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Tagesmail

Sonntag, 03. Juni 2012 – Medienkrise

Hello, Freunde des Vatikans,

im Kirchenstaat geht es drunter und drüber. Der Papst spricht von Unverständnis, Schwierigkeiten und Leid. Ein Christ müsse das Kreuz auf sich nehmen und viel beten.

Das hülfe alles nicht, meint der BZ-Kommentator Joachim Frank. Hier müsse man zu „beherzter Weltlichkeit“ greifen, zum Instrumentarium der Psychologie oder Soziologie. Es sei zu einfach, normale Vorgänge wie Intrigen und Machtkämpfe als Triumph der Kirche über die Welt zu deuten: wussten Wir‘s doch, dass das Walten der Menschen von Jugend an böse sei.

Der deutsche Papst verweigere sich dem Regieren, er wolle nur zelebrieren und dicke Bücher schreiben. Ein deutscher Journalist empfiehlt dem deutschen Papst, nicht länger herumzuheulen, sondern durchzugreifen. Mit welchen Instrumentarien? Demokratien haben demokratische Instrumente, ist der Vatikan eine Demokratie?

Joachim Frank nennt ihn eine weltweit einzigartige absolutistische Monarchie, die Erbin und Bewahrerin einer legitimen Tradition. Legitim wie alle Mächte, die rivialisierende Mächte zur Bedeutungslosigkeit reduzieren. In diesem Fall mit direkter himmlischer Unterstützung.

Der Aufstieg aus einer verfolgten Minderheit im Römischen Reich zur staatstragenden Institution; das mittelalterliche Konzept eines päpstlichen „Diktats“ über Kaiser und Könige, die Konstituierung des Vatikans als Staatsgefüge und völkerrechtliches Subjekt – das alles seien Stationen einer „entschiedenen Weltlichkeit“.

Hier wird die gloriose Selbstbeschreibung der Kirche als historische Wahrheit heruntergespult. Die verfolgte Minderheit hat

mit allen Schikanen der Lohnverheißung und ewigen Strafandrohung sich das verfallene Römerreich untertan gemacht. Der Vatikan ist ein Erfolgsmodell und Frank bewundert das Gebilde, als sei es ein sichtbarer Gottesbeweis auf Erden.

Für einen gläubigen Katholiken mögen solche Bewunderungssätze angemessen sein, sofern er auf Demokratie keinen Wert legt. Für einen politischen Beobachter, der auf Demokratie Wert legt, sind sie eine Katastrophe.

Der Vatikan ist keine Monarchie – sonst müsste sie das Werk einer Dynastie sein, er ist eine totalitäre Theokratie. Nichts anderes als die Despotie eines Lukaschenko, nur in theologischem Faltenwurf. Technisch neutrale Durchgreifmethoden gibt es nicht, sie hängen immer vom jeweiligen Staatsgebilde ab. Despoten haben despotische Methoden, Demokraten demokratische.

Um solche Kleinigkeiten schert sich der Kommentar nicht. Er nennt zwei Wissenschaften und deklariert sie zu Instrumenten. Seit Francis Bacon weiß man, dass Wissenschaften in verschiedener Hinsicht eingesetzt werden können. Man kann mit ihnen eine Gesellschaft humanisieren und aufklären, man kann sie als Machtinstrumente benutzen. In Guantanamo lassen sich Psychologen und Mediziner zur Folter von Gefangenen einsetzen.

Ob der Vatikan ein legitimes Gebilde ist, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Ist er gläubig, ist alles legitim, was mit seinem Glauben vereinbar scheint. Ist er Machiavellist, ist alles legitim, was erfolgreich zur Macht führt. Ist er Demokrat, ist nichts legitim, was nicht dem mehrheitlichen Willen der Völker entspricht.

Ein „völkerrechtliches Subjekt“ ist der Vatikan nicht anders als Saudi Arabien, der Ajatollastaat Iran und das Assad-Regime in Syrien.

Nebenbei ist auch vom „pervertierten Umgang der Kirche mit weltlicher Macht“ die Rede. Von Perversion kann man nur reden, wenn man ein Kriterium besitzt, an dem man die Benutzung der Macht misst. Eine absolutistische Macht kennt keine Kriterien außer der unumschränkten Anmaßung: Macht hat Recht.

Ein Recht, das die Macht bewerten oder einschränken dürfte, gibt es in totalitären Gebilden nicht. Zwar gibt es im Vatikan ein Kirchenrecht, doch oberster Deuter und Interpret dieses Rechts ist der Stellvertreter Gottes selbst.

