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Tagesmail

Sonntag, 29. April 2012 – Wer zuletzt lacht

Hello, Freunde der SPD,

ein früherer SPD-Kanzler heißt Schröder und arbeitet nach seiner Amtszeit für den russischen Giganten Gazprom, der als verlängerter Arm der Kreml-Kleptokratie agiert, behauptet der investigative deutsche Journalist Jürgen Roth. Kleptokratie kann man als Herrschaft der Langfinger übersetzen.

Gazprom sei fest eingebunden in die Machtpolitik der Kreml-Mafia. Osteuropäische Journalisten hätten Angst, dieses Thema zu recherchieren. Der Multi unter dem Diktat Putins schrecke nicht vor Erpressung ganzer Staaten zurück. Bulgarien werde einen kalten Winter erleben, wenn Gazprom nicht im Lande investieren dürfe, mit diesen Worten hatte der Kremlchef die Bulgaren unter Druck gesetzt.

Die Deutschen würden mit ihren Gasrechnungen die Räuberbande stützen und Schröder sei ein Fall von nicht vorhandener politischer Ethik. Er verstieße elementar gegen den folgenden Satz des SPD-Grundsatzprogramms: „Mit ihrer durch Kartelle und Verbände noch gesteigerten Macht gewinnen die führenden Männer der Großwirtschaft einen Einfluss auf Staat und Politik, der mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar ist. Sie usurpieren Staatsgewalt.“

Trotz dieser eindeutigen Aussage hielten führende SPD-Granden das Tun des Herrn Schröder für privat. Das zeige deren Feigheit. Die Verkommenheit der öffentlichen Parteien ist kaum noch zu überbieten.

Die SPD hat keine Probleme mit Parteimitgliedern, die unter dem Mäntelchen wissenschaftlicher Ehrbarkeit Minderheiten verhetzen oder sich schamlos

in den Dienst fremder Regierungen und ausländischer Multis stellten, um ihren kargen Lebensabend mit einem hübschen Taschengeld aufzubessern.

Hochehrbare Aushängeschilder der Partei wie Erhard Eppler und Jochen Vogel, sonst zuständig für jeden moralischen Pipifax, schweigen still. Die Großparteien wundern sich über den rasenden politischen Erfolg junger Leute, die himmelweit von solchen kontaminierten Zuständen entfernt sind.

Dasselbe Bild in England.

 

Welches Gebäude ist das „Haus aller Deutschen“? Eine Kirche. Schon die parlamentarische Gründungsversammlung von 1848, die vor allem aus ehrbaren Professoren und Gutbetuchten bestand, wählte nicht zufällig die Paulskirche von Frankfurt, um eine Elitendemokratie unter Ausschluss des revolutionären Volkes zu gründen.

Vergeblich, wie wir wissen, weil ein preußischer König keine Lust hatte, Kaiser des Pöbels zu werden.

Bundespräsident Gauck stellte im Haus der Deutschen die Frage, wie das Land aussehen müsse, zu dem „unsere Kinder und Enkel einmal sagen sollen: „unser Land“?

Warum nur Kinder und Enkel? Warum nicht die jetzt Erwachsenen? Warum die nationalistische Verengung auf unser Land? Warum nicht auf unser Europa? Warum keine Aufarbeitung der missglückten Revolution, die in die Hände der Bourgeoisie und später eines imperialen Kaiserreichs fiel? Alles mit dem Segen des Gottes, der oberster Hausherr im Haus der Deutschen ist.

Unter einem Tourette-Syndrom leiden Menschen, die sich zwanghaft der Fäkalsprache bedienen. Christian Bommarius von der BZ schreibt in seinem gestrigen Kommentar, Ärzte anderer Länder würden Henryk M. Broder mühelos ein solches Tourette-Syndrom attestieren. Womit Bommarius sagen will, dass es in Deutschland noch lange nicht möglich ist, zu sagen, was man unter „normalen“ Bedingungen sagen kann, ja sagen muss.

