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Samstag, 25. August 2012 – Verdammen, Verfluchen

Hello, Freunde der Demokratie,

deutsche Schulkinder kennen nicht den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur. Deutsche Innenminister, Ex-Innenminister, Altkanzler, deutsche Polizei, englische Ex-Premiers auch nicht.

Gerhard Schröder hält seinen Freund Wladimir trotz Pussy-Riots für einen lupenreinen Demokraten, deutsche Innenminister wie Schäuble, de Maiziere und Friedrichs lassen weißrussische Polizisten ausbilden, die der Opposition die Knochen brechen, Blair preist den äthiopischen Diktator Menes Zenawi als Hoffnung für die Demokratie in Afrika. Außenpolitisch kann man nicht ständig mit dem Grundgesetz unterm Arm herumlaufen.

Hat Graumann, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, Demokratie verstanden? Er wehrte sich gegen israelische Versuche, die innerdeutsche Debatte zu beeinflussen. Für politische Arbeit in Deutschland sei der Zentralrat zuständig, der die Sache durchaus im Griff habe. „Ein bisschen mehr Respekt vor der jüdischen Gemeinschaft und ein bisschen mehr Zutrauen zu ihr wären auch gut.“ Merkel, so Graumann, habe schon ein „Machtwort“ gesprochen.

Wenn Machtwörter in der Volksherrschaft entscheiden, können wir die Debatte einstellen und uns weißrussischen Verhältnissen annähern. Die Bemerkung des ultraorthodoxen israelischen Innenministers Jischai nannte Graumann obsolet, auf Deutsch veraltet. Die Bemerkung Jischais ist leider nicht veraltet, sie ist theokratisch. Theokratie ist das Modell der Zukunft und überall auf der Welt im Kommen.

Nachdem der Neoliberalismus den demokratischen Staat sturmreif geschossen hat, kommt Religion und okkupiert die Reste. Religion ist die Resterampe des

Neoliberalismus. Beide sind ein winning Team, das man nicht verändern sollte.

Der Ruf deutscher Juden in Israel ist nicht der beste. Was haben Juden im Land der Täter (obgleich die Täter schon ziemlich ausgestorben sind) zu suchen, denken viele, vor allem sephardische Juden (aus nicht-europäischen Staaten), die mit der intellektuellen Überlegenheit, Korrektheit und Steifheit deutscher Juden („Jecken“) diverse Probleme haben.

Oberrabbiner Meir Lau aus Tel Aviv bezweifelt ohnehin, dass es in Deutschland eine sinnvolle Neuregelung der Beschneidungsgesetze geben werde. Er sei verwundert ob des vielen deutschen Mitgefühls über ein bisschen vergossenes Kinderblut. In seiner Kindheit in Deutschland habe er das nie erlebt. Das Blut eines Juden sei nichts wert gewesen.

Juden bräuchten keine deutsche Genehmigung, um ihres Glaubens zu leben, so Lau. Insofern habe die Auseinandersetzung auch was Gutes. Spätestens jetzt müssten die deutschen Juden bemerken, dass Deutschland nicht der Ort sei, wohin sie gehörten. Hat man Meir Lau schon erzählt, dass die BRD nicht mehr Nazideutschland ist? (Südafrika übrigens auch kein Apartheidstaat?)

Das säkulare Israel ist empört über diese Lau-Vergleiche. Deutschland habe seine Vergangenheit mit Auszeichnung aufgearbeitet, schrieb Peres an Merkel und entschuldigte sich bei ihr für diese unzumutbaren Äußerungen eines Fehlgeleiteten.

Pardon, error!. Der FAZ-Artikel trägt die Überschrift: „Beschneidungsdebatte empört Israel.“ Womit klar ist, dass Meir Lau und seine rechtgläubigen Glaubensbrüder die Stimmen Israels sind.

