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Sonntag, 12. August 2012 – Staub zu Staub

Hello, Freunde des Zorns,

1939 erschien in den USA der Roman von John Steinbeck: Die Früchte des Zorns, der das Schicksal der Farmer in den Great Plains schildert, die durch die Große Depression und eine ungeheure Staubwolke in Elend geraten, auf der Route 66 nach Kalifornien ziehen, wo Ausbeutung, Hunger und Feindschaft auf sie warten.

Der Autor begleitete einen solchen Treck in den Westen, um die amerikanische Tragödie aus unmittelbarer Nähe zu erleben.

Der Roman wurde angefeindet, denn er zerstörte den Gründungsmythos des neuen Kontinents, den amerikanischen Traum eines Landes, in dem Milch und Honig fließen sollte. Das gelobte Land wurde zu einem verfluchten Land. Eine nie gekannte Dürre war übers Land gekommen und hatte die dünne Humusschicht in Staubwolken (dust bowl) verwandelt, die ins Meer getrieben wurden.

Der Roman erregte hohes Aufsehen, wurde angefeindet, teilweise verboten und verbrannt, gleichwohl erhielt der Autor den Pulitzerpreis, das Buch inspirierte viele linke Poeten, Sänger und Liedermacher.

Natürlich entstammt der Titel dem Umkreis des apokalyptischen Denkens, das den Farmern zur zweiten, nein, zur ersten Natur geworden war: „Der Engel legte seine Sichel auf die Erde und schnitt den Weinstock der Erde und schüttete die Trauben in die große Kelter des Zornes Gottes.“ ( Neues Testament > Offenbarung 14,19 / http://www.way2god.org/de/bibel/offenbarung/14/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/offenbarung/14/“>Offbg.Joh. 14,19)

Wer die Geschichte der USA verstehen will, muss das Buch der Bücher, vor allem das Alte Testament lesen, denn die Bewohner des riesigen Kontinents erlebten sich als

neue Hebräer, die von Gott das gelobte Land Kanaan als Prämie ihrer Glaubenstreue erhalten hatten.

Das Leben der Erwählten bewegt sich zwischen Segen und Fluch. Sind sie gehorsam und treu, liegt der Segen des Herrn auf ihnen. Alles, was sie tun, gerät ihnen wohl. Fallen sie ab vom Glauben, kommt der Schrecken Gottes über sie.

Im 5. Mose-Buch sind Segen und Fluch auf den Häuptern der Kinder Israels – wahlweise der neucalvinistischen Bevölkerung Amerikas – mit außerordentlicher Wucht beschrieben.

(Mose war nicht der Verfasser der fünf Bücher, ob es diese mythische Figur überhaupt gegeben hat, ist unwahrscheinlich. Die Religionen der Geschichte beruhen auf Fiktionen, sie nennen es Glauben.)

Zum Segen gehört: die Erhöhung über alle Völker, die Frucht deines Leibes, die Frucht deines Landes und deines Viehs, dein Korb, dein Backtrog, all deine Feinde werden geschlagen, du wirst ein heiliges Volk sein, im Überfluss leben, alle anderen Völker werden dein Glück sehen und werden dich fürchten. Der Herr wird dir sein Schatzhaus, den Himmel, auftun, dass es in deinem Land Regen gibt zu seiner Zeit, all deine Arbeit wird er segnen, sodass du vielen Völkern Geld leihen kannst, selbst aber keins entlehnen musst. Der Herr wird dich zum Haupt machen und nicht zum Schwanz und du wirst nur aufwärts steigen und wirst nicht absinken. Immer vorausgesetzt, dass du kein Jota abweichst, um andern Göttern nachzugehen und ihnen zu dienen.

