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Tagesmail

Sonntag, 09. Dezember 2012 – Menschenrechte und Natur

Hello, Freunde Ägyptens,

die ägyptische Demokratie hat einen wichtigen Zwischensieg errungen. Mursi hat seine Sondervollmachten zurückgezogen.

 

Kardinal Meisner hat Gaucks grundgesetzwidriges Sexleben angegriffen. Mit der richtigen Frau lebe er nicht zusammen, mit der falschen sei er nicht verheiratet. Dabei sollten Ehe und Familie vom Grundgesetz geschützt und gefördert werden, damit die Gesellschaft überlebensfähig sei – sagt der ehe- und kinderlose Zölibatär, dessen mönchische Kollegen und Kolleginnen zum biologischen Erhalt der Gesellschaft nur in Sünde beitragen können.

Lutherisch ist Gaucks Bigamie allemal. Dem Landgraf Philipp von Hessen erlaubte der Wittenberger mit zwei Frauen verheiratet zu sein – es sollte nur nicht publik werden. Die Doppelehe „wüssten wir nicht zu verurteilen,“ schrieb der aufrechte Reformator in Einklang mit seinem braven Melanchthon. Den aufsässigen Bauern wären solche Eskapaden nicht gestattet worden. Rein zufällig war der Landgraf ein wichtiger Anhänger der Reformation. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Die althebräischen Patriarchen hatten auch ihren Harem. Jakob diente sieben Jahre um Rahel. Der schlaue Laban aber schob ihm die scheeläugige Lea aufs nächtliche Lustlager, dann durfte er noch mal sieben Jahre malochen, um die schöne Schwester zu gewinnen.

Herr Kardinal, fordern Sie das Verbot der Bibel, sie ist Grundgesetz-widrig.

Stuttgart 21 geht in die nächste Runde. Es drohen Mehrkosten von über einer 1,5 Milliarden Euro, für die bis jetzt niemand aufkommen will. Vermutlich wurde das Volk bei der Volksabstimmung vorsätzlich betrogen. Die Grünen sitzen in der Bredouille. Geißlers Schlichtung entpuppt sich als substanzlose Selbstüberschätzung, letztlich im Dienst der Mächtigen.

 

Francis Fukuyama und Jürgen Habermas debattieren über die europäische Zukunft. Mit den üblichen Dunst- und Nebelbegriffen heutiger Gelehrter. Am Ende aber wird’s doch noch spannend.

Für Fukuyama, den amerikanischen Verfasser des Buches „Das Ende der Geschichte“ leitet sich der Begriff Würde von der „christlichen Moralvorstellung“ ab. Von Kant sei er säkularisiert und universalisiert worden. Typisch für das westliche Würdekonzept sei die „deutliche Trennung des moralischen Status des Menschen von der nicht-menschlichen natürlichen Welt.“

Das stünde im Widerspruch zu nicht-christlichen „Religionen des Ostens“, in denen Mensch und Natur ein „Kontinuum“ bildeten, also eine grundsätzliche Einheit, in der die Menschen ihren privilegierten Status verloren hätten. Im Osten hätten sogar unbelebte Dinge „spirituelle Merkmale“, was einerseits zu einem geringeren Schutz von Menschenrechten, andererseits zu einem größeren Verantwortungsgefühl für die Natur geführt habe.

Der Westen würde allmählich in Richtung Osten driften. Was Habermas davon halte?

Von einer „spirituellen Wiederverzauberung der Natur“ halte er nichts. Allerdings müssten wir unsere verschütteten moralischen Sensibilitäten gegen gequälte Kreaturen freilegen, könnten vom Osten mehr „kommunitaristische“ Elemente übernehmen – also gemeinschaftsbildende –, um unseren „libertär-individualistischen“ Freiheitsrechten ein Gegengewicht zu bieten.

Der Westen überstrapaziere die Rechte des Einzelnen und könne vom Osten das Leben in der Gemeinschaft und der Natur lernen. Der Osten könne vom Westen die unverbrüchlichen Rechte des Einzelnen lernen. Der Osten müsste dazu denselben Schritt vom metaphysischen zum nachmetaphysischen Denken gehen wie der Westen, der erst in der Moderne ein „rationales Verständnis von Moral und Recht“ entwickelt habe.