Von geistlicher Macht wird überhaupt nicht gesprochen, ist doch der Vatikan, laut Selbstaussage, ein Gebilde aus Gottes Hand, eine von Jesus selbst eingesetzte sichtbare civitas dei, das zur Beherrschung der weltlichen Macht die omnipotente Regierung Gottes hienieden schon vorwegnimmt. Den Begriff Christentum meidet der Schreiber wie der Teufel das Weihwasser.

Der Kommentator einer demokratischen Zeitung empfindet die benediktischen Gesten des Tränens und Selbstbemitleidens als unwürdige Gesten einer ecclesia patiens, einer leidenden Kirche, und empfiehlt, zum robusten Instrumentarium einer ecclesia triumphans und militans überzugehen. Das wäre, als wollte man Lukaschenko den dringlichen Rat geben, nun endlich die angemessenen Instrumente zu ergreifen und die Opposition mit aller Gewalt von der Straße zu fegen.

Beherzte Weltlichkeit ist beherzter Machiavellismus. Oder unbegrenzte Machtausübung mit Herz und im Namen der Nächstenliebe? Solche herzigen Machtausübungen im Namen der Agape kennt das Abendland. Man nennt sie innenpolitisch Inquisition und außenpolitisch Kreuzzüge.

Erinnern wir uns, dass Deutschland schon einmal den Übergang von der duldenden Kirche zur militanten vollzog, als es einen Sohn der Vorsehung zu seinem weltlich-geistlichen Führer erkor.

Nicht genug, dass ein laizistischer politischer Beobachter bewundernd auf den Knien liegt vor einem totalitären Gebilde, er muss auch beweisen, dass er Theologie nicht von Philosophie, Christentum nicht von Griechentum unterscheiden kann, wenn er schreibt, der Papst sei im Platonismus verwurzelt. Er betrachte die Welt von oben her, von der Idee. Nicht von der „konkreten geschichtlichen Gestalt“.

Richtig ist, dass die urfaschistische platonische Politeia eine der Grundsäulen des Vatikans ist, die aber in den totalitären und allmächtigen Gottesstaat Augustins gemündet ist. Platons Idee ist aber mitnichten persönlicher Gott, der nach Lust und Laune die Menschheit nach ihren Glaubensbekundungen selektiert.

Völlig falsch ist die Einordnung der Geschichtlichkeit. Platons idealer Staat ist ein zeitloses Gebilde. Die Griechen kannten keine Heilsgeschichte. Der Vatikan ist Teil der Kirche in geschichtlicher Wanderschaft zum Ende aller Tage, wo sie einst alle Beschränkungen ablegen wird, den weltlichen Staat endgültig unter sich begräbt und zum himmlischen Triumphstaat in Kraft und Herrlichkeit aufsteigen wird.

Für diesen cäsaropapistischen Artikel im weggeworfenen demokratischen Habitus kann man der BZ nur gratulieren. Der L‘Osservatore Romano könnte ihn punktgenau übernehmen.

 

Wenn‘s kalt wird, rücken Bienenfresser zusammen und kuscheln. In den oberen Etagen der Medien ist ähnliches zu beobachten.

Der Wind wird rauer, das Internet begehrt in Echtzeit auf und verschmäht es, Leserbriefe zu schreiben, die in vier Wochen veröffentlicht werden oder nicht. Das Volk lernt, sich unabhängig von Edelfedern und Riesengazetten zu Wort zu melden.

Das wird den Schirrmachern und di Lorenzos langsam unheimlich. Also haben sie Fast-Präsidentin Göring-Eckardt zur Moderation geladen, um die beiden Herren zum Reden zu bringen. Was nicht schwer ist. Wes das Herz voll ist, des läuft der Mund über. Haben die beiden doch sonst kaum Möglichkeiten, sich in der Öffentlichkeit zu artikulieren.

Wie schon seit Jahren reden Männer am liebsten unter der sanften Hand einer weiblichen Gesprächsleiterin. Das ist charmanter, man fühlt sich besser verstanden, die Hahnenkämpfe der Gockel beschränken sich aufs bedeutungsvolle Krähen. Und schon beginnt es mit einem Paukenschlag: Worüber regen Sie sich auf, Herr Schirrmacher?

Schirrmacher regt sich über vieles auf. Über Konformismus zum Beispiel. Di Lorenzo regt sich nicht auf, er beobachtet und macht sich Sorgen über einen besorgniserregenden Hang zum Gleichklang. Das komme nicht von bösen Regierungen oder finsteren Wirtschaftsmächten, sondern von – dir und mir.

