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Samstag, 21. Juli 2012 – Widerstand

Hello, Freunde des Widerstands,

Claus von Stauffenberg war ein gläubiger Mann, überzeugter Nationalsozialist, Antisemit wie alle Hitler-Christianer, kein Anhänger der parlamentarischen Demokratie – und Attentäter gegen seinen Abgott, nachdem er unter vielen Kämpfen und Gewissensbissen seine lutherische Obrigkeitsidolisierung relativiert hatte.

Warum der preußische Adel so lange benötigte, um gegen den Tyrannen vorzugehen, lag an der Paulusstelle aus Neues Testament > Römer 13,1 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/13/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/13/“>Römer 13, die jegliche Obrigkeit als eine gottgewollte unter den Schutz des Höchsten stellte. Nach Paulus kann es keine politische Führungskaste geben, die Böses täte und Gutes verfolgte:

„Denn die Regierenden sind ein Gegenstand der Furcht nicht für den, der Gutes tut, sondern für den Bösen. Willst du dich aber vor der Obrigkeit nicht fürchten? Dann tue das Gute und du wirst Lob von ihr haben, denn Gottes Dienerin ist sie für dich zum Guten. Wenn du aber das Böse tust, so fürchte dich, denn nicht umsonst trägt sie das Schwert; denn Gottes Dienerin ist sie, eine Rächerin zum Zorngericht für den, der das Böse verübt. Darum ist es notwendig, untertan zu sein, nicht allein um des Zornes Gottes willen, sondern auch um des Gewissens willen. Deshalb entrichtet ihr ja auch Steuern. Denn sie sind Diener Gottes, die eben hierzu beständig tätig sind.“

Es kann keinen Text geben, der faschistischer formuliert sein könnte. Regierungen sind immer von Gott. Was sie tun, ist immer gut, wer gegen sie opponiert, ist böse und muss mit dem gerechten Zorn der göttlichen Macht rechnen.

Aufstand, Revolte, Gewaltenteilung – alles Sünden wider Gott persönlich. Das war

Platons irdische Politeia ins Absolute hochgerechnet. Beide Modelle, die nur graduell verschieden sind, haben die politische Geschichte des Abendlands verwüstet und stecken uns noch immer in den Knochen.

In manchen Kreisen unserer Macht- und Leistungsträger macht sich allmählich ein Gefühl breit, das vor 80 Jahren den Untergang vorbereitete: Erleichterung beim Nachlassen demokratischer Lästigkeiten.

Es gibt Stimmen, die das jesuanische Wort: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers, Gott, was Gottes ist“, als Grundstein der modernen Gewaltenteilung betrachten. Wäre dem so, wäre Römer 13 ein absoluter Widerspruch zu dem Wort Jesu.

Wie geht man mit Widersprüchen um? Wie gehen Theologen mit Widersprüchen um? Jedes authentische Kind wird seinen Autoritäten, die sich widersprechen, fröhlich einwenden: Ihr widersprecht euch. Den Begriff des kontradiktorischen (inkompatiblen) Widerspruchs wird es nicht kennen, aber intuitiv voll erfassen: was soll denn nun gelten, das eine – oder das andere? Man kann nicht gleichzeitig auf dem Gas und auf der Bremse stehen.

Aus Widersprüchen folgt alles oder nichts. Legt eine Autorität Wert auf Eindeutigkeit, muss sie sich entscheiden und sagen: Prima erkannt, du hast Recht. Ich entscheide mich für Version A und nicht für Non-A. Dann ist Klarheit hergestellt, das Kind kann sich entscheiden, ob es diese Variante für richtig hält.

Legt die Autorität auf logische Eindeutigkeit keinen Wert, kommt es zum Double Bind, zum unverträglichen Doppelsignal: A und Non-A gelten gleichermaßen. Das Kind, das beides tun muss, empfindet die Haltung seiner Autoritäten als bewusst-heuchlerisch oder schizophren-unbewusst und wird sich Heuchelei oder Schizophrenie als Charaktereigenschaft aneignen müssen. Im Zweifelsfall glaubt es an die Unfehlbarkeit der Eltern und an die eigene Fehlbarkeit.

Für Theologen gilt der Satz des heidnischen Satzes des Widerspruchs nicht. Sie entscheiden nach persönlicher Willkür, Zeitgeist oder Konfessionszugehörigkeit. Meistens leugnen sie die Widersprüche nach der Daumenregel: eine Textstelle muss man aus dem Zusammenhang deuten.

