ist so tief mit linearem Heil kontaminiert, dass er ohne tägliche Talmi-Erneuerung sich seines Lebens nicht erfreuen kann. Das Neue, Riskante, Abenteuerliche und Unbekannte – Zellwucherungen der Eschatologie – wurden zur Droge des Abendländers, der sein Leben ohne tägliche Dröhnung des Neuen nicht glaubt, ertragen zu können. Das einfache Leben in der Natur ist für ihn die Hölle der Langeweile.

Wer das Carpe Diem, die symbiotische Eintracht mit der Gegenwart, unerträglich findet, benötigt das süße Gift eines zielführenden linearen Allotrias. Weil der Herr, der schon seit 2000 Jahren kommen soll, noch immer ausbleibt, muss seine unerklärliche und skandalöse Fehlleistung durch Ersatz-Erneuerungen ausgeglichen werden. Der Fortschritt der Moderne dient der Kompensation des rätselhaften Ausbleibens des Messias. Um sich ihres bislang falsifizierten Glaubens zu versichern, sind die Frommen gezwungen, ihren Glauben durch eigene Wunder- und Heilstaten selbst zu erfüllen.

Eine mündige und natur-verträgliche Menschheit wird Abschied nehmen müssen von endzeitlichen Verheißungsdrogen einer futuristischen Fata Morgana. Pralle und vitale Gegenwart muss wieder zum Zentrum des irdischen Daseins werden. Carpe Diem ist kein Reigen schnell verderblicher Lust und eines leichtsinnigen Glücks, das in Überdruss und Selbstekel münden muss.

In seiner Ode an Leukonoë hat Horaz das Urgefühl des „Nütze den Tag und erfreue dich der Gegenwart“ hymnisch beschrieben:

„Frage nicht (denn eine Antwort ist unmöglich), welches Ende die Götter mir, welches sie dir, Leukonoë, zugedacht haben, und versuche dich nicht an babylonischen Berechnungen!

Sei nicht dumm, filtere den Wein und verzichte auf jede weiter reichende Hoffnung!
Noch während wir hier reden, ist uns bereits die missgünstige Zeit entflohen:
Genieße den Tag, und vertraue möglichst wenig auf den folgenden
!“

Am Hoffen und Harren – sofern es religiös ist – erkennt man den Narren. Alte heidnische Bauernweisheit.

Das Prinzip Hoffnung wäre nur rational, wenn es keiner automatischen Heilsgeschichte vertrauen müsste. Ernst Blochs marxistisch-messianische Hoffnung schiede somit aus. Erhoffen kann man nur, was der Mensch selbst zu vollbringen gedenkt, um sein irdisches Los zu verbessern.

Horaz hat eschatologische Heilsprophetien (babylonische Berechnungen) abgewiesen. Jede Hoffnung, die durch übernatürliche Mächte verheißen wird, findet bei dem Römer keine Gnade. Sonderlich politisch war er freilich auch nicht. Seine Zeilen klingen reichlich quietistisch. Dennoch treffen seine Reime das Grundgefühl der plenitudo vitae, der Fülle des irdischen Lebens, das keine Angst vor dem Tode hat, weil es rundum gesättigt ist. Und Abraham starb alt und lebenssatt.

Eine volle Gegenwart lässt niemanden hungrig sterben. Angst vor dem Tode ist die giftige Frucht eines verkümmerten und ausgezehrten Lebens. Wer nicht auf seine Kosten gekommen ist, kann nicht in Frieden Abschied nehmen.

Im Hier und Jetzt entscheidet sich die Qualität des Lebens. Was nicht bedeutet, in orgiastischen Exzessen zu leben. Nicht schnell verderbliche Lust, sondern nachhaltige Eudaimonie (Glück) ist das Ziel der Meeresstille der Seele. Sokrates und Epikur waren die Urväter des von Leben vibrierenden Hier und Jetzt. Kein Zufall, dass Epikur jeder Religion die Todesfurcht austreiben wollte. Er war kein Atheist, doch bei ihm spielten Götter keine Rolle im menschlichen Leben:

„Gewöhne dich daran zu glauben, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat. Denn alles, was gut, und alles, was schlecht ist, ist Sache der Wahrnehmung. Der Verlust der Wahrnehmung aber ist der Tod. Daher macht die richtige Erkenntnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, die Vergänglichkeit des Lebens zu einer Quelle der Lust, indem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Verlangen nach Unsterblichkeit aufhebt. […] Das schauerlichste aller Übel, der Tod, hat also keine Bedeutung für uns; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.“ (Epikur)

Überzeugender kann Carpe Diem – als lebenslange Furchtlosigkeit vor dem Tode – nicht formuliert werden.

