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Tagesmail

Sonntag, 15. April 2012 – Dichter und Seher

Hello, Freunde der Hölle,

jeder deutsche Haushalt sollte die heilige Broschüre bekommen. Der Verfassungsschutz will die Verteiler wegen Gefährlichkeit des Inhalts unter die Lupe nehmen. Es handelt sich um das Offenbarungsblatt BILD.

Ein anderes Offenbarungsbuch soll auch unter die Deutschen kommen, wieder sendet der Verfassungsschutz seine Schlapphüte aus und warnt vor dem gefährlichen Buch: es handelt sich um eine so genannte Bibel, in der steht, dass Ungläubige in die Hölle kommen.

Doch weil das Buch heilig ist, kann es nicht gefährlich sein. Unheilig aber sind die Hintermänner der Verteilungsaktion, es handelt sich um religiös gekreuzte Bibel-Salafisten.

Christen und Juden kommen in die Hölle, wenn sie nicht muslimisch werden, sagen die Muslime.

Juden und Muslime kommen in die Hölle, wenn sie nicht christlich werden, sagen die Christen.

Muslime und Christen kommen in die Hölle, wenn sie nicht jüdisch werden, sagen die Juden.

Muslime sind Anti-Christen und Anti-Juden.

Christen sind Anti-Muslime und Anti-Juden.

Juden sind Anti-Muslime und Anti-Christen.

Sie alle lieben ihre Nächsten mehr als sich selbst. Mindestens.

Der Verfassungsschutz muss folgende harte Nuss knacken: wenn böse Menschen gute Bücher verteilen – steht die Aktion noch auf dem Boden des Grundgesetzes? Wenn böse Menschen böse Bücher? Wenn gute Menschen

böse Bücher? Wenn gute Menschen gute Bücher? Bitte lösen Sie das Rätsel, um Ihren VIQ – Verfassungsschutzintelligenzquotienten – zu ermitteln.

Die schwierigste Frage am Schluss: wenn gute Menschen heilige Bücher, die sie für gut halten, die aber in Wirklichkeit böse sind, unter die Leute bringen – was ist dann? Dann ist bundesrepublikanische Realität.

Nein, die BILD-Aktion fällt nicht darunter. Aus formalen Gründen: heilige Gazetten sind noch keine heiligen Bücher; sie sollen es aber bald werden. Der Springer-Verlag arbeitet hart daran.

Das christliche Abendland rückt zusammen, da die Muslime, nach verlorener Schlacht vor Wien, massenhaft als friedlich getarnte Gastarbeiter in Europa einsickern.

Vor 100 Jahren empörten sich die Lutheraner noch über den heiligen Rock in Trier. Jetzt sind auch Protestanten an der Wallfahrtsorgie beteiligt. Ob Schlapphüte wegen Beleidigung der Intelligenz observieren, wurde geheim gehalten.

Anwesend bei den Feierlichkeiten ist die große Koalition aus SPD in Gestalt des Kurt Beck & CDU in Gestalt von Frau Kramp-Karrenbauer. Erwartet werden Steinmeier & Merkel, Claudia Roth & CSU-Beckmann, die Piraten haben wie immer keine Meinung. Auch Hitler & Papst wurden unter den Gästen gesehen.

Wer unterm Rock war, hat Gelegenheit, auch die Unterhose eines bekannten Trierers zu bewundern und von ihr selig gesprochen zu werden.

Skandal um Scholl-Latour. Auf die Frage von Maybrit Illner, wer gefährlicher ist: Ahmadinedschad oder Netanjahu, antwortete er: Netanjahu. Ob die deutsche Presse gleichgeschaltet sei? Sie ist konform, also ja.

Noch ein alter Mann, der sich um Kopf und Kragen redet? Im Gegenteil, diese Aussagen wurden in den Fernsehkritiken nicht mal erwähnt. Merke, wer brav in alle Talkshows kommt, kann sagen, was er will, er ist skandalimmun. Was sagt das über die konform-gleichgeschaltete Presse?

