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Samstag, 20. Oktober 2012 – Triebverzicht

Hello, Freunde der Bedürfnisse,

wenn der Papst von Wir spricht, meint er nicht seine private Belanglosigkeit, sondern er meint sich als Sprecher Gottes gegenüber Menschen und als Sprecher der Menschen gegenüber Gott.

Wenn Intellektuelle von Wir sprechen, verbünden sie sich mit der Leserschaft zu einer unfehlbaren Gesinnungsgemeinde und schließen jeden aus, der nicht ihrer Meinung ist.

Wenn Buschkowsky von Wir spricht, meint er die Mahatma-Gandhi-Deutschen im Gegensatz zu aggressiven Menschen mit „Migrationshintergrund“, meistens Menschen aus Afrika. Deutsche bestehen nur aus Vordergrund, sind durchsichtig, berechenbar und sozial, eher blond und stehen dem Licht näher.

Cem Özdemir und Philipp Rösler sehen noch relativ weiß aus und konnten in die erste Reihe rücken, weil grade sonst niemand da war. Ein Obama wäre bei uns undenkbar.

Wenn deutsche Theater schwarze Menschen brauchen, nehmen sie Weiße und malen sie schwarz an, damit jeder weiß, die wollen Schwarze nur spielen, meinen es aber nicht ernst. Wenn jemand etwas weiß, sagt man ja auch nicht, er schwarzt etwas.

Wissen, weise- und weißsein sind identisch. Ob man umgekehrt schwarze Schauspieler auf Weiß schminken würde, wenn Not am Weib wäre? Dunkle Schauspielerinnen würde kein Regisseur ablehnen, die sind so unvergleichlich sexy, dass keine

weiße Frau mit Schminke mithalten könnte.

Gottlob ist Deutschland noch ein sauberes und weißes Land. Doch je mehr Flüchtlinge ins Land drängen, umso mehr verdunkelt sich der biologische Horizont über Neugermanien. Hermann der Cherusker würde seine Nachkommen nicht mehr erkennen.

Freud nannte die dunkle Seele oder das Unbewusste der Abendländer das wahre innere Afrika. Wo Es war, soll Ich werden, könnte man formulieren, wo es schwarz war in der Seele, soll es weiß und hell werden. Das komplette Flutlicht wäre das Über-Ich oder das nie irren könnende göttliche Gewissen der Abendländer.

Dumm nur, dass das Licht aus dem Orient kommt und im Abendland untergeht. Aus der Not hat Hegel eine Tugend gemacht und den Gang des Geistes vom Osten nach Westen als Fortschritt bezeichnet. Dass die Sonne aber am Abend kurz vor dem Untergang steht, scheint Hegel entweder entgangen zu sein oder er ging wie Josua davon aus, dass die Sonne bei uns für immer stille stehen bleibt. Sonne, steh still über Berlin und Preußen – dann haben wir nicht mehr so viele Probleme mit der Energieversorgung.

Die stillstehende Sonne ist auch Bestandteil des Goldenen Jerusalem am Ende aller Tage. „Und es wird keine Nacht mehr geben und sie bedürfen nicht des Lichtes einer Lampe noch des Lichtes der Sonne; denn Gott der Herr wird über ihnen leuchten und sie werden herrschen in alle Ewigkeit.“

Leuchten und Herrschen sind siamesische Zwillinge. Der Sonne als Inbegriff der Natur wird gekündigt, im Lokal der Zukunft leuchtet der Chef persönlich. Die ganze Heilsgeschichte ist die unfreundliche Übernahme der natürlichen Sonne durch einen künstlichen Beleuchtungskörper namens Gott. Es geht um einen Verdrängungswettbewerb, die Natur soll überrundet und abgeschafft werden.

Die primäre Natur ist ein theatrum mundi, wo Theaterdirektoren nach Belieben über Sonne, Mond und Sterne verfügen:

„Drum schonet mir an diesem Tag

Prospekte nicht und nicht Maschinen!

Gebraucht das groß und kleine Himmelslicht,

Die Sterne dürfet ihr verschwenden,

An Wasser, Feuer, Felsenwänden,

An Tier und Vögeln fehlt es nicht.

So schreitet in dem engen Bretterhaus

Den ganzen Kreis der Schöpfung aus

Und wandelt mit bedächtger Schnelle

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.“

Womit Goethes Theaterdirektor das ganze neuzeitliche Naturverwüstungsprogramm in wenigen Versen festgehalten hat, welches in der Hölle enden wird.

