Kategorien
Tagesmail

Samstag, 21. Januar 2012 – Faschistische Abenteuer

Hello, Freunde Spaniens,

Luthers Reformation kam aus Deutschland, die Gegenreformation seines Widersachers Ignatius von Loyola aus Spanien. Der linke Flügel des Katholizismus kommt meist aus Deutschland, der rechte aus Spanien.

Als Deutschlands mittelalterliche Macht der Mitte unterging, erhob sich Spanien zur ersten Weltmacht, in der die Sonne nie unterging. Im Fußball sind beide Nationen die schärfsten Rivalen.

Wir hatten Hitler und sind Weltmeister in Vergangenheitsbewältigung, Spanien hatte Franco – und wer dort die Verbrechen des Diktators aufklären will, kommt vor Gericht. Auch wenn er ein weltberühmter mutiger Richter ist und Baltasar Garzón heißt. Per Gesetz darf dort die Vergangenheit juristisch nicht unter die Lupe genommen werden.

Nun haben Deutschland und Spanien auch Gemeinsamkeiten, die wichtigsten heißen Mallorca, Flamenco und Paella. Wir haben die meisten Dreisterneköche, Spanien aber den berühmtesten Molekular-Koch der Welt namens Ferran Adria, der die Lebensmittel, wie Gott sie schuf, bis auf die Molekularebene zersetzt und sie in sechs Tagen neu komponiert.

Wenn die BASF künstliche, gleichwohl naturidentische Geschmacksverstärker im Labor herstellt, wüten unsere Gourmets. Wenn Molekularköche

dasselbe tun, sind sie begeistert. Vermutlich, weil Adrias Souffles besser schmecken als unser altbewährtes Maggi.

Ob die vielen VIPs mit traumhaften Villen auf Mallorca sich als gute Europäer betätigen und sich für Garzón einsetzen, ist ziemlich unwahrscheinlich.

Vor kurzem ging die spanische Jugend auf die Straße und rebellierte gegen ihre berufliche Chancenlosigkeit, kurz darauf wurden die Sozialisten abgewählt und die Konservativen übernahmen das Ruder. Was sich dadurch für die Jugend ändert, darüber war noch nichts Sinnvolles zu lesen.

Ob Essgewohnheiten mit Politik zusammenhängen, ist zu vermuten, aber wissenschaftlich noch nicht untersucht. Die Nazis verordneten dem Volkskörper einen Vitaminschub, um dessen soldatische Fähigkeiten zu steigern. Heute wissen wir – „wir“ sind die Mediziner, die alle zehn Jahre einen radikalen Erkenntnis- und Paradigmenwechsel propagieren –, dass Vitamine den Volkskörper schwächen. Doch zur Karriereplanung soll Vitamin B noch immer unersetzlich sein. In zehn Jahren werden wir über Vitamine ganz neue und endgültige Erkenntnisse haben.

Nichts gegen Sauerkraut. Auf hoher See war Sauerkraut die einzige Möglichkeit, keinen Skorbut zu kriegen. Deutsche lebten allerdings selten dauerhaft auf hoher See. Das beste Sauerkraut gibt’s eh im Elsass, das in früheren Zeiten gelegentlich zu Deutschland gehörte.

Seitdem wir unsere traditionelle Sauerkrautküche zugunsten Schlemmereien aus aller Welt aufgegeben haben, kollidieren Feinschmecker- und Ökointeressen. Denn das Herankarren von südafrikanischen Trauben, argentinischen Rindern, Tee aus dem Himalaja und Kaffee aus Kenia kostet viel Energie, die Luft wird schlechter, das Klima heißer und der Kaffeeanbau in Kenia könnte bald gefährdet sein. Dann haben wir uns die teuren Espressomaschinen vergeblich angeschafft und müssen wieder, wie in der Nachkriegszeit, Tee aus Brenn-Nesseln stampfen, was aber wesentlich gesünder sein könnte.

Bleibt nur die Frage: werden wir unglücklicher, wenn wir gesünder leben und den Gürtel enger schnallen? Die TAZ ist für Öko, aber auch für Glück. Das spaltet die Redaktion in antiökologische Genusssüchtige und larviert leidende, aber dem kategorisch-ökologischen Imperativ folgende Konsumreduzierer und tapfer lächelnde Asketen.