Diesen richtigen Deutungsgrundsatz verfälschen sie zur Maxime, ein Wort beliebig herauszuheben und das andere unter den Tisch fallen zu lassen. Was nicht bedeutet, dass bei der nächsten Zeitgeisttheologie die Wertung genau auf den Kopf gestellt wird.

Man könnte einwenden, der Humanisierungsakt einer Heiligen Schrift vollzieht sich nun mal nicht anders als durch Selektion „humaner Stellen“ und Versenken der inhumanen.

Schön wär‘s. Da die Schrift, selbst bei historisch-kritischen Theologen, gefühlsmäßig noch immer als ultimatives Buch gilt, werden kurzfristig unterdrückte Stellen nicht für immer entsorgt, sondern wandern in den riesigen Fond „unbewusster“ Untergrundstellen, werden bei gleichmäßiger Temperatur frisch und lebendig erhalten – um bei der nächsten Revision des frommen Zeitgeistes aus dem Keller geholt und der aktuellen Verwendung zugeführt zu werden.

Durch diese Methode der sporadisch wechselnden Nutzung widersprüchlicher Stellen hat es die Theologie geschafft, den Status der Unfehlbarkeit zu erreichen. Für jede erdenkliche Situation hat sie entsprechende Belegstellen zur Hand, die alles – und sei es noch so unlogisch und folgewidrig – abdecken und legitimieren.

Das ist der geniale PR-Erfolg einer göttlichen Institution, die nie auf dem falschen Bein erwischt werden kann. Pazifistisch? „Liebe deine Feinde“! Militaristisch? „Umringen mich alle Völker, in Kraft des Herrn vertilge ich sie.“ Ökologisch? Bewahr die Schöpfung. Antiökologisch: Lass in der vorbestimmten Apokalypse die Welt untergehen. Diese Widersprüche lassen sich an allen wichtigen Themen der Neuzeit durchdeklinieren.

Sind Kirchen in einer schwachen Position, bevorzugen sie die „weichen“ und humanen Teile ihres Credos, um mit humaner Attraktivität auch säkulare Menschen zu locken. Kommen sie wieder zur Macht – wie der Vatikan vom Aggiornamento des Johannes 23. bis zur regressiven Verhärtung unter Benedikt beweist –, holen sie die uralten, vergrabenen Folterinstrumente wieder aus den Katakomben. Aus ecclesia patiens wird erneut eine ecclesia militans und triumphans.

Ein Chamäleon ist ein Charakterdarsteller, verglichen mit der nach allen Richtungen offenen Verwandlungskunst der Kirche. Alle Meinungen sind ihr willkommen, wenn sie nur die Offenbarung am Leben erhalten und ihre Macht steigern. Die Kirche hegt keine Zweifel, dass sie am Ende über alle Gegner obsiegen wird. Erst am Ende der Zeiten wird sie ihr wahres Gesicht zeigen.

Zwei Jahrtausende lang wäre es frommen Schriftdeutern nicht im Traum eingefallen, Jesus als Begründer der demokratischen Gewaltenteilung vorzustellen. Wäre Jesu Wort tatsächlich eine Befürwortung der Machtteilung zwischen Kaiser und Gott, stünde Jesus in diametralem Widerspruch zu Paulus. Wir müssten uns entscheiden, welches Wort den Geist des Neuen Testaments am besten zum Ausdruck brächte.

Doch dem ist nicht so. Von Anfang an haben die Urchristen keinen Zweifel an ihrem absoluten Herrschaftswillen über die Welt gelassen. Allerdings wird die Oberhoheit über die sündige Welt bis zur Wiederkehr des Messias sündigen Augen verborgen bleiben.

Deshalb die Rede von der unsichtbaren Kirche. Solange sie im irdischen Jammertal wandert, muss sie ihr wahres Siegergesicht verhüllen. Würde sie es offenbaren, müssten die Menschen nicht mehr glauben, sie sähen die Kirche in unverhüllter Macht und Herrlichkeit. Ihr blinder Glaube wäre verwandelt in Sehen von Angesicht zu Angesicht. „Wir sehen jetzt nur mittels eines Spiegels in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich völlig erkennen.“ ( Neues Testament > 1. Korinther 13,12 / http://www.way2god.org/de/bibel/1_korinther/13/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_korinther/13/“>1. Kor. 13,12)

Solange die Kirche in irdischer Gestalt verharren muss, solange muss sie mit der Rolle der Demut vorlieb nehmen. Was nicht bedeutet, dass sie die finale Glorie nicht jetzt schon vorwegnehmen kann, soweit die Umstände es erlauben. Dann ist der Prunk der Kirche der Vor-Schein des am Ende der Tage sichtbar werdenden Lichtscheins der unverhüllten Herrlichkeit des Herrn.