 

Ein TAZ-Artikel lautet: „Auch Atheisten haben Gefühle“. Da muss ein Irrtum vorliegen. Gefühle sind beglaubigtes Vorrecht der Gläubigen. Gottlose und achttägige Knaben sind vollständig gefühllos, wie man uns erzählt. In der heiligen Schrift steht: „Du hast sie – die Bösen – geschlagen – aber sie fühlen nicht, du hast sie zerrieben – sie wollen nicht züchtig werden.“ ( Altes Testament > Jeremia 5,3 / http://www.way2god.org/de/bibel/jeremia/5/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/jeremia/5/“>Jer. 5,3) (Bis zur vorletzten Jahrhundertwende galten Frauen als vaginal gefühllos, weshalb man sie noch heute problemlos verstümmeln kann: sie merken ja nichts.)

Das ist das nie ernst genommene Problem des Großen Pädagogen im Himmel, welcher alle Menschen züchtigen muss, die er liebt. Er liebt sogar die Bösewichter. Ja die am meisten, wenn man die Prügelquote berücksichtigt: „Blutige Striemen treffen den Bösewicht und Schläge das Innerste des Leibes.“ ( Altes Testament > Sprüche 20,30 / http://www.way2god.org/de/bibel/sprueche/20/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/sprueche/20/“>Spr. 20,30) Doch die Schelme sind für die Hiebe nicht mal dankbar, gegenüber schlagkräftigen Liebeserweisen geben sie sich immun: „Sie haben mich geschlagen, ich fühlte nichts, haben mich geprügelt – ich habs nicht gespürt.“ ( Altes Testament > Sprüche 23,35 / http://www.way2god.org/de/bibel/sprueche/23/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/sprueche/23/“>Spr. 23,35)

Weshalb der Liebespädagoge die Strafen immer mehr verschärfen musste, bis er die Unterwelt und Hölle als ewigen Gulag einzurichten genötigt ward, so grenzenlos war seine Liebe zu den Verlorenen.

Im Gleichnis vom armen Lazarus kommt der böse Reiche ins Totenreich und wird von vielen Qualen geplagt. Seine Bitte an den Himmel, seine Zunge wenigstens mit einem Tropfen Wassers zu kühlen, beantwortet der liebende Vater Abraham. „Kind, gedenke daran, dass du in deinem Leben dein Gutes empfangen hast. Und Lazarus gleichermaßen das Böse. Jetzt dagegen wird er hier getröstet, du aber leidest Pein.“ ( Neues Testament > Lukas 16,19 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/16/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/16/“>Luk. 16,19 ff)

Aus diesem Gleichnis haben moderne Ökonomen das Gesetz der knappen Güter abgeleitet. Das Gute ist knapp, selbst Gott, allmächtiger Schöpfer Himmels und der Erden, kann nur eine limitierte Ausgabe desselben herstellen.

Das Gesetz des unbegrenzten Wachstums muss allerdings von seinem Widersacher stammen, der keinerlei Probleme hat, die Produktion der Qualen ins Unendliche auszudehnen. Wieder einmal ein zwingender Beweis für die höhere produktive Leistungsfähigkeit des Teufels.

Der Zeichner Mario Lars hatte ein Einsehen mit den Gefühlen der Gläubigen und entfernte sein scheußliches Carikatura-Plakat. Leider nicht unter der Zusage der Kirchen, den entsetzlich gequälten halbnackten Mann am Schandholz im ganzen Land den Blicken fühlender Kinder zu entziehen. Wenn Gefühle auf Gefühle treffen, die sich unfehlbar geben, gibt’s bekanntlich Religionskriege.

Warum der Verstand zurzeit von jenem angeblichen Thron entfernt wird, auf dem er in Deutschland nie saß, hängt mit der Unfehlbarkeit der Gefühle zusammen. Der haltlos umherirrende Mensch von heute benötigt Trost, vor allem sicheren Halt, wofür unfehlbare Gefühle ausgezeichnet geeignet sind.

Wer sich auf sein Bauchgefühl beziehen kann, muss nicht lange herumfackeln oder gar argumentieren: er kann in der Hitze seiner wahren und guten Gefühle authentisch zuschlagen. Im SWR wurde vor Tagen die Frage debattiert, ob man Vernunft und Aufklärung nicht verabschieden und zur untrügerischen Macht der Gefühle übergehen solle?