Nico Paech ist ein bemerkenswerter Mann. Er besitzt kein Auto, keinen Fernseher, keinen Föhn, kein Handy und ist in seinem Leben erst einmal geflogen. Dennoch hat er’s zum Professor für Produktion und Umwelt gebracht und zum Vertreter einer Postwachstumsökonomie (ohne post geht heut gar nichts), die Wachstum einschränken, den Luxus der Welt reduzieren und heimatliche Regionen stärken will. Globalisierung, so wenig wie nötig und unvermeidbar; Autarkie, so viel wie möglich.

Merkwürdigerweise fällt der Begriff Autarkie nicht. Er ist belastet vom Deutschen Sonderweg, der verhängnisvollen Selbstisolierung der Nazis, die alles Internationale als feindlich und minderwertig definierten und sich von niemandem abhängig machen wollten.

Wie Luther einsam gegen die Deutschen, so fightete das auserwählte Germanien allein gegen den Rest der Welt. Es ging auch um Konkurrenz mit den Amerikanern, um die Frage zu beantworten, welche moderne Nation die wahre Erbin der althebräischen Kinder Israels sei. Auch Russland mit seiner sozialistischen Messianität musste aus dem Weg geräumt werden. Frankreich war kein Gegner mehr, das englische Empire rapide im Verfall begriffen.

Autarkie – Selbstgenügsamkeit, Selbstversorgung – klang verdächtig nach geschlossener Gesellschaft, wie Popper die unfreien, von ihren Nachbarn radikal abgeschnittenen Volksgruppen nannte, die keine freie Kultur kannten, sich als Mittelpunkt der Welt betrachteten und in Verachtung auf alle anderen herabschauten. Poppers Offene Gesellschaft war auch eine Loslösung des weltlichen Juden von der Amixia-Tradition seiner ultraorthodoxen Vorfahren. Aufgewachsen in einem großbürgerlich-aufgeklärten Elternhaus war Popper zum griechischen „Erzfeind“ der Juden, den Griechen, übergelaufen und hatte Sokrates und die athenische Polis zur höchsten Norm des Menschlichen erklärt. (amixia= Ungeselligkeit)

Auch die heutige Ökologiebewegung leidet noch immer unter dem Verdikt, nationalsozialistische Konterbande mit sich zu führen. Ganz klar, die NS-Bewegung wollte die Natur gegen ihre jüdischen Feinde retten. Gleichwohl war sie gespalten und zu gleichen Teilen technikbegeistert wie feld- und waldverehrend.

Dieses Janusgesicht aus Naturbewahrung und -beherrschung hatte sie von der Romantik übernommen, deren neurotisch-geniale Jüngelchen sowohl kühle Bergwerksingenieure wie Sucher und Anbeter der Blauen Blume waren. Hitler selbst war Techniknarr wie vegetarischer Naturwanderer und Alpenfreund.

Bis heute ist es der Ökologiebewegung nicht gelungen, ihre genealogischen Herkunftsfragen zu klären und in Pro und Contra darzustellen. Das ist ihre Schwäche: sie hat keine Tradition, von der sie zehren und an der sie sich reiben könnte.

Da sie ihre dunkle Erbschaft verschweigt und verdrängt, darf sie sich nicht wundern, dass sie misstrauisch als latent faschistische Bewegung beäugt wird, die nichts im Sinn hat, als auf raffinierte Weise eine globale Ökodiktatur zu errichten. (Broder & Co)

Paech weist zu Recht den Unsinn von sich, ein abgespeckteres Leben wäre ein unglückliches. Das Gegenteil ist der Fall.

Zu Recht mahnt er die Änderung des Einzelnen an, indem er Sloterdijks Bonmot, der Mensch würde sich nie verändern, und wenn, würde es schrecklich werden, als Nonsens vom Tisch fegt. Auch Sloterdijk steht noch im Banne Platons, der sich die Änderung des Einzelnen und der Polis nur im Rahmen einer faschistischen Herrschaft der Weisen vorstellen konnte. Ausgerechnet Philosophen erwarten vom Philosophieren wenig bis nichts.

Denken, Philosophieren ist nichts anderes als jenes „lebenslange Lernen“, von dem jeder Arbeitsmarktexperte immer redet, ohne im Geringsten dran zu glauben oder, noch schlimmer, Lernen zum endlos-„flexiblen“ Berufepauken zu verfälschen.

