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Sonntag, 10. März 2013 – Verändern ohne Einsicht

Hello, Freunde einer deutschsprachigen Republik,

in einem nicht unbekannten deutschsprachigen Land gab es eine Umfrage. Mehr als 50% würden heute der NSDAP Chancen bei Wahlen einräumen. 61% wünschen sich einen starken Mann. 42% waren der Meinung, dass unter Hitler – einem Landsmann der Befragten – nicht alles schlecht war.

„Fast unglaublich sind auch die Ergebnisse zur Frage des Standards: „Damals nach dem Anschluss gab es ja massive Ausschreitungen, vor allem gegen die jüdische Bevölkerung in Österreich. Wenn Sie jetzt an das heutige Europa denken, wären solche Ausschreitungen noch vorstellbar oder ist das nicht der Fall?“ Nur zwölf Prozent halten solche Ausschreitungen für völlig unmöglich, 32 Prozent halten sie für eher nicht wahrscheinlich – doch eine Mehrheit hält sie für eher möglich (39%) oder gar sehr wahrscheinlich (17%). (SZ)

Übrigens wollten die Wiener vor kurzem noch ihren Charme als Weltkulturerbe zertifizieren lassen.

 

Wir müssen uns ändern, an der spanischen Südküste ist ein Pottwal angeschwemmt worden. Das Tier hatte sich mit Plastik voll gestopft. Im Magen des Wals befand sich ein komplettes Gewächshaus. „Der Darm des Wals war von dem Abfall völlig verstopft und ist förmlich explodiert“. (DER SPIEGEL)

Wir müssen uns ändern. Wenn wir weiter machen wie bisher, zerstören wir uns und die Welt. Wir müssen uns mit Haut und Haaren verändern. Doch warum verändern wir uns nicht?

Apokalyptiker sind unbeliebt, denn Menschen wollen nicht entmutigt werden. Sie

wollen mit einer guten Botschaft in die Zukunft gehen.

Was ist ein Apokalyptiker? Einer, der schwarz sieht, obwohl die Lage gar nicht schwarz ist? Einer, der schwarz sieht, weil die Lage schwarz ist?

Im letzteren Fall würde er die Wahrheit sagen und vor einer realen Gefahr warnen. Er wäre ein Freund der Menschen, die er zur Umkehr ermahnte. Im ersten Fall würde er irren, wahrscheinlich in bester Absicht. Er wäre noch immer ein Freund der Menschen, wenngleich unfähig, die Lage ohne Übertreibung wahrzunehmen. Auch wenn er übertriebe, könnte der Inhalt seiner Rede – kehret um, ändert euch – völlig richtig sein. Vielleicht übertreibt er mit Absicht, um die Menschheit lieber zu früh als zu spät zu warnen?

Gibt es nur Apokalyptiker mit guten und warnenden Absichten? Gibt es nicht auch völlig Trostlose mit der Botschaft: Ihr habt keine Chance mehr? Tut, was ihr wollt, eure Zukunft fällt aus? Ihr seid verloren, weil niemand euch retten kann? Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr im 21. Jahrhundert lebt?

Der Mensch kann sich nicht retten, sagte Heidegger, ein katholischer Theologe, der sich philosophisch gab. „Nur noch ein Gott kann uns retten. Uns bleibt die einzige Möglichkeit, im Denken und im Dichten eine Bereitschaft vorzubereiten für die Erscheinung des Gottes oder für die Abwesenheit des Gottes im Untergang; daß wir im Angesicht des abwesenden Gottes untergehen.“

Wie wollen wir diejenigen nennen, die die Gefahren einer Katastrophe nicht sehen oder nicht sehen wollen und die Menschheit der Katastrophe warnungslos ausliefern? Sie haben immer eine frohe Botschaft und machen der Menschheit Mut – indem sie sie ins Verderben rennen lassen. Wären diese positiv und optimistisch agierenden Verbreiter der guten Laune nicht die schlimmsten Feinde der Menschheit?

Wollte Oswald Spengler den Untergang des Abendlandes? Oder wollte er vor demselben nur eindringlich warnen, indem er den Untergang an die Wand malte? Belsazar entgeht dem Menetekel nicht, obgleich Daniel ihm den Sinn der Schrift an der Wand entschlüsselt. Für den Sohn Nebukadnezars wird Daniel zum Unheilspropheten.

Apokalyptiker sind Heils- oder Unheilspropheten. Sie verkünden den Willen des Herrn der Geschichte. Manchmal ist der Wille des Herrn verborgen und die Propheten enthüllen ein göttliches Geheimnis.

