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Tagesmail

Sonntag, 13. Mai 2012 – Die Verbesserung der Natur

Hello, Freunde der Natur,

um Natur müssen wir uns keine Sorgen machen, sie kriegt noch den größten Schrott der Menschen klein. Heute ist Muttertag, heute ist Naturtag.

Peter Hahne glaubt an Gott den Vater, doch er muss mulmige Gefühle haben, wenn er den Satz zitiert: Gott kann nicht überall sein, also hat er die Mutter erschaffen. Der Satz ist ausbaufähig. Da Gott nirgendwo ist, ist Mutter Natur überall. Aufgeblasene Götter braucht sie keine, höchstens zum Amüsement.

Wie alle Mütter muss sie den Dreck ihrer Bälger wegräumen. Hier tut sie es, mitten im abscheulichen Abfall sorgt sie für neues Leben.

Über Nacht weiß ich, was ein Badiousches Ereignis ist. Wenn Dortmund die Bayern mit 5:2 nach Hause schickt. Nichts gegen den ehrbaren Wurstfabrikanten an der Spitze der Bayern. Doch wir müssen an die Langzeitfolgen denken.

Verlieren die Krachledernen, verliert demnächst die CSU. Verliert die CSU, hat kein Bayer mehr in den nächsten 500 Jahren die Chance, Papst zu werden. Weshalb die Bayern ganz grantig und endlich zu dem werden, was sie immer schon sind: die lebenslustigsten Heiden im lutherisch verseuchten Deutschland. Nicht umsonst beginnt das Bayernlied mit dem wadlbeißenden Refrain: Hund samma.

Womit wir zwanglos bei Matthias Sammer gelandet wären, dem Demutsprediger des DFB, der seinen Jungstars den Eintritt ins kapitalkräftige Fußballerleben erleichtert, indem er sie auffordert, öffentlich

Zerknirschung zu zeigen, wenn sie ihre goldenen Schecks mit dem Porsche abholen.

Eine typische Ossi-Idee. Zuerst kriegen sie wirtschaftlich nichts auf die Reihe, dann plumpsen sie mit dem Hintern in den verhassten Kapitalismus und heulen den ganzen Tag aus schlechtem Gewissen, weil es ihnen zu gut geht.

Es muss tiefenpsychologische Gründe geben, warum die Liaison aus westlichen und östlichen Linken nicht funktioniert. Da können Sahra Wagenknecht und Oskar sich in der Öffentlichkeit noch so paarungsfreudig geben, die Straßenkreuzung aus Hayek und Marx ist noch immer Horx und dieser Zukunftsforscher sieht die Zukunft genauso voraus, wie die Ossi-Elite-Schmiede Viadrina die nächsten Lottozahlen. Da können sie noch so lang in ihre postsozialistische Röhre gucken.

Was würde die Wissenschaftsabteilung des SPIEGEL machen, wenn es keine Wissenschaften mehr gäbe, die ununterbrochen Wissenschaftliches an den Tag bringen würden? Fast täglich schlagen sie zu mit neuesten Erfindungen und Entdeckungen.

Nun haben sie endlich was Sinnvolles entdeckt: das Geheimnis des rätselhaften Erfolges der investigativen BILD-Zeitung. Es liegt an den Großen Buchstaben, die große Emotionen auslösen können.

Sogar bei ausgebufften Presseprofis, die sich sonst jedes Jahr den Nannen-Preis im Kreise herum zuschieben. Bislang wurde erfolgreich an BILD vorbeigeschanzt, seit vorgestern ist‘s damit vorbei.

Schon lange ist Leyendecker allein zuständig für investigativen Journalismus in Deutschland, das wollte Dieckmann mit dem gegelten Haupthaar nicht länger hinnehmen.

Ist es keine Schande, dass die deutsche Schreiberzunft nur einen aufdeckenden Kollegen hat? Können wir das nicht besser, indem wir aufdecken, was wir zuvor selber eingebrockt haben? Gesagt, getan. Sie stellten Wulffi eine Falle und waren ganz enttäuscht, dass der sofort drin zappelte.

Hans Leyendecker, ein freundlicher Mann mit tadellosen Manieren, schlug nicht auf den Tisch, sprach aber von Kulturbruch, was die Jury – in der übrigens Deutschlands schönster Philosoph Precht sitzt, der will offensichtlich omnipräsent werden, darunter macht er’s nicht, ihm fehlt die Demut! – schwer beeindruckte, sodass sie ohne die sonst übliche Stammtischrunde bei Weißbier grußlos auseinander ging.

