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Tagesmail

Edathy zum Zweiten

Hello, Freunde der ESPEDE,

die SPD-Spitze wirft dem Ex-Bundestagsabgeordneten „eine schwere Schädigung“ der Partei vor.

„Dieser Schaden ist nicht etwa zivilrechtlich zu verstehen, sondern politisch, als Beeinträchtigung des Ansehens der Partei in der Öffentlichkeit, Gefährdung ihrer Kampagnenfähigkeit oder ihres inneren Zusammenhalts und die Beeinträchtigung ihrer Glaubwürdigkeit“, heißt es in der dreiseitigen Begründung für das von der Parteiführung angestrebte Ordnungsverfahren. „Durch die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, die der Vorfall schon jetzt hat, ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich dieser Schaden noch vergrößert.“

So ein SPIEGEL-Bericht über ein Parteiausschlussverfahren gegen Ex-Bundeskanzler Schröder, der das Völkerverbrechen seines Freundes und lupenreinen Demokraten Putin mit Stillschweigen billigt und die Partei durch seine geschäftlichen Verflechtungen mit Gazprom dem Verdacht der schweren Korruption aussetzt. Ein deutscher Elder Statesman verkauft seine politische Integrität gegen sibirische Rubel? Zu Recht setzt die Partei ein energisches Zeichen, wenn sie den Emporkömmling, der seiner Karriere moralisch nicht gewachsen ist, exkommunizieren will. (DER SPIEGEL)

Upps, kleines Missgeschick, die Partei will nicht Schröder an die Luft setzen, sondern – wen eigentlich? Sarrazin wegen parteischädigender IQ-Rassismus-Thesen?

 [Nur nebenbei: es genügt nicht, Daten aus wissenschaftlichen Büchern blind abzuschreiben. Man sollte sich auch anschauen, nach welchen Theorien Daten gesammelt werden. Seit Aufkommen massenhafter Intelligenz-Tests – im Ersten Weltkrieg in der amerikanischen Armee – wurden sie vom Vorwurf rassistischer Hetze begleitet. Nicht zu Unrecht.

Wie nicht anders zu erwarten, kamen die weißen Tester zum Ergebnis, dass die schwarzen Boys wesentlich unintelligenter seien als ihre weißen Kameraden. Simpler kann der Grund nicht sein. Fragt man Intelligenzmesser, was sie unter Intelligenz verstehen, sagen sie kalt lächelnd: Intelligenz ist, was der IQ-Test misst. Mit anderen Worten, Intelligenz ist, was die weißen Herren darunter zu verstehen belieben.

Intelligenz ist nicht kulturunabhängig. Die Überlebenskunst eines Indianers im Urwald wird von keinem angelsächsischen Intelligenztest erfasst. Ein weißer Naturverwüster ist in den Augen eines Eingeborenen so selbstmörderisch dumm wie umgekehrt der Indio in den Augen eines New Yorkers rettungslos borniert ist, da er nicht mal weiß, wie man einen Kaugummiautomaten bedient.

Nach Max Weber sind Mitglieder einer Hochkultur wesentlich dümmer als die eines naturnahen Stammes, in dem jedes Mitglied alles weiß, was im Stamm gewusst und gekonnt werden kann. Im Gegensatz zu Herrn S. in Berlin, der nicht nur unfähig ist, wertlose Geldanleihen zu durchschauen, sondern 99, 9% alles Wissbaren seiner hochtechnischen Zivilisation nicht kennt. Proportional ist er – verglichen mit dem Indio, der alles Wissen und Können seines Stammes in sich vereinigt – der Debilität nahe.

In handelsüblichen IQ-Tests werden Schlauheiten technophiler Bürgerschichten abgefragt. Man schaue sich nur mal die Liste der IQ-Giganten an. Wie viele kreative Wissenschaftler, Künstler, Literaten oder bewiesene Menschenfreunde sind darunter? Alles nur artgemästete Jauch-Kameraden. Geisteswissenschaftliche Kompetenz wird wegen mangelnder quantitativer Eindeutigkeit in hohem Maße ausgeschlossen.

Es wäre ein Leichtes, mit ad personam konstruierten IQ-Tests jedes Hochkulturgenie als Kretin zu entlarven.

Wer nachplappert, Einwanderer seien dümmer als Hochzivilisierte, der ist massiv rassismusverdächtig und sollte aus einer demokratischen Partei ausgeschlossen werden.

