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Tagesmail

Samstag, 18.08.2012 – Pussy und Heiliger Geist

Hello, Freunde des Friedens,

eine Mehrheit der Israelis würde sich laut Umfrage mit einer iranischen Atommacht abfinden. 60% sind der Meinung, Israel müsse sich daran gewöhnen, nicht die einzige Atommacht im Nahen Osten zu sein. 61% seien der Meinung, Israel könne ohne Hilfe der USA das iranische Atomprogramm nicht zerstören.

Doch 70% glaubten der amerikanischen Zusage nicht, notfalls die atomare iranische Bewaffnung selbst zu verhindern. „Ein atomar bewaffneter Iran erscheine vielen deshalb schlicht als unvermeidlich“. (Der Tagesspiegel)

Frage a): Warum trauen die Israelis ihren besten Freunden nicht?

Frage b): Warum wird Frage a) in deutschen Medien nie gestellt?

Frage c): Welchen Druck macht die demoskopische Mehrheit auf das Netanjahu-Regime?

Frage d): Wie ist zu erklären, dass die oft anders denkende Mehrheit in Israel passiv die militante Politik ihrer Regierung absegnet?

Frage e): Warum wird Frage d) in deutschen Medien nie gestellt?

Die NZZ behauptet, eine glaubwürdige Existenzbedrohung könne Israel nicht vorweisen. Die Zeit israelischer Brecheisen-Diplomatie laufe aus. Die SZ meint, Israels anschwellendes Kriegsgeheul sei nur dann rational, wenn es das Ziel hätte, mit

maximaler Drohkraft eben diesen Krieg zu vermeiden. „Die Frage ist nur, ob diese Führung wirklich klug ist“

Michael Lüders ist die einsame Stimme des Nüchternen unter deutschen Dauerbesäuselten und Schizophrenen, die im Allgemeinen gegen Krieg sind, nur nicht in Afghanistan, für Menschenrechte, nur nicht in Palästina, gegen militaristische Drohungen, nur nicht bei ihren besten Freunden in Israel.

Die Mehrheit der deutschen Medien hielten einen israelischen Angriffskrieg gegen den Iran für falsch, würden aber im Falle eines Falles für Unterstützung Netanjahus plädieren, so Lüders. Das kann man Geistesirresein unter dem Diktat einer historischen Schuld nennen, die man durch Verrat an der eigenen Denkfähigkeit und moralischen Integrität glaubt, reduzieren zu können oder gar los zu werden.

Aus der Kinderpsychologie weiß man, dass stellvertretende Schuldgefühle der Kinder, die sich mit ihren Eltern überidentifizieren, größer und lähmender sind als die der Väter und Mütter, die tatsächlich die Schuld auf sich geladen haben.

In einem TAZ-Gespräch sieht Lüders in der Iran-Krise eine komplette Wiederholungstat der westlichen Irak-Farce. Dort wurde von Massenvernichtungswaffen gesprochen, die dann unauffindbar waren, hier von Atomwaffen, deren Existenz bis heute nicht bewiesen wurde. Was nicht bedeute, dass sie nicht existierten, nur, ihr Vorhandensein ist eben nicht nachgewiesen.

Selbst Mossad und wichtige Generäle aus dem heiligen Land seien bislang strikte Gegner eines vorbeugenden Angriffs.

Iran unterstützt Hamas und Hisbollah, das sei wohl eine nicht zu bezweifelnde Gefahr, so Lüders. Doch hier hätte man sicher durch Verhandlungen Kompromisse finden können, wenn man denn eine diplomatische Lösung hätte haben wollen.

Was man partout nicht wollte und alle Verhandlungen mit dem Iran kategorisch ablehnte, um den Staat zum internationalen Bösewicht zu stempeln, den man mit legitimen Gründen prophylaktisch bombardieren könne.

Durch überdimensionale Sanktionen würde man auch die „grüne“ Widerstandsbewegung im Iran treffen, die als wirtschaftliche Mittelschicht besonders getroffen und dadurch zur Solidarität mit dem verhassten Regime gezwungen werde.

Amerika betriebe den Sturz Assads nicht aus Menschenrechtsgründen, sondern weil Assad der letzte Verbündete des Iranregimes, der Iran das letzte Land in der Region sei, das keine prowestliche Politik betriebe.

Die ganze Region vom Libanon bis Pakistan sei ohnehin eine unstabile und vom Zerfall bedrohte. Würde noch die letzte stabile Bastion, der Iran, fallen, wären Al Quaida und anderen terroristischen Untergrundgruppen Tür und Tor geöffnet. Militärisch sei das eine nicht mehr zu kontrollierende Situation und zehnmal so gefährlich wie in Afghanistan.

