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Sonntag, 10. Juni 2012 – Der Mensch ist das Maß aller Dinge

Hello, Freunde der Mütter,

Mütter sind gut genug, ihre eigenen Kinder zu Hause zu erziehen, aber nicht gut genug, um fremde Kinder in Kitas zu erziehen. Das nennt sich Vereinbarkeit von Beruf und Erziehung: wer schon zu Hause versagt, kann auch bei Schlecker einem beschissenen – pardon, entfremdeten – Job nachkommen. Unfähigkeit ist mit Unfähigkeit immer vereinbar.

Im Ernst. Welche Mutter beides schultert, zu Hause und im Kapitalismus ihre Frau steht, ist noch lange nicht fähig, professionell mit Kindern umzugehen. Hat frau beim Kindererziehen nicht praktische Psychologie, im Beruf nicht Selbstbewusstsein in der Realität erlernt? Kann sie Kindern nicht vermitteln, wie es in der Welt zugeht? Strahlt sie nicht eine doppelte Kompetenz aus, wenn Beruf und Familie wirklich vereinbar wären?

Vergessen wir mal die alerte Frau von der Leyen. Wie konnte der Eindruck entstehen, die entlassenen Schleckerfrauen sollen in Kitas abgeschoben werden? Ist die Beschäftigung mit Kindern inzwischen das Allerletzte in dieser Gesellschaft? Das ist die eine Seite.

Die andere ist der „Schlag in die Magengrube“, den professionelle Erzieherinnen bei diesem Vorschlag empfinden. Nun müssen sie umgekehrt ihre „Berufsanforderungskompetenzen“ – gelobt sei die deutsche Sprache – in den Himmel heben, um sich der Zumutung zu erwehren, gestandene Mütter & Malocherinnen als zukünftige Kolleginnen zu begrüßen. Nun hören wir mal, wie

eine Obererzieherin ihre Empörung begründet, dass sie mit ganz normalen Müttern, Hausfrauen und Berufstätigen zusammenarbeiten müsste:

Wer sich für den Beruf der Erzieherin entscheide, benötige eine „innere Haltung, Liebe zu Kindern, Empathie und Neugierde, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die Bereitschaft, sich weiter zu entwickeln“. Es sei eine Diskriminierung der Profis, wenn der Eindruck entstünde, Frauen, die einen engagierten Job gemacht hätten, seien ergo befähigt, auch mit Kindern zu arbeiten.

Gnädige Frau, halten wir fest: normale Mütter haben keine innere Haltung, keine Liebe zu Kindern, keine Empathie und Neugierde, keine Fähigkeit zur Selbstreflexion und keine Bereitschaft, sich weiter zu entwickeln. Diese unempathischen haltungs- und lieblosen Durchschnitts-Mamis haben bei Schlecker nur gelernt, Waren in die Regale einzusortieren und abzukassieren. Als Erzieherinnen würden die doch glatt die Kids in die Regale einsortieren, die kleinen in die kleinen und die großen in die großen.

Dabei sprach niemand davon, die Mütter ungeschult und von heute auf morgen vor den Kindergärten im Rudel abzukippen. Doch mit zweijähriger Umschulung wäre auch nichts geholfen: „da geht’s mir schlecht“, sagt die Obererzieherin. Was man wirklich bräuchte, wären akademisch ausgebildete Kräfte, wie man sie schon in anderen europäischen Ländern finden würde. Die deutsche Erzieherin wird bei den Nachbarn gar nicht anerkannt.

Selbst bei regulär ausgebildeten Erzieherinnen träfe man auf junge Frauen, die nach fünf Jahren Ausbildung noch immer bei verhaltensauffälligen Kindern unsicher wären. Übersetzen wir den abstoßenden Expertenjargon ins Deutsche und reden von schwierigen Kindern, mit denen ihre Eltern „nicht fertig werden“, dann verstehen wir, warum frau akademische Weihen benötigt, um solch unausstehliche Blagen auf Vordermann zu bringen. Unidozenten müssen also Akademiker sein, damit sie mit verhaltensauffälligen Studis zurechtkommen? Klingt einleuchtend.

Schleckermütter, lasst alle Hoffnung fahren, gute Mütter zu sein, bevor ihr nicht euren Doktor in Marketing und Zeitmanagement gemacht habt.

„Niederschwellig“ gebe es noch immer das Vorurteil, dass Kindererziehen die natürliche Berufung der Frau sei, jede Frau könne das.

Vielleicht nicht jede Frau, aber wie wär‘s mit Frauen, die Kinder geboren haben, Mütter genannt werden und ihre Kinder erziehen müssen, weil die Väter sich lieber in ihre Jobs verzogen haben, als sich mit ihren Gören herumzuplagen?