Tatsächlich, von Lesern und Zuschauern. Womit gleich mal die schwarzen Karten richtig verteilt sind: es sind nicht die Eliten, die zur Anpassung und Konformität zwingen, es ist das Volk selbst. Ach so, noch einige Kollegen aus der Redaktion. Aber gewiss keine Chefredakteure.

Die sind neugierig und erwartungsfroh über all das, was auf sie zukommen wird. Sie sind nicht nur neugierig, sondern können von dem Neuen auch was lernen. Womit wir festhalten können: das Neue ist dazu da, gelangweilten Chefredakteuren mal wieder was zu bieten und ihren unersättlichen Lernhunger zu stillen. Sie sind undogmatisch, offen und wendig bis zum Abwinken. Das Alte kennen sie in- und auswendig und haben es bereits vollständig verschlissen.

Am Konformismus der Öffentlichkeit können sie unmöglich schuld sein: bei so viel Aufgeschlossenheit für die Seismographen der Gesellschaft, vor allem derer, die da kommen sollen. Ihre Gazetten quellen über von nichtkonformen Beiträgen, für die sie ein Händchen haben.

Denn sie bringen das Kunststück zuwege, in der Mitte einer uniformen Gesellschaft zu sitzen, deren Uniformität eins zu eins abzubilden und dennoch stets offen zu sein für die Ränder der Gesellschaft, für Dissidenten und Querdenker – die bei ihnen seltsamerweise so gut wie nicht vorkommen, denn die wollen sich doch nur wichtig machen.

Die Konformsten haben das richtige Ohr für das unterirdische Grummeln und Grollen der Gesellschaft, sonst hätten sie es nicht zu Medienmogulen gebracht. Man muss die Fähigkeit besitzen, plötzliche Eingebungen zu haben, um das Neue vom Alten zu separieren und das Zukünftige zu erkennen: „Plötzlich sahen die Figuren, die zum Inventar des Talkshowzirkus gehören, ziemlich alt aus.“

Nur nebenbei ist anzumerken, dass auch di Lorenzo ein Talkshowzirkusdirektor in NDR ist. Bei ihm ist natürlich alles anders. Kein Zirkus, sondern ein tiefgründiges griechisches Symposion.

Auch Schirrmacher will bei der Pfadfindersuche nach dem Neuen nicht abseits stehen. Schon lange misstraut er der „Inkompetenzkompensationskompetenz“ der Experten. Das sind Leute, die ihre Inkompetenz so kompetent kompensieren, dass es kein Mensch merkt. Nicht mal die Medien, die sie regelmäßig einladen, damit sie vor dem Publikum glänzen können.

Auch der FAZ-Chef ist von den Piraten fasziniert. „Sie mögen Technologie und haben keine Metaphysik, aber die Besten von ihnen haben Science-Fiction, und die muss wirklich kennen, wer über die Gegenwart nachdenkt.“

Keine Metaphysik? Meint Schirrmacher, keine altmodische Philosophie? Wie will er nachdenken, ohne nachzudenken? Glaubt auch er, von einem Punkte Null beginnen zu können? Haben Technik und Science-Fiction das Bedenken der Vergangenheit abgelöst?

Schau an, der konservative Schirrmacher ist ein Zukunftsvisionär der Extraklasse. Das sahen wir zuletzt bei Newt Gingrich, einem evangelikalen Altschneider, der selbst schon verschiedene Zukunftsromane in seinem heilsgeschichtsträchtigen und prä-apokalyptischen Gehirn ersonnen hat. Als kollektive Einstimmung der im Voraus Erwählten für die Dinge, die da kommen sollen.

Seit Roger Bacon, einem mittelalterlichen Mönch und ersten Freund der Naturwissenschaften in Old England, ist Zukunft in technischer Phantasmagorie die Domäne frommer Endzeitgucker. Das hat eine bestimmte Logik, entstammt doch die Vision der Visionen – die Apokalypse des Johannes – von einem exaltierten Gottesmann.

Aber welche Visionen haben denn die Piraten, fragt die grüne Politikerin, leicht genervt, dass ausgerechnet ihre heftigsten Rivalen über Visionen verfügen sollen. Da weiß Schirrmacher Bescheid, Ein echter Medienchef ist ein Bescheidwisser, der die Propheten der Zukunft wie seine Pappenheimer kennt. Womit wir ihn mit Johannes dem Täufer vergleichen können, der dem wahren Propheten die Frage zukommen ließ: Bist du es, der da kommen soll oder sollen wir auf einen andern warten?