Die Gefahren für Europa seien immens. Es würde zu Terroranschlägen kommen, der Ölpreis würde in die Höhe schnellen, Fluten von Flüchtlingen würden sich nach Europa ergießen.

Vor all diesen Gefahren seien die USA durch den Ozean geschützt. Das alles wolle Europa nicht erkennen und beuge sich ständig dem Druck Washingtons. Würde Mitt Romney an die Macht kommen, gäbe es mit Sicherheit einen Krieg.

(TAZ-Interview von Ines Kappert mit Michael Lüders)

Man weiß, dass Obama keinen Krieg will und noch immer auf diplomatischen Druck setzt. Also bleibt Netanjahu keine andere Chance, als mitten im amerikanischen Wahlkampf seine Flieger aufsteigen zu lassen. Dann müsste Obama ihn unterstützen, egal, ob er will oder nicht. Netanjahu weiß, dass ein wiedergewählter Obama lange nicht so erpressbar ist wie vor der Wahl: eine dritte Regierungsära wird es nicht geben.  

 

Während die letzten illustren Edelfedern sich gegenseitig um die Ecke bringen, feigerweise anonym, statt mit offenem Visier Mann gegen Mann, Steinfeld den Schirrmacher, Augstein als Schirrmachers bewundernder Assistent den Steinfeld, die TAZ den Augstein und den Prantl, der sich selbst, Leyendecker den Wallraff, zumindest versuchsweise, die WELT die ganze SZ, die TAZ das ganze deutsche Feuilleton, also Ragnarök im Komabereich einer absterbenden Gattung sogenannter Gazettenmacher, während also die deutschen Medien sich mit sich selbst beschäftigen, gehen die Probleme in der Welt weiter und lassen sich vom inzestuösen Geschrei der Schreiberbande nicht beeindrucken.

Nur eine Lichtgestalt ragt aus dem Sumpf der Meuchler hervor und das ist Mathias Döpfner, Chef des Springer-Verlags, der so nebenbei das kleine Präsent von 70 Millionen von seiner Chefin, der Friede, erhielt, die immer so strahlt, wenn sie ihren Liebling sieht. Kleiner Tip an Steinfeld: Döpfner schlitzen würde sich mehr lohnen.

 

Wetten, dass? Wetten, dass die deutschen Mosebächer und Spaemänner klammheimlich jubilierten ob der theokratisch-kernigen Säuberungen im allerchristlichsten Russland, das, nach Rilke, an Gott grenzt, doch nicht mehr lange, denn bald soll ER von Putin eingemeindet werden?

Zu zwei Jahren Lager im Permafrost verurteilt. Und wofür? Für religiösen Hass, sagte der Staatsanwalt und ein Rechtgläubiger fauchte ins Mikrofon: am besten auf den Scheiterhaufen, wie einst im Mittelalter.

Russland ist unterwegs zum Cäsaropapismus, meint der russische Schriftsteller Jerofejew, Putin wende sich vom Westen ab und Asien zu.

Eine Fehldiagnose, wenn auch eine nachvollziehbare. In Wirklichkeit wendet sich Putin der gemeinsamen christlichen Vergangenheit zu, wo geistliches und weltliches Schwert eine unselige Einheit waren. Theokratie war die Vergangenheit des Westens und des Ostens.

Johannes Hus, der tschechische Vorläufer Luthers, wurde 1415 in Konstanz per Feuerchen seinem Schöpfer näher gebracht. Auch Calvin legte noch Wert auf einheizende und befeuernde Methoden der Glaubensdebatte.

Wer hätte noch vor kurzem für möglich gehalten, dass weibliche Geschlechtsorgane russischer Herkunft mit amerikanischem Namen für Aufruhr in der Welt sorgen könnten. Es wird höchste Zeit, dass der Penis als himmelragender Erigator und Penetrator zur Kenntlichkeit schrumpft.

Unter dem Etikett „Orthodoxe Zivilisation“ solle eine neue Utopie erschaffen werden, so Jerofejew. Nein, Sir, keine neue, eine uralte, die sich wieder mehr zu Worte meldet.

Ausgerechnet im Allerheiligsten Moskaus, in der Christus-Erlöser-Kirche, so der Russe, hätte die politische Künstlerinnengruppe ihren Hexensabbath veranstaltet. Ausgerechnet in jener Kirche, die von Stalin abgerissen wurde, da Religion Opium des Volkes sei.

Der Dichter hält der Orthodoxen Kirche eine Tradition der Barmherzigkeit zugute. Diese Tradition hätten die heutigen Metropoliten und Popen vergessen und verraten.

Barmherzig wem gegenüber? Waren die Barmherzigen nicht jahrhundertelang Anteileigner an der staatlichen Allmacht? Blickt der Cäsaropapismus nicht auf eine lange russische Tradition zurück? Wer zusammen mit dem weltlichen Schwert das geistliche Schwert benutzte, konnte der nicht im niederen Volk gelegentlich Barmherzigkeit und Milde üben, wie der Reiche dem Bettler seine Almosen zuwirft?

