Kategorien
Tagesmail

Sonntag, 11. März 2012 – Restrisiko

Hello, Freunde der Muslime,

allmählich wird der Islam den beiden anderen abrahamitischen Religionen gleichgestellt. Die türkischen Einwanderer sind ja erst in der dritten Generation hier. Nun wird der islamische Religionsunterricht als Regelfach eingeführt.

Doch es sei kein Integrationsunterricht, sagt Bülent Ucar, der islamische Religionslehrer ausbildet. Will er damit sagen, Religion trage nichts dazu bei, dass Menschen sich begegnen können – im Gegenteil: sie spalte? Bei dieser Frage weicht Ucar aus. Wenn man Integration will, solle man Staatskundeunterricht machen.

Wenn man will? Sollte man das auch nicht wollen können? Was passiert bei Widersprüchen zwischen Schule und Elternhaus? Der Unterricht solle, so Ucar, eine Ergänzung sein, kein Gegenmodell zu Familie oder Moscheeschule. Was sich ergänzt, kann sich nicht widersprechen.

Widersprüche scheint es offenbar nicht zu geben. Was in der Schule gelehrt wird, „soll auch kompatibel sein mit den Vorstellungen, Werten und Überzeugungen der Eltern.“ Und wenn sie nicht kompatibel sind: entscheiden dann die Werte der Eltern?

Sind nicht alle drei Heilsreligionen intolerante, alleinseligmachende Ideologien? Alle drei funktionieren nach

dem Muster: „es ist in keinem andern das Heil, denn es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel für die Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden sollen.“ (Der Name kann Mose, Jesus oder Mohammed sein. „Du sollst keine andern Götter haben neben mir“. Das ist die Inkompatibilität aller drei Offenbarungsreligionen, die in diesem ZEIT-Interview mit keiner Silbe angesprochen wird.

Wie verhält sich eine allwissende dogmatische Religion zur Demokratie, wo jeder nur eine Meinung und eine Stimme hat, wo debattiert und argumentiert werden soll? Auf welcher Basis argumentiert man mit Menschen, die sich im unerschütterlichen Besitz der Wahrheit fühlen?

Erfreulicherweise haben sich diese Unverträglichkeiten für die meisten Muslime, Christen und Juden abgeschliffen. Pragmatisch halten sie Frieden mit ihrem andersgläubigen Umfeld. Viele haben innerlich Abschied genommen von den Hasspredigten ihrer Geistlichen und suchen Übereinstimmung mit der Gesellschaft.

Gleichwohl ist das Grundproblem nicht gelöst, sondern nur durch guten Willen überdeckt und könnte durch missliche Umstände jederzeit aktiviert werden. Kommen Fanatiker an die Macht, werden sie Pragmatismus und Humanität als Anpassung und Assimilation verfluchen.

Das ist die Halbherzigkeit der meisten Anhänger exklusiver Heilsrichtungen: emotional haben sie sich vom Geist des Unheils, aber nicht vom Buchstaben des Unheils gelöst. Äußerlich betet man an, was man innerlich verwirft.

Dem unmissverständlichen Buchstaben unterschiebt man seine eigene Deutung und ignoriert die unauflösliche Spannung zwischen der eigenen „ketzerischen“ Meinung und dem Urtext, der alle Ungläubigen und Fremdgläubigen in die Hölle schickt.

Diese Punkte werden in der deutschen Öffentlichkeit nicht angesprochen. Sonst käme ans Licht, dass die abendländische Christenheit im selben Grundkonflikt verharrt, den sie vollständig verleugnet. Die andere Religion wird geschont, um die eigene zu schützen. Stattdessen gibt es gewundene Halbherzigkeiten: „Andererseits wäre es auch falsch, zu sagen, Religionsunterricht habe nichts mit Integration zu tun.“

Und was ist Integration? Normalität und Teilhabe. Was ist normal? „Wenn es islamischen Unterricht genau so gibt wie katholischen und evangelischen.“ Dann fehlt nur noch der normale Religionsunterricht für Zeugen Jehovas, Mormonen und Scientologen und alles ist paletti.

Wie wär’s mit der Normalität, dass jeder seinen heilsnotwendigen Glauben in seiner privaten Kemenate ließe und sich mit Glaubensforderungen nicht in öffentliche Angelegenheiten einmischte? Wird Glaube politisch, ist er eine Meinung unter anderen und hat kein Recht auf Sonderbehandlung im Namen eines höherwertigen Heiligen.