Zum Beispiel, dass Broder als einer der Hauptakteure im deutsch-jüdischen Streit sich zwanghaft dieser analen Fäkalsprache bediene, um seine Gegner vorzuführen. Umso erstaunlicher sei es, dass Broder – dessen zweiter Vorname Modest (= mäßig), ist – in seinem neuen Buch „Vergesst Auschwitz!“ ohne Beleidigungen auskäme.

Stattdessen begnüge er sich mit Lügen. „Auch das entspricht seiner Begabung“. Soll das heißen, der Sohn jüdischer Holocaustüberlebender habe ein Lügen-Gen, sofern Begabungen mit Genen zusammenhängen?

Welche Lüge meint Bommarius? Die Behauptung Broders, jeder dritte Deutsche sei ein Antisemit. Das widerspräche seinen sonstigen Aussagen, wonach nur 20% der Deutschen Antisemiten seien: „eine Zahl, die man in allen Studien zum Antisemitismus der letzten Jahre findet“.

Warum hat Broder das Fünftel zu einem Drittel erhöht? Um die Deutschen erneut in die Nähe der Nazis zu rücken. In der letzten freien Wahl 1932 nämlich habe ein Drittel der Deutschen die Nazis gewählt. Die Nazis waren eine Minderheit, die nur die Macht erringen konnte, weil ihr die Mehrheit das Feld überließ. Mit dieser Lüge wollte Broder nichts anderes als „das Nazi-Menetekel an die Wand pinseln.“ Und deshalb „sollten die Deutschen nicht Auschwitz vergessen, sondern Henryk M. Broder“.

Es ist meines Wissens das erste Mal, dass ein renommierter nichtjüdischer deutscher Journalist frontal den nicht zimperlichen „Antideutschen“ Broder angreift. Bislang blieben die Kontroversen innerhalb des jüdischen Lagers. Vermutlich aus Angst, zum Antisemiten erklärt zu werden, eine Angst, die man in der Polemik gegen Grass vehement leugnete.

Die Gefühle anderer kann man nur leugnen, wenn man glaubt, dessen Innenleben besser zu kennen als er selbst. Was Grassens Gegner bestritten, bewiesen sie selbst durch ihre heftigen Aggressionen gegen den Schriftsteller: es ist sehr wohl ein Tabu, über brisante jüdisch-deutsche Fragen zu reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist.

Kein offizielles Tabu natürlich, noch gibt es Meinungsfreiheit in diesem Lande. Aber ein ungeschriebenes Gesetz, dass man durch die Mühle gedreht wird, wenn man zugibt, mit Juden im Allgemeinen und Israelis im Besonderen Schwierigkeiten zu haben.

Selbstverständlich darf man hierzulande Israel kritisieren, doch wehe, man tut‘s. Viele Jahre galt die Grunderfahrung, wer öffentlich als Antisemit gebrandmarkt wurde, war öffentlich tot.

Die Kritik an Israel müsse allerdings sachlich bleiben, sonst sei sie antisemitisch, wird gönnerhaft betont. Gewiss, doch wer bestimmt, wo Sachlichkeit beginnt und wo sie endet?

Hinzu kommt, dass diejenigen, die am heftigsten die These bestreiten, Israelkritik sei ein Tabuthema, am wenigsten mit klarer und unmissverständlicher Kritik an Israel auffallen.

Der in Tel Aviv lehrende Philosoph Moshe Zuckermann wirft den in Deutschland lebenden Juden vor, sie seien zu unkritisch gegen Israel. Solchen „solidarisierungswütigen Israel-Freunden“, zu denen er auch nichtjüdische Philosemiten rechnet, wirft er vor, Israel als „pure Projektionsfläche für eigene Befindlichkeiten“ zu missbrauchen. Ihre „bedingungslose Solidarität“ sei eine Farce, die „die reale Tragödie in eine Narrenposse“ verwandele.

