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Alles hat keine Zeit XL

Tagesmail vom 11.11.2020

Alles hat keine Zeit XL,

früher erfanden die Menschen Götter, denen sie alle Verantwortung zuschoben. Heute erfinden sie Maschinen, von denen sie die Lösung all ihrer Probleme erwarten.

Götter vereinigten sich zu Erlösern, die alles konnten – und die Menschen zu Nichtskönnern verurteilten. In Erlösungsreligionen verschmolzen alle Götter zu einem einzigen allmächtigen, allwissenden Gott, der den Menschen zu einem ohnmächtigen und ignoranten Nichts erniedrigte.

Eine Zusammenarbeit zwischen Gott und Menschen war ausgeschlossen. Der Mensch musste sich vollständig ergeben, ja sich auslöschen, um auf Gottes Zuwendung hoffen zu dürfen.

Unfehlbar war diese Methode nicht, denn Gottes Zuwendung war un-verdiente Gnade. In der Vorherbestimmungslehre Calvins ereignete sich die Erwählung der Menschen schon vor Erschaffung der Welt. Mit ihren Fähigkeiten oder Charaktereigenschaften hatte die Erwählung nichts zu tun. Die Katholiken ließen eine bestimmte Mitarbeit des Menschen zu, ein Recht auf Gnade gab es bei ihnen gleichwohl nicht.

Erlösung ohne Macht über Himmel und Erde ist ausgeschlossen. Der Fortschritt der westlichen Geschichte bestand in technischer Eroberung jener Macht, die der Mensch dem Erlösergott zugeschrieben hatte. Fortschritt wurde zur Selbstvergottung des Menschen.

Sollte es dem Menschen gelingen, Herrscher Himmels und der Erde zu werden: welcher Kraft hätte er seine Gottwerdung zu verdanken?

Seinem Glauben. Glauben heißt, sich etwas Wünschenswertes auszudenken und das Wünschenswerte und Ausgedachte für real zu halten.

Am Anfang war eine Not. Selbstgemachte Probleme waren über den Menschen so furchterregend hereingebrochen, dass er vollständig kapitulierte. Doch die Kapitulation, in der er den Glauben an sich selbst verlor, bestärkte ihn in einem neuen Glauben: im Glauben an übermenschliche Wesen und Götter, die ihm zu Hilfe eilen würden, wenn er sie anbetete und um Hilfe anflehte.

In der ersten Phase der Religionsgeschichte waren Götter Symbole der Natur, die er rühmte und bewunderte. Indem er sie anbetete, betete er die Natur an.

In der zweiten Phase genügten die Naturgötter nicht mehr. Wäre der Mensch in hoffnungslose Not geraten, wenn sie existiert hätten? Das Fiasko des Menschen wäre nicht eingetreten, hätte die Natur den Menschen tatsächlich geholfen.

Die Menschen mussten sich etwas Besseres einfallen lassen als ihr Vertrauen in die Natur.

Sie mussten eine Übernatur erfinden oder einen Gott, der über der Natur stand, sie erschaffen hatte und nach Belieben beherrschte.

Das ursprüngliche Vertrauen des Menschen in die Natur wurde so beschädigt, dass er sie zu hassen begann. Aus Hass gegen die Natur wurde die Übernatur zu einer allmächtigen Instanz, die sie zu Nichts erniedrigte, aus Nichts erschuf und eines Tages wieder ins Nichts zurückbefördern würde.

Schon die Erschaffung der Natur ex nihilo war eine unerhörte Degradierung. Einst wurde die Natur als allmächtige verehrt, die seit ewigen Jahren bestand und ewig bestehen würde. Aus der Schöpferin aller Dinge wurde ein minderwertiges Geschöpf, das eine begrenzte Zeit Schauplatz des menschlichen Geschicks wurde. Danach hatte die Magd ihre Dienste getan: sie konnte gehen.

Die neue Übernatur, verkörpert in einem männlichen Gott, war aus der Kraft des Glaubens geboren worden. Der Mensch machte die Erfahrung, dass sein Glaube so mächtig war, dass die Inhalte seines Fürwahrhaltens sich verhielten, als ob sie real wären. Aus einem Als-Ob wurde umso schneller ein Dass, je erfolgreicher jene Völker waren, die an das Dass glaubten.

Hier beginnt der Triumphzug des Christentums über das untergehende Rom, das aufgehende Europa und über die ganze Welt. Der Erfolg gab dem Glauben Recht. Europa begann seinen Siegeszug über die Völker der Erde.