Alleinseligmachende Religionen sind mit Demokratie unverträglich. Haben sie sich mit viel Deutungskunst dennoch verträglich gemacht, sollten sie konsequenterweise ihre archaischen Urtexte in den Antiquariaten abgeben – oder höchstens zur pädagogischen Abschreckung nachlesen: hört mal, solche Hassgesänge auf Andersgläubige sangen wir in früheren Dunkelzeiten.

 

Wie lebt man mit weniger als einem Dollar pro Tag und wer setzt solche Normen fest, dass mehr als ein Dollar schon ein lebenswertes Leben garantiert?

Die UN könne stolz sein, ihre zwei Millenniumsziele erreicht zu haben, so die BZ. 1. Die Zahl derer, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen, sollte bis 2015 halbiert werden. 2. Von 100 Menschen haben heute 89 Zugang zu frischem Wasser. Ein Punkt mehr als die angepeilten 88 %. Das bedeutet Milliarden weniger Durchfallerkrankungen, die häufigste Todesursache für Kinder.

Beide Ziele sind vor der Zeit erreicht. Dennoch kein Jubel. Warum? Weil der Erfolg für westliche Weltverbesserer die „falschen Väter“ hätte. (Merke. Ein Erfolg hat immer einen Vater, Mütter sind für Katastrophen da.)

Die Erfolge seien nicht erzielt worden durch wohlgemeinte Hilfsgelder aus dem Norden in den Süden, sondern durch drei Umstände, die den Gutmenschen und Helfern aus dem Westen angeblich nicht in den Kram passen: a) durch globales Wirtschaftswachstum, b) durch nichtdemokratische, autoritäre Regimes, und c) durch die eigenen Kräfte der „Unterentwickelten“.

Im Bereich der Wasserversorgung sei der Fortschritt dadurch zustande gekommen, dass sich die Erkenntnis durchgesetzt habe, Wasser habe, wie alles Lebensnotwendige, einen Preis. Seit gezahlt werde, funktionierten Wasserwerke, leckende Rohre würden repariert, Abwässer entsorgt, Toiletten gebaut.

An wen wird bezahlt? An private Investoren, die sich das Gemeineigentum unter den Nagel gerissen haben oder an das Gemeinwesen selbst? Keine Frage, keine Antwort.

Will uns der Artikel zu verstehen geben, dass Demokratien in Fragen des Überlebens Auslaufmodelle sind? Dass Entwicklungshelfer ihre „Hilfsobjekte“ in Abhängigkeit sehen wollen und es nicht ertragen, dass es deren Selbstheilungskräfte sind, die sich von ausländischer Hilfe unabhängig machen? Über Andeutungen und Gemunkel kommt der Text nicht hinaus.

Es muss ein Riesenfortschritt sein, wenn die reichste Epoche der Weltgeschichte es schafft, nicht mehr zwei Milliarden Menschen, sondern nur noch eine Milliarde verhungern zu lassen. Als die Menschheit wesentlich ärmer war, konnten solch kleinere Missgeschicke fast nicht geschehen.

Je reicher die Menschheit, je größer die Katastrophen – die sie selbst verursacht. Obgleich sie vertuscht und verleugnet, dass Massenelend kein Naturgesetz, sondern Menschengesetz ist. Sie erweckt den Anschein, als ob sie mit Technik, Geist und Wachstum nichts anderes täte, als die Wirkungen der bösen Natur mit immer besseren Erfindungen, steigendem Wachstum und ungeheuren Geldmassen nachhetzend einzudämmen.

Es muss ein Wettkampf sein wie zwischen Hase und Igel. Stets sagt das Elend zum Fortschritt: Ick bün allhier, dich hänge ich nach Belieben ab. Du kannst dich anstrengen wie du willst, keine Chance gegen meine grausame Hinterlist.

Man schiebt auf die böse Mutter Natur, was welthassende Kinder mit ihrem himmlischen Vater allein zuwege bringen. Nach dem heiligen Motto: Zeit, dass das sündige Treiben auf Erden ein Ende hat.

Warum bleibt der Triumph aus? Weil es noch folgende Zahlen gibt: Hunderte Millionen Menschen haben kein frisches Wasser und nicht mehr als 1,25 Dollar zum – Vegetieren. Dann die entscheidende Frage: „Wer wollte behaupten, von 2,50 Dollar ließe sich prima leben?“ Selbst diejenigen also, die nicht mehr verhungern, leben in unwürdigen Verhältnissen.

Das Ende der Armut ist nicht die Bannung des Hungertodes, sondern das Ende – des Reichtums, der die Allmacht besitzt, nach Belieben Ohnmacht und Elend zu erzeugen.