Ein besonders beschämendes Beispiel dieser Narrenposse lieferte Merkel in ihrer Ansprache in der Knesseth, als sie bedingungslose Solidarität an der Seite Israels schwur, ohne ein einziges kritisches Wörtchen zur Lage der Palästinenser zu sagen.

Gewiss gibt es hie und da verdruckste kritische Worte zu besonders flagranten Menschenrechtsverletzungen durch israelisches Militär oder immer dreister werdende Ultras. Im Allgemeinen aber schweigt die deutsche Intelligentsia und hält sich vornehm aus dem Konflikt raus.

Sie sieht, wie es deutsch-jüdischen Israelkritikerinnen ergeht – wie Evelyn Hecht-Galinski oder Felicia Langer (seltsamerweise mutigen Frauen) – die ihren Kopf zu weit aus dem Fenster lehnten und von Broder heftig geschmäht wurden. Nur wer keinen Ruf zu ruinieren hat, für den gibt es kein Tabu.

Es klingt ziemlich provokativ, wenn Zuckermann die Philosemiten für potentiell gefährlicher hält als die dumm-brutalen Antisemiten, die klar bekämpft werden könnten, da sie klar Stellung bezögen.

Im Gegensatz zu ihnen würden sich die Philosemiten als Freunde der Juden geben, obgleich sie an ihnen nicht das geringste Interesse hätten, ja, sie nur als heilsgeschichtliche Instrumente betrachteten, die dem christlichen Messias demnächst die Tore öffnen würden, nachdem sie zuvor kollektiv zu ihm übergelaufen wären. Hinter dem trügerischen Etikett der Judenfreunde würden sich veritable Hasser des jüdischen Volkes verbergen.

Mehr als 70% aller Amerikaner sind überzeugt, zu ihren Lebzeiten die Wiederkehr des Messias zu erleben. Was geschieht, wenn die Fata Morgana sich wie immer verzieht, weil die Juden nicht daran denken, zum christlichen Glauben zu konvertieren? Dann könnte sich Zuckermanns Prognose bewahrheiten, dass falsche Freunde schlimmer als offizielle Feinde sein könnten.

Gestern war in Phönix ein Gespräch von Klaus Harpprecht mit Axel Springer aus dem Jahre 1969 zu sehen, wo der umstrittene Verleger die Grundlagen seiner Presseorgane formulierte. Dazu gehöre unabdingbar die Versöhnung Deutschlands mit Israel, so Springer.

Wie kann ich mich mit jemandem versöhnen, dem ich mich in allen Dingen beugen muss? Kritiklose Unterordnung erzeugt Hass und keine Versöhnung, die nur in gleichberechtigten und offenen Beziehungen möglich ist. Ob das theologische Wort Versöhnung überhaupt das politische Ziel einer gleichberechtigten Freundschaft trifft, kann ohnehin bezweifelt werden.

Was hat die Springerpresse aus diesem gutgemeinten Ziel gemacht? Eine Atmosphäre der haltlosen Denunziation aller wahren Freunde Israels, die nicht länger zuschauen wollen, wie ein Staat sich immer mehr in Feindseligkeit gegen Palästinenser und Nachbarn hineinsteigert und eine Eskalation der gegenseitigen Bedrohung riskiert, die seine eigene Existenz gefährden könnte.

Welche Eltern dürften zuschauen, wenn ihr Kind durch Drogen sich zusehends zugrunde richtete, ohne dass sie einschritten und versuchten, das Kind aufzurütteln und zu ermahnen, dass es sich besinne und sein Leben von Grund auf verändere?

Bei uns hingegen gilt, wer sich als kritischen Freund definiert, wird als besonders hinterlistiger und heimtückischer Antisemit beargwöhnt. Der gesunde Menschenverstand ist außer Kraft gesetzt, woran man erkennen kann, wie weit wir von jedweder Normalität entfernt sind. Das Gelände ist flächendeckend vermint.