(SPIEGEL-Interview von Matthias Schepp mit dem Schriftsteller Wiktor Jerofejew)

Doch mit Freiheit und freier Selbstbestimmung hatte die Kirche nie was am Hut. Ganz im Gegenteil. Die russische Freiheitsbewegung befindet sich auf dem Stand der deutschen 68er-Bewegung, die ihre Freiheitsideale im Urchristentum vermuteten und ihre Überzeugungen in den Galiläer projizierten.

Weiter sind auch die Deutschen bis heute nicht gekommen. Noch immer begnügen sie sich, der Kirche vorzuwerfen, sie hätte die Urbotschaft verraten.

Während Mittel- und Unterschichten scharenweise die Kirche verlassen, weil Gottes Personal den moralischen Standard der Menschen ständig verletzt, haben sich die Intellektuellen profilneurotisch erneut dem Klerus zugewandt und verteidigen ingrimmig und drohend den finsteren Geist der Botschaft und die Machtallüren der Seelenhirten.

Auch hier eine Spaltung der Gesellschaft. Während der Pöbel die Heuchelei der Priester und Propheten nicht mehr erträgt, sich aber nicht kompetent fühlt, der Urschrift auf den Zahn zu fühlen, stellen sich die Kopfwerker – ebenfalls ohne geringste Kenntnisse der biblischen Materie – auf die Seite der Abendlandsprediger.

Die Avantgarde der russischen Gesellschaft befindet sich im Aufbruch. Sie scheut sich nicht mehr, das Allerheiligste zu „schänden“, wenn auch, um das Allerheiligste zu retten, den Krallen der Kirche zu entreißen und dem reinen Geist der Urbotschaft zuzuführen.

Auch in der westeuropäischen Aufklärung begann der Aufstand, als man begann, Jesus mit Sokrates zu vergleichen, um den ersten am Maßstab des zweiten zu messen. Die Frühaufklärer empfanden die beiden als Zwillingsbrüder, bis die folgende Generation erst die unverträglichen Unterschiede bemerken durfte.

Das fand in den Jugendschriften Hegels statt, deren christentumskritische Schärfe kaum von Nietzsche überboten wurde. Leider ging der alte Hegel dazu über, seine jugendliche Genieleistung durch schwammige Syntheseübungen und Harmonieerklärungen zu verwässern.

Schaut man sich den Text des Liedtextes der Pussy Riots an, kann von Religionshass keine Rede sein. Die Mutter Gottes wird angerufen, um Putin zu vertreiben und den Priesterröcken Verrat an der Urbotschaft vorzuwerfen: „Mutter Gottes, vertreibe Putin, vertreibe Putin, vertreibe Putin.

 

Unaufhaltsam offenbaren die deutschen Leitmedien die wachsende Spaltung ihres Bewusstseins.

a) Die Ästheten verabscheuen politische Kunst – im Inland. Doch im Ausland werden die drei Frauen als Heldinnen gefeiert, was sie tatsächlich auch sind. Hätten sie aber ihre Freiheitsexerzitien im Freiburger Münster – vielleicht im Beisein des Papstes – absolviert, wäre ein Shitstorm der elitärsten Grobheit über sie niedergegangen. Wie schrieen sie Günter Grass nieder, Politik habe in der Kunst nichts zu suchen. Es waren dieselben, die nun die Russinnen bigott in den Himmel heben.

b) Die meisten deutschen Berichte erwähnen die theokratischen Elemente der Putin & Popen-Herrschaft gar nicht oder nur nebenbei. Die inländische Kirche soll geschont werden. Man will hierzulande keine schlafenden Hunde wecken und fürchtet, den hiesigen Vernunftdogmatikern und Gottlosen Wasser auf die Mühlen zu liefern.

c) Die Doppelmoral der deutschen Alphaschreiber wird vollends deutlich, wenn man sich die russische Frauengruppe in deutschen Domen und Münstern vorstellt. Blasphemie wäre noch das Geringste, was die neubekehrten Kirchenväterchen von sich gäben.

d) Das Schlimmste wäre die Aussprache des delikaten Wortes Pussy oder gar dessen Eindeutschung – in welches unbefleckte jungfräuliche Organ der Muttergottes? Heilige Lende der Maria? Oder in Anlehnung an Joh. 8,11: Putin, ziehe dein Schwert aus der Scheide?

In der morgigen Sonntagspredigt wird kein Kanzelredner das Wort Pussy in den Mund nehmen, ohne anschließend mit Heiligem Geist und Domesthos nachzuspülen. Wetten, dass?