Was ist eine natürliche Berufung, wenn Frauen ab ihrer Geburt einer gewissen Kultur untergeordnet sind? Menschen von Natur aus gibt es nur da, wo Kulturen die Natur auch walten lassen. Wir leben in einer Kultur des „Geistes“, die bekanntlich nichts unterlässt, um die Natur mit der Mistgabel auszutreiben.

Und wozu eine akademische Ausbildung? Um Menschen mit „heißem Herz“ zu erhalten. Aber gewiss doch, akademische Ausbildung und heißes Herz: genau diese aparte Mischung zeichnen unsere elitären Akademiker aus.

Wozu benötigt man ein heißes Herz? „Es ist schließlich die Zukunft, die da herangezogen wird.“ Wenn das keine Herzensbildung ist, Kinder als Humankapital für die Zukunft heranzuziehen. Herr Hundt würde sich krachend auf die Schenkel klopfen, wenn er das Interview läse. Die Industrie ist endgültig im Kindergartenbereich angekommen und hat sich in der Frühförderung eingenistet.

Oder sagen wir so: von Natur aus braucht das herzensgute Kapital Erzieherinnen, die durch akademische Kunst die Kinder derart der Natur entfremden, damit sie später in naturfernen Berufen nicht verhaltensauffällig werden. Die Zukunft mag nur zukunftsverträgliche Kinder.

Spätestens hier müssten sich alle FeministInnen der zweiten Generation öffentlich entleiben. Schleckermütter sind Mütter und Malocherinnen. Das Verträglichkeits-Experiment haben sie in vivo – am eigenen Leib – durchgeführt. Sie haben’s probiert und sind krepiert.

Als Mütter taugen sie nicht die Bohne, als Arbeitnehmerinnen noch weniger. Den Schleckerkonzern haben doch sie in den Sand gesetzt, nicht die saubere Familie Schlecker. Jetzt will sie niemand mehr haben, nicht mal Umschulungen traut man ihrer Herzenskälte und ihrer Begriffsstutzigkeit zu. Sie haben auf der ganzen Linie versagt.

Mütter, ihr seid der Schrott der Gesellschaft. Mit euch kann man‘s machen. Ihr spielt in der Gesellschaft dieselbe Rolle wie in der Familie. Wenn eure Familie tüchtig und vorzeigbar ist, kann das nur das Verdienst der Männer sein, wenn eure Kinder in der Gesellschaft unangenehm auffallen – ist‘s allein eure Schuld.

Ihr Jesuanerinnen, ihr opferbereiten Märtyrerinnen. Alle Schuld nehmt ihr stellvertretend auf eure zarten Schultern. All eure Verdienste gönnt ihr euren heldenhaften Männern – damit ihr auf sie stolz sein könnt. Geht’s noch perverser? Ihr glaubt, stark zu sein, wenn ihr die Schwächen der Männer tragt und versteckt, die mit ihren Idiotien ungerührt weiter machen. Das ist die wahre Loslösung von eurer Muttertierrolle in Familie und Gesellschaft. Solange wir solche perfekten Golgathamütter haben, brauchen wir uns über ausgebrannte Militanz-Väter nicht zu wundern.

Es ist immer noch das alte saubere Paar, das die abendländischen Geschicke bestimmt: die Heilige deckt ihren ach so schuldlosen Lieblingsverbrecher und folgt ihm in die sibirische Verbannung. Sibirien ist heute überall. Indem sie die Schuld ihrer unerwachsenen Männer übernehmen, glauben sie, selbst schuldlos zu sein. Ein verzerrteres und verhängnisvolleres Selbstbild kann es nicht geben.

 

Am letzten Tag des Monats steht schon jeder siebente Amerikaner nachts Schlange bei Wal-Mart. Die neuen Essensmarken werden eingelöst. Die sogenannten Food stamps. Das sind sage und schreibe 46,4 Millionen Menschen. In Deutschland wäre das mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Seit der Finanzkrise hat sich die Zahl um nicht weniger als um 70% erhöht.

Schlangestehen war einst das Signum des real herrschenden Knappheitssozialismus. Nun wird es zum Zeichen des reichsten Überflusslandes der Welt. Nein, verhungern muss bei uns niemand, wagt ein Politiker zu sagen. Verhungern vielleicht nicht, hungern aber bestimmt. Von anderen Psycho-Kleinigkeiten gar nicht zu reden.

