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Sonntag, 29. Januar 2012 – Der dumme Hitler

Hello, Freunde der Über-Flieger,

die Schreiber schreiben nur noch – über. Über alles in der Welt. Ohne irgendeine Sache zu penetrieren, es auch nur zu versuchen. Sexologen würden von Ejaculatio präcox reden.

Doch welche Sachen? Es gibt nur Phänomene, die auf dem Laufsteg mit einer Rankingnote am Hals durchgewunken werden. Schirrmacher, kafkaesker Sensibilissimus, erwähnt die „berühmte“ Weizsäcker-Rede, nennt sie „bedeutsam, historisch“. Oberlehrernoten, sonst nichts.

Die Edelfedern müssen in der Penne schwer gelitten haben. Nun rächen sie sich, verteilen selbst nur herausgewürfelte Noten. Was hat denn der adlige Charakterdarsteller gesagt? Fehlanzeige. Gut, dass wir über die Chose oder drüber hinweg gesprochen haben.

Hieß „über“ in anständigen Zeiten nicht „meta“, woher Meta-physik? Meta war vor Jahren nicht zufällig ein Lieblingswort der Intellektuellen. Metageschichte, Metatheorie, Metasprache. Was nicht metamäßig war, war nicht satisfaktionsfähig. Dass die Griechen den Dingen nicht bis in die Gedärme geschlupft wären, kann man nicht grade behaupten.

Der sich stets erneuernde SPIEGEL rühmt ein ganz neues Meta-Magazin in höchsten Tönen, das – wieder einmal – „die Welt ein wenig anders aussehen lässt“. Aussehen nannte man noch vor kurzem Schein. Nicht Vor-Schein des Seins, sondern

glitzernder Schein des Trugs. Im Zentrum stehen Interviews, doch nicht Journalisten befragen irgendwelche Promis: man lässt Meta-Persönlichkeiten „derb aufeinander los“. Wären das nicht Streitgespräche, keine Interviews? Doch wir wollen nicht kleinlich sein.

Was wollen die Derben und „üblichen Hauptstadtverdächtigen“ uns denn sagen? Hegemann, Kaminer, Rojinski, Macho, Pollesch, die gewaltige Creme de la Creme aller Berliner Überflieger und Drübersteher, die kein Mensch kennt? Daran eben zeigt sich, ob DU dazugehörst und in bist oder nur Hinz bist.

Nichts haben sie zu sagen. Keinen einzigen Satz. „Ein Zeitgeist-Heft, das dem Zeitgeist im besten Sinn den Hals umdreht“. Also ein Suizid-Magazin, das sich selbst in Asche verwandelt? Hauptsache, das „Wundertütenheft“ passt in keine Handtasche.

Unterschichten können immer weniger lesen, werden zu Analphabeten der Sache; Oberschichten zu Analphabeten des trügerischen Scheins, zu Metaphysikern des sich selbst erwürgenden Nichts. Auch sie lesen nicht: sie betrachten Bilderbücher für Erwachsene.

Zur analphabetischen Kultusbürokratie. Das Gymnasium sollte von neun auf acht Jahre turbomäßig beschleunigt werden. Damit die Besten mit 20 die ganze Welt gesehen, ihre Doktorarbeit mit summa cum laude abgeschrieben und mehrere daxfeste Ich-AGs gegründet haben. Nun stellt sich heraus, dass dem Nachwuchs nicht nur ein Jahr geklaut wird, sondern deren zwei: allein durch Unterrichtsausfall und inadäquate Vertretung. Der Staat, das „kalte Ungeheuer“, betrügt seine eigenen Kinder.

Aber es trifft ja keine Falschen, diese Studis von heute sind eh nicht nur unpolitisch, stress- und problemlösungsunfähig, sondern eminent verwöhnt. Wird wohl diese Generation Grenzenlos sein, der man zu wenig die Krallen gestutzt hat. Gottlob, dass jetzt rund um die Uhr die psychiatrischen Grenzensetzer patrouillieren. Überall hinterlassen sie beißende Duftmarken und setzen sie Grenzen. Nur nicht jenen, die sie ständig überschreiten.