Gott lässt den irdischen Herrschern noch eine kleine Zeit die Illusion der unumschränkten Macht. Gleichwohl wären sie ohne himmlische Genehmigung nicht an die Macht gekommen. Ob es ihnen bewusst ist oder nicht: sie sind Marionetten Gottes. Von Gott eingesetzt, legitimiert und abgesegnet:

Es gibt keine Obrigkeit ausser von Gott, die bestehenden aber sind von Gott eingesetzt. Somit widersteht der, welcher sich der Obrigkeit widersetzt, der Anordnung Gottes, die aber widerstehen, werden für sich ein Urteil empfangen.“

Jede Revolution, jeder Widerspruch, jede Kritik an den herrschenden Mächten wäre Blasphemie und müsste – wenn Martin Mosebach an der Macht wäre – unerbittlich bestraft werden.

Gewiss gab es in den Anfangszeiten gewisse Reibereien zwischen Urkirche und dem römischen Reich, die der Devise folgten: man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Doch das war nur Ausdruck ihrer Ungeduld, mit der sie auf die Wiederkunft des Herrn warteten. Seit dem Abschied des Auferstandenen fühlten sie sich in der Endzeit, wo die Kirche den Schleier der Unsichtbarkeit ablegen und zur sichtbar triumphierenden Kirche übergehen könnte.

All diese Reibereien waren vorbei, als es der weströmischen Kirche gelang, Rom zu erobern und die Nachfolgerin des stolzen Reiches zu werden. Im Mittelalter hätte es den Dauerstreit zwischen germanischem Kaiser und Papst nie gegeben, wenn der Kaiser nicht die Unverschämtheit besessen hätte, sein weltliches Schwert für entscheidender zu halten als das geistliche.

Erst mit der Renaissance und den frühen Aufklärungsbewegungen mussten sich die Kirchen immer mehr der weltlichen Macht entledigen. Gleichwohl ist es ihnen in Deutschland bis heute gelungen, zum festen Bestandteil der demokratischen Staatsraison zu werden. Keine öffentliche Feier des Staates ohne obligate Beteiligung aller klerikalen Repräsentanten. Keine Trauerfeier ohne ökumenischen Rahmen und politischen Predigten der Bischöfe.

Kaum zu glauben, dass es sozialistische Theoretiker gab, die das Christentum als Revolution der Armen gegen die Starken und Mächtigen missverstanden. Das Gegenteil war der Fall. Alles Politische und Weltliche sollte punktgenau so bleiben, wie es war – würde es doch ohnehin in Kürze durch die Parusie ad acta gelegt werden. Sklave bleibe Sklave, Herr bleibe Herr, das Weib bleibe dem Mann untertänig.

Wie aber konnte Paulus den ungeheueren Satz sagen, dass jede Regierung, und sei sie noch so blutrünstig und entsetzlich, nur das Gute belohne und das Böse bestrafe? Schlug das nicht allen Erfahrungen der vielen verfolgten und gepeinigten Unschuldigen ins Gesicht? Hätte nach Paulus nicht jeder Staat ein perfekter Staat der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude sein müssen?

So ist es: er war es auch – im Glauben der Christen. An die utopische Gerechtigkeit musste man glauben, zu sehen war sie noch nicht. Wenn sie von Gott war – das waren alle Regimes –, war sie in verhüllter Gestalt perfekt.

Solange die Kirche unsichtbar sein musste, so lange war die Vollendung der weltlichen Macht nur dem geistig-gläubigen Auge sichtbar. Nicht den ungläubigen Augen der Sünder und Heiden. An die Göttlichkeit des Staates musste man glauben. Solange Gott im Regimente war, so lange war alles in der sichtbaren Geschichte Bestandteil der unsichtbaren Heilsgeschichte.