Hurra, der unterlegene Sozialismus hat den siegreichen Kapitalismus besiegt. Die Konvergenztheorie hatte Recht: Kapitalismus, Sozialismus – alles Jacke wie Hose. Man pendelt sich auf niedrigstem Niveau ein. Die einen werden gerade so durchgefüttert, dass sie nicht halbtot die Straßen verunzieren – wie einst in den unterentwickelten Ländern –, die anderen wissen nicht, was sie mit ihrem Zaster noch anfangen sollen. Alternativen? Gibt’s nur im Märchenland.

 

Die Lachplatte der Woche. Deutschland kritisiert Israels Siedlungsbau – scharf. Da wird Netanjahu aber Angst kriegen.

Nun gibt es eine ganz neue Art von Genuntersuchung, ohne die Bauchdecke der schwangeren Frau mit einer Nadel zu durchstechen und damit das Embryo zu gefährden. Damit ist ein Traum der Humangenetiker wahr geworden, die die Gen-Ausstattung des Kindes untersuchen wollen, ohne dessen Leben zu gefährden.

Zu welchem Zweck? Erstmals natürlich, um nachzuschauen, ob das winzige Wesen gesund ist – oder ob Erbkrankheiten bei ihm zu finden sind. Damit die Eltern entscheiden können, ob sie das Kind überhaupt bekommen wollen.

Zum andern stellt sich die Frage, ob Eltern grundsätzlich ein Kind nach Maß aussuchen dürfen. Der Art: wir wollen nur einen Supersportler, oder eine Konzertpianistin.

In Indien werden weibliche Embryonen massenhaft abgetrieben, weil man männlichen Nachwuchs im immer heftiger werdenden Wirtschaftskampf für wichtiger hält.

Der TAZ-Kommentator scheint mulmige Gefühle zu haben, wenn er schreibt, bald werde dieser Gentest marktreif sein und jedermann zur Verfügung stehen. „Dann wird er auch nachgefragt. Dann sind der Eugenik „von unten“ keine Grenzen mehr gesetzt.“

Gibt es auch eine aristokratische Eugenik von oben? Die Überschrift des Kommentars heißt folgerichtig: „Wo der Mensch zur Norm wird.“ Das muss schon etwas Schreckliches sein, wenn sich der Mensch zur Norm macht. Welche Normen gibt’s denn noch, wenn schon der Mensch keine sein darf?

Na, wie ick den Laden hier kenne, kann dat nur das kleine Jesulein sein. Sein Vater natürlich: die oberste Norm der eingeborenen Kultur ist Gott. Wäre es ein neues Kapitel in der Ablösung von der Theologie, wenn der Mensch sich auch auf dem Gebiet der „Menschenzüchtung“ selbst zur Norm machte? Wäre das nicht Sünde wider den heiligen Geist, wenn der Mensch sich an die Stelle Gottes setzte?

Es gehört zu den genialen Tricks der Kirche, die eigenen hausgemachten Probleme ihren gottlosen Feinden unter die Weste zu jubeln. Bekanntlich ist das Dogma der Gottesebenbildlichkeit ein Grunddogma des christlichen Glaubens („Der Mensch ist worden wie unsereiner“).

Die ganze Moderne ist unverständlich, wenn man nicht gerafft hat, in welchem Maße solche Dogmen das Eingemachte der Kultur prägen. Bis in die sublimsten Facetten der Philosophie, der Kunst und Wissenschaft.

Fichtes ICH-Philosophie ist die Realisierung der Gottgleichheit im Bereich des Denkens. Alle andern philosophischen Systeme sind auch nur Variationen derselben Einstellung, dass der abendländische Mensch berechtigt ist, an Gottes Stelle die sündige und unvollkommene Natur (natura lapsa) abzutragen und zu vernichten, um an ihre Stelle eine neue aus dem kreativen Kopf der ebenbildlichen Kreatur zu entwerfen.

Die Dominanz des Kreativen in der Moderne ist nichts als die Imitation eines Creators ex nihilo. Zur unbegrenzten kreativen Macht des gottgleichen Geschöpfs gehört auch die Kehrseite: die unbegrenzte Destruktion des Vorhandenen, die Vernichtung der Natur.

Inzwischen bekommt die Kirche Angst vor den Konsequenzen ihrer jahrtausendelangen Predigten. Denn sie merkt, dass ihre Botschaft bei den Menschen angekommen ist. Wenn man lange genug unter der Kanzel hören muss, dass man nicht viel geringer ist als Gott, glaubt man das mit wachsender Begeisterung und übersetzt es ins Denken und Tun.

Das Ergebnis: die naturverwüstende Technik der Neuzeit, die überzeugt ist, die Schäden, die sie anrichtet, mit immer neuen genialeren Erfindungen wettzumachen. Die alte Schöpfung wird abgetragen, die neue wird installiert. Der Mensch, der neue Gott: das ist gelebtes Christentum.