Wenn aber nicht, wird sich der Segen in fürchterlichen Fluch verwandeln: Verflucht bist du in der Stadt und auf dem Felde, verflucht ist dein Korb und dein Backtrog, die Frucht deines Landes, der Wurf deiner Rinder, die Zucht deiner Schafe. Verflucht bist, bis du vernichtet und vertilgt bist, dafür, dass du mich verlassen hast. Der Herr wird dich schlagen mit Pest, bis er dich ausgerottet hat. Mit Schwindsucht, Fieber, Entzündung und Fieberglut, Dürre, Getreidebrand und dem Vergilben. Der Herr wird den Regen deines Landes zu Sand und Staub machen, vom Himmel wird es auf dich herabkommen, bis du vertilgt bist. Du wirst von deinen Feinden geschlagen werden, alle Reiche der Erde werden sich wegen dir entsetzen. Deine Leichen werden allen Vögeln des Himmels und allem Getier der Erde zum Fraße sein. Du wirst Geschwüre und die Krätze kriegen. Der Herr wird dich schlagen mit Wahnsinn, Blindheit und Sinnesverwirrung. Am helllichten Tag wirst du herumtappen wie in Finsternis. Nichts wird dir mehr gelingen, du wirst allezeit unterdrückt und beraubt. Niemand wird dir helfen. Dein Weib wird dich betrügen, dein Haus wird unbewohnbar, den Weinberg ungenießbar. Deine Söhne und Töchter werden einem andern Volk gegeben und du wirst nach ihnen schmachten. Ein fremdes Volk wird die Früchte deiner Arbeit verzehren, du wirst unterdrückt und zerschlagen werden. Böse und unheilbare Geschwüre kommen über dich. Du wirst andern Göttern dienen. Du wirst zum Entsetzen und zum Gespött unter den Völkern, die Heuschrecken werden alles auf dem Felde abfressen, die Oliven werden von deinen Ölbäumen abfallen, deine Kinder müssen in Gefangenschaft wandern, deine Bäume werden von Ungeziefer gefressen und der Fremdling, der bei dir wohnt, wird dich überrunden und du wirst nur sinken. All diese Flüche werden über dich und deine Nachkommen ewiglich. Der Herr wird gegen dich ein fremdes Volk heranholen, das keine Schonung kennt weder beim Greis noch beim Knaben. Er wird die Frucht deines Landes und dein Vieh verzehren, bis du vertilgt bist. Er wird die Frucht deines Leibes essen, das Fleisch deiner Söhne und deiner Töchter. Und es werden nur wenige von euch übrig bleiben. Der Herr wird euch mit Lust vertilgen und herausreißen aus deinem Land und dich unter alle Völker zerstreuen, vom einen Ende der Welt bis zum andern. Unter diesen Völkern wirst du keine Ruhe haben, dein Leben wird in Ungewissheit schweben, bei Tag und Nacht wirst du dich ängstigen, dich deines Lebens nicht sicher fühlen. ( Altes Testament > 5. Mose 28,1 ff/ http://www.way2god.org/de/bibel/5_mose/28/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/5_mose/28/“>5.Mose Kapitel 28)

Viele selbsterfüllende Prophezeiungen, die teilweise schon eingetreten sind. Wir greifen nur die Dürre, den Getreidebrand und die Verwandlung der Erde in Sand und Staub heraus. Staub ist der Tod des Humus, wie der Tod des Menschen: „Staub bist du und zu Staub sollst du wieder werden.“ ( Altes Testament > 1. Mose 3,19 / http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/3/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/3/“>1.Mos. 3,19) Die Verfluchung zu Staub ist die Konsequenz des Falls in die Sünde.

Zum Fluch über den Menschen gehört unlösbar die Verfluchung der Erde. Wenn der Mensch für seine frevlerischen Taten bestraft wird, wird die Natur fast immer mitbestraft. Es ist eine Art naturalistische Sippenhaft.

Der Mensch ist Herrscher über die Erde, also kann sein Herrschaftsgebiet nicht unbestraft bleiben, wenn er selbst dran glauben muss. Salopp könnte man sagen, wie der Herr, sos Gescherr.

Natur, das Hoheitsgebiet des sündigen Menschen, ist das Revier des Teufels – Neues Testament > Matthäus 4,8 f / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/4/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/4/“>Matth. 4,8 Neues Testament > Matthäus 4,8 f / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/4/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/4/“> f –, nur einzelne Erwählte kann Gott aus der Menschheit für sich zurückgewinnen.

Im Neuen Testament wird die Verfluchung von Mensch und Natur rückgängig gemacht. Aber nur für diejenigen, die an den Messias glauben. Aus dem Sippenfluch wird Sippenheil.