Josef Joffe scheint ein Liebhaber von Gedichten zu sein, besonders, wenn sie von Grass sind. Nun hat er seinen Haus-Poeten mit einem Beifallsspender der falschen Seite ins selbe Bett gelegt und dort auch sogleich begraben, weil das Grass-Gedicht ohne Reime auskommt. Attention, Joffe wird von Neonazis ferngelenkt.

Beifallgeben ist die neue Durchstechermethode der Ultrarechten, um missliebige Personen über die ZEIT-Bande zu beerdigen.

 

Es tut sich was in Amerika. AIPAC, die „allmächtige“ jüdische Lobby, unverbrüchlich an der Seite Netanjahus, erhält israelkritische Konkurrenz mit J-Street, einer Organisation, die sich 2008 gegründet hat, für einen palästinensischen Staat eintritt und sich um die demokratischen Qualitäten des zionistischen Landes sorgt. Dort würde nämlich der Einfluss der Ultras unaufhörlich steigen.

David Remnick, einer der profiliertesten amerikanischen Journalisten, Chefredakteur des renommierten“New Yorker“, rückt nun von Israel ab, das an Demokratieversagen leide.

Die jungen liberalen amerikanischen Juden schweigen nicht länger still – brechen auch sie ein Tabu, das es nicht gibt? – und verweisen auf die immer größer werdende Gefahr im heiligen Land, die nicht vom Iran her drohe, sondern aus der anwachsenden Aushöhlung der israelischen Demokratie.

Theodor Herzls Idee eines zionistischen Staates habe den Ultrafrommen keine Privilegien eingeräumt, so Remnick. Junge (!) Israelis würden die demokratischen Grundsätze ihres Staates aus den Augen verlieren.

Die Besatzungspolitik habe die Demokratie korrumpiert, zu viele hätten sich mit der Unrechtspolitik abgefunden und hielten sie für unumkehrbar.

Damit ist auch nebenbei die Frage beantwortet, warum die große Demonstrationsbewegung in Tel Aviv die Palästinenserfrage außen vor ließ. Es war nicht der Grund, dieses Problem würde alle andern überfrachten: offensichtlich will auch die Jugend die Unrechtszustände nicht mehr anrühren.

Jene liberalen Juden, die Obama unterstützt hätten, würden sich allmählich von Israel abwenden. Zu ihnen gehört der Publizist Peter Beinhart, der sich in seinem – noch nicht übersetzten – Buch „The Crisis of Zionism“ gegen die beinharte AIPAC positioniert.

Die Grass-Detonation hat über Nacht viele unterschwellige Probleme und Friktionen an Land gespült.

A) Ein jüdisch-jüdischer Konflikt. Rechte Netanjahu-Verteidiger, besonders aus Deutschland, gegen israelkritische Stimmen aus Amerika und Israel.

B) Ein jüdisch-deutscher Konflikt, in dem sich deutsche Philosemiten (die Uri Avnery für potentielle Antisemiten hält), in verwegener Tapferkeit an der Seite der Broderfraktion betätigen.

C) Der Fall Grass als Persönlichkeit und Literat, dessen bedeutendes Lebenswerk a posteriori gehörig reduziert oder ganz zu Schrott erklärt, der „Silberrücken“ (Sibylle Berg) als unerträgliches kollektives Über-Ich abgeräumt wird.

(Er kann nicht zuhören, ist unbelehrbar und altersstarr, „Herr Grass entschuldigt sich nie“. Avi Primor erzählte, als er Botschafter in Berlin war, bemühte er sich sechs Jahre vergeblich um einen Gesprächstermin mit dem Nobelpreisträger).

Man gewinnt den Eindruck, dass viele gar nicht mehr wissen, warum sie die deutsche Galionsfigur für einen großen Künstler hielten. Womit wir bereits bei D) wären:

D) Es ist die Krise der Kunst. Überall betonen die Vertreter des Schönen, aber nicht Wahren und schon gar nicht Guten, dass Kunst nicht „nach Gut und Böse codiert“ sei. Sonst würde sich niemand mit ihr beschäftigen.