Schwere Gewitterwolken ziehen auf über den Medien. Innenminister Friedrich soll ein Gesetz in der Schublade haben: ab Sommerloch soll die Vierte Gewalt wegen provinziellen Gekungels und sektiererischen Klumpenverhaltens zur 7. bis 8. Gewalt heruntergestuft werden. Wer Friedrich heißt, den muss man einfach unterstützen. Die bleichen Edelfedern wären gut beraten, auf wohlgemeinte Warnschüsse echter Freunde zu hören. Hier Nachrichten aus dem Untergrund.

Noch ein Gerücht aus der Wissenschaft. Windräder sollen sich inzwischen den knappen Wind roh aus den Rotoren klauen. Wer hätte ihnen ein solch kapitalistisches Fehlverhalten zugetraut, wo sie als ökologisch-moralische Alternativen ihre Karriere begannen?

Waren sie überhaupt alternativ? Leute, die sich vor allem um sich selbst drehen, gibt’s unter Politikern und Vereinsvorsitzenden genug – ohne dass man sie gleich herzlos als Windbeutel abmeiern dürfte.

 

Apropos knappe Güter. Je knapper Ressourcen und Güter auf der Welt werden, je eher drohen Kriege auf der Welt. Naturverschwendungen sind Kriegstreibermittel. Hier ein Beispiel aus dem Südchinesischen Meer mit China und den Philippinen. Grund: Öl- und Gasvorkommen.

Obwohl in Indien Berge an Weizen geerntet werden, sind viele Inder unterernährt. Viele Millionen Tonnen verrotten, von Schimmel geschwärzt. Als Grund nennt der SPIEGEL: gute Ernten, zu wenig Lagerkapazität.

Offensichtlich kennt man in Hamburg nicht das Phänomen Neoliberalismus, umgangssprachlich: Geld regiert die Welt. Lager kann man bauen, wenn man Geld hat. Geld wird’s genug in Indien geben, aber nicht für Lagerhallen, die Ernten horten, um das Angebot zu erhöhen, statt zu verknappen.

Mit Überfluss kann man nicht reich werden. Heißt es nicht in allen VWL-Büchern, der Mensch brauche Kultur, um die geizige Mutter Natur mit Vorratswirtschaft zu überlisten? Der Mensch braucht eine knappe Natur, Misswirtschaft und Elend, um Reibach zu machen.

Nichts ist reichtumsschädlicher als eine überfließende Natur. Weshalb der Kapitalismus auch nicht in jenen gesegneten Ländern entstand, wo dem Menschen die Bananen in den Mund wachsen, sondern im regnerischen England, wo außer Rosamunde Pilcher noch nie etwas Sinnvolles heranwuchs.

Auch Frau Merkel ist ein Prototyp der knausrigen, sparsamen Mutter Natur (die es nur in den Gehirnen naturfeindlicher Jenseitsverehrer gibt). Austerität kommt von Enthaltsamkeit, insofern hat ihre Austeritätspolitik durchaus Sinn. Die einen sollen sich enthalten, damit die anderen mehr davon kriegen.

Über die christliche Enthaltsamkeitsdoktrin ist Merkel-Fan Walser entzückt, ebenso über die Hartz4-Gesetze des Herrn Schröder. Woran man merken kann, dass der Geisterseher ein typischer Deutscher sein muss: in der Jugend links, im Alter das Herz auf der rechten Seite, wo‘s hingehört.

Der SPIEGEL fragt den Greenpeace-Chef: „Was wollen Sie dagegen tun?“ Der hatte gerade die Botschaft formuliert, dass die Menschheit im Kampf gegen Klimaveränderung wichtige Schlachten gewönne, aber den Planeten verlöre.

Es gehört zu den heiligen Gepflogenheiten des Journalismus, sich aus allem rauszuhalten. Was dem nannenverdächtigen Magazin mit links gelingt. Auch wenn die Welt unterginge: was geht das den SPIEGEL an? Nur nicht gemein machen mit Pöbel und Planeten, die Chefredaktion hat ausreichend Zimmer in ihres Vaters Hause gebucht: da gibt es viele Wohnungen.

Der SPIEGEL war auch die erste Gazette, die vor Jahren vor der lächerlichen Apokalypse-Hysterie der Deutschen gewarnt hat. Apokalypse kann in der Tat ein neurotisch-religiöses Syndrom sein. Überall sieht man schwarz, weil der Herr ständig vor der Tür steht, doch weder eintritt, noch endgültig verschwindet.