Bekanntlich entdeckten die Deutschen ihre Gefühle in der Epoche der Romantik, weshalb es bis zum heutigen Tag nur romantische Gefühle gibt. Romantische Gefühle sind zur Offenbarung des täglich wechselnden Wahren bestens geeignet.

Warum der gefühllose Schwabe Hegel in saugrober Weise, den Romantikern ihre Gefühle nicht gönnte, bleibt ein dialektisches Rätsel:

„Indem jener sich auf das Gefühl, sein inwendiges Orakle beruft, ist er gegen den, der nicht übereinstimmt, fertig; er muss erklären, dass er dem weiter nichts zu sagen habe, der nicht dasselbe in sich finde und fühle; – mit anderen Worten, er tritt die Wurzeln der Humanität mit Füßen Das Widermenschliche, das Tierische besteht darin, im Gefühle stehenzubleiben und nur durch dieses sich mitteilen zu können.“

Hier muss man dem Philosophen widersprechen: Tiere haben sehr wohl Gefühle. Das haben gefühllose Experimente an tierischen Gehirnen einwandfrei belegt.

Die Herren Gefühlsforscher im SWR sind leider auf Hegel nicht eingegangen, sie hatten ihn gefühlsmäßig nicht vorrätig.

Vergessen wir nicht, dass Gefühle vor nicht allzu langer Zeit die uneingeschränkte Domäne der Frauen war. Kaum kommen die Frauen ein wenig ans Ruder, schon werden sie gefühlsenteignet und die Männer übernehmen die höhere Sensibilität. Mutter Merkel wird von Kritik zu Kritik härter und gefühlloser gezeichnet. Nicht mal Kohl in seiner besten Zeit war solch ein herzloses Monstrum wie unsere zartfühlende Angie, um die uns alle Welt beneidet.

Besonders monströs ist sie im neuen Buch einer Frau Höhler dargestellt, die so feinfühlig ist, dass sie selbst harmlosen Fragen in „Kulturzeit“ aus dem Wege ging.

Da nur Gläubige authentischer Gefühle mächtig sind, blieb ihnen zur Abwehr vieler Kohorten von Gottlosen nichts anderes übrig, als jene einfühlsam, aber robust zu verdammen und zu verfluchen. Was nicht unter Blasphemie firmieren kann, denn dieser Begriff heißt nur übler Ruf.

Die Gottlosen haben sich in ihrem üblen Ruf schon so blendend eingerichtet, dass sie gar nicht bemerken, wie sehr sie jeden Sonntag von allen Kanzeln dieser Welt verflucht, verdammt und in die unterste Hölle verfrachtet werden.

Beginnen wir gleich mit dem Urfluch des naturhassenden Gottes. „Um deinetwillen sei der Erdboden verflucht.“ Weshalb die Menschen sich bis heute nicht auf den Mutterboden verlassen und nur Gott dankbar sein dürfen, wenn sie zur Erntezeit die Früchte der ewig unzuverlässigen Natur einholen.

Verflucht sei, wer einen Götzen macht. Verflucht sind, die von deinen Geboten abirren. Verflucht sei, wer den Worten des Herrn nicht gehorcht. Verflucht sei, wer des Herrn Werk lässig tut. Verflucht der Feigenbaum, weil er nicht zur rechten Zeit Früchte trug. Verflucht ist jeder, der nicht beharrt in allem, was im Buch des Gesetzes geschrieben steht, dass er es tue. Verflucht dieses Volk, welches das Gesetz nicht kennt.

Folgen Worte der Verdammnis und die Weherufe: Der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt. Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer – in allen Variationen. ( Neues Testament > Matthäus 23,13 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/23/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/23/“>Matth. 23,13 ff) Wer nicht glaubt, der wird verdammt werden. Aus deinen Worten wirst du verdammt. Wer zweifelt und isset doch, der ist verdammt. Etc. etc. etc. etc. …

Aus diesen wenigen Stellen ist jedermann ersichtlich, dass Gottlose keine Gefühle haben können. Sonst wären sie vor Verdammungsangst und Verfluchungsfurcht längst in den ewigen Jagdgründen verschollen. Oder hätten den Spieß umgedreht und den Blasphemieparagrafen auf Verdammer und Verflucher angewendet.