Dieser Abschied von der kosmologischen Metaphysik habe uns ein „nicht-instrumentelles Verhältnis“ zur Wissenschaft gebracht. Wissenschaft sei zum integralen Bestandteil unseres Selbstverständnisses geworden. Ein sensibler Umgang hinge ja nicht von religiösen und metaphysischen Weltbildern ab. „Reziproke Anerkennungsverhältnisse mit Ich-Du-Beziehungen“, die in der „sprachlichen Kommunikation eingebaut“ seien, wären nicht erforderlich.

Wie viele Leute verstehen dieses Soziologen-Chinesisch? Man hat den Verdacht, dass selbst die Soziologen ihre babylonischen Verwirrungen nicht verstehen. Wenn bei jeder „Ich-Du-Kommunikation“ die Sprecher dieser Hieroglyphen einen 10-Euroschein in die Sparbüchse zum Lernen von Klardeutsch werfen müssten, wäre das Gestammel auf höchstem Niveau bald vorbei und jedes Kind könnte entdecken, dass die Gelehrten nackt und bloß sind.

Was ist eine spirituelle Wiederverzauberung der Natur? Ist das eine Kritik am naturverbundenen Osten – von dem wir gleichzeitig Naturverbundenheit lernen sollen?

An eine Erdmutter glaube er bestimmt nicht, sagte kürzlich der Religionssoziologe Hans Joas. Ein himmlischer Vater voll widernatürlicher Erscheinungen ist natürlich eindrucksvoller als eine südamerikanische Bachamama, die ohne Wunder, aber wunderbar und zauberhaft uns das Leben schenkt und erhält.

Wie kann man nachmetaphysisches Denken fordern, wenn man seine natürliche Sensibilität entwickeln will, da doch Metaphysik die Lehre von der Verbundenheit aller Lebewesen im Kosmos ist? Ist Metaphysik nicht das Bedenken menschlicher Urfragen nach Gott und der Natur? Wäre es nicht überaus dringlich und notwendig, diese Urfragen eingehend zu erörtern, wenn uns allmählich der Teppich unter den Füßen weggezogen wird?

Wenn‘s ans Eingemachte geht, muss das Eingemachte erörtert werden. Wenn es unwissenschaftlich sein soll, Grundfragen zu bedenken, spricht das etwa gegen die Grundfragen oder gegen die Wissenschaft, die sich erkühnt, das Grundsätzliche mit Denkverboten zu belegen? Eine solche Wissenschaft denkt nicht, wie Heidegger ausnahmsweise Recht hatte.

Wissenschaft sei ein integraler Bestandteil unserer Welt geworden, sie sei kein bloßes „Instrument“ – was soll das heißen? Vielleicht, nein, gewiss wäre es besser, die Technik als dienendes Instrument zu betrachten denn als automatischen Selbstläufer, der uns wie der Besen des Meisters über den Kopf gewachsen ist und uns nach Belieben dominiert.

Wissenschaft sei keine Technik? In der Tat. Doch die beiden sind längst wie siamesische Zwillinge zusammengewachsen. Heute sind sie zur unio pekuniaris und potestatis (zur Klumpenbildung aus Macht und Knete) geworden – nicht zum Vorteil der Wissenschaft, die zur Sklavin der Technik, Ökonomie und des Hightech-Militarismus degradiert wurde.

Im MA war Philosophie die Sklavin der Theologie, heute ist Wissenschaft zur läufigen Dienerin des Neoliberalismus verkommen. Was würde geschehen, wenn die gesamte Wissenschaft ein Sabbathjahr – bei vollen Bezügen natürlich – einlegen würde? Wer würde sie vermissen?

Was man von ihr hört, sind Belanglosigkeiten, Überstiegenheiten und die Suche nach Gott. Gottesgene, Gottesteilchen, was hat sich Gott eine Sekunde nach dem Urknall gedacht, gibt es Beweise für oder gegen ihn?

Technik erleichtert nicht mehr die Maloche der Menschen, sie frisst sinnvolle Arbeitsplätze weg und wird zum naturtötenden Leviathan der Menschen. Nicht Technik dient den Menschen, der Mensch wird zum fehlenden Chip eigenständiger Roboter. Während der Mensch seine Autonomie verliert, werden seine Golems immer autonomer.

Bei Habermas hat die nachmetaphysische Moderne das rationale Recht errungen. Nein, das Recht wurde von der kosmologischen Metaphysik der Antike erfunden, die sich grundsätzliche Fragen gestellt und grundsätzliche Antworten gegeben hat.