Spätestens im Mittelalter begann der Erfolg zu bröckeln. Die Wiederkehr des Herrn blieb aus. Wie oft glaubten die Europäer, im letzten Jahr der Geschichte angekommen zu sein – vergebens. Das Warten zermürbte sie, bis sie auf die Idee kamen, ihre Passivität in Tätigkeit zu verwandeln. Die Grundlagen der griechischen Wissenschaften nutzten sie, um Erkennenwollen in Herrschenwollen, oder Wissen in Macht zu verwandeln.

Der Mönch Roger Bacon wurde zum Vorläufer seines Landsmanns Francis Bacon, der das macht- und nutzlose Erkennen der Griechen verachtete. Er prägte die Wissenschaft der Moderne: durch Gehorsam zum Sieg, durch Unterwerfung unter die Naturgesetze zur Beherrschung der Natur. Wissen ist Macht.

Anfänglich eine phänomenale Strategie. Christen eroberten mit Jesu Wort und überlegener Technik Natur und die Menschheit. Doch bald dämmerte es den gläubigen Welteroberern, dass ihre Machtmethoden in Ohnmacht umkippen würden.

Die eroberten Heiden erkannten schnell das Unheil der westlichen Verwüstungen. Um nicht unterzugehen, waren sie gezwungen, dem Unheil contre coeur zu folgen. Spätestens nach den zwei Weltkriegen wurde unmissverständlich klar, dass die untertänig-scheinende Dominanz über die Natur zur absoluten Niederlage führen würde.

Erneut musste der Christ gen Himmel flehen: aus tiefer Not schrei ich zu dir. Was war geschehen?

Nicht nur der Glaube an einen Gott, auch der selbsterfüllende Glaube an den gottähnlichen Fortschritt entpuppte sich als Fiasko.

Glaube I hatte die Gläubigen in totaler Abhängigkeit von einem Erlösergott gefangen genommen.

Glaube II hatte den Menschen zwar die technische Weltbeherrschung beschert. Doch der Hunger nach Allmacht ließ die Gattung alle Grenzen überwinden und durch Größenwahn alles zerstören, was sie erobert hatte.

Es war der Glaube, der die Europäer zur Weltherrschaft trug. Während Glaube I noch im Bereich des Harrens und Betens verblieb, wurde Glaube II – zum Placebo des Fortschritts. Ein Placebo ist nichts als ein Glaube:

„So ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so mögt ihr sagen zu diesem Berge: Hebe dich von hinnen dorthin! so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein.“

Seit dem Siegeszug des Glaubens an den Fortschritt versetzen sie Berge, vernichten Tiere und Pflanzen und heizen die Erde zum glühenden Planeten auf. Die Verwandlung des Glaubens in technische Realität erschuf die Illusion eines Glaubens, dem nichts unmöglich ist. Die Techniker benötigten keine göttliche Zwischeninstanz mehr, um sich ihre technische Grandiosität zu beweisen.

Credo, ut intelligam, ich glaube, um zu erkennen, Anselms Glaubensformel des Mittelalters, wurde zum Paradigma des modernen Lebens: ich denke, also bin ich (Descartes), wahr ist, was der Mensch gemacht hat (Vico: verum, quia factum). Fichte ist der Höhepunkt der „subjektiven“ Selbstkrönung des Menschen: das Ich setzt die Welt. Nietzsches Wille zur Macht war nur eine müde Spätformel eines Glaubens an die eigene Gottähnlichkeit:

„… Diese meine dionysische Welt des Ewig-sich-selber-Schaffens, des Ewig-sich-selber-Zerstörens … dies mein Jenseits von Gut und Böse, ohne Ziel, wenn nicht im Glück des Kreises ein Ziel liegt … Wollt ihr einen Namen für diese Welt? … Ein Licht für euch, ihr Verborgensten, Stärksten, Unerschrockensten, Mitternächtlichsten? … Diese Welt ist der Wille zur Macht – und nichts außerdem! Und auch ihr seid dieser Wille zur Macht – und nichts außerdem!“

Das einzig Heidnische an Nietzsche war die Abwendung von der linear-apokalyptischen Geschichte und ihre Umwandlung in ewige Wiederholung des Gleichen.