Vorsicht Kapitalismuskritiker vom alten Schrot und Korn. Eure Erzfeinde haben sich eine ganz neue und hinterfotzige Strategie ausgedacht, um euch aufs Kreuz zu legen: sie verstehen, lieben und umarmen euch – bis euch die Luft ausgeht. Ach, die neue Strategie ist nur ihre uralte: sie lieben ihre Feinde und sammeln glühende Kohlen auf ihr Haupt.

In Davos gibt’s nur noch Revolutionsversteher, die den Occupymitgliedern morgens den Kaffee ans Iglu bringen und fröhlich Guten Tag sagen. Ob dieser auf beiden Seiten Wasser tragende Stiglitz der raffinierteste Doppelagent im Auftrag des Kapitals oder des Antikapitals ist, möge jeder selbst entscheiden.

Bill Gates jedenfalls ist nicht nur der Reichste, er ist auch der Beste, Gütigste und Mildtätigste aller. Er ist so gut, wahr und schön, dass er die Erfindung amerikanischer Werbeagenturen oder Hollywoods sein muss. Verschwörungstheoretisch vermute ich, dass sich hinter dem sympathischen Garagenjungengesicht – George Clooney verbirgt. Allweil denkt er positiv, selbst unsre Angie kritisiert er nur milde-indirekt, indem er deren Erzfeind Cameron über den grünen Klee lobt. Die angelsächsische Achse des Reichen und Guten muss zusammenhalten.

Die Anti-Merkel Brasiliens heißt Dilma Rousseff. Sie ging nicht nach Davos, sondern ins Gegencamp in Porto Alegre. Dort las sie Merkel & Co, also dem ganzen Westen, die Leviten. In Europa würden nur gescheiterte Rezepte vorgeschlagen. Der Abgrund zwischen der Stimme der Straße und der Stimme der Märkte werde immer tiefer.

In den südamerikanischen Ländern hingegen gingen Armut und Ungleichheit zurück. Der Grund: die linken Länder würden vor Finanzgruppen, Ratingagenturen und sonstigen dubiosen Mächten nicht mehr in die Knie gehen. Kein Wunder, dass unsere Hochglanzgazetten nichts Sinnvolles über die Südamerikaner berichten. Hat irgendjemand eine Direktübertragung aus Porto Alegre in Phönix gesehen? Pardon, das ist ja der „Sender für die Chefredakteure“, die für revolutionäre Umtriebe selten aufgefallen sind.

Haben wir eine Finanzkrise? Wer so liederlich daherschwätzt, beweist nur, dass er zu den Fürsten in Lumpen und Loden gehört, denen die Sonne nie untergeht, aber das Kleingeld schon lange ausgegangen ist. Für die Lumpen ohne Loden, ehrlos bis unter den Boden, ist nämlich Zahltag, da rollt der Rubel.

Finanzkrisen sind nämlich keine unerwünschten Fehlleistungen des kollabierenden Systems, sondern fest eingeplante sieben-Prozent-Orgiasmen im trüben Alltag der sonst üblich lauen drei-Prozent-Profite. Staatsschulden sind Bereicherungsprogramme derer, die haben, denn sie sollen alles haben, indem sie denen nehmen, die eh nichts haben. Also das unmetaphorische Matthäus-Programm (Seltsam, dass an solchen Stellen niemand über Zinsen spricht. Nein, nicht seltsam, seit die Nazis von der Zinsherrschaft des internationalen Finanzjudentums gehetzt haben. Das ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend Böses muss gebären. Je unschärfer die notwendige Antisemitismus-Debatte geführt wird, je expansionsfreudiger erobert sie als sekundärer Antisemitismus alle benachbarten Themen. Waren die Zeltdemonstranten in Tel Aviv vor Wochen auch sekundäre Antisemiten? Seltsam, dass Netanjahu nicht dieses „Argument“ einfiel, um das Lager der sekundären Selbsthasser mit selbstliebenden Haredim-Polizisten räumen zu lassen.