Denn seit Dantes göttlicher Komödie wüssten wir, dass der Himmel langweilig sei. Wer das Buch in die Hand nähme, würde nur die Darstellung der untersten Höllen lesen, so ein Mannheimer Germanist mit wallendem Haupthaar in „Kulturzeit“. Kunst dürfe nicht moralisch sein, sonst werde sie uninteressant.

Wohl gebrüllt, ihr Literaturkritiker und Germanisten. Wenn Grass in seinem Gedicht seinen amoralischen, abgrundtiefen Antisemitismus offenbart hätte, warum jauchzet und frohlocket ihr nicht über das gebeichtete Böse aus der schwarzen Seele des Unbelehrbaren?

Hat Professordoktordoktor ehrenhalber Karasek nicht im Literarischen Quartett im Beisein von Literaturpapst Reich-Ranicki einen gewissen Marquis de Sade über den grünen Klee gepriesen, jenen französischen Gentleman, der Satan für Gott hielt und in seinen Büchern am liebsten Kinder sexuell foltern ließ, um sie am Ende der Orgien geräuschlos vom Erdboden zu beseitigen? War im Vergleich mit dem Franzosen der Deutsche nicht bös genug – oder doch zu böse?

Derselbe Karasek, der sich inzwischen zum Witzespezialisten fortentwickelt hat, scheint sich für sein Geschwätz von gestern nicht mehr zu interessieren und plappert frisch geföhnt und mit botoxgeglätteter Greisenhaut das Gegenteil.

E) Womit klar ist, es handelt sich auch um einen Generationenkonflikt. Das Bonsaigemüse der 45- bis 65-Jährigen – unter ihnen das gesamte deutsche Feuilleton von Schirrmacher über Iris Radisch bis Steinfeld – will den lästigen Nachkriegstitanen endlich aus der Trophäenvitrine entfernen.

Sie kommen sich so klein und hässlich vor, so ganz ohne bedeutendes opus magnum. Dabei ohne politische Orientierung, ständig umherirrend zwischen Rechts und Links, die es gar nicht mehr geben soll. Man erinnere sich der reuigen Absage Schirrmachers an den Neoliberalismus nach nur zwei planetarischen Finanzkrisen.

Ist die Lernfähigkeit der Edelfedern nicht verblüffend? War jener Schirrmacherartikel nicht das Äquivalent zu Grassens Bekenntnis, nicht länger über ökonomische Verwerfungen schweigen zu können?

Auch Giovanni di Lorenzo, adliges Espressomännchen der ZEIT, bereute, einem adligen Hochstapler und Schwindler die Stange gehalten zu haben.

Sie haben nichts vorzuweisen als windige Tagesartikel, an die sich in zwei Wochen niemand mehr erinnert.

Man sollte vielleicht von generationenbedingter Inselverzwergung reden. (Solch unvergessliche Begriffe lernt man bei Pilawa.) Denn auf einer Insel der Bedeutungslosen haben sie sich erfolgreich vom Rest der Welt abgesondert und begehen täglich mentale Inzucht, die nach deutschem Recht mit lebenslänglichem Schreibverbot geahndet werden müsste.

F) Es geht aber auch um einen beginnenden Kontinentalkonflikt. Grass kann – als Symbol der menschenrechtlich, ökologisch unerträglich überlegenen Deutschen – ab jetzt von jenen rechten Amerikanern in die Pfanne gehauen werden, die bislang keine passende Handhabe dazu fanden.

An dieser Stelle darf der Franzose Bernard-Henri Lévy nicht übergangen werden, der den Greis mit dem struwwligen Bart und der bebenden Nase im grobschlächtigen Gesicht gleich in toto versenkt. Von jeher sei er nur ein Poseur und Betrüger gewesen, eine Figur aus Sand und Komödiant. Jetzt lebe er nur noch von der Brandung der Niedertracht.

Ein typischer Germane eben, justament den Urwäldern jenseits der Elbe entsprungen und auf die Menschheit mit barbarischem Grunzen losgelassen.

Hier spricht die überlegen-feinnervige Versailles-Kultur, die mit rechtsrheinisch wirrem Messiasgehabe nichts mehr zu tun haben will. Alfred Grosser hat sich vergeblich um die deutsch-französische Annäherung bemüht.