Die Rettung des Menschen zieht die Rettung der Natur nach sich. Nicht in Form einer Sanierung der alten Natur, sondern als komplette Neuschöpfung eines neuen Himmels und einer neuen Erde:

„Denn die Sehnsucht des Geschaffenen wartet auf das Offenbarwerden der Herrlichkeit der Söhne Gottes. Denn der Nichtigkeit wurde das Geschaffene unterworfen, nicht freiwillig, sondern um dessen willen, der er ihr unterwarf, auf die Hoffnung hin, dass auch das Geschaffene selbst befreit werden wird von der Knechtschaft des Verderbens zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass alles Geschaffene insgesamt seufzt und sich schmerzlich ängstigt, bis jetzt.“ ( Neues Testament > Römer 8,19 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/8/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/8/“>Röm. 8,19 ff)

Für amerikanische Biblizisten sind Naturkatastrophen keine menschengemachten Ereignisse, sondern Gottes Strafen für den sündigen Menschen. Der Mensch sollte in der Lage sein, Herr zu werden über Gottes eigenes Dominium? Ausgeschlossen.

Da die Majorität der Menschen verloren geht und störrisch im Unglauben verharrt, können Gottes Naturstrafen gar nicht ausbleiben. Wenn europäische Ökologen der Meinung sind, die Natur retten zu können, pfuschen sie in Gottes Handwerk und verfallen der Sünde der Hybris.

 

Womit wir in der Gegenwart gelandet wären und von der erbarmungslosen Hitze in den USA reden müssen, die erneut – wie zu John Steinbecks Zeiten – unter Staubwolken in den Great Plains versinken. Jeanne Rubner berichtet in der SZ über die Hintergründe dieser unvermindert weitergehenden Naturschändung.

In mehreren Staaten sind die Niederschläge auf einen historischen Tiefststand gesunken. Die heutige Situation ähnelt dem Dust Bowl der 30er Jahre, als binnen weniger Tage die Prärielandschaft in eine trostlose Wüste verwandelt wurde.

Die Stürme machten eine Fläche fast doppelt so groß wie Deutschland unbewohnbar. 500 000 Menschen zogen westwärts, es war die größte Migrationswelle in der Geschichte Amerikas. Der Dust Bowl war die größte Umweltkatastrophe der USA, an die stets bei Dürre erinnert – und abgewiegelt werde, so Rubner.

Diese amerikanische Lernunfähigkeit, diese Blindheit, den menschlichen Faktor hinter der Naturzerstörung zu erkennen, ist dem himmlischen Gehorsam geschuldet. Die menschliche Vernunft, die hier Kausalitäten erforschen müsste, wird durch fanatisches religiöses Denkverbot gestoppt.

Um sich in der Öffentlichkeit nicht allzu sehr mit theologischem Obskurantismus zu blamieren, werden durchsichtige Rationalisierungen vorgetragen, um den Eindruck zu erwecken, man hätte seine Lektion aus der Vergangenheit gelernt. Dank Technik und besserer Landnutzung könnte sich ein Desaster wie im letzten Jahrhundert nicht mehr wiederholen, hieß es.

Doch jetzt sind warnende Stimmen von Menschen zu hören, die sich nicht länger das Gehirn vernebeln lassen. Der Umwelthistoriker Donald Worster redet nicht um den heißen Brei herum. Die USA hätten es versäumt, die richtigen Lehren aus der Katastrophe zu ziehen, die sich jederzeit wiederholen könnte.

Die Ursachen der Humuszerstörung reichen bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Damals wurde die unberührte Prärie, in der die Indianer von der Bisonjagd lebten, den Ureinwohnern mit Gewalt abgenommen und in Weizen-Mono-Kulturen verwandelt. Wegen des ständigen Weizenanbaus erodierten die Böden. Nach wasserarmen Sommern zerfiel die Erde zu Staub, der von Stürmen davongeweht wurde.

Der Grund für den unökologischen Weizenanbau war Profitgier. Riesige Landschaften konnten mit den neuen Mähdreschern rationell und kostengünstig ausgeblutet werden. Schon in den 90er Jahren hatte ein Experte „intensive Landwirtschaft in einer dafür nicht geeigneten Region“ festgestellt. Die zwischenzeitlich von der Regierung vorgeschriebenen Hecken waren wieder entfernt und die Terrassen nivelliert worden.

Ein Großteil der Maisernte geht in die Produktion von Treibstoffen. Inzwischen hört man schon die Forderung, diese Verwendung des Mais für Sprit zu beenden, sonst könnte es zu Engpässen bei der Lebensmittelversorgung geben.