Die Natur ist ein billiger Wanderzirkus, ein enges Bretterhaus, wo man die Utensilien nach Belieben hin- und herschieben, auswechseln und verschwenden darf. Nichts soll geschont werden, Maschinen gibt’s in Hülle und Fülle, auch Tiere und Vögel mehr als genug, weshalb hier tüchtig ausgedünnt werden darf.

Es fehlt an nichts, genau dies ist aber das Problem, Schlaraffenland macht träge. Also her mit Not und Elend, die uns Beine machen.

Nur bei der Schnelle hatte der Klassiker seine Probleme, weshalb er das Wörtchen bedächtig einfügen musste. In Schnelle wandeln? Geht nun mal nicht. Heute wandelt und flaniert niemand mehr, heute joggern sie sogar in der Sauna, um nicht unterfordert zu sein.

Wie kam Freud dazu, das Unbewusste als inneres Afrika zu bezeichnen? Im Es sitzen verbotene Triebe, die man fesseln muss, damit sie einem nicht über den Kopf wachsen. In Afrika wohnen triebhafte Menschen, die gar nicht daran denken, ihr Es dem Über-Ich der Weißen zu unterstellen. Dass sie ungehemmt ihren Trieben nachgeben, hängt, wenn man der Bibel folgen will, mit ihrem legendären Urvater Ham zusammen.

Neben Sem und Japhet war Ham der dritte Sohn Noahs, der seinen betrunkenen Vater nackt im Zelte liegen sah, ohne dass er dessen Blöße dezent bedeckt hätte, wie man dies in gesitteten Familien zu tun pflegt.

(Das Märchen vom Kaiser und seinen neuen Kleidern hat denselben Ursprung wie die Noahgeschichte, aber mit konträrer Moral. Hier muss man hinschauen und das Tabu der Blöße entlarven.)

Vorbildlich die beiden andern Söhne, die Stammväter aller Nichtschwarzen auf der großen weiten Welt: „Da nahmen Sem und Japhet das Gewand, legten es auf ihre Schultern und gingen rückwärts hinzu und bedeckten ihres Vaters Blöße“.

Des Vaters Blöße ist des Vaters Schwäche. Beim himmlischen Vater von Schwäche zu sprechen, ist schon in sich ein Sakrileg, geschweige der Versuch, die offen zu Tage liegenden Schwächen zu verspotten und zu verhöhnen.

Der schamlose Ham wurde zum Stammvater aller Afrikaner, weshalb alle schwarzen Menschen triebgesteuerte Wesen sein müssen. Alles, was den weißen Herrenrassen als verboten galt, wurde nach Afrika projiziert oder ins Es verdrängt, weshalb das Unbewusste und Afrika zusammenfielen.

Wie die Weißen den undisziplinierten triebfreudigen Kontinent unter die Knute ihrer göttlichen Über-Ich-Gesetze brachten, so brachte Freud die unbotmäßigen Sexualbedürfnisse unter das strenge Regiment des europäischen Ich und Über-Ich.

Freies Ausleben der Triebe macht leistungsunfähig, weshalb die Schwarzen in Afrika bis zur Ankunft der Weißen keine Fabriken und kein Fließband zustande brachten. Nur Triebhemmungen und Triebsublimierungen verschaffen den Menschen die notwendige Energie, um einen kapitalistischen Alltag viele Jahre durchzuhalten.

Sublimieren heißt besser und edler machen. Ob allerdings die westlichen Triebveredelungen das Leben der Veredelten besser macht, darf nach der wachsenden Quote der Depressionen bezweifelt werden. Selbst die westliche Wirtschaft ist inzwischen in die Depression gerutscht.

Vielleicht sollte man den Begriff ins Gegenteil verkehren und von Triebinferiorisierungen oder –korrumpierungen sprechen.

Freuds Triebtheorie hat den weißen Imperialismus in Afrika auf die weiße Seele übertragen. Euer wildes Triebleben ist noch viel zu hamitisch-afrikanisch-ungezügelt, rief er den Europäern zu. Einerseits entdeckte er die kindliche Sexualität, aber nur, um sie andererseits an die Leine des verschärften Realitätsprinzips zu legen, dem Widerpart zum Lustprinzip. Wie gewonnen, so zerronnen.

Lustmolche wie Wilhelm Reich oder Herbert Marcuse durften sich nicht durchsetzen. Sie hätten das ganze BIP des Westens ruiniert und China wäre heute unbestrittener Exportweltmeister. Womit wir den Zusammenhang von Sexleben und Ökonomie hinlänglich aufgezeigt haben sollten.