Nebenbei räumt der leibgewordene Monsieur Charme & Esprit mit all jenen genialen Literaten auf, die Feiglinge oder Mistkerle sein können. Moralische Unwürdigkeit und Lügen dürften niemals literarische Argumente sein, sonst würde man einer Unmenge an Celines und Aragons erlauben, „sich im Mist zu suhlen“.

Womit die mistbewundernde neogermanische Ästhetik durch den Bannstrahl aus der Weltmetropole des Geistes erledigt wäre.

Grassens Gedicht hat ein Seebeben in der Stärke 8 auf der nach oben offenen Richter- und Prophetenskala ausgelöst. Was will man mehr von einem reichlich ungereimten Gedicht verlangen.

Wenn Kunst solche kollektiven Erschütterungen auslösen kann, warum soll das Gedicht keine Kunst sein?

Der Neutöner Stockhausen (der 9/11 als größtes Kunstwerk dieses Jahrhunderts bezeichnete), der malende Weltmeister namens Richter, die ganze ach so rebellische, längst eingemeindete Pop-Szenerie, die unendlichen Romaneschreiber, die pünktlich zu den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig ihre Giganten präsentieren, von den Bestsellerparfümeuren à la Precht gar nicht zu reden: sie müssten sich alle die Finger danach schlecken, eine solche Explosion angerichtet zu haben.

Doch wer solche Detonationen für die Kunst fordere, sei nur ein Knallkopf, sagte Literaturkritiker Steinfeld hämisch über seinen remmidemmifreundlichen Kollegen Dennis Scheck.

Oh großer Günter, wir Zwergobst danken dir, dass du uns in unsrer unerträglichen Mittelmäßigkeit nicht allein gelassen und die Urelemente mit deinem zorneschleudernden Blitz gespalten hast. Endlich hast du deinem Nachnamen alle Ehre gemacht. Was du bislang abliefertest, waren nur Fingerübungen und leere Versprechungen. Jetzt hast du geliefert, worauf wir sehnlichst warteten. Deine Trommel soll nicht länger mit Blech, sondern mit epochalem Donnergrollen verbunden sein. Ab jetzt sollst du unser Ver-Künder sein – und Künder Krass heißen.  

Wer fehlt noch aus der Riege bedeutender jüdischer Intellektueller, die noch nicht ihr Statement abgegeben haben, um deutschen Gazetten Glanz und Seriosität zu verleihen?

Nachdem die FAZ neulich tat, als sei ganz Amerika wider den Kunstbanausen Grass, hat sie sich ein bisschen der uralten Regel aller Berichterstattung erinnert, dass auch die andere Seite gehört werden muss und ein interessantes Interview mit Fritz Stern geführt, den Helmut Schmidt neulich als seinen Freund bezeichnete.

Vorneweg ein Satz, der einen ins Grübeln bringt, wenn man glaubt, wir lebten in einer tabulosen Zeit. Stern: „Ich verstehe Israels Angst – ich scheue mich, mehr zu sagen.“ Ein renommierter Gelehrter der „Opferseite“ scheut sich, seine Meinung zu sagen? Was sollen denn dann die vor Antisemitismus-Angst bebenden Nachfahren der Täter sagen?

Überhaupt interessant, dass man im verbalen Getümmel glaubt, besser zu wissen, welche Gefühle ein anderer hat, als der andere selbst.

Da merkt man mit Erleichterung, dass die einstige Therapiebewegung voll ins Kontor der Meinungsführer geschlagen haben muss, wenn man seinem Nachbarn mit Inbrunst sagen kann: Nein, das fühlst du nicht, was du zu fühlen vorgibst. Ich weiß besser, was du fühlst. Aus Angst willst du nichts gesagt haben? Du bist ein Heuchler und Schwindler, ich sage dir, welche Gefühle du hast.

Auf diesem aufsehenerregenden Niveau bewegt sich der Streit der Fraktionen um die Deutungshoheit untergründiger Gefühle. Grass ist kein Antisemit, sagt Stern, aber mit seinem undurchdachten Gedicht habe er der Sache geschadet. Er wollte wohl mit allen Mitteln provozieren. Das sei ihm gelungen, aber der Schuss sei nach hinten losgegangen.