Der ständige Staub hat inzwischen die Wolkenbildung verändert, sodass noch weniger Regen fällt als früher. Noch immer glaubten die Menschen, klagt Worster, die Naturkatastrophen seien nicht von Menschen gemacht.

Zudem seien kritische Ökologen gegen die mächtige Agrarlobby ohnmächtig. Was Worster nicht sagte: gegen die Macht der Religion chancenlos.

Solche Naturdebakel wären ohne das Dogma des ewigen Wirtschaftswachstums nicht möglich. Dabei ist das Dogma gar nicht so alt. Die klassische Wirtschaftstheorie bis etwa in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts war noch statisch und vom Gedanken des Gleichgewichts geprägt.

Ein statisches Modell im Umfeld eines ewigen Fortschritts und einer allgemeinen Dynamik war ein seltsamer Anachronismus und konnte sich auf keinen Fall behaupten. Es war nur eine Frage der Zeit, wann das homöostatische Gehäuse durch den allgemeinen Außendruck zu immer mehr, immer weiter und höher, zerbrechen musste.

Schon der Gedanke des Wettbewerbs zwischen den Nationen war mit statischer Bescheidung nicht vereinbar. Wenn jeder den andern übertrumpfen muss, wird jede Grenzlinie in die Luft gesprengt.

Hinzu kommt die religiöse Motivation, die eigene Auserwähltheit durch immer neue Wachstumswunder unter Beweis zu stellen. „Und Gutes im Überfluss wird der Herr dir geben, an der Frucht deines Leibes, an der Frucht deines Viehs und an der Frucht deines Landes. … Der Herr wird dir sein reiches Schatzhaus, den Himmel, auftun so wirst du vielen Völkern leihen können.“

Wer diese Segensverheißung im Rücken hat, kann sich mit der zweiten Position oder mit Stillstand nicht begnügen. Droht der eine den andern zu überholen, muss er ihm davoneilen. „Du wirst nur aufwärtssteigen und du wirst nicht heruntersinken“. So kann die Pflicht zum Wachsen gar nicht ausbleiben.

 

In der FAZ zeigt sich Meinhard Miegel als zur Vernunft gekommener Wachstums-Gegner, der notwendige Fragen stellt, die – gerade auch bei linken Politikern – alles andere als selbstverständlich sind.

Durch den Zwang zum Wachstum, so Miegel, würde unser Wohlstand nicht mehr vermehrt, sondern ganz im Gegenteil, das Erreichte werde ramponiert und gefährdet.

In den hochentwickelten Staaten befinde sich das Wohlstandsniveau ohnehin auf dem Rückzug. Nur die obersten 10% der Bevölkerung verzeichneten einen Profitzuwachs. Beim Rest der Gesellschaft stagniere alles oder ginge zurück, die großen Unterscheide spalteten die Gesellschaft.

Wer besonders vom Reichtum der Gesellschaft profitiere, sollte auch besondere Verpflichtungen übernehmen. „Und bei manchen Reichen frage ich mich schon, was ansonsten kluge Leute dazu bringt, so dumm zu sein.“

Viel wichtiger als ständig dem Fetisch Wachstum hinterher zu jagen, sei die Pflege kultureller und mentaler Faktoren. Wenn junge Menschen vor lauter Überforderung das Gefühl hätten, sich eine dauerhafte Beziehung oder ein Kind nicht zuzutrauen, dann stimme etwas nicht im gesellschaftlichen Gefüge.

Es habe auch keinen Sinn, den Kapitalismus als monolithischen Block zu betrachten, den man nur als Ganzes stürzen könne oder gar nicht. Vielmehr müsse man beim Einzelnen ansetzen. Wenn jeder Einzelne sich verändert habe, habe sich auch das Ganze verändert.

Wenn der Einzelne als Bestandteil der Gemeinschaft betrachtet wird, seine persönliche Veränderung die Veränderung von Gesetzen, Institutionen, Spielregeln nicht ausschließt: d’accord, Herr Miegel. Gäbe es viele Miegels in der Gesellschaft, sähe die Wirtschaft anders aus.

Kapitalismus ist Segen für wenige und Fluch für viele. Wer immer aufwärts steigen und die Grenzen der Natur ignorieren muss, hat eine schmerzlichere Fallhöhe als jener, der sich in Heiterkeit bescheidet.

Wer durch Wachstum die imaginären Schätze des Himmels erringen will, wird unvermeidlich die realen Schätze der Erde plündern.