Zur erwartbaren Intelligenz eines Politikers sollte das Wissen gehören, wie dumm standardisierte Tests und wie borniert Wissenschaften sind, die mit quantitativen Verrenkungen tun, als hätten sie das objektiv nachrechenbare Niveau der Physik und Mathematik erreicht. (Studium der Psychologie, zweites Semester im Fach Statistik.)]

Oder soll gar Gabriel selbst an die frische Luft gesetzt werden wegen Belügens der Öffentlichkeit? Im Wahlkampf wollte die SPD die Energiekosten für die Bevölkerung senken und für die Industriegiganten erhöhen. Nach der Wahl macht kleines dickes Ministerlein das Gegenteil. Jeder simple Wahrheitstest würde Mamas neuen Liebling ins Schwitzen bringen.

Womit wir trickreich zum Fall Edathy, Teil zwo, gekommen wären. Der erste Teil – siehe die Tagesmail vom 20.03.2014 – endete mit dem rechtlichen Fazit: was nicht verboten ist, ist erlaubt. Das ist auch die Summa des Richters Fischer vom Bundesgerichtshof, der sich in der ZEIT für die öffentliche Hetze bei Edathy entschuldigte:

„Man wagt es kaum zu sagen: Vielleicht sollte sich der Rechtsstaat – jedenfalls vorläufig, bis zum Beweis des Gegenteils – bei dem Beschuldigten Sebastian Edathy einfach entschuldigen. Er hat, nach allem, was wir wissen, nichts Verbotenes getan. Vielleicht sollten diejenigen, die ihn gar nicht schnell genug in die Hölle schicken wollen, vorerst einmal die eigenen Wichsvorlagen zur Begutachtung an die Presse übersenden. Vielleicht sollten Staatsanwaltschaften weniger aufgeregt sein und sich ihrer Pflichten entsinnen. Vielleicht sollten Parteipolitiker ihren durch nichts gerechtfertigten herrschaftlichen Zugriff auf den Staat mindern. Vielleicht sollten aufgeklärte Bürger ernsthaft darüber nachdenken, wo sie die Grenze ziehen möchten zwischen Gut und Böse, zwischen dem Innen und Außen von Gedanken und Fantasien, zwischen legalem und illegalem Verhalten.“ (Bundesrichter Thomas Fischer in der ZEIT)

Moral ist mehr als Recht. Eine rechtliche Beurteilung ist das Mindestmaß an moralischer Beurteilung. Eine moralische Bewertung darf sich mit juristischer Korrektheit nicht begnügen, sondern muss alle Aspekte eines Problems einbeziehen und bewerten. Eine öffentliche Debatte sollte die rechtliche und moralische Beurteilung streng unterscheiden, auf Paragraphen aber muss sie sich nicht reduzieren lassen.

Ob eine Partei sich mit rechtlichen Bewertungen begnügt oder sie moralisch ausdehnen will, muss sie selbst entscheiden. Wenn sie aber moralische Kriterien zugrunde legt, sollte sie all ihre Mitglieder nach gleichen Maßstäben beurteilen und nicht willkürlich schwarze Schafe heraussuchen, die für die Sünden der Gesamtpartei büßen müssen.

Nimmt man strenge Maßstäbe – keinem Mensch darf Unrecht angetan werden – sieht‘s duster aus mit der traditionsreichen Partei, die sich in toto selbst entlassen oder auflösen müsste. Denn sie hat als Partei willentlich die Schwächsten der Gesellschaft zu Schuldigen ihres Schicksals gemacht und die von Eliten verursachten Finanzkrisen jenen aufgebürdet, die mangels Macht am wenigsten Verantwortung tragen.

Blaming the victims: die Opfer des Elends wurden durch Hartz4-Gesetze zu Verursachern ihres Elends gestempelt. Seit es Reichtum und Armut gibt, haben es die Reichen verstanden, die Ursachen der Ausbeutung den Ausgebeuteten selbst in die Schuhe zu schieben. Übliche Vorwürfe: die Armen sind träge und faul und wollen nicht tun, was die Reichen von ihnen fordern.

Das Christentum macht hier – trotz gegenteiliger Propaganda – keine Ausnahme. Aus einem renommierten Theologenlexikon (RGG): Die Bibel kann „in der Armut ein selbstverschuldetes Übel sehen. (Folge von Faulheit. Sprüche 6, 6 -11; 24, 30 – 34; von Zuchtlosigkeit: Sprüche 13, 18; von Genusssucht: Spr. 21, 17; 23, 21) Aber auch ein Handeln Jahwes zur Prüfung: Hiob 1, 13 – 21; zur Läuterung: Hi 36, 15. Das Matthäusprinzip lautet: wer hat, dem wird gegeben. Wer nicht hat, dem wird genommen, was er hat.