Wer hat diesen neonazistischen Schwachsinn in die Welt gesetzt, Juden seien per se kapitalistische Blutsauger? Schon mal was von Marx, Heine, Börne, Moses Hess, Bernstein e tutti quanti gehört? Alles sekundäre Selbsthasser oder was?

Da müssen wohl einige das Sombart-Buch „Die Juden und das Wirtschaftsleben“ ein bisschen zuviel verinnerlicht haben, das sie als antijüdisches Evangelium – hinter den Kulissen natürlich – daherbeten. Auch so ein Buch, das wie „Mein Kampf“ nicht gelesen und auseinander genommen werden kann. Hat man an höheren Stellen etwa Angst vor der „Unwiderlegbarkeit“ dieses Buches? Da könnte man doch glatt auf die verborgene Meinung derer schließen, die solche Verbote mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Warum gibt es eigentlich noch keinen sekundären Antisemitimus bei den Konservativen, die alles Linke und Revolutionäre hassen? Wie war das noch mal mit dem Hass auf den jüdischen Bolschewismus? Das Niveau der deutschen Kampagnen ist nicht mehr zu unterbieten, weder von deutsch-arischer, noch von deutsch-jüdischer Seite.

By the way: Dietmar Dath, FAZ-Genie im Dreiergestirn Zizek und Cohn-Bendit, hat pflichteifrigst die Nichtveröffentlichung des Hitler-Buches mit Karl Kraus verteidigt, der bekanntlich über Hitler sagte: „Mir fällt zu Hitler nichts ein“. Selbst, wenn dieser unverständliche Satz der Weisheit höchster Schluss wäre: müsste man sich den Vorwurf gefallen lassen, mit keinem Karl Kraus mithalten zu können, wenn man die Sachlage anders sieht? Was vielleicht Kraus zu sagen geziemte, geziemt noch lange nicht Hinz und Kunz, Mir und Dir und unserm kranken Nachbarn auch.

Die nachträgliche Begründung Daths ist an Torheit nicht zu überbieten und schlägt all jenen ins Gesicht, die sich als Sozialarbeiter, Gefängnistherapeuten, Mediziner oder sonstige „Heiler“ mit Diagnose und Therapie des Bösen und Kranken jedweder Quantität und Qualität zu beschäftigen haben: indem sie die Komplexität der Bosheits- und Krankheitsphänomene eindringlich studieren, ihre Ursachen erforschen und nach geeigneten Mitteln suchen, um sie zu kurieren.

Jeder analytische Gedanke, so Dath, sei ein Kategorienfehler, „weil man gegen zivilisatorische Katastrophen nicht Spott und begriffliche Zergliederung, sondern Generalstreiks, militärische Meuterei, unnachgiebigen ausländischen(!) Druck und ähnlich Handfestes braucht.“

Womit der Feuilletonist klar macht, dass er – im Gegensatz zu seinem Herausgeber Schirrmacher, der auf die Macht geistbegabter Männerreden setzt – von Argumenten und sonstigen geistigen Fisimatenten nichts hält.

Grund: auch die Nazis hätten Argumente „nur als taktisch angetäuschte Stummelform rationaler Auseinandersetzung“ benutzt. Lässt man sich in geistgefluteten Redaktionsstuben das Verhalten von jenen vorschreiben, die man politisch korrekt zu verachten hat? Ist man in höheren Kreisen nur imitierendes Reaktionsbündel auf jene, die einem am liebsten den Schädel einschlagen würden? Wenn andere auf Argumente verzichten, hol ich auch das Hackebeilchen heraus? Hat Herr Dath schon mal vom Begriff Autonomie gehört?

Mit dem Publikationsverbot solle sichergestellt werden, „dass nie geschieht, was in diesem Kontext ohnehin unwahrscheinlich ist: Ansteckung Argloser mit Hitlers Gedankengut.“ Solch abenteuerliche Sätze nach allen Erfahrungen mit biografischen Erkenntnissen über den Werdegang von NSU-Terroristen? Die FAZ sollte mal ihre vollisolierten Fenster öffnen und ab und an ein wenig Sauerstoff reinlassen, sonst erstickt sie noch am CO2-Gehalt ihrer übergeistigen Ausdünstungen.