Nun will der ökologische Westen beim Osten lernen, diffamiert aber dessen naturverbundene Kosmologie als veraltete Metaphysik. Wie kann man Menschen der Natur zurückgeben, wenn man Naturdenken als spirituellen Zauber abkanzelt?

Natürlich kann Habermas nicht zwischen Religion und Religion unterscheiden. Eine Naturreligion ist keine naturfeindliche Frohe Botschaft mit überstandener Halbwerts- und anbrechender Endzeit.

Bei Habermas selbstredend kein Wörtchen über die abendländische Religion und ihre naturzerstörenden Dogmen. Man müsste nur in einer normalen Dogmatik unter dem Kapitel Ende der Welt, Apokalypse und der Lehre von den letzten Dingen nachlesen – wenn diese aus Zeitgeist-Eitelkeit nicht schon getilgt sind. Dann greife man nach Dogmatiken, die älter sind als 30 bis 40 Jahre. Es genügt auch ein Blick in die Katechismen, die man Kindern und Konfirmanden zumutet.

Wie sein Gesprächspartner Fukuyama gehört Habermas zu denen, die alles Gute aus religiöser Ethik ableiten. Seit dem Ende der 90er wird er frömmer und frömmer, obgleich er damit kokettiert, dass er religiös unmusikalisch sei. Für verlorene Söhne der Moderne ist Metaphysik nichts anderes als Theologie. Waren das noch Zeiten, als die Kirche im Dorf stand und Klein-Jürgen seinen Großvater, den Dekan, predigen hörte.

„Der egalitäre Universalismus“, so Habermas, sei ein „Erbe der jüdischen Gerechtigkeits- und der christlichen Liebesethik.“ Trotz schonender Umbenennung der jüdischen Rache- in Gerechtigkeitsethik ist für den unmusikalischen Jesusfreak das Christentum etwas Besseres als das Althebräische. It‘s love, stupid.

Durch Höherbewerten der evangelischen Liebe gegenüber dem jüdischen „Auge um Auge“ entstand am Ende des 19. Jahrhunderts die neue Ausgabe des Antisemitismus. Liebe soll etwas Besseres sein als Gerechtigkeit? (Was die meisten nicht wissen, die Originalfassung des Liebesgebots steht im Altes Testament > 3. Mose 19,18: "… sondern du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! …" / http://www.way2god.org/de/bibel/3_mose/19/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/3_mose/19/“>3.Mos. 19,18.)

Die jüdische Gerechtigkeit macht den Menschen autonomer und bedeutender vor Gott als die menschenverachtende Gnadenliebe der Christen, wo kein Mensch einen Stich machen kann. Das Judentum ist „pelagianisch“. Wer die Gesetze erfüllt, kann sein Recht aufs Himmelreich mit nachgewiesenen Taten einfordern.

Bei Paulus, Augustin und Luther muss jeder Christ auf den Knien um Gnade winseln. Mit seiner Macht ist nichts getan, er wär gar bald verloren.

Auch Säkulare hielten das Judentum oft ür minderwertiger als das Christentum. Im Zweifelsfall sind die Objektiven und Distanzierten parteiischer als die Gläubigen. Im nachmetaphysischen Denken – oft identisch mit ungläubigem – entziehe sich jede Moral der Verbindlichkeit, so Habermas. Wieder ein verlorener Sohn, der Emanzipation vom Vater als Anarchie, moralische Leere und Selbstverwüstung erlebt. Zwar können die verlorenen Söhne nur von weitem die Fleischtöpfe des Vaters sehen, allein die Düfte verraten es: bei Vatern war die Welt noch in Ordnung. Da wusste jeder, wo er hingehörte.

In den heiligen Schriften befänden sich, so Habermas, uralte und immergültige „Intuitionen von Verfehlung und Erlösung“. Kniet nieder, Moral ist für Habermas vor allem Sünde und außengeleitete Erlösung. Das also ist des Pudels Kern der Habermas‘schen Ethik, ohne christliche Schuld und Sühne geht’s nicht.

Bei dem Adornoschüler liest man so gut wie nichts von den Griechen. Die muss er im Schlaf überholt haben. Nachdem die Deutschen auf dem Höhepunkt der Klassik eifrige Gräcomanen waren – Hölderlin der eifrigste – begannen die romantischen Genies mit der Abwendung von den Griechen. Sie glaubten, die Alten überholt zu haben. Seitdem ist Hellas zur Abwrackung freigegeben.