Armut ist antastbare, angetastete, begrapschte, geschändete Menschenwürde. Sie lebt vom Kontrast zur Übermacht jener, die sich den Reichtum der Welt in die Portokasse stecken. Alles nach Naturgesetzen.

 

Fukushima jährt sich, hat die Menschheit gelernt? Unterschiedliche Einschätzungen. China baut noch viele Atomanlagen, aber auch viel Ökologisches. Selbst im französischen Wahlkampf spielt die Atomfrage überraschend eine Rolle. Ausgerechnet das bisherige Vorzeigeland Finnland, das über viele Seen und Flüsse verfügt, setzt jetzt auf Atom.

Ist Atom nicht ökologischer als alles andere – mit Ausnahme der nirgendwo geklärten Endlagerung? Die Menschheit scheint gespalten. Klarheit wird vermutlich erst der nächste Atomkollaps bringen. Mensch lernt nur, wenn er eins auf die Schnauze kriegt. Einer der besten Artikel zum Thema Restrisiko stammt aus der Feder von Bernhard Pötter in der TAZ.

Was ist ein Restrisiko und was unterscheidet es von einer Gefahr? Kein Problem, das Bundesverfassungsgericht selbst hilft uns und definiert: Es ist ein „hypothetisches Risiko, nach dem Stand der Wissenschaft unbekannt, aber nicht auszuschließen.“

In diesem Sinn hat das oberste Gericht technische Projekte mit Restrisiken grundsätzlich abgesegnet. Das war bereits 1987. Beispiel: das anfängliche Wundermittel für Kühlschränke stellte sich erst 40 Jahre nach seiner Entdeckung als Ozonkiller und extrem gefährliche Substanz für die menschliche Gesundheit heraus. In einer beispiellosen Kooperation der Völker wurde das FCKW verboten, die Ozonschicht konnte sich regenerieren.

Ein schulemachendes Exempel, dass die Völkergemeinde noch nicht völlig dement und untergangssüchtig ist. Seltsamerweise ist dieser riesige Erfolg nicht ins Herz der öffentlichen Weltmeinung gedrungen, um das Selbstbewusstsein der Völker zu stärken in der Meinung: geht doch. Wir können, wenn wir wollen.

Das Risiko des FCKW war nicht bekannt, also konnte es nicht unterbunden werden. Doch Fukushima war kein Restrisiko, sondern „Dummheit, Arroganz oder Irrsinn“, so Pötter. Denn die japanische Atomanlage liegt in einem Landstrich mit erhöhter Erdbebengefahr.

Nicht nur, dass jede Anlage schon Gefahren in sich birgt, die immer und überall durch den „menschlichen Faktor“ ausgelöst werden können, zusätzlich kam noch der Naturfaktor hinzu, den der Mensch sehenden Auges in einen Menschenfaktor verwandelte.

Schon vor ihrer Blitzkonversion sprach Merkel permanent vom Restrisiko, als Physikerin hätte sie imstande sein müssen, zwischen bekannter Gefahr und unbekanntem Risiko zu unterscheiden.

Heute wird bei jeder neuen Erfindung von Restrisiko – „eine 100%ige Sicherheit gebe es nicht“ – gequatscht. Selbst, wenn die Gefahren auf dem Tisch liegen. Passiert eine Katastrophe, schieben die Techniker es gern auf den „menschlichen Faktor“, der wieder einmal versagt habe. Die Technik ist immer unschuldig. Als ob es komplexe Maschinen ohne Menschen gäbe.

Das war der Traum des Karl Marx für sein Reich der Freiheit. Der Mensch arbeitet nur noch wenige Stunden in der Woche. Den Rest erledigen vollautomatische Roboter, die an die Stelle der antiken Sklaven getreten sind, sodass der malocherbefreite Mensch endlich zur aristotelischen Muße komme: Angeln, kritischer Kritiker sein, Bienenzüchten, von Joggern hat er nicht gesprochen.

Solange dies Reich der Freiheit sich nicht am Horizont zeigt – und sollte es sich zeigen, wird es von modernen Arbeits- und Profitsüchtigen sofort wieder verjagt –, wird’s diesen Zustand nicht geben. Denn das wäre das Ende der bekannten Geschichte. Die Menschen wären angekommen, könnten selbst-zufrieden und rundum glücklich sein.