Manchmal sagen sie nur triviale Dinge, die vor aller Augen liegen, doch niemand will sie sehen. In diesem Fall sind Propheten soziologische Zeitbeobachter, die nur ihre natürlichen Sinneswerkzeuge benutzen. Ihre Prophetien sind keine übernatürlichen Botschaften, sondern rationale Prognosen, die jeder nachvollziehen könnte, der seine fünf Sinne beisammen hätte.

Übernatürliche Propheten sind immer Heils- und Unheilspropheten in einer Person. Den einen verkündigen sie das Heil, den andern verkündigen sie Unheil: ohne Buße, Reue und Umkehr werdet ihr der Hölle verfallen. Echte Propheten setzen nicht auf die Kraft und Einsicht der Menschen. Wer seinen Weg der gottfernen Verdammnis nicht beendet und zu Gott zurückkehrt, der ist für immer verloren. Propheten Gottes sind Menschenverächter.

Gibt es „rationale“ Apokalyptiker? Wenn sie echte Gefahren sehen und den Menschen zutrauen, sie zu erkennen und zu vermeiden. Die Rationalität ihrer Aussagen könnte man überprüfen, indem man sie mit der Realität vergleicht. Wenn ihre Aussagen mit den Tatsachen übereinstimmen, sprechen sie die Wahrheit.

Man müsste sie dem klassischen Wahrheitstest unterziehen. Das ist unmöglich, wenn man die klassische Wahrheitsdefinition ablehnt. Ohne Realitätsvergleich sind alle Aussagen unüberprüfbar, jede ist so viel wert wie die andere. Die Aussagen wichtigtuerischer Hysteriker wären genau so viel wert wie die Aussagen seriöser und scharfsinniger Beobachter.

In Deutschland haben Apokalyptiker einen schlechten Ruf – aus leidvoller apokalyptischer Tradition. Vor und nach dem ersten Weltkrieg hatten sie ihre Hochkonjunktur in Deutschland. Kaum eine Kommune oder ein Stadtviertel ohne einen Herrn mit zerfurchtem Gesicht und wallendem Haupthaar, der den Deutschen die Leviten las und ihnen die Zukunft voraussagte.

Seit der Romantik hatten die Deutschen sich entschlossen, zu einem Volk des Heils zu werden. Zu einem Urvolk, einem Volk der Priestersoldaten, Heilande und Seher. Es hängt mit der Logik des Heils zusammen, dass es unauflösbar mit dem Unheil verknüpft ist. Fällt das Heil aus – sein Eintreten ist immer prekär –, kippt es um ins Unheil. Selbst wenn es eintritt, ist das Unheil für die Ausgeschlossenen unvermeidbar. Heil den Erwählten, Unheil ihren Feinden.

Das Schicksal der Juden in Deutschland war beschlossene Sache, seitdem die Deutschen das maßgebende Volk der Zukunft werden wollten. Wer nicht für sie war, war gegen sie. Da Heil nie sicher sein kann, entwickelten die Deutschen eine hochgradig polare Nationalpsychologie, die ständig zwischen Sein und Nichtsein, Heil und Unheil schwankte. Wurde der Glaube an das nationale Heil unsicher, musste die Suche nach jenen Teufeln beginnen, die an ihrem Unheil schuld wären. Es waren die Juden, die nichts anderes zu tun hatten, als das deutsche Volk von innen aufzufressen und dem Verderben zu übergeben.

Der schwankende Glaube an die nationale Auserwählung sollte im Ersten Weltkrieg ein für alle mal befestigt werden durch einen grandiosen Sieg über den Westen mit seiner heidnischen Gläubigkeit an Demokratie und Vernunft.

Die grandiose Siegesgewissheit einer Nation, die den Krieg als ultimativen Gottesbeweis betrachtete, schlug um ins blanke Entsetzen, als der Herr die Seinen auf der Walstatt verbluten ließ und den Triumph dem heuchlerischen Westen zusprach. Das war die Stunde der schlimmsten Gottverlassenheit in der gesamten deutschen Geschichte.

Ohne diese Niederfahrt zur Hölle hätte es kein Bedürfnis nach kollektiver Auferstehung gegeben – mittels eines Sohnes der Vorsehung, der die Schmach auf dem Feld nur mit exorbitanten Wundertaten heilen und ausgleichen konnte. Da der erste Gottesbeweis gründlich fehlschlug, musste ein zweiter die Schmach vor der Welt in einen finalen Endsieg verwandeln.

Man könnte sagen, seit der Romantik bestand die deutsche Politik aus abwechselnden Heils- und Unheilskategorien. Darunter machten es die Deutschen nicht. Entweder in tiefer Not oder als unbesiegbare Messiasse in glitzernder Wehr mit Flammenschwert.