Die Amerikaner stehen voll und ganz zu diesem weltverändernden Tun und Glauben. Die deutschen Kleriker hingegen erschrecken vor ihren Zauberlehrlingen und wollen es nicht gewesen sein.

Also verwandeln sie die Gottebenbildlichkeit flux in eine Untugend des gottlos gewordenen Menschen. Seht her, sagt Altbischof Huber, seitdem ihr den Glauben verworfen und euch frevelhaft an die Stelle Gottes gesetzt habt, kriegt ihr die Quittungen für euer blasphemisches Tun.

An allem Bösen sind die Gottlosen schuld, an allem Guten die Kinder Gottes. Wer sich der Norm „Gott“ unterwirft, muss wissen, was er tut. Seine naturgegebene Vernunft kann er vergessen, er muss sich totaliter aufgeben. Entweder diese Welt – oder jene, darunter macht‘s Gott nicht. Wer nicht für ihn ist, ist wider ihn.

Der Mensch sollte nur nicht vergessen: auch wenn er Gott wählt, hat er Gott erwählt. Seine menschliche Norm hieß ihn, die göttliche Norm zu wählen und die menschliche sausen zu lassen. Dieser Falle entkommt er nicht.

Entscheidet sich aber der Mensch bewusst für den Menschen, stößt er auf das verruchte Motto des griechischen Sophisten Protagoras: Das Maß aller Dinge ist der Mensch. Ist das nicht ungeheuer verwegen und anmaßend? Bei Protagoras klingt das noch gefährlicher. So, als ob die Existenz aller Dinge vom menschlichen Tun und Meinen abhingen.

Würde diese Interpretation stimmen, wäre der Mensch nichts anderes – als ein Ebenbild Gottes. Unabhängig davon, ob es diesen überhaupt gibt. Ohne es zu wissen, hätte der Agnostiker Protagoras nur das christliche Dogma des allmächtigen Creators vorweggenommen.

Lässt man diese Deutung beiseite, kommt man auf die Trivialität, dass der Mensch selbst zu verantworten hat, was er tut. Wer sollte ihm die Verantwortung abnehmen? Außer ihm gibt’s keine Wesen im Universum, die sich danach drängten, für ihn zu entscheiden.

Der Satz des Protagoras ist nicht dasselbe wie der Anthropozentrismus, die christlich-jüdisch-muslimische Lehre, der Mensch stünde im Zentrum allen Geschehens. Ja, Gott habe die Schöpfung nur um seinetwillen ins Leben gerufen. Erde, Sonne, Mond und Sterne: alles diene nur der ewigen Seligkeit der Krone der Schöpfung. Die ganze Natur ist ihm untertan und muss allein seinen Interessen dienen. Das ist der Kern der Philosophie der Moderne und die Konsequenz der Gottesebenbildlichkeit des Menschen.

Mit Protagoras hat das nichts zu tun. Bei den Griechen war der Mensch Teil der Natur, in der kein Geschöpf wichtiger war als das andere. Der Mensch muss das Maß aller Dinge sein, wenn er Teil der Natur ist, die das absolute Maß aller Dinge ist.

Was Protagoras meint, kann nicht weit entfernt sein von dem, was Max Weber mit Verantwortungsethik meinte. Was immer der Mensch tut, er wird seinen Kopf dafür hinhalten müssen. Im Bereich des Menschlichen geschieht nichts, was der Mensch nicht selbst zu verantworten hätte. Ruiniert er seine Lebensumstände, war es niemand außer ihm, der ihn ruinierte.

Wenn er das verstanden hat, wird er den theologisch geprägten Begriff Ver-antwort-ung umdeuten. Der mündige Mensch müsste keinem Gott mehr antworten („Adam, wo bist du?“), sondern er müsste seinen Mitmenschen Rede und Antwort stehen. Der Mensch ist nur sich selbst und der Natur verantwortlich.

Wenn die Menschen sich nicht selbst in Frage stellen und Antworten geben, sich nicht selbst voreinander rechtfertigen, wird es niemanden geben, der diese Liebespflicht für sie übernähme.

Nicht anders bei Gentests und in allen politischen Dingen. Auf welche Instanzen will der Mensch denn die Verantwortung schieben, die ihm die Entscheidungen über Tod und Leben abnehmen sollten? Auf die Kirche, die Medizin, die Eliten, die Politik? Auch das sind nur Menschen, selbst wenn sie sich als Mundstücke höherer Weisheiten und Offenbarungen präsentieren. Sie sind kein Deut unfehlbarer und irrtumsloser als er selbst.

Hilft alles nichts. Wer aufgeklärt und mündig sein will, landet bei Kant: „Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat (oder einen Ethikrat), einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt (oder die Gentests), so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen“.