Was nach derzeit geltender Menschenkunde – auch der Linken – sich niemals ereignen darf. Denn Selbstzufriedenheit wäre Zufriedenheit mit sich selbst. Selbstzufriedenheit darf es in gottgelenkten Kulturen gar nicht geben. Da entscheidet allein die Fremd-Zufriedenheit, das Lob des Vaters über die folgsamen Kinder.

Zum andern ist Zufriedenheit per se fortschritts- und wachstumsfeindlich. Wer sollte noch forschen, malochen und im Schweiße seines Angesichtes zocken, wenn alle wie im Schlaraffenland satt auf arabischen Polstern oder deutschen Rundumsofas lägen?

Zufriedenheit hat keinen Stachel, erklärt uns der kapitalismuskritische, aber neu- und fortschrittsgierige Misik. Fortschritt muss sein, und wenn er uns die Gräten bricht. Wie heißt das dogmatische Credo aller Zukunftssüchtigen und Ruhelosen? Wir sind nicht unterwegs, um anzukommen.

Das Ganze Leben ist nicht nur ein Börsenspiel, sondern eine unendliche Momo-Reise ins Land hinter dem Regenbogen, das man erst nach Verlassen des irdischen Terrains erreichen wird.

Da Aristoteles, der selbstsichere und selbstzufriedene Heide, immer von Maß und Ziel sprach, konnten die Himmelssucher dieses erbärmliche Mittel-Maß nicht stehen lassen und eliminierten alle irdischen Ziele und Zwecke. Näher mein Gott zu Dir – im Unendlichen, jenseits aller Grenzen, die wir im Sitzen, Liegen und Stehen zu transzendieren haben.

Die literarischen Grenzenhüpfer sind die besten Freunde der ökonomischen Grenzensprenger. Was sie beide hassen, ist der selbst-satte, selbst-gerechte und selbst-bestimmte Philister, der sich nur von seinem Selbst bestimmen lässt, nicht von fremden Industrie- und Geistinstanzen, die ihm das gute Leben als fremdbestimmtes einbläuen wollen.

Man stelle sich vor, die Menschheit würde selbst bestimmen, welches Leben sie führen wolle, wann sie zufrieden sei, wann sie sagen würde: genug ist genug, wir sind angekommen. Die Welt ist reich genug, verteilt es gerecht unter allen Schwestern und Brüdern. Dann wird die Akte „Heilsgeschichte ins Unendliche und Grenzensprengende“ für immer ad acta gelegt.

Was für Spießerträume – eines John Maynard Keynes. Ja, der Gegner des Hayek, der spätestens 100 Jahre nach seinem Ableben einen stationären Endzustand der Wirtschaft und eine selbst-zufriedene Menschheit erhoffte und also schrieb: „komme ich zu dem Ergebnis, dass das wirtschaftliche Problem innerhalb von 100 Jahren gelöst sein dürfte. … Wenn das wirtschaftliche Problem gelöst ist, wird die Menschheit eines ihrer traditionellen Zwecke beraubt sein.“ (Keynes, „Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“)

Diese teuflische Utopie ist das rote Tuch aller fremdbestimmten Wachstums- und Fortschrittssüchtigen, die nicht ruhen und rasten dürfen – bis der Herr vor der Tür steht und sagt: machet auf, jetzt wird abgerechnet.

Dies alles hat mit der Definition des Restrisikos zu tun. Hätten wir genug von zwanghaftem Fortschritt, bräuchten wir keine neuen Erfindungen mehr, deren Risiken uns unbekannt sind und die wir blindlings in Kauf nehmen müssten.

Von den bekannten Gefahren gar nicht zu reden, die wir noch immer mit neuen, ganz tollen Erfindungen glauben, unter Kontrolle zu kriegen. Erfindungen, deren Risiken wir nicht einschätzen können.

Warum sind wir so „leichtsinnig“ und tun so wenig gegen bekannte Gefahren wie etwa bei der atomaren Endlagerung? Weil wir uns zwingen, der Innovationskraft des menschlichen Genius zuzutrauen, die Nuss beizeiten zu knacken.

Lieber geben wir uns leichtsinnig, als unser mangelndes Vertrauen in die Genialität des homo faber zu entlarven, der schon immer alle Probleme – mit neuen unbekannten Problemen löste. Bevor wir uns als Kleingläubige enttarnen, tun wir lieber, als spielten wir leichfertig mit der Zukunft unserer Kinder.

Es gibt noch einen anderen Grund unserer bewussten Verblendung bei unbekannten Restrisiken und bekannten Gefahren. Er steht bei Adam Smith und lässt sich als tiefgreifendes Misstrauen in unser Bewusstsein beschreiben.