Schirrmacher: „Wir werden in Kürze erleben, dass es auch in dieser Partei Vordenker gibt.“ Und Schirrmacher wird Sprachrohr und Pressesprecher der Propheten sein. Eben noch hat er die alten Experten vom Tisch gewischt. Jetzt zieht er die neuen frisch aus dem Hut.

Was nun selbstverständlich nicht bedeutet, alles Vergangene in Bausch und Bogen zu verdammen – wenn es nur zum Ruhm der beiden beigetragen hat. Das Beste der 68er war, dass sie die Karriere des Giovanni di Lorenzo ermöglicht haben. Genau zu diesem Zweck sind die 68er doch auf die Straße gegangen!

Der neue Stil der Piraten werde viele Verkrustungen lösen, doch vom Transparenzgebot hält der ZEIT-Denker nicht so viel. Es könne zu einer furchtbaren Überforderung führen, wenn man alles permanent über sich verraten und dabei noch gewissen Wertmaßstäben gerecht werden müsse. Die Forderung nach totaler Transparenz führe zu Duckmäusertum, Verwechselbarkeit und großem Konformismus.

Ein führender Journalist weiß nicht mehr zwischen politischer Transparenz und dem Schutz der Privatsphäre zu unterscheiden. Indem er das Private schützen will, verteidigt er im selben Satz das Mauscheln der Mächtigen – deren politisches Wirken ohne Transparenz nicht wirksam überprüft werden kann.

Schirrmacher ist schon wieder bei den Technologien der Zukunft, deren Macht unvermeidlich kommen wird: „Das sind Systeme, die unsere Gedanken lesen können und auch lesen wollen.“ Da weiß Schirrmacher mehr als arrogante Gehirnforscher. Was, wenn Google eines Tages eine schlechte Meinung über Schirrmacher hätte?

Diese gedankenlesenden Medien werden nicht nur den Journalismus verändern, das Problem ihrer Macht sei noch gar nicht richtig erkannt: „Durch die digitale Technik ist es möglich, das Verhalten von Menschen vorherzusagen und zu bestimmen, wie wir es uns nie hätten träumen lassen.“

Was daran neu sein soll, ist schleierhaft. Haben doch bisher die Medien plus Werbeindustrie die Funktion der manipulierenden Prognosen inne gehabt. Jetzt kommt eine Technologie, die dieses Machtinstrument den Medien aus der Hand zu schlagen droht. Und damit kommen wir zum Kern des Pudels.

Warum gerade jetzt das Spitzengespräch der Troika? „Natürlich herrscht angesichts fallender Auflagen und sinkender Werbeeinnahmen große Verunsicherung.“ Was ist dagegen zu machen? „Die entscheidende Frage wird sein, ob wir einen Journalismus machen, mit dem wir noch genug Menschen erreichen können.“

Das ist nicht die Frage. Der beste Journalismus ist der, der sich allmählich in die Büsche schlägt. Er muss nicht mehr „für die Menschen“ sprechen. Das hat er immer nur zum Schein gemacht, um die Menschen – Hand in Hand mit der Religion – schicksalsergeben und obrigkeitshörig zu machen. Diesen Journalismus brauchen wir nicht mehr. Er ist innerlich verholzt und verkarstet wie weiland die scholastischen Streitigkeiten, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz haben.

Ihre feuilletonistische Sprache ist esoterisch und unverständlich geworden, wie einst das Kirchenlatein dem Volk. Niemand liest den Schrott, aber bezahlen muss er ihn, wenn er Sport und Politik durchblättern will.

Keine Nachfrage der Interviewerin zur Krise der Zeitungen. Keine selbstkritische Analyse der beiden Neu- und Lernbegierigen. Stattdessen Ausweichen auf den Erfolg der unpolitischen LANDLUST. Oder doch? „Wir haben kein Gespür mehr dafür, ob etwas relevant ist, ob etwas repräsentativ ist. Damit können wir alle nicht umgehen.“

Ach so, nur ein Scheingeständnis. Wenn alle nichts können, kann es nicht die Schuld der Medien sein, wenn sie auch nichts können. Im Zweifelsfall wird der Pluralis culpae bemüht, das Wir der allgemeinen Sündhaftigkeit, womit die sonst so verdienstvollen Repräsentanten der Zukunft aus dem Schneider wären. Noch schlimmer, sie sind es, die zu Opfern ihrer Unangepasstheit werden.