Die sinnvollsten Beiträge kommen weder von jüdischen, noch von nichtjüdischen Deutschen, sondern von nüchternen, selbstkritischen Israelis (was keine philosemitische Äußerung sein soll). In der Debatte gibt es nur Antis oder Philos: Antisemitismus, Antideutsche, Philosemitismus. Man ist kritiklos dafür oder kritiklos dagegen. Wo sinnvolle Kritik anfängt und Antisemitismus beginnt, wird nicht mal gefragt.

Es herrscht das rasiermesserscharfe Schwarz-Weiß-Bild des Satzes: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Der korrektive Satz: Wer nicht gegen mich ist, ist für mich, wurde unter den Teppich gekehrt. Doch die wahre Korrektur ist auch dieser Satz nicht.

Wer für mich ist, zeigt sich daran, dass er mir seine Wahrheit sagt, damit ich nicht fehl gehe oder krepiere. Seine Wahrheit muss nicht unfehlbar sein, also müssen wir uns um die beste Wahrheit streiten.

Wer in existentiellen Fragen die Wahrheitsfähigkeit des Menschen leugnet, hat sein Leben und das Leben seiner Freunde aufgegeben. Denn Wahrheit ist die Ermöglichung von Überleben und gutem Leben. Wenn Tagespolitik nicht philosophisch wird, fährt sie ungebremst fort, sich selbst zu entsorgen.

 

Was ist Broder für ein Mensch? In seinem neuen Buch „Vergesst Auschwitz!“ hat er autobiografische Elemente eingebaut und einiges über sich verraten.

Was muss das für ein Gefühl sein, als Kind in das Land der Mörder seines Volkes, der potentiellen Mörder seiner Eltern zu geraten?

Im vorliegenden Text gibt Broder keine Antwort, denn solche Fragen stellt er nicht. Aus der Befürchtung, in diesem Land sonst nicht mehr leben zu können? Oder seine anfängliche Unbefangenheit zu verlieren, die er gar nicht gehabt haben kann?

Der kleine Henryk wird das Deutschenbild seiner Eltern mitgekriegt und verinnerlicht haben. Darüber keine Auskunft. Stattdessen ein Drüberwegschwadronieren auf Kosten der Eltern, die „sich das Überleben übel nahmen.“

Überlebende kollektiver Katastrophen nehmen sich übel und klagen sich an, wenn sie aus Minderwertigkeits- oder Schuldgefühlen für ungerecht halten, dass ausgerechnet sie überlebten und nicht andere, die es mehr verdient hätten.

Noch der alte Henryk geht über dünnes Eis und verweigert sich der Fragen, die er bereits als Jugendlicher nicht stellen konnte. Daher sein schnoddriger Ton, der sich weigert, das Erschreckende, Unsagbare in Worte zu fassen, um es sich verständlich zu machen.

Kann man das Unausdenkbare verstehen? Wird Verstehen nicht zu einer „Wiedergutmachungsmaßnahme“, die alles schnell verdrängen und normalisieren will, damit der Schrecken uns nicht länger belästige?

Henryks Kindheit war mies in Kattowitz, das Leben in Köln auch nicht besser. „Wurzeln schlagen, irgendwo heimisch werden, das kam nicht infrage.“ Gilt dieser Satz nur für Köln oder für sein ganzes Leben? Dann hat er Deutschland nie als Heimat empfunden und war immer ein Unbehauster.

Innerlich bleibt er ständig von Gefahren umgeben, die jederzeit – kein Mensch weiß, wie und warum – ausbrechen könnten. Von daher seine späteren Äußerungen über Antisemitismus, der jederzeit und überall auf der Welt an die Oberfläche kommen könnte.