Ohnehin hatte die demokratische Polis nie eine Rolle bei den Verehrern des platonischen Schönen, Wahren und Guten gespielt. Hätte Habermas mal in ein Lehrbuch über die Stoa geschaut, wäre ihm vielleicht die Stelle aufgefallen, dass die Lehre vom Naturrecht – der Gleichen, es gibt auch ein Naturrecht der starken Löwen, die vom gleichmachenden Gesetz nicht kujoniert werden wollten – aus sophistischen und nachsokratischen Quellen stammte und in Rom in Paragrafen gestanzt wurde.

„Für die Stoa war der Logos zugleich das Band, das durch das Vernunftgesetz die ganze Menschheit zu einer Rechtsgemeinschaft vereinte, und so konnte sie der Neuzeit nicht bloß die allgemeine Humanitätsidee vermitteln, sondern auch den Weg zu einer rationalen Auffassung und Gestaltung der Gesellschaft weisen. Die stoische Anschauung war der Renaissance durch Cicero und wie auch durch die römische Jurisprudenz vertraut.“ (Max Pohlenz)

Dilthey hat ein ganzes Buch über die Wirkungen der Stoa quer durch alle abendländischen Denkschulen geschrieben. Er schreibt: „Die göttliche Vernunft (göttlich= kosmisch) ist das Prinzip, vom welchem das Vernunftgemäße an den Dingen bedingt und mit welchem zugleich die menschliche Vernunft verwandt ist; dieses Prinzip ermöglicht die Erkenntnis des Kosmos in seiner Vernunft, seiner logischen, mathematischen, harmonischen, immanent zweckmäßigen Verfassung, und es gewährt andrerseits Grundlage und Sicherheit für das zweckmäßig gestaltende Handeln des menschlichen Vernunftwesens.“

Fukuyama leitet die Würde des Menschen von der christlichen Moral ab, die von Kant universalisiert worden sei. Oh Herr, wirf Logik ab. Wenn Kant die Moral erst universalisieren musste, kann sie im Ursprung nicht universell gewesen sein.

Schon im Mutterleib streiten sich biblische Zwillinge um den künftigen Segen des Herrn: „Da sich aber die Kinder in ihrem Leibe stießen, sprach sie: Wenn das so ist, warum lebe ich dann? Und sie ging hin, den Herrn zu befragen. Und der Herr sprach zu ihr:

„Zwei Völker sind in deinem Leibe,

und zwei Stämme werden

sich aus deinem Schosse scheiden;

ein Stamm wird dem andern überlegen sein

und der ältere wird dem jüngern dienen.“ ( Altes Testament > 1. Mose 25,22,ff / http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/25/“>1.Mos. 25,22 ff) Die Letzten werden sie Ersten sein.

Jede Ungleichheit ist eine individuelle Vorwegnahme des Jüngsten Gerichts. Bei Gott ist alles nicht nur ungleich, sondern durch Welten geschieden. „Dann wird er zu denen zur Linken sagen: Gehet hinweg von mir in das ewige Feuer, das mein Vater dem Teufel und seinen Engeln bereitet hat! Diese werden in die ewige Strafe eingehen, die Gerechten aber in das ewige Leben.“ ( Neues Testament > Matthäus 25,41 / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/25/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/25/“>Matth. 25,41 ff)

Sind das nicht wundersame Beispiele für den Egalitarismus vor Gott? Habermas bemerkt nicht, dass man den universellen Gehalt des Christentums aus der „ursprünglich dogmatischen Verkapselung freisetzen“ muss, um so eine „inspirierende Kraft für die ganze Gesellschaft entfalten zu können.“

Das ist typisch deutsche Hermeneutik seit Schleiermacher. Du kannst aus jeder Bibelstelle das Passende freisetzen, wenn du es zuvor in sie hineingesetzt hast. Jeden Einheitsbrei kann man in ein Rauschgetränk verzaubern, wenn man das Rauschgetränk zuerst in den Brei geträufelt hat. Diese deutsche Art der Schriftdeutung kostet es nichts, X in ein U und das U wieder zurück in ein X zu verwandeln.

Völlig außerhalb des Horizonts beider Zauberchristen ist die Erkenntnis von der Naturfeindschaft der supra-naturalen, man müsste sagen, der anti-naturalen Transzendenz der Erlöser. Der Westen sollte sich seiner Menschenrechte nicht allzu sehr rühmen. In den Naturreligionen kennt man keine Paragrafen – solche brauchen sie nicht. Denn sie leben ihre Gleichheit vor der Natur und die wenigsten sind Kannibalen und Menschenfresser.