Und erneut das Eingeständnis, dass nicht mal er, der in der „bequemen“ Diaspora lebende Historiker, das Recht habe, „genau solche Sachen zu sagen“ wie die im heiligen Land lebenden Juden: „angetrieben von derselben Sorge, die auch viele großartige Israelis tief bewegt“.

Klar, dass die FAZ-Interviewerin sofort dementieren muss, dass es in Deutschland Tabus gebe. Kein Kommentar von Stern.

Grass, so der Amerikaner, lebe immer noch in der unglücklichen deutschen Tradition, dass der Dichter ein erhabener Seher und Warner sei, der mehr erkenne als normale Sterbliche. Gleichwohl bescheinigt Stern dem Verfasser der Blechtrommel, sein Porträt des jüdischen Geschäftsmanns für Spielsachen sei mit großem Einfühlungsvermögen geschrieben. (Genau diese Stelle wurde in der Jüdischen Allgemeinen als gutgemeint, aber hinterlistig antisemitisch gedeutet!)

In der Tat, die deutschen Dichter sehen sich in der Tradition biblischer Propheten: einsam, verkannt, verfolgt, unverstanden und unter dem Diktat göttlichen Besserwissens.

Stern sieht hier etwas, was alle deutschen Aufschäumer nicht bemerkten: dass Grass die Gedichtform nicht aus primär ästhetischen Gründen wählte, sondern aus latent-religiösen. Wahre Dichter und Denker sind sich geistig nahe, wenn auch äußerlich weit entfernt wie auf verschiedenen Gipfeln der Alpen – so Heidegger, der sich Hölderlin in Distanz verbunden fühlte.

Die Gedichtform ist das ästhetisch aufgeputzte uralte Gebet. Gerichtet an den Himmel, doch so, dass die ordinären Menschen seinen Widerhall vernehmen.

Hier kommt eine gewisse Parallele zu Walser ans Licht. Während jener nur noch mit dem Himmel spricht und das Gespräch mit dem sündigen Menschengeschlecht für immer eingestellt hat, bleibt Grass auf der Stufe des Vermittlers zwischen Oben und Unten. Er, der in der Blechtrommel die Heideggerei auf die Schippe nahm, ist unversehens auf die Loipenspur des Schwarzwälders geraten.

Wer diese elitäre Form der Deklaration wählt, verschmäht nicht nur den irdischen Dialog der Sterblichen, er immunisiert sich auch mit der Geste des vom Himmel Privilegierten, der auf keinen Zuruf mehr von unten reagiert.

Man merkt dem Gebet einen gewissen Autismus des Betenden an; die Inhalte des Flehens sind unausgegoren und ungelüftet. Hier schmorte einer, dem die Zunge ein Leben lang gebunden war, in seinem eigenen Saft, der den Stand der gegenwärtigen Debatte nicht mehr erfassen konnte.

Grass ist beim Thema Israel ein Ungleichzeitiger, ein Zurückgebliebener, der seine jugendliche Antisemitismus-Periode im Nationalsozialismus durch langes Schweigen in sich verkapselte. Unbearbeitet und roh wie ein frisch erinnertes Kindheitstrauma ist der eingeschlossene Inhalt nach oben geschossen und explodiert.

Sowenig, wie die Welt ihn versteht, versteht Grass die Welt, der er das magische Wort, den Gral, bringen wollte, damit das Volk sich mit seiner Vergangenheit endlich versöhne.

Die Deutschen haben schon alle Propheten, denen sie anfänglich zujubelten, zur Strecke gebracht. Es ist der uralte teutonische Furor (den Henri Lévy dunkel spürte), der sich den christlichen Missionaren und Eichenfällern vor 1500 Jahren unterordnete und unterordnen musste: aber mit unauslöschlichen Rachegefühlen, tief verborgen in den Kyffhäuser-Höhlen ihrer dahindämmernden Kollektivseelen, die sich von Zeit zu Zeit eruptiv entladen müssen.