Der Antisemitismus habe, so schreibt er in „Der Ewige Antisemit“, nichts mit dem Verhalten von Juden zu tun. Er komme ohne den „leibhaftigen Gegenstand seiner Leidenschaft“ aus. Juden dienten nur als „Katalysator dieses diffusen Gefühls“, das als Erbgut in der ganzen Menschheit lauere.

Das klingt nach Sartre, der den Antisemitismus auch als Erbsünde der Menschen, besonders der Christen darstellte. Er ist das radikale Böse, unausrottbar, unüberwindbar. Aus der Geschichte kann man nichts lernen.

Nach Broder müsste das Geschwätz: Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten, wegen Heuchelei sofort von der Polizei eingestellt werden. Denn das Böse lässt sich durch Begreifen und Analysieren nicht überwinden. Lasst alle Hoffnung fahren, Juden, Deutsche und sonstige Gojim, ihr werdet zueinander nicht kommen, der Graben ist viel zu tief.

Im Grunde müsste Broder ein ziemlich hoffnungsloser, menschheitsverachtender Mann sein, wenn er sich nicht durch sein pädagogisches Reibeisenverhalten selbst widerlegen und die letzte Hoffnung nicht aufgeben würde.

Die Deutschen will er nach der Devise erziehen: Wen Broder liebt, den züchtigt er. Doch die Deutschen verstehen seine vormodernen Liebestaten nicht und werden immer störrischer, je mehr der Erzieher im heiligen Zorn zuschlägt.

Die heimtückischen Deutschen stellen sich nicht. Sie melden dem schwarzen Pädagogen nicht zurück, was sie von ihm halten und überlassen ihn seinen steigenden Erregungskurven, die im Nichts enden werden. Geschieht seinem rächenden Furor doch Recht, wenn er wie das HB-Männchen bei jeder „Kleinigkeit“ an die Decke geht. Schon gehen ihm die salonfähigen Schimpfworte aus, schon muss er zunehmend fäkal werden. Seinen Zorn-Zenith hat er lange überschritten, seine Stimme wird durch stummes Abwinken der Deutschen zu einem unverständlich bärbeißigen Rauschen heruntergedimmt.

Zuckermann hat Recht. Diejenigen, die sich mit ihm philosemitisch überidentifizieren, ihm eine Bühne seiner Schlagrituale bieten wie die WELT, sind die Verstocktesten, die die Verzweiflung in seiner Stimme nicht mehr hören können.

Im Betonmantel der guten Gesinnung – „Wir sind die Guten“, sagte neulich Mathias Döpfner – schauen sie ungerührt zu, wie Broder seine letzten Patronen wirkungslos verschießt und Israel sich zunehmend suizidal verhält, sodass immer mehr Jugendliche desillusioniert das Weite suchen. Und ausgerechnet im Land der Täter eine Zukunft für sich sehen.

Broder schreibt wenig bis nichts über das Land Israel. Alle Fehlleistungen des neuen Staates betrachtet er im Spiegel des Außen-Echos, um sie am angeblichen Zerrbild wütend auszutreten. Seine Angst, der neue Staat, das Wunder der zionistischen Menschwerdung, könnte hopps gehen, dringt Broder aus allen Knochen – durch sein lärmendes Verschweigen.

Wie er seine Eltern retten musste, indem er bei ihren Streitigkeiten dazwischen ging, um sie zu entwaffnen, so musste er versuchen, den Streit der Israelis um ihre Zukunft zu schlichten. Bei seinen Eltern ist es ihm nicht geglückt, wie sollte es ihm bei einem Staat glücken? Also verlässt er das sinkende Schiff und wendet sich an die angeblich besten Freunde, um sie zur Rettung des Staates zu provozieren und zu aktivieren.

Doch alles, was er falsch machen kann, macht er falsch. Seine Gefühle versteckt er hinter Grimm, Verachtung und Drohungen. Er agiert, reagiert und spiegelt das Gespiegelte, dass kein Mensch mehr durchblickt, was er eigentlich will. Am wenigsten er selbst.