Zaghafte und ängstliche Seelen fragen: was bleibt, wenn die Hoffnung auf ein jenseitiges Glück ausfällt? Wovon soll ich mich täglich psychisch ernähren? Gibt es einen gleichwertigen Ersatz für einen toten Gott?

Es gibt sogar etwas Besseres: das inständige Erfüllt sein vom Leben, das auch Not und Leid standhalten kann. Das kollektive Carpe Diem der ganzen Menschheit wäre die Utopie.

Die Moderne hasst das erfüllte Leben im Hier und Jetzt. Selbst Aufklärer Kant verhöhnte das „arkadische Schäferleben“. In einem arkadischen Schäferleben würden „bei vollkommener Eintracht, Genügsamkeit und Wechselliebe alle Talente auf ewig in ihren Keimen verborgen bleiben; die Menschen, gutartig wie die Schafe, die sie weiden, würden ihrem Dasein kaum einen größeren Wert verschaffen, als dieses ihr Hausvieh hat; sie würden das Leere der Schöpfung in Ansehung ihres Zweckes, als vernünftige Natur, nicht ausfüllen. Dank sei also der Natur für die Unvertragsamkeit, für die missgünstig wetteifernde Eitelkeit, für die nicht zu befriedigende Begierde zu Haben, oder auch zum Herrschen! Ohne sie würden alle vortrefflichen Naturanlagen in der Menschheit ewig unentwickelt schlummern. Der Mensch will Eintracht, aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist; sie will Zwietracht.“ (Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht)

Das ist der grandiose und höchst zu bedauernde Widerspruch in Kants Denken. Der selbstdenkende Mensch ist kein selbständiger Akteur seiner Geschichte. Die Natur weiß besser, was er nötig hat. Des Menschen Glück besteht im verordneten Unglück, das ihn zur Entwicklung seiner Talente und Anlagen antreibt. Frieden und Glück würden ihn faul und bequem machen.

Mitten in der Aufklärung entdecken wir den Kern der Gegenaufklärung, den Kant von Mandeville und Adam Smith übernommen hatte. Das Böse wird zum Ursprung des Guten.

Im Zuge der Religionskritik wird das Böse entdämonisiert, der Teufel zum Knecht des Herrn der Heerscharen degradiert. In löblicher Absicht, das unerklärbare Böse zu entschärfen, ja, es in gottgewolltes Tun zu verkehren, wird das Satanische zum wesentlichen Motor der Heilsgeschichte. Ohne antreibendes Böses kein Gutes auf der Welt. Mephisto wird zum willigen Gesellen Gottes, um den trägen Menschen zur unermüdlichen Tätigkeit zu anzustacheln:

„Von allen Geistern, die verneinen,

Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.

Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;

Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen.“

Goethe hatte zwei Seiten. Er wusste auch von Lust und Liebe als „Fittiche zu großen Taten“. Doch das ändert nichts am Fazit der ganzen Moderne: ohne Böses keine Dynamik zum Guten, kein Beweggrund zum Fortschritt, kein Antrieb zur Entfaltung des menschlichen Genies.

Nur nebenbei: das Böse als Gutes ist der wesentliche Unterschied zu jeder weiblichen Philosophie, die eine solche Sophisterei nicht kennt. Weshalb Antifeministen jubeln, Frauen seien nicht geniefähig.

Genie ist der vermessene Versuch der Männer, das Böse zum Zweck des kulturellen Fortschritts zu domestizieren. Mit welchem Erfolg? Dass, wie die Moderne zeigt, nicht das Gute das Böse, sondern das Böse das Gute beherrscht. Die Dressur des Teufels im Dienste Gottes wurde vom Teufel auf den Kopf gestellt.

Die Entdämonisierung des Bösen zum Motor des Guten ist auf der ganzen Linie gescheitert. Der Teufel ist ein Tausendkünstiger und hat sich die Maske Gottes vor die Fratze gebunden. Nun kann er seines schrecklichen Amtes walten, immer hinter der Maske des Heils, des Fortschritts, der Nächstenliebe, der Demokratisierung der Welt und der missionarischen Ausbreitung der Menschenrechte.

Faschismus und Totalitarismus sind Heilsideologien, die sich der Mittel des Bösen bedienen – doch von diesen Mitteln selbst überwältigt werden. Das Fazit des Faschismus ist das Böse, das sich als Gutes präsentieren kann.