Doch vorbildlich, wie sie sind, lieben sie ihre Feinde mehr als sich selbst. Und lassen sich schafsköpfig gefallen, dass nur sie als Rabauken vorgeführt werden, die Gläubigen hingegen, besonders wenn sie an der Macht sind, sich als kränkungssüchtige Profi-Sensibilisten aufführen dürfen.

Wenn man mich fragen würde – aber mich fragt ja keine Sau – würde ich sagen wollen (dieses ich würde sagen wollen ist die heuchelndste Demutsformel deutscher Intellektueller seit C. F. von Weizsäcker): diese Feinfühligkeit der Religionskritiker – die gar keine Gottlosen sein müssen – schadet den Frommen. Denn von Tag zu Tag werden sie überheblicher und herrischer.

Schon sagt Altbischof Huber in BILD, in Beschneidungsfragen habe die Mehrheit nicht mitzureden, in wichtigen Fragen müsse gottgesegneter Sachverstand entscheiden.

Dieser Mann wäre beinahe Bundespräsident geworden. Und wären es nicht die Pastoren Gauck und Huber geworden, so wären es die Pastorinnen Göring-Eckardt und Käßmann geworden.

Die Republik wäre ohne freundliche Unterstützung des lutherischen Geistes nur ein gehirnamputierter Schrumpfkopf. Bald muss eine Quote her, dass auch Katholiken, Muslime oder Venusanbeter in Bellevue einziehen können, und wenn nur als Butler und Hausmeister.

Selbst Atheisten wie Putin-Freund Schröder werden in vielen ökumenischen Staatsgottesdiensten wie durch ein Wunder erleuchtet und verlassen das hohe Amt als Wiedergeborene.

 

Ein bemerkenswertes Buch von einem bemerkenswerten Mann namens Gershom Gorenberg mit dem Titel „Israel schafft sich ab“ ist auf dem Markt erschienen. Mit Sarrazin hat das Buch nichts zu tun, Gorenberg ist leidenschaftlicher Demokrat, der sich um den Staat Israel sorgt. Seine Bilanz der letzten Dekaden der israelischen Geschichte ist desaströs.

Das Land habe sich aus einer Demokratie längst in ein Ethnokratie verwandelt. Ethnokratien sind imperialistische Regimes, die andere Ethnien überwältigt haben, sie dominieren und ausbeuten. (Diese kreative Begriffsvermehrung für altbekannte Gräuel ist von Übel. Man sollte von faschistoiden Elementen sprechen.)

Gorenberg zeigt penibel, wie Israel gegen internationale Rechte verstieß, wie die Armee zunehmend von religiösen Offizieren geprägt wurde, von ganzen Truppenteilen, die nur noch fundamentalistischen Rabbinern und nicht mehr ihren Kommandeuren gehorchen. Für diese Frommen gelte die Loyalität gegenüber dem heiligen Land mehr als die gegenüber der politischen Führung.

Die von aller Erwerbsarbeit befreiten Ultras seien inzwischen die treuesten Verbündeten Netanjahus, bestimmten also wesentlich den Gesamtkurs des Landes.

Vor diesem düsteren Panorama fordert der Autor nichts weniger als eine Neugründung Israels. Der Siedlungsbau müsse eingestellt, die Besatzung beendet, Staat und Synagoge müssen getrennt und der Staat vom Klerikerwesen befreit werden. Als allerersten Schritt fordert Gorenberg die Auflösung der religiösen Armeeteile.

Das ganze Buch erinnert an die scharfe Kritik des Professor Leibovitz, der strenge Frömmigkeit mit vorbildlich demokratischem Engagement zu verbinden wusste.

Micha Brumlik, der Rezensent, sieht keinen Grund, Alarm zu schlagen. Sein letzter Satz bezieht sich auf einen resignierten palästinensischen Philosophen, der die Besatzer aufgefordert hat, „die besetzten Gebiete endlich zu annektieren“.

Wenn‘s der Professor gefordert hat, kann‘s um Israel nicht so schlimm bestellt sein. Findet Professor Brumlik.