Seine philosemitischen Freunde sind nur Attrappenfreunde, die ihn kommentarlos machen lassen, um ihre eigene Moralbilanz zu konservieren. Schon lange verstehen sie nicht mehr, warum ihr sorgsam gehegter Überich-Jude ständig die Bude zusammenschlägt. Doch sie heucheln Verständnis und halten innerlich Distanz – auf eiskalte Kumpelart. Wenn‘s hart auf hart kommt, werden sie die ersten sein, die sich vom Acker machen und ihm eine höhnische Nase drehen.

Obwohl er eine miese Kindheit gehabt haben will, konnte er sich nie über „Mangel an Emotionen beklagen“? Da lügt sich jemand in die Tasche. Entweder war er emotional umhegt, dann kann er kein unglückliches Kind gewesen sein – oder es hat an elementaren Gefühlen gefehlt und er kann die Defizite nicht mal im Alter zugeben. Dass er ständig seine Eltern retten musste, indem er sie entwaffnete, nennt er den Beginn seiner „Streitkultur“.

Im Streit geht es nicht um bedrohliches Sein oder Nichtsein, sondern um Erkenntnissuche. Heute wirft er sich zwischen Israel und Deutschland, um das schwächere und angreifbare Mutterland Israel vor dem unverständigen, bösen Vater Deutschland zu schützen.

Doch vergeblich, denn er benutzt Methoden, die beide Länder schädigen. Israel ist nicht geholfen, wenn Deutschland verdammt wird. Und Deutschland ist nicht geholfen, wenn Israel dahinwelkt.

Wie beschämend und unentschuldbar wäre es für Israel, wenn das Land kollabierte, da es doch als ganz neu von vorne beginnen und zeigen konnte, wie es alles besser machen konnte als die ehrlosen Christenstaaten. Wenn die neue Heimat fällt, darf die Schuld nicht auf ihre Bewohner fallen. Es muss die feindliche Heidenwelt sein, deren Hass und Ablehnung den Kollaps herbeigeführt haben wird.

Das ganze Wüten Broders ist vorbeugende Schuldzuteilung für den Fall, dass die neue Heimat Bankrott anmelden müsste. Die Stimmung zwischen Tel Aviv und Jerusalem muss inzwischen so mies sein wie einst die Stimmung in Kattowitz. Selbst Uri Avnerys kantischer Optimismus verblasst von Brief zu Brief.

Spätestens nach Münchens Olympia-Attentat war es mit Broders illusorischem Traum vorbei, die Deutschen hätten ihre Vergangenheit aufgearbeitet.

Ausgerechnet die Linken, denen er sich zugehörig gefühlt hatte, entpuppten sich als rabiate Antisemiten im Kostüm der Antizionisten. Die Deutschen entlasteten sich von ihrer eigenen Vergangenheit, indem sie das Nie Wieder von ihren jüdischen Opfern forderten, die sie daran hindern wollten, ähnliche Vergehen zu begehen wie ihre Naziväter vor einer Generation.

An dieser Stelle wird Broder hellsichtig, wenn er die projektiven Verdrängungsmechanismen der Deutschen unter die Lupe nimmt. Doch wer nicht auf ihn hört, sind die Deutschen, die mit seiner Person nur noch Prügel assoziieren, aber keine Einsichten mehr von seiner zynischen Philippika erwarten.

Wer kein Vertrauen aufbaut, darf sich über die Widerspenstigkeit seiner Erziehungsobjekte nicht wundern. Auch hier sind die Philosemiten die Verschlossensten und Selbstgerechtesten. Broder mag noch so scharfsichtig die Defizite der Deutschen wahrnehmen: die Wunden Israels kann er damit nicht therapieren und heilen.