Den vor der Tür lauernden Herrn sollte man wegen Stalkens vor den Kadi bringen. Er belästigt die ganze Weltpolitik, ohne sich ein einziges Mal blicken zu lassen.

Dominante Charaktereigenschaften besitzen die Eigenart, sich selbst ins Werk zu setzen und jene Phänomene zu produzieren, an die sie glaubt, die sie befürchtet, ersehnt, ablehnt oder gar hasst. Deshalb spricht man von selbsterfüllender Prophezeiung. Medizinisch vom Placebo- oder Noceboeffekt, soziologisch vom Thomas-Theorem. Alles Jacke wie Hose.

Man könnte auch kurz von Religion sprechen. Wenn man glaubt, dass Berge für die Wohlstandsvermehrung im Wege stehen, wird man sie versetzen. Wie man Flüsse begradigt oder das Klima ansteigen lässt.

Niemals käme der Greenpeace-Mann auf die Idee, den absurden SPIEGEL-Menschen in den Senkel zu stellen, ihn vielleicht sogar anzubrüllen, ob er noch alle Tassen im Schrank habe, so unbeteiligt zu fragen, als ob ihn das Thema nichts anginge. Oder was er selbst zu machen gedenke, wenn er alles besser weiß.

Da der SPIEGEL vor der Apokalypse der biblizistischen Deutschen einmal gewarnt hat, kann er heute nicht tun, als ob es reelle Gefahren gäbe, die man mit Klugscheißereien vom Tisch wischen könne.

„Bislang helfen Horrorszenarien nicht,“ erklärt triumphierend der SPIEGEL. Ohne die Frage zu stellen, ob es in Wirklichkeit ein Horrorszenario gibt oder die Leute ein solches an die Wand malen, weil sie eine gestörte Realitätswahrnehmung besitzen. Entspricht der Horror einer überprüfbaren Erfahrung oder ist die Erfahrung durch über- oder untertreibende Filter verzerrt?

Naidoo spricht von Millionen afrikanischen Klimaflüchtlingen, die nach Europa drängen. In Europa, nicht in Afrika wird das schädliche Klima produziert. Wir kochen die giftigen Brühen, die wir per Schiff oder Luftströmungen stante pede in andere Länder exportieren, damit die Lasten auf der Welt gerecht verteilt werden.

Geteilte Last ist halbe Last, sagen die Europäer den Nichteuropäern. Geteilte Freud ist doppelte Freud – denken sie und behalten es für sich: denn daran glauben sie nicht. Wenn sie Freude verschenken, fühlen sie sich entweder ausgenutzt oder von karitativ-edlem Gemüt. Dann wird Gott für den notwendigen Lohn der guten Taten sorgen.

Naidoo widerspricht sich seltsamerweise auch nicht zu knapp. Einmal klingt alles recht positiv: doch, die schlimmsten Konsequenzen könnten wir noch abwenden. Wir seien alles andere als hilflos. Jede Sucht könne überwunden werden. Andererseits: Für Millionen Afrikaner sei es schon zu spät.

Der unfasslich überhebliche SPIEGEL gibt Greenpeace Mitschuld an der Verschärfung der Situation. Über die wahren Schuldigen so gut wie kein Wörtchen. Die Retter sind die Schuldigen, nicht du und ich und der selbstgerechte SPIEGEL.

Der Unterschied zwischen Neurose und Realitätstüchtigkeit ist der Unterschied zwischen verzerrter und wahrer Wahrnehmung. Weshalb man bei Neurose auch von Falsch-nehmung reden könnte.

Ob jemand wahnhaft ist, wenn er glaubt, fliegen zu können oder ob genial, weil er eine entsprechende Maschine konstruiert, hängt allein vom Beweis ab. Kann er sich tatsächlich in die Lüfte heben, erhält er den Nobelpreis. Solange der Beweis aussteht, ist es eine Qual für die Umwelt. Soll sie dem Daniel Düsentrieb glauben oder soll sie ihn im Irrenhaus abliefern?

Doch generell müssen wir festhalten: das Problem von Genie und Wahnsinn lässt sich in der Moderne weder in der Politik noch in der Psychiatrie lösen. Denn dazu bedürfte es einer Wahrheitstheorie, die man schon zu Beginn der Neuzeit verwarf.

Die lautete: Wahrheit ist Übereinstimmung von Wahrnehmungen und Wirklichkeit oder die Konvergenz der Dinge mit dem Verstand.