Deutschland war kein normales Volk unter normalen Völkern – die anderen europäischen Nationen waren allerdings kaum weniger auserwählt –, es war nicht integrierbar. Unter Bismarck gab es noch einen bestimmten Pragmatismus, aber nicht ohne erhebliche Zockerelemente. Bei Kaiser Willem gab es nur noch dreiste Risikospiele im Vertrauen auf den Vater der Geschichte. Deutschland wollte auf dem Schlachtfeld seine schlechthinige Auserwähltheit erzwingen. Gott musste Ja sagen zur germanischen Nation. Lieber wollten sie zur Hölle fahren als ohne Gewissheit leben, die Erwählten oder die Verworfenen zu sein.

In dieser apokalyptischen Dauererregung musste irgendwann die Reaktionsbewegung eintreten. Seitdem gerät jeder Alarmismus in Gefahr, als neue Ausgabe der deutschen Untergangssehnsucht oder eines dubiosen Zweckpessimismus zu gelten.

Doch das Gegenteil eines elementaren Irrtums ist nicht die Wahrheit. Nach dem Alphafehler eines generellen Schwarzsehens befinden wir uns mitten im Fehler einer noch gefährlicheren Rosarotstimmung und eines neurotisch-verharmlosenden Betafehlers: es ist schon immer alles gut gegangen.

Jetzt können Fachleute, Meteorologen und Ökologen noch so drastisch die anschwellenden Gefahren schildern – Deutschlands gewitzte Apokalypse-Entlarver lehnen sich lächelnd zurück und wissen a priori Bescheid: nichts Neues unter der Sonne Belsazars. Mene Mene Tekel Upharsin – und darauf einen Dujardin.

Auch die Linken sind gebrannte Apokalypsekinder. Auch sie mussten ständig auf die revolutionären Zeichen an der Wand hören, immer die Ohren am Bauch der Heilsgeschichte, ob das Elend schon so weit vorangeschritten war, um ins Gegenteil umzukippen und das Reich der Freiheit vorzubereiten.

Wie sollen wir uns verändern – ohne ein apokalyptisches GPS? Wie können wir die Zeichen der Zeit deuten, wenn wir kein verlässliches Ortungssystem mehr haben? Bliebe da nicht die schnöde Vernunft und das eigene autonome Wahrnehmungsvermögen?

Die TAZ will die Menschheit zur Umkehr rufen – ohne heilsgeschichtlichen Weihrauchschwaden und mit betont nüchternem anti-apokalyptischem Ton. (Peter Unfried in der TAZ über Harald Welzer)

Doch die erste Untergangsprophetie steht schon im Eingangsbereich: „Die westliche Industriegesellschaft ist am Ende.“ Und wie weiter? Gott sei Dank gibt‘s auch einen echten Heilspropheten. Einen Sozialpsychologen, der aussieht wie ein Südtiroler Skilehrer. „Sozialpsychologen“ wissen Bescheid mit dem Verändern. Zumal, wenn sie ihren Unijob aufgegeben haben und Nägel mit Köppen machen wollen.

Warum kommt die TAZ als linkes Blatt nicht auf die Idee, Menschen zusammenzurufen und sie selbst herauskriegen zu lassen, ob und wie sie sich verändern wollen? Wozu bedarf es immer sogenannter Experten? Und wer macht die Experten zu Experten? Am Ende sind‘s wieder die Medialen, die genau wissen, welche Gurus sie einzuladen haben. Die Journalisten sind Meta-experten der Experten. Oder die Propheten der Götter, die immer bescheiden tun, aber genau wissen, wen sie herbeikarren müssen, um sie dem Publikum als Leckerbissen zu präsentieren: Harald Welzer ist heute Deutschlands führender Intellektueller für Klimakultur und für die Frage, warum trotz des Wissens alle den Klimawandel ignorieren.

Wer diese Noten für praktische Prophetie vergab, bleibt das Geheimnis der TAZ. Immerhin hat Welzer sich privat mit dem Sammeln von Autos beschäftigt. Wenn das keine Garantie für Prognose- und Utopiefähigkeit ist!

Ein säkularer Prophet erlebt „keinen Schicksalsschlag und auch kein Erweckungserlebnis“. Und dennoch veränderte er sich. Und nicht nur das. „Als Sozialpsychologe weiß er, dass weder Wissen noch Einsicht zu anderem Handeln führen, sondern nur erlebte Praxis.“ Ist erlebte Praxis möglich ohne Einsicht und Wissen? Ist sie einsichts- und wissenslos? Wie kann sie wissen, dass sie richtig liegt? Dass sie das Rechte tut?