Stets bleibt er einseitig auf die Täter fixiert, ohne wahrzunehmen, dass Opfer nach Jahren der Genesung auch zu Tätern werden können. (Wie der psychische Zusammenhang zwischen Tätern und Opfern wirkt, kann man bei Freud und seiner Tochter nachlesen.) Gemach: sicher nicht auf der Ebene der Täter. Broders einseitige Analyse der Deutschen hindert ihn daran, das Gesamtklima Israels zu sehen, das sich zunehmend extremisiert.

Die Deutschen sind genau so unfähig, ihre Situation rückhaltlos zu analysieren. Waren sie am Anfang naive Philosemiten, entwickelten sich viele zu aggressiv-besserwisserischen, die nicht zögerten, selbstkritische Zionisten zu Antisemiten zu erklären.

Aus enttäuschter idolisierter Liebe zu den Opfern wurden sie strenge Tadler aller Kritiker Israels, gleichgültig, ob sie aus Deutschland oder aus Israel kamen. Sie waren unfähig zu erkennen, dass selbstkritische Israelis nicht bereit waren, die psychischen Folgen des Holocausts, die sie zu tragen hatten, an die schwächeren und unschuldigen Palästinenser weiterzugeben.

Broders psychoanalytischer Blick auf die unrettbaren Deutschen sollte davon ablenken, dass der Psychoanalytiker selbst aus allen Wunden blutete, ohne dass er fähig gewesen wäre, seine eigenen Verdrängungen und Verleugnungen zuzugeben.

Die Deutschen führten sich auf wie Bewährungshelfer, die vor allen darauf achteten, dass ihre Opfer nicht rückfällig werden, so Broder in Anlehnung an Wolfgang Pohrt. Das ist so richtig wie die komplementäre Einsicht, dass der Satz in gleichem Maß auf Broder und die Riege der deutsch-jüdischen Bewährungshelfer zutrifft.

Mit einer Einschränkung: die neuen Juden waren für die jungen Nachkriegsdeutschen die strahlenden Helden gegen die bösen Araber, deren Kriegstaten sie begeistert bejubelten. Nach dem 6-Tage-Krieg kam der Sturz der Engel ins Luziferische.

Die Deutschen waren keine Bewährungshelfer der Gescheiterten, sondern Idolisierunghelfer der gestürzten Helden. Deren Sturz ins Schlechte und Allzumenschliche ertrugen sie nicht, weil die neuen Fehlbarkeiten der Opfer sie an ihre eigenen Untaten erinnerten. Waren nicht die Deutschen mit dran schuld, wenn die Helden sich in solch schlechte Menschen verwandeln konnten, deren Freveltaten man im Verlauf der Jahre immer genauer und desillusionierender erfuhr?

Broder muss sich in seiner Stromstoßtherapie ständig überbieten, um den deutschen Leichnam, der zusehends im Philosemitismus vermodert, zu Reaktionen zu stimulieren. Deshalb der Titel: Vergesst Auschwitz, wohl wissend, dass ein Deutscher, der sich diesen Slogan zu eigen machen würde, auf den Grill käme.

Überhaupt werden die gegenseitigen Aggressionsparolen zunehmend symmetrischer und auswechselbarer. Nach dem Kinderspiel: wie du mir, so ich dir. Oder: was man sagt, das ist man selber.

Seine finalen Ängste transmutiert Broder in den fiktiven Triumph der vermaledeiten Deutschen, die nichts anderes im Kopf hätten als die „atomare Endlösung der Nahostfrage“, damit das bisschen Holocaust mitsamt den Schuldgefühlen den Juden gegenüber im Abgrund der Geschichte verschwände. „Über eine Katastrophe kommt man nur hinweg, indem man noch eine größere inszeniert.“

Hier wird per Kontrast deutlich, worum es im deutsch-jüdischen Bruderstreit wirklich geht. Um den väterlichen Segen am Ende der Geschichte. Welches Volk wird vernichtet werden? Und zu welchem wird der liebende Vater im Himmel sagen: Ihr seid mein geliebtes Volk, an dem ich Wohlgefallen habe? Wer zuletzt lacht, lacht am besten.