Der Gipfel: „Hitler, zeigt ‹Mein Kampf›, ist zu Hitler tatsächlich nichts eingefallen: nichts für Aufklärung Belangvolles.“ Ich muss buchstabieren: just von Hitler erwartet Dath Aufklärendes über ihn selbst? Das wäre, als wolle man den Teufel mit dem Gottseibeiuns austreiben.

Dath kann kein einziges Buch eines hochgebildeten Hitleranhängers gelesen haben. Das instruktive und umfangreiche Buch von Armin Mohler: „Die Konservative Revolution“ kann er so wenig in Händen gehalten haben wie die vielen Veröffentlichungen theologischer und philosophischer Hitlerfans. Da hab ich den Namen Heidegger noch gar nicht erwähnt. Ich nenne nur Immanuel Hirsch, Althaus, Gogarten, Kittel. Erst vor kurzem konnte man über den evangelischen Neutestamentler Michel Otto lesen, der seine ganze Nazivergangenheit nach dem Krieg ins Gegenteil gefälscht hatte. Hier ein aktuelles Beispiel von Wolfram Wette in der ZEIT.

Natürlich hatte Hitler nicht das theoretische „Niveau“ deutscher Gelehrter, aber die adäquate praktische Substanz, die jene in seinen Bann zog. Warum gelang es ihm, zur Projektionsfigur der in aller Welt berühmten Tiefsinnigen, Klugen und Weisen zu werden?

In die gefährliche Kategorie der Geschichtsfälscher und –ignoranten gehört auch Dietmar Dath. Dem Einfluss dieser publikumswirksamen Verdränger haben wir die Existenz rechtsradikaler Umtriebe zu verdanken. Im Geifer blasierter Überflieger und Ignoranten bildet sich das Gift kranker Gesellschaften, die ihre Krankheit nicht von kundigen Ärzten kurieren lassen wollen, sondern von analphabetischen Scharlatanen mit dem Holzhammer und dem Verbotsknüppel.

Während die „unabhängige Antisemitismus-Expertenkommission“ die Unkenntnis der Deutschen in jüdischen Angelegenheiten anprangert, propagiert die Zeitung, hinter der immer ein kluger Kopf steckt, die absolute Selbstverblödung ihrer Leser – in jüdischen und in deutschen Fragen. Man fragt sich, warum Arendt, Fest, Goldhagen, ja, sämtliche Historiker fürs Dritte Reich noch immer neue Erkenntnisse ans Licht befördern, wenn es nichts zu verstehen und zu erklären gibt.

Fragt doch einfach die FAZ, sie weiß schon alles. Krebsgeschwüre der deutschen Geschichte sind nicht das Ergebnis selbstfabrizierter uralter Elemente und Faktoren, sondern das absolut Böse, das unerklärbar vom Himmel gefallen ist und höchstens mit dem Weihrauchwedel bedroht und exorziert werden kann. Hurra, wir leben in aufgeklärten Zeiten.

Wir waren bei der Finanzkrise. Wie unschuldig sie sich in TV-Interviews geben, die deutschen Vertreter amerikanischer Ratingagenturen! Keine kühle Selbstverteidigung ohne den Satz: die Kritik schlägt den Boten und meint die Botschaft.

Da lenken sie von der Kleinigkeit ab, dass ihre neutralen Bewertungen sehr wohl weitreichende Effekte haben. Nämlich die, ausgerechnet jene mit unbezahlbaren Zinsen zu belasten und zu bestrafen, die ohnehin am Arsch sind.

Korruption, sagt der Soziologe Krysmanski in der TAZ, bräuchten die Reichen nicht. In der Tat: das ganze System ist nichts als eine Korruptionsorgie in Systemform, von den Profiteuren in vielen Jahrzehnten und Jahrhunderten genau zu diesem Zweck zusammengebosselt und als naturwissenschaftliches Gesetz ausgegeben.

Auch hier erkennt man die pharisäerhafte Haltung unserer Moralschreiber, die jede Serviette bei Wulff umdrehen, aber Millionen toter Kinder als Opfer des Systems ignorieren: „