„Geh zur Ameise, du Fauler,

sieh dir ihre Wege an, und werde weise.

Obwohl sie keinen Anführer hat,

keinen Aufseher und Herrscher,

sorgt sie im Sommer für ihr Futter,

sammelt sie in der Erntezeit ihre Nahrung.

Wie lange, du Fauler, willst du liegen bleiben?“ (Spr. 6,6 ff)

Die Verse könnten vom obersten Armenbeleidiger Schröder sein, der als Vertreter der Proleten die Verwegenheit besaß, die Unschuldigsten zu den Schuldigsten der Finanzkrise zu dämonisieren.

Wer Hartz4 erhält, lebt in permanenter Kränkung, sein ganzes Leben ist ein offener Strafvollzug (Götz Werner). Jedes von Beamtengöttern definierte Fehlverhalten wird unnachsichtig mit Geldminderung „bestraft“, obgleich die staatliche Unterstützung ohnehin nur das Minimum des Überlebens sichern soll und beileibe nicht die ungekränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

(Inzwischen gibt es die bewundernswerte Inge Hannemann, die sich gegen den Bestrafungsterror der Ämter zur Wehr setzt.)

Seit wann sind Deutsche faul? Ist etwa ein Kulturbruch eingetreten? Gibt es nicht genug empirische Untersuchungen, die nachweisen, wie sehr Abgehängte darunter leiden, dass sie nicht mehr gebraucht werden?

Man kann Deutschen vieles vorwerfen. Etwa ihre unterentwickelten Fähigkeiten, Startup-Unternehmen zu gründen und sich selbständig zu machen. Dass sie in ihrer eher antikapitalistischen Sozialisation nicht lernten, unternehmerische Risiken auf sich zu nehmen. Dass ihr lutherischer Malochergehorsam – jeder bleibe in dem Stand, in den Gott ihn berufen hat sie zu passiven Arbeitsplatz-Erwartern machte und nicht – wie im Amerikanischen – zu selbstbewussten Moneymakern.

Man kann ihnen aber nicht vorwerfen, sie seien faul und träge. Hier beging die gesamte Proletenpartei – nur, um ihren eigenen Hintern zu retten – einen unfassbaren Verrat an ihren Schutzbefohlenen.

Diese Partei ist keine Partei mehr der Schwachen und Abgehängten, sondern eine rückgratlose Mitläuferhorde der Eliten. Um Heraklit abzuwandeln: diese Partei sollte sich Mann für Mann und Frau für Frau aus der Partei entlassen und sich fortan ihres Lebens schämen. Alle europäischen Linksparteien haben sich skandalös von der neoliberalen Konjunkturwalze überrollen lassen. Den Titel „sozial“ in ihrem Parteinamen zu führen, haben sie jedes Recht verloren.

Was hat das alles mit Edathy zu tun?

Rechtlich ist Edathy nichts vorzuwerfen – aber hat er seinen eigenen moralischen Vorstellungen Genüge getan? Hat er sich nach den Bedingungen erkundigt, unter denen die Kinder abgelichtet wurden? Wer moralisch sein will, kann sich mit rechtlicher Unbedenklichkeit nicht zufrieden geben. Kann er verantworten, dass Kinder einem kommerziellem Zweck unterworfen wurden, zu dem sie nicht gefragt wurden und der auf keinen Fall das Wohl der Kinder beabsichtigte?

Es geht um das Wohl der Kinder. Wussten sie, was der Fotograf, der sich in ihr Vertrauen schlich, mit den Fotos beabsichtigte? Wussten es die Eltern der Kinder, die das Fotografieren zuließen? Gab es ein klammheimliches Einverständnis zwischen Fotograf und Eltern, die – wahrscheinlich aus Armutsgründen – sich mit Hilfe ihrer Kinder ein bisschen Geld hinzuverdienen wollten?

Hätten Kinder möglicherweise dem Zweck selbst zugestimmt, wenn sie auf diese leichte Weise ihren Eltern nützen konnten? Es wäre nicht die erste Kinderarbeit auf der Welt, die den Eltern der Kinder das Überleben sicherte.

Was sind das für Pest- und Cholera-Verhältnisse auf der Welt, wenn man Kinder vor Ausbeutung schützen will, deren Eltern aber gleichzeitig ins Elend stürzt, weil nur die Fron ihrer Kinder sie notdürftig am Leben erhält?