Auch westliche Demokratien sind von der Pervertierung des Guten zum Bösen, des Bösen zum Guten, nicht frei. Wollen sie der Welt mit Gewalt Menschenrechte und Demokratie bringen, erreichen sie regelmäßig das Gegenteil – ohne die Umkehr von Mittel und Zweck zu erkennen.

Die nichtchristliche Welt aber leidet unter der Heuchelei des Westens und kann nicht verstehen, warum der einst vorbildlich scheinende Westen zum System der Bigotterie wurde.

Würden Frauen und Mütter die Weltregierung übernehmen, wären sie immun gegen das Possenspiel vom scheinbar dienenden Bösen. Wer Leben erschaffen kann, erkennt die Feinde des Lebens unter allen Maskierungen. Solches wissen die Frauen. Leider wissen sie nicht, was sie wissen. Noch fehlt ihnen das Selbstbewusstsein, den Männern die Maske des Guten vom Kopf zu reißen, um den Kern des Bösen frei zu legen.

Der Neoliberalismus ist eine männliche Ideologie, in der das Böse – Egoismus, Gier, die fremdschädigende Rivalität, das Naturzerstören – als Motor zum Guten wirken soll: zum wachsenden Wohlstand der Nationen, zur Verwandlung des Militarismus in friedlichen Tausch und zur gegenseitig förderlichen Kooperation aller Völker. Private Laster werden in öffentliche Tugenden umgetauft.

Die einstige Frage der Theodizee: warum hat Gott das Böse erschaffen? hatte in der Aufklärung die Antwort erhalten: damit das Böse dem Guten dienen kann. Das war die Rechtfertigung des Bösen, die bis zum heutigen Tag die Welt beherrscht.

Doch das Böse geriet außer Kontrolle. Der Knecht überlistete den Herrn und zwang ihn unter sein Joch. Unter dem Vorwand, den Völkern ein wohlständiges und zufriedenes Leben zu bringen, werden in wachsendem Maße Mittel des Bösen eingesetzt, die den guten Zweck längst begraben haben.

Hayek hasste jene Ideologien, die dem Menschen vorgaukelten, das Leben stets vergnüglicher und humaner zu gestalten. Just so, wie Menschen es zu erträumen pflegen. Diese menschenverderbenden Weltanschauungen lehrten die Menschen, „die Gesellschaft so zu gestalten, wie wir wollen.“ Sie würden uns sagen, „was wir tun müssen und tun können, um diese Gesellschaft schöner, vergnüglicher und erfreulicher zu machen.“ Das führe ins Verderben.

Hayek scheut sich nicht, das Gebot der Menschenliebe als wirtschaftliches Gift zu bezeichnen. „Die Maxime „Liebe deinen Nächsten“ spiegelt für ihn lediglich eine tribalistische Wurzel wider (= ein bloßes Stammesverhalten) und kann sich sinnvollerweise nur auf Menschen beziehen, zu denen eine nachbarschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehung besteht. Doch als moralische Grundregel für die Großgesellschaft und abstrakte (= neoliberale) Ordnung ist dieses zentrale Gebot schlichtweg ungeeignet.“ Eine Rückkehr der Menschheit zu den „natürlichen Instinkten“ der Liebe und Solidarität würde „innerhalb einer Generation zum Tode von 99,5 % der Bevölkerung führen.“

Mit anderen Worten: das Gute führt zum Bösen, nur das Böse dient dem Guten. Hayeks Herz würde frohlocken, wenn er heute die weltweiten Früchte seiner Ideologie erleben könnte. Heil der Menschheit, das Böse schreitet voran.

Die Entsorgung des Bösen in der Moderne ist missglückt. Das Mittel hat den Zweck überwältigt. Das Gute ist zum Knecht des Bösen geworden. Das ist der Kern der Moderne.

Eine kurze Zeit dominierte in der Nachkriegszeit das Gute, welches das Böse im Griff zu haben schien. Der Schein trog. Die Menschheit fällt zurück auf unbewältigte theologische und philosophische Probleme der Vorkriegszeit. Der teuflische Geselle arbeitet nicht mehr dem Guten zu. Er hat sich zum Alleinherrscher der Moderne ausgerufen.

Kapitalismus und Moderne sind zur Einheit verschmolzen. Zum Kapitalismus gibt es nur eine Alternative, wenn es eine zur Moderne gibt.