Menschenrechte werden bei weitem überschätzt, solange die Rechte der Natur nicht gesichert sind. Ist Natur gefährdet, sind es auch die Menschen. Stabile und dauerhafte Menschenrechte gibt es nur im Zusammenhang mit Rechten der Natur. Schütze ich nicht die Nische, von der ich lebe, gefährde ich mich selbst. Dann hängen meine Menschenrechte in der Luft.

Die Natur schützt sich immer selbst, der Mensch kann sie nie gefährden. Es geht immer nur um jene Nische, die wir zum Überleben benötigen. Natürlich leben wir von der Natur und müssen uns von ihr ernähren Was nicht bedeutet, dass wir sie über den Hunger hinaus bis auf die Knochen abnagen dürfen.

Das Recht, das wir der Natur in unserem eigenen Interesse einräumen müssen, ist das Recht dauerhafter und sich ewig erneuerbarer Kreisläufe. Je mehr wir die notwendigen Kreisläufe verengen und beschädigen, je mehr sägen wir am eigenen Ast.

Insofern der Osten die Naturrechte in den Mittelpunkt seines Denkens stellt, sorgt er auch für die Rechte der Menschen. Wie kann der Westen vom Osten lernen, wenn er in kosmosfeindlichen Denkweisen verharren will?

Der Kampf zwischen stoischer Gleichheit und christlicher Ungleichheit geht durch das ganze Abendland hindurch. Nur ein Beispiel. Hobbes vertritt den christlichen Urzustand des sündigen Kriegs aller gegen alle, der erst durch einen Gesellschaftsvertrag oberflächlich reguliert werden kann. Gäbe es keine allgewaltige Obrigkeit & Polizei, würden sich die Menschen gegenseitig massakrieren.

(Allerdings gab es auch griechische Philosophenschulen, die vom Naturzustand eines allgemeinen Krieges der Menschen untereinander ausgingen: die Anhänger des Naturrechts der Starken.)

Im Gegensatz zu Hobbes hielt der Frühaufklärer Grotius an dem stoischen Gedanken fest, dass die Menschen durch ihre Natur „auf ein friedliches Zusammenleben angelegt und durch den Sozialtrieb zur organisierten Gemeinschaft geführt“ worden seien und gründete darauf die Lehre vom Naturrecht, in dem alles menschliche Recht seinen Ursprung habe. „So gipfelte die moderne Entwicklung in der Lehre von den unveräußerlichen Menschenrechten, die im 18. Jahrhundert die Schlagworte für den politischen Kampf lieferte“.

Auf den Fundamenten des stoischen Denkens erwuchs „die sittliche Autonomie des Menschen und die Überzeugung, dass er von Natur zu einer zielbewussten Lebensführung nach dem Gebote der Vernunft bestimmt sei und dass in dieser nicht nur seine Tugend, sondern auch seine Glückseligkeit beschlossen sein müsse.“ Die humane Sprengkraft der Stoa verschaffte dieser den „stärksten und dauerndsten Einfluss, den je eine philosophische Ethik hat erringen können.“ (Dilthey)

Die Spätwirkungen der stoischen Lehre hat Rüstow in seiner Kritik am allzu passiven Stoizismus völlig übersehen. Ohne das Naturrecht der Stoa hätte es keine Demokratie, keine Französische Revolution und keine Menschenrechte gegeben.

Würden die Menschenrechte hingegen auf der Basis der christlich-anthropozentrischen Überlegenheit des Menschen gegründet, wäre das ganze Fundament porös. Mit dem ökologischen Kampf gegen das aufgeblasene Wesen des Menschen würde man zugleich die Menschenrechte destruieren. Hier sind die kosmisch eingebetteten Menschenrechte der Stoa den modernen, im Himmel hängenden Menschenrechten um Längen überlegen.

Die Würde des Menschen erfolgt nach Kant „aus der Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetz gehorcht als dem, das es zugleich selbst gibt“. Diese Definition schlägt allen christlichen Glaubenssätzen ins Gesicht. Selbstgesetzgebung des Menschen mit Hilfe seiner Vernunft ist mit keinem Gnadenprinzip vereinbar. „Autonomie ist der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur“, so Kant.

Fukuyama und Habermas müssen den Königsberger mit dem Verfasser des Römerbriefes verwechselt haben. Das kann jedem abendländischen Gelehrten mal passieren, wenn nur die Religion gegen die vandalistischen Angriffe der heidnischen Vernunft geschützt wird.