Da der Glaube an den Erlöser unmöglich ist ohne Glauben an dessen Widersacher, wurde der Satz: ich glaube, also bin ich, tue ich, schaffe ich eine neue Welt, in den Glauben an den Widersacher verkehrt: ich glaube, also hasse und zerstöre ich. Aus Enttäuschung auf das Warten des Christus wurde ein unheiliger Zorn auf das Seiende, das man mit allen Mitteln zu zerstören droht, doch vergeblich. Hier schlägt die Stunde Mephistos:

Das Etwas, diese plumpe Welt,
So viel als ich schon unternommen,
Ich wußte nicht ihr beyzukommen,
Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand,
Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
Und dem verdammten Zeug, der Thier- und Menschenbrut,
Dem ist nun gar nichts anzuhaben,
Wie viele hab’ ich schon begraben!
Und immer zirkulirt ein neues, frisches Blut.
So geht es fort, man möchte rasend werden!

Moderner Fortschritt ist wie ein Höllenduett mit Faust und seinem alter Ego: was der Eine erbaut, reißt der Andere ein. Die verruchten Absichten des Einen werden vollstreckt durch die böse Kompetenz des Anderen.

Fortschrittler der Gegenwart, allesamt gute Menschen, wollen mit himmlischen Algorithmen die Probleme der Welt lösen – mit einer Technik, die wenige Probleme löst und eine Fülle neuer Probleme erzeugt. Je jesuanischer ihre winzigen Problemlösungen, je antichristlicher die Sintflut neuer, alles überschwemmender Weltuntergangsprobleme.

Glaube I hatte alle Verantwortung an eine fremde, scheinbar allmächtige Instanz verwiesen, die man sich in phantastischen Träumen ausgedacht hatte.

Glaube II verwies alle Verantwortung an eine fremde Instanz, die zwar technische Realität wurde, aber unfähig war, das Fortschrittsparadox zu überwinden: zwei Schritte vor, drei zurück. Vernarrt in die Genialität der eigenen Kreativität, ist die Menschheit unfähig geworden, das finale Trümmerfeld wahrzunehmen, das der Fortschritt im exponentiellen Tempo hinterlässt.

Ziel von Glaube I war das apokalyptische Ende mit Triage in Gerettete und Verdammte.

Ziel von Glaube II war das Reich Gottes auf Erden mit Scheidung der Menschheit in wenige Milliardäre und endlos viele Überflüssige.

Absolute Not und Macht sind Zeugungskräfte des religiösen Glaubens in allen Variationen: vom bloßen Glauben an fremde Allmacht bis zur technischen Realisierung menschlicher Grandiosität.

Der Glaube an den eigenen Gott, den eigenen technischen Fortschritt ist nichts anderes als ein – Placebo.

Glaube I an den unsichtbaren Gott ist ein esoterisches Placebo, er ist nur Eingeweihten zugänglich. Glaube II als konkreter Fortschritt ist allen Menschen zugänglich, aber nur im Modus des Werdens, dessen Ziel erneut esoterisch ist. Nur wer an die Grandiosität des Menschen glaubt, glaubt an die futuristische Kompetenz von Silicon Valley, alle irdischen Probleme zu lösen, ins Universum vorzudringen und Unsterblichkeit zu erringen.

Der Glaube an den Menschen, dessen Gottähnlichkeit eine glänzende Zukunft bevorsteht, ist eine – Verschwörungstheorie. Es muss jemanden geben, der das Geschick des Menschen bestimmt: sei es Gott oder Mensch.

Esoterik und Verschwörungstheorie sind just die Vorwürfe der Platzhirsche an jene pöbelhaften Randläufer der Gesellschaft, die den Unmut über ihre Bedeutungslosigkeit nicht anders formulieren können als in wirren Hypothesen über die Verantwortlichen der Geschichte.

Eine Verschwörungstheorie ist eine rationale Ursachensuche über die Verantwortlichen und Mächtigen der Geschichte – mit irrationalen Hypothesen, die keiner Falsifikation standhalten.

Esoterik ist der Verschwörungsglaube, dass Mächte, die sich dem allgemeinen Verstand entziehen und nur eingeweihten Gläubigen zugänglich sind, das Geschick der Menschheit bestimmen.

Die Mächtigen Deutschlands entlasten sich, indem sie ihre Ideologien verleugnen und auf jene Unterschichten projizieren, die mit der Lenkung des Menschengeschlechts am wenigsten zu tun haben. Es ist dasselbe Sündenbock-Spiel, mit dem Gott die Mängel seiner Schöpfung ausgerechnet seinen Geschöpfen in die Schuhe schiebt.