Da diese Formel bereits die mittelalterlichen Theologen benützten, gilt sie heute als überholt, denn die Herrschaft der Kirche habe man längst überwunden.

Pardon, langsam. Diese Formel haben die Scholastiker von den Griechen übernommen, die die simpelste Wahrheitstheorie der Welt hatten: die der Kinder und des gesunden Menschenverstands. Griechen waren Kinder, deshalb waren sie so intelligent.

Das Abendland ist erwachsen geworden. Das merkt man seiner Fähigkeit, die Katastrophe zu verschärfen, ohne sich beunruhigen zu lassen. Es hätt noch immer jot jejange, sagt die Moderne in vollem Einklang mit der Kölner Fassenacht.

Man müsste von einem wahnhaften Realitätsverlust sprechen oder einer Vogel-Strauß-Politik, die den Kopf in den Sand steckt. Wer nichts sieht und hört, hat Recht – wenn er die Alarmisten für hysterische Zeitgenossen hält.

Moderne Wahrheitstheorien wollen sich nicht an der Wirklichkeit orientieren, wie sie ist. Kant spricht vom unerkennbaren Ding an sich. So nennt er die Realität: dieses dumme Ding, das nichts hergibt, bevor ich nichts aus ihm gemacht habe.

Es ist das alte Geschlechterverhältnis. Der Mann braucht ein unansehnliches Weibchen am Herd, auf das er runterschauen kann, es aber gleichzeitig zu seinen ätherischen Höhen hinauferziehen muss. Genau so betrachtet die überlegene Moderne die graue Maus Natur, die sie gar nicht genau anschauen will, denn so, wie sie ist, ist sie bedeutungslos und unansehnlich.

Also muss er sie in ein hübsches und intelligentes Ding verwandeln: per Technik und Kultur. Nicht wie sie ist, ist Natur interessant und begehrenswert, sondern, wie sie sein soll – im Auge des Mannes. Er muss die Frau prägen, sie zu seinem Ebenbilde konstruieren.

Die siegreiche Wahrheitstheorie der Moderne in Wissenschaft und Politik ist konstruktivistisch. Deshalb hat es keinen Sinn, Wahrheit als Übereinstimmung mit etwas zu suchen, das überwunden werden muss.

Es ist wie bei den endemisch gewordenen Schönheitsoperationen. Die Frau fühlt sich zu hässlich für ihren Göttergatten – auch wenn der selbst kein Adonis ist –, legt sich unter das Messer eines männlichen Skalpellbesitzers und kommt veredelt und für den Mann konstruiert wieder nach Hause.

Happy end – oder nicht, weil die nächste Nebenbuhlerin schon vor der Tür steht und noch schöner neu geschaffen wurde.

Der abendländische Mensch hat ein gestörtes Verhältnis zur Natur. Er schaut nicht hin, wie sie ist. Denn er „weiß“, dass sie zu seiner Grandezza nicht passt. Erst muss sie mit künstlichen Methoden so ästhetisiert werden, dass aus dem grauen Schwan ein vorzeigbarer, zubetonierter, asphaltierter, versiegelter Planet geworden ist.

Wenn der Planet dann im Dunkeln hell erleuchtet und lärmend durchs Universum dröhnt, schlägt das Herz der Erdenverschönerer und Neuschöpfer der Natur. So bezaubernd manikürt und gestylt haben sie den Planeten noch nie gesehen.

Bloß dumm, dass die Ästhetisierung zu einer Anästhetisierung missraten ist. Der aufgehübschte Planet ist zu einem vergifteten und verpesteten Planeten geworden.

Schade eigentlich, gell? Wie man heute zu sagen pflegt, wenn man eine ganz heftige Kritik äußern will.

Was tun? Ohne Revision unserer philosophischen Grundlagen werden wir nichts ändern.

Solange wir in religiöser Tradition die perfekte Schöpfung als hässliches und feindlich gesonnenes Ding betrachten, bleiben alle ökologischen Aktivitäten an der Oberfläche.

Solange wir Natur erziehen und verbessern, indem wir sie mir dem Skalpell verschandeln, solange werden wir uns als Erlöser der Natur aufspielen – bis sie unter unseren Händen den Geist aufgibt. Was sie mit Gewissheit nicht tun wird. Denn sie ist unsterblich.

Wir aber werden unsern geistreichen Löffel an der Garderobe abgeben müssen. Die Natur erträgt keinen Geist, der sie verstehen will, indem er sie skalpiert.

Halten zu Gnaden, das ist tröstlich. Natur, wir gratulieren zum Muttertag.