Dass Triebe selbst durch ständige Zügelung und Verdrängung nicht sublimer, sondern inferiorer werden, daran denkt niemand, auch wenn er gerade an einem Pornoladen vorbeigeht und die allgemeine Sexualisierung unseres Alltags beklagt.

Sexualität ist heute zum Leistungsprinzip geworden und ist nicht mehr Bestandteil des verbotenen Lustprinzips. Höchstleister des Sexuellen nennt man bekanntlich Pornodarsteller, was ungerecht gegenüber Dirnen ist, denn Porno kommt von Dirne, womit gesagt werden soll, dass, nach Freud, auch die Frauen ins triebgesteuerte innere Afrika gehören und viel libidinöser sind als ihre vor Gott angetrauen Ehegatten. Das ist ein Geheimnis und darf von niemandem verraten werden, sonst dürfte demnächst in Saudi-Arabien eine Frau vier Männer heiraten.

Fehlen nur noch die kleinen afrikanischen Wilden, unsere Kinder, denen man auch frühzeitig beibringen muss, dass sie ihre Geschlechtsorgane von Gott nicht zur Lust, sondern zur Zeugungspflicht erhalten haben.

Und Zeugen steht unter dem Vorzeichen des Herrschens: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und die Vögel des Himmels, über das Vieh und alle Tiere, die auf der Erde sich regen.“

Je mehr Nachwuchs der Mensch zeugt, umso mehr kann er die vielzuvielen tierischen Kreaturen auf Erden auf das Notwendigste reduzieren. Im Grunde würden die Zoo- und Zirkustiere, die wir bereits haben, völlig ausreichen, um den Kindern sozialistische Erdmännchen, egoistische Schimpansen und meditative Faultiere zu zeigen.

In vielen Ländern mit demoskopischer Relevanz ist Zeugen zum bedrohlichen Machtfaktor geworden. Da wird gezeugt und gegengezeugt, dass einem angst und bang wird. Wer sich die Mehrheit zusammengezeugt hat, hat das Sagen. Nicht nur in Israel, auch in Amerika, wo Huntington darüber geklagt hat, dass die White Anglo-Saxon Protestants (Wasps) ihre Mehrheit gegen die mexikanischen Immigranten bereits eingebüßt haben.

Das folgende Zitat stammt von einem berühmten Junggesellen, der all seine Energie in den Kopf umleitete, damit er besser denken konnte: „Die Ehe ist die Verbindung zweier Personen (!) zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften“.

Zum wechselweisen Besitz heißt wohl, wenn zwei Besitztümer zusammenkommen, wird neuer Besitz geheckt. Es ist wie bei Bauern und Adel, bei der Ehe müssen Äcker und Schlösser zusammenkommen. Hier spielte Eros nur eine besitzzusammenführende Marketing-Rolle.

Da Freud Eros und Triebe nicht auseinanderhalten konnte, war er ursächlich daran beteiligt, den unerotischen Pornobetrieb und fast das ganze Eheleben – oder den zur Akkordarbeit degradierten Eros – in kapitalistischen Ländern psychoanalytisch abzusegnen.

Schon der Begriff Triebabfuhr klingt wie Müllabfuhr. Triebe sind etwas, was man erniedrigen und bedrohen muss. Wenn man Triebregungen sublimieren will, muss man sie unterdrücken und beschneiden.

Wie wollen wir mit Afrika in ein Gespräch ohne weiße Imperialistenattitüden kommen, wenn wir noch immer unser inneres Afrika strangulieren? Wir haben noch nicht mal Weib und Kind aus triebgesteuerter Wildheit befreit, geschweige die Original-Afrikaner. Freuds Triebtheorie ist eine weiße Herrentheorie, die alles, was nicht von Gottes Geboten genehmigt ist, zur Teufelserfindung gestempelt hat.

Schon länger ist‘s her, dass man das Ausbeutersystem sexologisch untersuchte. Eros wiederzugewinnen im freude-verschlingenden Kannibalismus, ist ausgeschlossen. Man kann nicht von morgens bis abends malochen, am Feierabend und an Wochenenden anrufbereit sein und dann noch ein sinnlich bewusstes Leben führen.