Die Wölfe kommen im Schafspelz daher. Kaum unternehmen sie etwas außerhalb des Mainstreams, schon bekommen sie vom Internet die „volle Dröhnung“. „Journalisten haben zunehmend Angst, sich außerhalb des medialen Mainstreams zu stellen.“ Das tut uns – um auch das Wir der Bedeutsamkeit zu benutzen – so leid um die jungen und kühnen Edelschreiber, die immer noch mit Herzblut schreiben und dafür auf dem Grill des nächsten Shitstorms gegrillt werden. Tschuldigung, soll nie mehr vorkommen.

Mit dieser tränenreichen, selbst angemaßten Opferrolle stellt di Lorenzo die Realität auf den Kopf. Die Vertreter der Vierten Gewalt sind es, die hinter mehrfach gesicherten Mauern wie die Brahmanen sitzen und alle nonkonformen Beiträge aus der Bevölkerung auf der Stelle mit der Löschtaste ausradieren.

Auf welchen Vorfall spielte di Lorenzo an? Auf die Meinung eines Kollegen, dass die Linkspartei vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollte. Da kann man nur sagen: zu Recht die volle Dröhnung. Das ist nicht nur eine Unverschämtheit, das unterdrückt die Meinungsfreiheit in der Gesellschaft in unerträglichem Maße. Für diese heftige und klare Position kann man das böse Internet nur loben.

Zwischen berechtigter und unberechtigter Dröhnung zu unterscheiden, gehört offensichtlich nicht zur Inkompensationskompetenz eines Chefredakteurs. Über Günter Grass ist man sich schnell einig. Dass die SZ hier ausgeschert ist, um die nichtkonforme Meinung eines Nichtkonformen zu bringen, war offensichtlich ein Ärgernis für die allzeit offenen FAZ und ZEIT.

Dafür haben die beiden Zeitungen reichlich Propaganda getrieben für bemitleidenswerte Außenseiter wie den Lügenbaron Guttenberg und den Fremdenhetzer Sarrazin.

Und natürlich sind die armen Printmedien – in Konkurrenz zur neuen Echtzeitreaktion des Internet – nun auch gezwungen, nachzuziehen. Was aber nicht geht. „Gegen Echtzeitjournalismus müssen sich die Medien imprägnieren“. Na klar, brauchen sie doch Zeit, um nachzudenken und herauszukriegen, was der Chef denkt, damit sie endlich kommentieren können.

Journalisten macht man heute den Vorwurf, verwechselbar zu sein, plaudert di Lorenzo aus dem Nähkästchen. Na und? Stimmt‘s oder stimmt‘s nicht? Wer täuscht sich hier, die Schreiber oder das Publikum? Nur gut, dass kritische Leser bei einem solchen Binnenplausch gar nicht erst vorgelassen werden. Eine echte Debatte unter Angepassten.

Tja, die Frauen kommen in den Medien zu kurz, beim Nannenpreis gab‘s keine einzige Auszeichnung für eine Frau. Die oberen Etagen werden nur von hochkompetenten Männern besetzt. Es gibt eben nicht genügend qualifizierte Frauen, was können denn die Herren dafür? Seltsam nur, dass Schirrmacher, wenn er könnte, vor allem Frauen einstellen würde.

Summa von di Lorenzo: „Wir müssen unser Generationenprojekt zu Ende führen. Wir müssen weiter – um mit Habermas zu sprechen – das Rückgrat des politischen Diskurses bleiben.“ Als Stimmen der „Vernunft und der Entschleunigung“.

Der Vernunft? In Blättern, die nichts Besseres zu tun haben, als täglich und wöchentlich alles, was von weitem nach Vernunft und Aufklärung riecht, auf dem Altar des postmodernen Geistes in Rauch aufgehen zu lassen?

Diese Selbstbeweihräucherung ist der einsame Gipfel der Hypokrisie zweier Medienkapitäne, die das Schiff schlingern sehen und sich mit „Wünschen nach Offenheit, Neugierde und Freude auf das, was von jüngeren Generationen kommt“, glauben, über Wasser halten zu können.

Das ist nicht nur ein populistischer Jugendwahn. Das ist eine mediale Selbstbelügung der Sonderklasse. Dieses „Rückgrat des politischen Diskurses“, das es schon seit Aufkommen des Neoliberalismus nicht mehr gibt – vor dem die gesamte deutsche Presse gekuscht hat, anders hätte er sich nicht verbreiten können wie die Windpocken – muss zerschlagen und an das Volk zurückgegeben werden.

Wir brauchen weder Stellvertreter Gottes noch mediale Vermittler, die uns die Wahrheiten von oben dosiert unter die Weste jubeln.