Es ist viel zu wenig bekannt, warum der Schotte die Unsichtbare Hand einführte. Er misstraut bewussten moralischen Absichten der Menschen. Noch niemals hätten gutmeinende Parolen der Welt gebracht, was sie zu bringen versprachen.

„Alle, die jemals vorgaben, ihre Geschäfte dienten dem Wohl der Allgemeinheit, haben meines Wissens niemals etwas Gutes getan. Und tatsächlich ist es lediglich eine Heuchelei, die unter Kaufleuten weit verbreitet ist, und es genügen schon wenige Worte, um sie davon abzubringen.“

Deshalb benötige man eine Unsichtbare Hand, die einen Zweck fördere, den zu erfüllen der Mensch in keiner Weise beabsichtigt habe. „Auch für das Land selbst ist es keineswegs immer das schlechteste, dass der einzelne ein solches Ziel nicht bewusst anstrebt, ja, gerade dadurch, dass das eigene Interesse verfolgt, fördert er häufig das der Gesellschaft nachhaltiger, als wenn er wirklich beabsichtigt, es zu tun.“ Erst wenn der Mensch von der Unsichtbaren Hand geführt wird, fördert er, „ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das Interesse der Gesellschaft.“ („Der Wohlstand der Nationen“)

Adam Smith war derart von christlichen Moralpredigten angewidert, dass er eine radikale Reaktionsbildung vollzog und unversehens im Schosse seines Gegners Mandeville landete. Nicht das Gute oder die bewusste gute Absicht bewirkten das Gute. Erst die Beschränkung auf das eigene egoistische Interesse (entspricht dem privaten Laster bei Mandeville) befördert ungewollt und unbewusst das allgemeine Wohl der Gesellschaft.

Hier verrät der Stoiker und Aufklärer den Glauben an das bewusste Gute im Menschen. Entweder ist dieses nicht gut oder es ist zu schwach, um sich in klarer Absicht zu realisieren. Daher Regression unter die allmächtige Hand des Gottes, des Schicksals, bei Hayek der Evolution.

Hier erblicken wir die Wurzel des aufklärungs- und menschenfeindlichen Hayek, die ihn an dieser Stelle mit Smith verbindet: ein unrettbares Misstrauen in die moralischen und erkenntnistheoretischen Kompetenzen der Menschheit.

Goethe hat diese Misstrauen in das bewusste Wollen des Menschen knapp auf den Punkt gebracht: „Der Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des Weges wohl bewusst“.

So lautet auch die Kernbotschaft Hayeks an den begriffsstutzigen und wenig wissenden Menschen: Überlasst das Ergebnis eures Tuns der überlegenen Intelligenz des Marktes oder der Evolution. Ihr könnt nur blinde Angebote machen, der Markt wird ausrechnen und entscheiden, ob eure neue Erfindung oder Produktidee von den Menschen angenommen wird – oder nicht. Überlasst das Denken also den Elefanten, eure Gehirnqualitäten reichen nicht, um euer bewusstes Handeln zu einem garantierten Erfolg zu bringen.

Das war die Absage an die Idee des hellen Bewusstseins, das die Menschheit ins rationale Paradies führen sollte. Überlasst euch euren dunklen und selbstsüchtig scheinenden Interessen, sie werden euch weiter bringen als eure deformierte moralisch scheinende Nächstenliebe. Je weniger falsches Vertrauen ihr in euch habt, je mehr richtiges Vertrauen habt ihr zur Unsichtbaren Hand, der Evolution oder dem Herr der Heerscharen.

Womit wir beim alttestamentarischen Prediger gelandet wären, bei dem wir die Lieblingsstelle Hayeks finden, die er als göttliche Beglaubigung seiner habsburgisch-katholischen Menschenfeindlichkeit ständig zitiert:

„Wiederum sah ich unter der Sonne, dass nicht den Schnellsten der Preis zufällt, und nicht den Helden der Sieg, nicht den Weisen das Brot, noch den Verständigen Reichtum, noch den Einsichtigen Gunst; sondern alle trifft Zeit und Zufall.“ (Mit wenigen Worten: es gibt keine Gerechtigkeit in der Geschichte, Leistung muss sich gar nicht lohnen.

Alles ist Zeit und Zufall. Just das ist der Glaube der Zocker, Spieler und Spekulanten. Restrisiko und Gefahren sind zufällige Pokerkarten in der Hand des wagemutigen homo ludens.

Wer spielt und riskiert, kann gewinnen. Wer nichts riskiert, hat bereits verloren.