Popper hat seine Version der Verschwörungstheorie in seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ beschrieben:

„Diese Theorie behauptet, dass die Erklärung eines sozialen Phänomens in dem Aufweis der Menschen und Gruppen besteht, die am Eintreten dieses Phänomens ein Interesse haben (dieses Interesse ist manchmal verborgen und muss erst enthüllt werden) und die zum Zwecke seiner Herbeiführung Pläne gemacht und konspiriert haben.“

Man möchte es nicht glauben, so aberwitzig ist die Behauptung, dass es keine Menschengruppen gäbe, die offen oder konspirativ die Weltherrschaft anstreben. Das gehört zum Einmaleins des Kapitalismus. Nestle spricht vom Naturrecht der Starken, die alles unternähmen, um die „demokratische Pöbelherrschaft“ zu zerschlagen. Gibt es einen einzigen Kapitalismustheoretiker, der nicht die offene oder heimliche Absicht gewisser Leute unterstellt, mit Hilfe des Geldes, der Technik oder politischer Indoktrinationen das Geschick der Menschen zu bestimmen?

Nehmen wir einen Klassiker:

„Leute der gleichen Handelsbranche treffen sich selten, sei es selbst zum Vergnügen oder zur Zerstreuung, ohne daß die Unterhaltung in einer Verschwörung gegen das Publikum oder in einem Plan endet, die Preise zu erhöhen.“ (Adam Smith)

Nehmen wir einen aufmerksamen Zeitgenossen:

„Es gibt tatsächlich Leute, die gern wieder mehr FCKW in die Atmosphäre pumpen möchten. Und Leute, die bereit sind, das wieder möglich zu machen. Raten Sie mal, wer das sein könnte. Richtig: Donald Trump. Seine Regierung hat die US-Umweltbehörde EPA gezielt verkrüppelt und zu einer Art Anti-Umweltbehörde pervertiert. Diese Trump-EPA hat schon vor Jahren aufgehört, bestimmte Einschränkungen des Einsatzes von FCKW wirklich durchzusetzen. Im März 2020 legte die Behörde nach und fuhr Regeln zurück, die Lecks von Ozonloch-fördernden Substanzen verhindern helfen sollen. – Einer der beiden (Trump oder Biden) arbeitet bewusst daran, den Planeten unbewohnbar zu machen.“ (SPIEGEL.de)

Adam Smith und Christian Stöcker müssten geisteskrank sein, wenn sie bestimmte Gruppen ohne Beweise beschuldigen würden, das Land oder gar die Welt entweder zu beherrschen – oder zu zerstören. Unendliche Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart belegen diese Behauptungen.

In der Tat: Verschwörungstheorien sind Hypothesen zur Entlastung der individuellen Ignoranz – oder zur „Reduktion der kognitiven Dissonanz“. Früher nannte man das Erkenntnistrieb, den wichtigsten Teil des menschlichen Geistes. Der Trieb folgte der ehernen Devise: nichts ohne Ursache. Die Welt besteht aus Ursachen. Zufälle sind meistens nichts anderes als unbekannte oder überlagerte Ursachen.

Selbst Newton und Einstein begannen mit „Verschwörungstheorien oder Hypothesen, die sie im zweiten Schritt beweisen mussten. Unbewiesene Hypothesen waren Vermutungen, die richtig oder falsch sein konnten. Wie oft sind bedeutende Wissenschaftler von Kopernikus bis Heisenberg für verrückt erklärt worden, weil sie scheinbar groteske Vermutungen äußerten. Heute hält man diejenigen für verrückt, die die Quantentheorie – oder die Theorie von den Schwarzen Löchern – für verrückt erklären würden.

Grundsatz des rationalen Erkennens lautet: Alles hat eine Ursache, ob wir sie erkennen oder nicht. Ganz gewiss im menschlichen Bereich. Trump ist kein Antichrist, die „Klimaskeptiker“ sind skrupellos und geldgierig, aber keine Dämonen.

Jedes Erkennen ist eine Entlastung ignoranter Wirrnisse im Kopf des Neugierigen und Wissenwollenden.

Wie erklärt Popper die Entstehung einer Verschwörungstheorie?

Sie sei die irrtümliche Theorie, dass alle „Vorgänge innerhalb einer Gesellschaft – insbesondere Kriege, Arbeitslosigkeit, Armut, Mangelerscheinungen, also Vorgänge, die die Menschen in der Regel unangenehm finden – das Ergebnis eines direkten Plans von seiten gewisser mächtiger Individuen oder Gruppen sind.“

Diese Denkweise sei das „typische Ergebnis der Säkularisierung eines religiösen Aberglaubens. Die Götter sind abgeschafft. Aber ihre Stelle nehmen nun mächtige Männer oder Gruppen ein – unheilvolle Druckgruppen, deren Bosheit für alle Übel verantwortlich ist, unter denen wir leiden – wie die Weisen von Zion, die Monopolisten, die Kapitalisten oder die Imperialisten.“

Schon ein starkes Stück, antisemitische Verschwörungstheorien gleichzusetzen mit kapitalismuskritischen Theorien. Gibt es keine Monopolisten, Kapitalisten oder Imperialisten?