Sinnlichkeit ist kopfgesteuert. Wenn der Kopf mit Zahlen und Figuren zugedröhnt wird, reicht die letzte Energie nur noch zur Hetze und Beschleunigung, den Todfeinden aller erotischen Sinnlichkeit. Alles, was nicht ausreifen kann und unter Beschleunigungsterror steht, geht früher oder später flöten.

Die Triebe können sich nicht mit Leben anreichern, sondern werden reduziert auf physiologische Reiz-Reaktionsmuster. Schnell zwischen Tür und Angel ein Bedürfnis erledigen. Sie haben ein Lüstlein für den Tag und ein Lüstlein für die Nacht (Nietzsche), die bedient werden müssen – um der Gesundheit willen.

Den zwanghaft asketischen Akkumulationsbetrieb werden wir nicht los, wenn wir nicht das Bedürfnis entwickeln, uns zu vollsinnlichen Menschen zu entwickeln, die ihre Geschlechtsorgane nicht benutzen, um Besitz zusammenzubringen. „Ich hab sie gehabt“, ist die Register-Arie des getriebenen Casanovas, der Frauen sammelt wie andere Geld.

Es gibt einen enormen Fortschritt in der Triebreduktion von Luther bis heute. Früher benötigte Jedermann seinen sonntäglichen Kanzeldonner, um das teuflische Zwicken seiner Lenden ins innere Afrika abzuschieben. Heute ist das nicht mehr nötig, heute haben wir Kapitalismus, der jeden Abhängigen derart zur Profitmaximierung zwingt, dass ihm abends alle sex Sinne vergangen sind.

„Triebverzicht und Aufschub der Befriedigung sind die Voraussetzungen des Fortschritts“, schreibt Marcuse. Was den Triebverzicht betrifft, hat er Recht. Doch Aufschub der Befriedigung ist wie Verzug der messianischen Wiederkehr: er findet am Sankt Nimmerleinstag statt, also niemals.

Den ideologischen Kern seiner Triebfeindlichkeit hat Freud so zusammengefasst: „Die individuelle Freiheit ist kein Kulturgut“. Das scheint er zustimmend geschrieben zu haben, individuelle Freiheit war ihm zu anarchisch.

Neoliberalismus ist nur die Erlaubnis, Geld zu scheffeln und auszugeben, mit individueller Freiheit hat sie nichts zu tun.

Kein Mensch, der nicht geächtet werden will, darf sich für ein sinnen- und denkfreudiges Leben entscheiden. Freiheit zum Geldscheffeln ist der Zwang zum Geldscheffeln. Nicht mal in rigiden mittelalterlichen Klöstern war Triebverzicht so effizient wie in der modernen Ökonomie.

Schon der Begriff Trieb klingt nach Trieblok und mechanischen Dampfventilen. Actio gleich Reactio. Triebe erniedrigen Menschen zu leistungsschwachen Maschinen.

Der Mensch hat keine Triebe, er hat Bedürfnisse nach Menschen. Nur wenn Bedürfnisse dazu beitragen, das Leben in der Gemeinschaft zu versinnlichen und zu humanisieren, werden sie menschliche Bedürfnisse und Befriedigungen – ein Wort, das Frieden verheißt.

Bloße Triebabfuhr macht süchtig und aggressiv, nur gestillte Bedürfnisse machen friedlich. Wenn Triebverzicht zum Fortschritt, Fortschritt aber zum Rückschritt wird, sollten wir‘s mal umgekehrt probieren und Mammon- und Malocheverzicht einüben, um der Falle eines trügerischen und gefährlichen Fortschritts zu entkommen.

Bei Marcuse sehen wir noch marxistische Gespaltenheit, wenn er vom notwendigen Opfer spricht, das die Menschheit auf sich nehmen musste, um der feindlichen Natur zu entkommen. Er preist das Opfer, das die Menschheit auf sich nehmen musste, um die heutige Wohlstandshöhe zu erreichen: „Das Opfer hat sich bezahlt gemacht: in den technisch entwickelten Gebieten ist die Unterwerfung der Natur fast vollständig gelungen.“

Das ist noch grauenhafte sozialistische Naturfeindschaft. Naturzerstörung und Triebverzicht sind unerlässlich, bis die Natur besiegt am Boden liegt. Erst wenn der Drache erledigt ist, so Marcuse, können wir es uns erlauben, triebfreundlicher zu werden. Dieser Moment schien ihm in der Studentenrevolution gekommen zu sein.

Wie aber soll der Mensch sinnlichen Frieden mit der Natur schließen, wenn er sie äußerlich und innerlich getötet hat?