Der Glaube bezog sich nicht allein auf Jenseitiges und Himmlisches. Er bezog sich auf die ganze Welt, entwertete alles Sichtbare zur Täuschung, alle sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeiten der Menschen zu Lug- und Trugillusionen. Die ganze Welt wurde zu einem Zerrspiegel, der nur vom Glauben durchschaut werden konnte. Man musste hinter die Dinge schauen, die wahre Welt hinter der trügerischen und vergänglichen entdecken.

Es konnte nicht anders sein: die Menschen des Abendlandes verloren alle Zuversicht zu ihren Erkenntnis- und Wahrnehmungsfähigkeiten. Das Augenscheinlichste wurde ihnen zum Trügerischsten, das Evidente zum Teufelstrug.

Gibt es uns überhaupt? Bin ich real oder eine Phantasmagorie? Träum ich oder wach ich? Kann ich meinen Gefühlen gegen andere Menschen trauen? Sind meine Mitmenschen nicht Phantome, Trickser und Täuscher?

Das fundamentale Misstrauen in die elementaren Empfindungs- und Erkenntnisfähigkeiten endete bei Leibniz’ Monaden. Jeder Mensch ist eine rundum verschlossene Einheit ohne Fenster und Verbindung nach außen. Jeder Kontakt mit dem Nebenmenschen ging – über Gott, der von oben alles omnipotent leitete.

Das war die prästabilierte Harmonie. Der Mensch ist nicht fähig, sich selbst dem Menschen zu öffnen, sich mit zu verbinden und auseinanderzusetzen.

Selbst jene englischen Philosophen der empirischen Sensualität wie Hume und Berkeley bestritten, dass ihre Sinneseindrücke etwas mit der Realität zu tun hatten. Sehe ich mit meinen Augen die Realität? Nein, über die Realität kann ich keine Aussagen machen. Ich sehe nur Impressionen, von denen ich nicht sagen kann, ob sie die Wirklichkeit abbilden. Es ist wie nach einem Faustschlag aufs Auge: ich sehe Sterne, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben.

Das ist der Grund, warum bei Adam Smith jeder „egoistische Mensch“ nur seine eigenen Dinge verfolgen kann. Er ist in sich verkapselt und hat keine wirkliche Verbindung zu seinem Nebenmenschen. Der Tausch von Dingen ist ein dürftiger Ersatz für einen fehlenden emotionalen Kontakt.

Der sacro egoismo ist ein Verkapseltsein in sich. Den Zusammenhang aller gesellschaftlichen Interessen herzustellen, bleibt dem Gott der ökonomischen Monaden überlassen: der Unsichtbaren Hand.

Diese Einstellung einer prinzipiellen Beziehungslosigkeit änderte sich nicht bis ins Dritte Reich und dehnte sich auf die ganze Politik aus. Das Volk konnte nur eine Einheit werden durch den Führer, der alles aus allwissender Sicht koordinierte. Dies war der Glaube des deutschen Volkes und des lutherischen Adels.

Natürlich sahen die Menschen viele Übel im Staat, waren sie denn bis ins Tiefste ihrer Seele Unmenschen geworden? Doch was sie sahen, glaubten sie nicht. Sie trauten ihren eigenen Wahrnehmungen nicht, misstrauten nur ihren weltlich-trügerischen Augen. Hinter den Kulissen des Trugs musste die Wahrheit ganz anders sein. An die vermutete Wahrheit hinter dem bösen Schein musste man hoffen und glauben. Das ging nur, wenn man den Führer als Sohn der wahren Wirklichkeit anbetete.

Stauffenberg konnte erst Widerständler werden, als er sich unter schweren inneren Kämpfen entschloss, seinen eigenen Sinneseindrücken und Empfindungen zu folgen. Ist es nicht ungeheuerlich, welche Verbrechen wir, ohne mit der Wimper zu zucken, im Auftrag eines Scharlatans begehen? Ohne unsere Empfindungen zu befragen? Ohne unseren Kopf einzuschalten? Sind wir hypnotisiert? Sind wir außer uns? Sind wir noch Menschen? Haben wir alle Moral über Bord geworfen, uns in Tötungsmaschinen verwandeln lassen?

Erst, als es Stauffenberg gelang, seinen lutherischen Glauben anzuzweifeln und die Wirklichkeit in ihrer illusionslosen Barbarei wahrzunehmen, konnte er daran denken, den Tyrannen ins Visier zu nehmen.

Auch heute noch wäre es ein gotteslästerlicher Akt, die erbarmungslose Realität der wirtschaftlichen und technischen Verwüstung unserer Welt ohne Gottesfilter wahrzunehmen.