Rationale Hypothesen unterstellen keinem Schuldigen böse Motivationen. Das tun nur Fromme, die an Gott und Teufel glauben. Fast alle Bösewichter wollen – bis zum Beweis des Gegenteils – das Gute. Was aber das Gute ist, darüber muss in Demokratien gestritten werden. Wird das Moralische verhöhnt, kann auch das Amoralische nicht definiert werden.

Festhalten, nun kommt der gewaltige Widerspruch:

„Ich will damit nicht sagen, dass sich Verschwörungen niemals ereignen. Im Gegenteil: Verschwörungen sind ein typisches soziales Phänomen. Es muss zugegeben werden, dass die Struktur unserer sozialen Umgebung in gewissem Sinne vom Menschen geschaffen ist, dass ihre Institutionen und Traditionen weder das Werk Gottes sind noch das Werk der Natur, sondern das Ergebnis menschlicher Entschlüsse, die geändert werden können. Aber das bedeutet nicht, dass sie alle bewusst geplant wurden.“

Viel Aufwand um nichts. Wer behauptet, dass menschliche Pläne und Konspirationen bewusst sein müssen? Einiges wird bewusst sein, das meiste könnte dem Dunkel der menschlichen Seele entstammen.

Worauf will Popper hinaus? Er will Utopisten das Handwerk legen, die das Himmelreich auf Erden errichten wollen und – bei Nichtgelingen – die Anklage erheben, der Teufel habe ihre Pläne durchkreuzt. Poppers Irrungen und Wirrungen haben einen nennbaren Grund: er kann nicht unterscheiden zwischen rationalen Utopien und theokratischen Beglückungszwängen.

Vor allem sollte man versuchen, wirre Thesen zu verstehen, ihre rationalen Teile von den irrationalen zu trennen. Nur potentielle Fehlschlüsse und falsche Fakten sollte man widerlegen – mit Beweisen und Argumenten per favore. Bill Gates mag an Corona unschuldig sei, dass er aber über außerordentliche Macht über den Gesundheitssektor der Welt verfügt, das ist in jeder Gazette nachzulesen. Demonstranten sollte man nicht vorwerfen, dass sie das wirre Weltgeschehen verstehen wollen, um sich von ihren inneren Spannungen zu befreien. Im Gegenteil: die Suche nach Ursachen ist immer löblich und rational. Nur potentielle Fehler sollte man – mit Belegen bitte – mit Kritik begegnen.

Wie oft geschieht es, dass Kritiker bestimmter Verschwörungstheorien arrogant und ohne jeden Beweis davon ausgehen, dass das Gegenteil der Verschwörungstheorien richtig sein müsse.

In Wirklichkeit sind nicht Verschwörungstheoretiker die Gefährlichsten unserer Zeitgenossen, sondern diejenigen, die alle Schuld- und Verantwortungssuche dem öffentlichen Streit entziehen wollen.

Poppers Fehlleistung ist nur dadurch zu erklären, dass er sich von Hayeks Gegenaufklärung nicht frei machen konnte. Für Hayek gibt es keine Vernunft, die das Geschehen der Zeit verstehen könnte. Schuld und Verantwortung gibt es nicht auf der Welt. Wer soll dann, bitte, noch zur Verantwortung gezogen werden? Die Mächtigen können machen, was sie wollen: alles ist gut. Ein Minister Scheuer kann seit Jahren verlogene Politik betreiben und sich dennoch weigern, Auskunft über seine Machenschaften abzulegen. Keine Rüge von Merkel.

 Und Merkel? Beteuert unermüdlich ihre hehren Absichten – und tut das Gegenteil:

„Deutschland hat das Pariser Klimaabkommen beschlossen und danach aber weitere Verträge beschlossen, die seine Einhaltung unmöglich machen.“ (ZEIT.de)

Hat die Kanzlerin jemals ihre Widersprüche zwischen Beteuern und Handeln in der Öffentlichkeit verantworten müssen? Die Deutschen tragen sie auf Fittichen ins Himmelreich, damit sie ihre Untertanen noch lange in den Schlaf der Gerechten singen kann. Der Begriff Klima fällt seit Wochen nicht mehr.

Fortsetzung folgt.