Wir erleben eine neue mutierte Generation der Weisungsgeber. Sie schäumen und orakeln nicht. Und dennoch verbirgt sich hinter ihrem lässigen und entspannten Tun der autoritäre Ton: „Jetzt verstehen Sie das doch mal.“ Offenbar ist Welzer etwas indigniert ob der geistigen Immobilität um sich herum. „Dynamik kommt nie aus der Box, sondern nur von ,out of the Box‘.“ Dem Tempo und der Spannkraft echter Zukunftsführer ist nur schwer zu folgen. Die Gefolgschaft kann nur das Gefühl der Minderwertigkeit entwickeln.

Ich kann durch praktisches Tun lernen. Aber nur, wenn ich mein Tun verstehe und erkenne, warum es erfolgreich ist oder nicht. Alles andere wäre blindes Wursteln à la Merkel. Ist Welzer der sozialpsychologische Ideengeber der Kanzlerin? Welzers neue Bibel – frisch auf den Markt gekommen, trägt den Titel: „Selbst denken“. Ja, wie? Denken – ohne Einsichten zu erwerben?

Dazu ein paar bombastische Erklärungen: „Es ist das bisher fehlende Werkzeug zur Selbstermächtigung nicht vollständig gelähmter Individuen in einer unerklärlich selbstmitleidigen Gesellschaft. Ohne Zweifel das wichtigste Buch des Jahres, um es mal vorsichtig auszudrücken. Botschaft: Veränderung gelingt durch praktiziertes Nichteinverstandensein auch gegenüber sich selbst.“

Rätsel über Rätsel. Lieg ich so im Argen, dass alles, was von mir kommt, prinzipiell vom Teufelszahn angenagt sein muss? Ich widerspreche mir, also lieg ich richtig? Geht’s meiner Natur entgegen, so geht es grad und fein? Die einen sind unfehlbar in ihrer Gottähnlichkeit, die anderen per Umkehrschluss. Alles was aus ihrer sündigen Seele kommt, ist das Gegenteil der Wahrheit. So hat jeder seine individuelle Hundemarke der Unfehlbarkeit. Der eine im Stolz: Gott sei Dank, dass ich nicht bin wie jener Zöllner, und der andere: Gott sei Dank, dass ich nicht bin wie jener selbstgerechte Schriftgelehrte.

Dazu das uralte Klischee der selbstmitleidigen Gesellschaft und ein stets entspannter Veränderungsexperte, der sich schnell langweilt, weil er mit allem ungeduldig ist. Wenn die Gesellschaft sich nicht just in time ändert, könnte er ganz schnell das Interesse am Verändern verlieren. Denn er hat Besseres zu tun als Selbstmitleidigen das Verändern einzubleuen.

„Welzers These: Das Neue beginnt, wenn man eine Geschichte über sich erzählen kann, in der man Teil einer Gemeinschaft ist, die sich aktiv verändert.“ Hier sind wir bei den sakramentalen Begriffen der Postmoderne: Narrativ, Geschichte erzählen, auf keinen Fall abstrakt und theoretisch reden. Wie kommt man zum Ei des Kolumbus? Indem man über das Ei des Kolumbus eine Geschichte erzählt.

Keine Einsicht, keine Theorie, keine Argumente! Aber eine Heilsgeschichte erzählen! Das war einst die Grundsatzentscheiduung christlicher Märchenerzähler gegen das Debattieren heidnischer Griechen.

Nun kommen die üblichen Heiligenlegenden von Menschen, die bereits Erstaunliches zuwege gebracht haben. Doch wie sind sie zu ihrer Geschichte gekommen? Was war es, das sie zum Tun befähigt hat? Alles bleibt im Dunkeln.

Ist Verändern kein Kampf gegen dunkle Mächte der Beharrung? Doch welche Mächte sind das? Ist Verändern kein Kampf gegen Ideen und Religionen, die alles belassen wollen, wie es ist? Bei Welzer findet das Verändern in einem kahlen sozialpsychologischen Labor statt. Nicht in der realen Welt, wo es Theologen, Postmodernisten und Feuilletonisten gibt.

Seine Thesen klingen wie aus einem amerikanischen Ratgeberbuch: Wenn du nur willst, kannst du die Welt verändern. Eine Analyse, warum Menschen sich veränderungsunwillig zeigen, suchen wir vergeblich.

Wenn es dem TAZ-Kongress nicht um Einsicht und Erkennen geht, bleibt nur der Weg der Umkehr auf autoritären Zuruf. Tut, was wir euch sagen. Wir wissen, wie man die Realität verändert.

Es ist die Wiederholung der bekannten Bekehrungsgeschichte. „Und darnach ging er aus uns sah einen Zöllner mit Namen Levi sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach. Da verließ er alles, stand auf und folgte ihm nach.“

Aufklärung ist bei den Linken nicht vorgesehen.