Ob Edathy die Kinder in Absentia zu sexuellen Aktivitäten benutzt, ist vergleichsweise harmlos, gemessen an der wichtigeren Frage, ob er sie zu verdinglichten Objekten machte und nicht nach ihrem Schicksal fragte. Diesen Kindern wurde das Recht genommen, über ihren Leib in abgelichteter Form selbst zu bestimmen. Im selben Sinn, wie die NSA den Erwachsenen das Recht nimmt, über ihre Äußerungen und privaten Daten selbst zu bestimmen.

Nun haben wir den sonderbaren Fall, dass eine Partei, der das Schicksal gedemütigter Hartz4-Kinder gleichgültig ist, einen Mann aus ihren Reihen werfen will, dem das Schicksal von Kindern, die er zu privaten Zwecken instrumentalisierte, gleichgültig zu sein scheint. Richtig heißt es in dem Rauswurfpapier der SPD:

“Auf die Frage der Legalität „kommt es hier nicht an“. Auch legale Nacktaufnahmen könnten die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder gefährden.“ Das könnten sie.

Doch die Degradierung von Eltern zu faulen und trägen Sozialempfänger könnten nicht nur Eltern und Kinder gefährden, sie gefährden sie mit nachweisbarer Sicherheit. Haben Kinder verdient, in verächtlicher Armut zu leben, von reicheren Mitschülern geschnitten zu werden, nicht dieselben Schulen besuchen zu dürfen, früh aussortiert zu werden, um die verächtliche Klasse der Armen nicht austrocknen zu lassen, die die ehrenwerten Bürger dieser Gesellschaft nötig haben, um den Kontrast narzisstisch zu genießen?

Und die ehrenwerte Proletenpartei macht an diesem Armenbashing nicht nur mit: sie ist an vorderster Stelle mit verblendetem Furor dabei. Das ist nicht mehr unmoralisch, das ist schändlich.

Das Recht der Kinder auf freie Selbstentfaltung wird in unserer Gesellschaft mit Füßen getreten. Gelegentlich sind königliche Füße darunter.

Kennen Sie den deutschen Unternehmergiganten Karlheinz Kögel (L’Tur, Media Control), der illustre Menschen mit dem Medienpreis auszeichnet, damit die glanzvolle Auszeichnung Licht auf ihn und sein Unternehmen werfe?

Heuer war es Königin Máxima aus Holland, die nach Baden-Baden eingeflogen wurde, um für ihre caritativen Welterrettungstaten huldvoll eine Keramikfigur mit durchlöcherten Flügeln entgegenzunehmen. (Ein Vogel mit durchlöcherten Flügeln ist eine lame duck oder eine gerupfte Ente.)

Zum Diner mit Johannes B. Kerner als Mikrofonträger der Majestät wurden auch Kinder geladen – um sie zu Dekorzwecken zu missbrauchen und sie als unpolitische und kritiklose Claqueure vorzuführen:

„Bloß keine P-Fragen! Also nichts Privates. Und nichts Politisches. Das war den 160 Gymnasiasten im Saal eingebläut worden, von denen eine Handvoll nach der Verleihung des Deutschen Medienpreises zu Máxima sprechen durfte. Dass eine Königin sich überhaupt interviewen lasse, sei schon eine Riesenausnahme, hatte der niederländische Hof im Vorfeld zu verstehen gegeben.“  (Alexander Kühn im SPIEGEL)

Wurden die Eltern gefragt? Was sagen die Lehrer zur Herdenvorführung ihrer Schutzbefohlenen?

Es ist wie in Kaiser Willems Zeiten. Mit klingendem Spiel zieht der Kaiser hoch zu Ross in die Stadt. Alle Kinder haben Spalier zu stehen und das Offenbarungsereignis mit Fahnen und Klatschen zu begleiten. In vollem Einverständnis der Gesellschaft werden unsere Kinder schon wieder zu Untertanen abgerichtet:

Sei, Kaiser Wilhelm, hier

lang deines Volkes Zier,

der Menschheit Stolz!

Fühl in des Thrones Glanz,

die hohe Wonne ganz,

Liebling des Volks zu sein!

Heil, Kaiser, dir!

Die caritative Schau in Baden-Baden wurde zum Lobe der Hungernden in angemessener Weise zelebriert:

„Weil nicht nur die Welt voller Gegensätze ist, sondern auch der Deutsche Medienpreis, wurde nach der Verleihung königlich gefeiert, im Belle-Epoque-Ambiente mit Hummer und Pasteten von Sternekoch Harald Wohlfahrt.“

Bedenkenlos trampelt die Gesellschaft auf der Zukunft ihrer Kinder herum. Wahrlich, wir leben in kinderfreundlichen Zeiten.