Die Differenz Paechs zu den politischen Ökos mit ihrem „grünen Wachstum“ ist messerscharf: Jedes Wachstum ist ein Energievorgang, schreddert Klima und begrenzte Ressourcen. Wir können nur verbrauchen, was uns im Verband gleichberechtigter Tiere und Pflanzen zusteht, was Natur verkraftet und in jedweder Hinsicht regenerieren kann.

Der Planet ist endlich und begrenzt. Der Mensch, selbsternanntes und imaginiertes Unendlichkeitswesen, muss seine hybride Dynamik beenden und zu einer statischen Gattung werden.

Der bisherige Stolz auf ewiges Werden entstammt den Erbschaften einer Religion, die ihre Heimat nicht hienieden, sondern im unendlichen Jenseits sieht. Wachsen und Werden müssen dahin verlagert werden, woher sie einstmals kamen: ins Geistige. Im Menschwerden kann jeder bis an sein Lebensende lernen. Hier erwarten ihn jene Abenteuer, die er – aus gedanklicher Feigheit und Bequemlichkeit – beim Gebirgeerklettern, Atomwaffenherstellen und sonstigen drogenhaften Betäubungen erwartet.

Es ist die Wissenschaft selbst, die illusionäre Vorstellungen von geistigen Abenteuern verbreitet, die, dem Wandern gleich, zukünftige Gefahren benötigt, um sie in riskanten Kämpfen mit unsicherem Ausgang zu bewältigen. Wer solche künstlichen Kicks benötigt, um der schrecklichen Langeweile eines glücklichen Lebens zu entgehen, der muss sie prophylaktisch selber herstellen.

So schreibt der englische Naturphilosoph Whitehead in seinem Buch „Wissenschaft und Moderne Welt“: „Wenn der Mensch aufhört zu wandern, dann wird er aufhören, auf der Skala des Seins zu steigen. Der Segen des Wanderns liegt gerade darin, dass es gefährlich ist und Fertigkeiten verlangt, um Übel abzuwehren. Daher müssen wir erwarten, dass die Zukunft Gefahren enthüllen wird. Es ist die Aufgabe der Zukunft, gefährlich zu sein; und es gehört zu den Verdiensten der Wissenschaft, dass sie die Zukunft für ihre Aufgaben ausrüstet.“

In völliger Selbstverblendung hat sich die Wissenschaft in die babylonische Gefangenschaft einer religiösen Ideologie begeben, deren Botschaft das Evangelium eines rastlosen Wanderns auf Erden ist. „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ ( Neues Testament > Hebräer 12,1 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/hebraeer/12/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/hebraeer/12/“>(Hebr. 12,1 ff

Das Leben im Herrn ist ein lebenslanges Joggern und Marathonlaufen ins Himmelreich. Seit den Tagen der „Pilgerschaft zur ewigen Seligkeit“ eines John Bunyan hat sich nichts geändert, außer den wasserabstoßenden, windschlüpfrigen Trikots der Dauerläufer.

Das abenteuerliche Wandern, Laufen, Hasten und Rennen unter dem totalitären Knebel eines Herrn der Geschichte ist das unruhige Pendant zum ruhenden Faschismus Platons, der in seiner Utopie jede Bewegung und Veränderung im Keim erstickt.

Griechen wollten die Meeresstille der Seele, Christen fühlen sich hienieden in permanenter Unruhe, bis ihre Seele Ruhe findet in Gott. Die Unfähigkeit, sich auf Erden einzunisten, ist eine Kampferklärung an die Natur.

„Mein Kampf“ ist die Dauerstimmung eines wütenden und um sich schlagenden Hastens durch das irdische Jammertal, das nichts dauerhaft anbauen und bewahren darf. Und jeden mit Gewalt aus dem Wettlauf ausschalten muss, der ihm seine Seligkeit streitig machen will. Denn jede autarke Eigenmächtigkeit ist eine Misstrauenserklärung an den omnipotenten Vater.

Mussolinis Parole: Vivere periculosamente, gefährlich leben, ist die politische Konsequenz dieser religiös bedingten Unhäusigkeit und Heimatlosigkeit auf dem schönen blauen Planeten. Nur wer Natur verwüstet hinter sich lässt, erhält Segen und Entrebillet fürs Himmelreich.